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eitage zu Ar. 178 des Anzthäters.
Neuenbürg, Sonntag den 10. November 1895.
Württemberg.
Auf das neulich erschienene Flugblatt des Württ. Schutzvercins gegen die Gemein- schüdlichlichkeit der Konsumvereine im allgemeinen und des Stuttgarter Konsumvereins im besonderen hat der letztere in einer langatmigen Erklärung nunmehr geantwortet. Die Verbündeten Staats- beamten und Sozialdemokraten im Ausschuß des Stuttgarter Konsumvereins haben es aber nicht für nötig gefunden auch nur eine einzige Beweisführung des Württemb. Schutzvercins zu widerlegen. Die Herren erklären nur die Beweisführungen des Schutzvereins als absurd, frivol u. s. w. und prangen mit den verschiedenen Millionen, die sie seit Bestehen des Stuttgarter Konsumvereins schon als Dividende verteilt haben. Daß ein sehr beträchlicher Betrag dieser Dividende geschenkte Staatssteuern sind, ist aber Thatsache. um die sich der Konsumverein glatt herumdrückt; auch die Thatsache widerlegt er nicht, daß der Rest dieser allerdings sehr beträchtlichen Dividende von den Konsumvereinsmitgliedern schon vorher bezahlt worden war, be> vor er überhaupt zur Verteilung gelangen konnte. Auch darüber schweigt sich der Konsumverein aus, daß er den reichen Mitgliedern für die von ihnen speziell bezogenen Waren, wie Wein, so stark erhöhte Preise abverlangt, daß er dafür auch den minder bemittelten Mitgliedern, also speziell den Sozialdemokraten für ihre Bezüge an gewöhnlichen Lebensmitteln noch Dividenden verteilen kann. Diesen Herbst herein z. B. verkaufte der Stuttgarter Konsumverein neuen ital. Wein zu 65 per Liter während derselbe Wein aus derselben Quelle in zahlreichen Privatgeschäften zu 42 per Liter verkauft wird. Die lieben Hausfrauen, deren Männer im Konsum- Verein sind, holen aber trotzdem den teueren Wein, weil sie ja 9 oder 11 °/„ Dividende bekommen, womit sie später ihre Modebedürfnisse decken können und wobei sie nicht daran denken, daß sie 33 °/o zuviel vorher für den Wein bezahlt hatten. Gutem Vernehmen nach wird der Württ. Schutzverein übrigens die ganze Erklärung des Stuttgarter Konsumvereins demnächst einer gründlichen Kritik unterziehen und es müßte mit merkwürdigen Dingen zugehen, wenn nicht endlich die obersten Staatsbehörden die Gemeinschädlichkeit des Stuttgarter Konsumvereins und anderer Konsumvereine des Landes erkennen würden.
Trotz des Verbots des Ministeriums des Innern, wonach die Verkaufsautomaten auf den Bahnhöfen an den Sonn- und Festtagen nur ebenso lang geöffnet bleiben dürfen, als die Kaufläden in den betr. Städten, hat sich der Unternehmer dieser Verkaufsautomaten bis jetzt gar nicht bemüßigt gesehen, dieser Vorschrift auch zu entsprechen. In einzelnen Städten hat > man die Sache überhaupt beim alten gelassen, in anderen aber nur einen Blechstreifen mit der Ueberschrift „Sonntagsruhe" angebracht, der unschwer von jedermann in die Höhe gehoben werden kann, worauf der Automat seine Ware nach wie vor abgiebt, vorausgesetzt, daß er nicht ausverkauft ist und trotzdem sein eingeworsenes Geld behält. Die württ. Geschäftswelt beschwert sich mit Recht darüber, und das einfachste wäre wohl, den Unternehmer mit samt seinen Auto» maten außer Landes zu schaffen, denn die Käufer der letzteren sind hauptsächlich Kinder und Lehrlinge, die das Geld zum Naschen doch von den Eltern oder Lehrherrn vorher haben müssen.
Ausstellung für Elektrotechnik und Kunstgewerbe, Stuttgart 1896. Wie uns mitgeteilt wird, herrscht nicht nur beim größeren Publikum, sondern auch bei vielen Industriellen unseres Landes noch eine gewisse Unsicherheit über den eigentlichen Charakter der in Vorbereitung begriffenen Ausstellung für Ellk- trotechnik unv Kunstgewcrbe in Stuttgart 1896. Nachdem dieselbe häufig in Verbindung mit der Eröffnung des Elektrizitätswerkes und des Landes»
gewerbemuseums in Stuttgart genannt wurde, ist man noch vielfach der Meinung, daß es sich dabei wesentlich um eine auf die Hauptstadt zu- gespitzte Veranstaltung in engerem Rahmen handle, die in geschickter Weise an jene beiden Ereignisse anknüpse, im Uebrigen aber durchaus auf dem privaten Vorgehen der führenden Stuttgarter Kreise beruhe. Diese Auffassung, die übrigens durch das offizielle Ausstellungs- Programm in keiner Weise nahegelegt wird, ist eine durchaus irrige. Richtig ist allerdings, daß das Unternehmen von den beteiligten Kreisen selbständig angeregt und in die Hand genommen und eine finanzielle Beihilfe durch den Staat für dasselbe um so weniger beansprucht wurde, als der bedeutende Garantiefonds alsbald gesichert war. Die Zeichnungen für diesen gingen jedoch von überall her ein, wie auch die Ausstellungskommission sich aus mehr denn hundert hervorragenden Interessenten aus allen Teilen des Landes zusammensetzt. Der allgemeinen Einladung zu Folge sind auch die Anmeldungen zur Ausstellung selbst nicht nur aus Stuttgart allein, sondern aus ganz Württemberg so zahlreich eingelaufen, daß dem Unternehmen der Charakter einer aus allen Teilen Württembergs beschickten großen Ausstellung, wie wir sie seit 1881 nicht mehr hatten, vollständig gesichert ist. Dementsprechend hat auch die K. Staatsregierung sich dem Unternehmen als einer das ganze Land berührenden gemeinnützigen Angelegenheit freundlichst gegenübergestellt und demselben jede Hörderung angedeihen lassen, die den Wünschen der Kommission entsprach. Wie bekannt, hat Se. Mas. der König das Protektorat der Ausstellung übernommen und Se. H. Prinz Hermann zu Sachsen-Weimar zum Stellvertreter ernannt, welcher, wie der Ehrenpräsident, Se. Exz. Staatsminister d. I. v. Pischek, an den Sitzungen des geschästsführenden Ausschusses regelmäßig teilnimmt. Für den kunstgewerblichen Teil der Ausstellung ist der großartige Neubau des Landesgewerbe Museums überlassen worden, und im Frühjahr dieses Jahres hat die Regierung, unter einmütiger Zustimmung der Ständekammer, die Summe von 25 000 ^ für Preise als Anerkennung hervorragender Leistungen und Verdienste der Aussteller ausgesetzt und die Zuerkennung der Preise durch Einsetzung eines Preisgerichts auf Rechnung des Staates in Aussicht genommen. In der Begründung dieser Exigenz vor der Kammer wird u. A. ausgeführt: „Eine staatliche Förderung des Unternehmens in diesen Grenzen erscheint aus allgemeinen Rücksichten wohl begründet, weil dasselbe ein nicht zu unterschätzendes Mittel zur Entwickelung der industriellen Thätigkeit Württembergs bildet. Die Einsetzung eines Preisgerichts und die Uebernahme seiner Kosten auf den Staat I ist die angemessenste und würdigste Form der Unterstützung des Unternehmens, da die mit beträchtlichen Geldopfern verbundenen Leistungen der Aussteller nur von einem staatlich eingesetzten Preisgericht zutreffend und erschöpfend gewürdigt werden können." Es bedarf keiner Hervorhebung, welche Bedeutung unter diesen Umständen einer auf dieser Ausstellung erhaltenen Auszeichnung zukommt. Möge der Wettbewerb zugleich einen Beweis davon liefern, daß auch der schwäbische Gewerknsleiß und die schwäbische Intelligenz es verstanden hat, sich ihren Anteil in den großen technischen Errungenschaften zu sichern, die der Neuzeit den Stempel aufdrücken.
Aus Württemberg, 5. Nov. Mit der für den 2. Dezember im ganzen Reiche erfolgenden allgemeinen Volkszählung ist für die über 20 00Ö Einwohner zählenden Städte Württembergs auch eine Wohnungsenquete verbunden, für die besondere Zählkarten, die der Hauswirt auszusüllcn hat, ausgcgeben werden. Da sich dos Bedürfnis einer besonderen Wohnungspolizei geltend gemacht, sollen für deren Einführung die notwendigen statistischen Unterlagen beschafft werden.
Am Bodensee herrscht große Freude über den in voriger Woche erfolgten Abschluß eines Staatsvcrtrags zwischen Bayern und Württemberg betr. die Fortführung der Bodensee-Gürtelbahn von Lindau nach Friedrichshofen. Zur Vollendung der Bodensee Gürtelbahn fehlt nun aber noch eine Bahn von Friedrichshafen nach Ueberlingen und darüber wird wohl noch einige Zeit hingehen, da man in Baden sich noch gar nicht klar darüber ist, ob man die Bahn dem Bodenseeufer entlang oder von ihm etwas entfernt d. h. über Markdorf führen will.
Oberndorf a. N., 6. Nov. Im Verlauf dieses Sommers hatte die Mauser sche Waffenfabrik dahier reiche Thätigkeit entwickelt. Mehr denn 2500 Arbeiter aus hier und den Nachbarorten und -Städten, von Roit- weil bis Sulz, fanden in derselben ihre Beschäftigung. Bald nun gehen die Lieferungen ihrem Ende entgegen. Bis Neujahr soll die türkische, sowie die schwedische Lieferung, letztere umfaßt blos Karabiner, fertig gestellt sein. Eine neue türkische Bestellung — das wäre dann die vierte — scheint allem nach nicht gemacht zu werden und die türkischen Offiziere und Aspiranten werden alsdann nach siebenjährigem Aufenthalt unsere Stadt verlassen müssen. Jedenfalls bekommt die Gewehrfabrik in nächster Bälde neue Aufträge, so das ein allgemeiner Stillstand derselben nicht in Aussicht zu nehmen ist. Der Gründer dieser weltbekannten, berühmten Gewehrfabrik, Herr Kommerzienrat Paul Mauser, hatte letzte Woche Audienz beim deutschen Kaiser.
Tuttlingen, 6. Nov. Christian Teufel, Bildhauer hier, erhielt aus der König Karl- Stiftung dieses Jahr ein namhaftes Stipendium zu einer Reise behufs Weiterbildung in seinem Fache durch eine Reise, welche er heute nach der Schweiz, Frankreich und Italien angetreten hat.
Ausland.
Das Schweizer Republikli hat. wie schon erwähnt, wieder einmal eine Kraftleistung hinter sich. Das schweizer. Heerwesen untersteht nämlich den einzelnen Kantonen und ist bei Vieser Vielgestaltigkeit schon längst auf einem Standpunkt der Ausbildung und Bewaffnung, daß nicht nur ganz Europa darüber spottet, sondern am allermeisten die Schweizer Offiziere selbst. Namentlich die Disziplin in der schweizer. Armee steht dort unter aller Kanone. Nun wollten einsichtige Leute in der Schweiz das Schweizer Militärwesen vereinheitlichen und es dem Bund als solchen unterstellen. Darin liegt ober eine Verfassungsänderung, weshalb das souveräne Volk der Schweizer Republik darüber abstimmen mußte. Wie kaum anders zu erwarten war, kam nun richtig der Unsinn heraus. Der überaus vernünftige Vorschlag wurde mit einer großen Mehrheit abgelehnt und die Kantönlis- milizen bleiben in ihrer alten Jammerwürdigkeit bestehen.
Vermischtes.
Zum 18S5er Wein!
Wie seit einigen Jahren, so wurden mir auch Heuer wieder Proben von Weinmost zur Feststellung des Zucker- und Säure-Gehaltes gütigst überlassen. Im vorigen Jahre war diese zwar mühelose Arbeit trotzdem eine sehr saure. Der erste am 23. Okt. untersucküe Weinmost hatte 45° — 9°/o Zucker und 17 pro inillo Säure, anders gestaltete sich die Sache Heuer; der erste vom 10. Oktbr. hatte 85° — 19,7°/„ Zucker und 5,5 pro inillo Säure. In einem Artikel „Zur heurigen Weinernte" wird nun der 1865er in Vergleich gestellt mit dem 1895er und als Grund der damaligen Verluste das Mißverhälinis von Zucker, Säure und Wasser angegeben nebst unrichtiger Behandlung in Kelter und Keller. Welches ist nun bei einem Weinmost das richtige Verhältnis zwischen Zucker, Säure und Wasser?