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Anr» Jubiläum der württembergischen Eisenbahnen.
Am 7. Dezember 1835 war die erste Eisenbahn in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet worden. Aber obgleich im selben Jahre auch in der Württemberg, Abgeordnetenkammer die Anregung zur Anlegung einer Eisenbahn durch den ritterschaftlichen Abgeordneten v. Cotta gegeben worden war, stand es doch noch 10 Jahre an, bis die erste Teilstrecke einer Eisenbahn auch in Württemberg dem öffentlichen Betrieb übergeben werden konnte. Das geschah am 2 2, Oktober 18 4 5 mit der Strecke Cnnn- statt-Untertürkheim. Das Eisenbahnwesen Württembergs sieht jetzt auf eine fünfzigjährige Entwicklung zurück.
Wenn sich auch in Württemberg niemand gesunden hat, der jenes bayerische Gutachten verteidigt hätte, wornach die Eisenbahnlinie ihrer ganzen Länge durch hohe Bretterverschläge abgeschlossen werden müßte, da der Anblick eines schnell fahrenden Eisenbahnzuges beim zuschau, enden Publikum Krankheiten erzeugen würde, so ist die Neuerung auch in Württemberg nur langsam gegenüber schweren Bedenken zum Siege gelangt. Ein großer Teil der Bevölkerung wie seiner parlamentarischer Vertreter wollte gar keine Eisenbahn. Württemberg — hieß es — sei ein ackerbautreibendes Land, das wenig Gewerbefleiß und wenig Handel habe. Das Bedürfnis zu einer Eisenbahn liege gar nicht vor. Daß auch die Landwirtschaft gerade durch guteEisenbahnver- bindungen in hervorragender Weise gefördert werden kann: diese Erkenntnis ist erst in viel späterer Zeit allmählich zum Durchbruch in weiteren Kreisen gekommen. Doch meinte man damals schon, die Landstriche, welche keine Eisenbahnen besitzen, würden veröden, worin doch schon eine Ahnung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Eisenbahnen verborgen lag. Doch fürchtete man auch die Eisenbahn als die schlimme Konkurrentin für verschiedene Gewerbe be- sonders für dasjenige der Frachtsuhrleut c.
Bescheiden und fast zaghaft trat man bei dem Bau der ersten Linie auf. Mit neun Per- sonenwagen und ebensoviel Güter- und Gepäck- wagen wurde der Verkehr bewältigt. Heute besitzt das Land 1122 Personenwagen mit 50 746 Sitzplätzen und 6440 Güterwagen.*)
Sechs Lokomotiven — sämtlich aus Amerika bezogen — versahen den Dienst. Jetzt befahren rund 450 Lokomotiven die württemb, Eisenbahnlinien.
Während man heute nach immer besseren und bequemeren Einrichtungen der Eisenbahnwagen trachtet, die Dampfheizung für eine gleichmäßige Wärme sorgt und die Beleuchtung reichlich durch Gas erfolgt, waren die ersten Wagen sehr primitiver Natur. Eine Heizung war überhaupt nicht vorgesehen und die Beleuchtung geschah durch kleine rauchende Oeüämpchen, aus denen nicht selten bei rascher Fahrt u. schnellem Halten das Oel auslief. Und als man anfing, die Wagen zu Heizen, da geschah es nur in denjenigen der ersten und zweiten Klasse. Vierzehn Jahre lang, bis zum Jahre 1868, dachte man nicht daran, für die große Masse des Publikums und die mittleren und unteren Stände des Volkes diesen Luxus der Erwärmung ebenfalls einzu- führen.
Auch bei den Bahnhöfen hielt man auf spartanische Einfachheit und Abhärtung des Reise- Publikums. Was heute jeder kleinste Bahnhof aufweist, ja dix meisten Haltestellen besitzen, war für den Hauptbahnhof Stuttgart anfänglich als entbehrlicher Luxus verworfen — besondere Wartesäle. Der Regierungstechniker Etzel empfahl nur eine bedeckte Personenhalle nach amerikanischem Muster und verneinte die Notwendig-
*) Wir entnehmen diese Angaben der hübschen Jubiläumsdenkschrift von Dr. Supper, Inspektor bei der Generaldirektion der K. württ. Staatseisenbahnen. Mruck und Verlag von W. Kohlhammer.l Das mit Illustrationen geschmückte Werk empsehlen wir bei seiner Uebcrsichtlichkeit und seinen auf amtliches Material gestützten, rein sachlichen Aussührungen allen denjenigen aufs wärmste, welche sich einen umfassendeu Ueberblick aus die historische Entwicklung und die heutige Ausdehnung unseres Eisenbahnwesens gewinnen wollen.
keit der Wartesäle in der Abgeordnetenkammer, weil — wie er anführte — „Personen, die Spazierfahrten machen. gutes Wetter wählen und die Reisenden sich bei schlechtem Wetter gegen den Einfluß der Witterung so verwahren, daß sie sich nichts daraus machen, im Freien zu weilen."
Wenn man dann noch erwähnt, daß im Anfang allen Ernstes daran gedacht wurde, beim Uebergang über die Alb Pferde vor den Zug zu spannen, und wenn dagegen die heutigen vervollkommnten Schnellzugsmaschinen in Betracht gezogen werden, dann haben wir in großen Umrissen ein Bild der großartigen Entwicklung unseres heutigen Eisenbahnwesens: die 9,92 lcw Länge des Jahres 1845 haben sich auf 171748 lrm im Jahre 1894 vermehrt» ungerechnet die im Lande sich befindenden 5 Privatbahnen mit ca. 31 1cm Länge.
Aber in etwas ist unsere Zeit immer noch hinter dem Anfang der Elsenbahnperiode zurück: in der Wohlfeilheit der Fahrpreise. Die Ein- heitstaxe pro Kilometer und Person betrug im Anfang nämlich nur 2,47 während sie heute um einen Pfennig höher ist: 3,4 Seit 20 Jahren (1874) besteht dieser höhere Tarif, und seit dieser Zeit hat der höchste Reingewinn der Elsenbahnen 3,52 pCt, betragen, während er in dieser Periode auch schon heruntergesunken ist auf 2,54 und 2,47 pCt. des Anlagekapitals. Die ersten dreißig Jahre dagegen weisen eine Verzinsung häufig von über 5. ja bis zu 6,39 pCt. auf. Das war im Anfang der sechziger Jahre, in welcher die kostspieligen, sich schlecht rentierenden Bahnen noch nicht gebaut waren.
Für seine Eisenbahnen hatte das Land Württemberg bis 31. März 1894 einen Bauaufwand von 525'/- Millionen Mk. zu machen; die ungetilgte Eisenbahnschuld beläuft sich auf über 403 Millionen, während als Reinertrag der Eisenbahnen an die Staatshauptkasse abgeliefert werden konnten im Jahre 1893/94 etwas über 14'/. Mill. Mark.
Lehrreich aus der. Geschichte des württemb. Bahnbaues ist eine kleine Episode aus dem Jahre 1843. Regierung und Abgeordnetenkammer verlangten den Bau einer Bahn zwischen Stuttgart und dem oberen Neckarthal, das Verlangen mit der regen Jndustriethätigkeit dieses Landesteils begründend. Aber die Standesherren der ersten Kammer wollten zugleich auch für sich sorgen. Sie stellten dieser oberen Neckarbahn schon damals das Verlangen einer Drei- sürstenbahn von Leutkirch nach Waldsee gegenüber, worauf natürlich die Abgeordnetenkammer nicht eingehen konnte. Infolgedessen wurde weder die eine noch die andere Bahn sofort in Angriff genommen.
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Von selbst wird dieser Rückblick zum Ausblick. Nachdem Jahrzehntelang das Publikum den Eisenbahnverwaltungen überlassen hatte Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen; nachdem infolge dieser Haltung der öffentlichen Meinung eine Zeit^ang eine gewisse Stagnation eingetreten war und nur Verbesserungen der Be- triebsmittel und der Ausbau der Linien, nicht aber auch organische Aenderungen und Tarifregulierungen vorgenommen worden waren, drängt die Neuzeit mächtig in neue Bahnen. Trennung des Nahverkehrs vom Fernverkehr und selbstständige Entwicklung jeder dieser zwei so grundverschiedenen Beförderungsarten, mit ganz besonderer Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse und Bedürfnisse beim Nahverkehr; Vereinfachung derBilletabgade und Billetkontrolle neben Verbilligung der Tarife — das sind vor allem die Probleme, denen die neuere Zeit ihre Aufmerksamkeit ganz entschieden zuwendet. Durch allerlei Versuche und Ausnahmebestimmungen sind auch die Eisenbahnverwaltungen diesen Fragen näher getreten. Generelle, grundlegende Aenderungen haben sie aber bis jetzt zu vollziehen sich nicht entschließen können. Wenn aber zehn» zwanzig Jahre vorüber sein werden, wird man bei unserer gewaltig vorwärts drängenden Zeit Zeit mit ihren gänzlich veränderten Verhältnissen auf die heutigen Zustände wohl ebenso als auf primitiv-veraltete zurückblickeu können, wie wir heute auf die erste fünfzigjährige Entwicklungs-
> Periode des württembergischen Eisenbahnwesens zurückblicken.
Zehn Jahre Entwickelung im 20 Jahrhundert werden dasselbe bringen wie die halbhundertjährige Entwickelung, die hinter uns liegt. Die Neuzeit drängt rascher und unaufhaltsamer vorwärts als die gemütlichere Zeit um die Mitte dieses Jahrhunderts. Und ein Stillstand ist hier entschiedener verhängnisvoller Rückschritt.
Marktpreise.
Neuenbürg, 2. November.
Butter, V 2 Kilo.^0.80—0.95
Landeier. 0.08—0.09
Kisteneier ... 2 Stück 13 1 Stück 7
Pforzheim, 2. November.
Landbutter, V, Kilo.0.S5 1.0g
Süßrahmbutter.1.10—1.20
Landeier 2 Stück.13—15 ^
Kisteneier, 2 Stück.11—13 ^
Stuttgart, 2. November.
Saure Butter, V, Kilo. 1.—
Süße Butter, '/, Kilo . . . . 1.10—1.20
Frische Eier 10 Stück . 70 ^
Kalkeier, 10 Stück. 60 ^
Ausland.
Paris, 1. Noo. Weit schneller noch, als die optimistischen Leute zu hoffen wagten, ist das neue radikale Ministerium Bourgeois zustande gekommen. Was den zukünftigen Inhaber des Portefeuilles des Aeußern anbe- langt, so scheint man entschlossen zu sein, ihn aus den Reihen der Botschafter oder ehemaligen Botschafter zu nehmen, anstatt, wie anfangs beabsichtigt, aus denjenigen der parlamentarischen Politiker. Was die anderen Minister anbetrifft» so ist wohl Cavaignacs Ernennung zum Kriegsminlster diejenige, welche in gemäßigt republikanischen und besonders in militärischen Kreisen den meisten Widerspruch hervorgerufeu hat. Lockroy, der neue Marineminister, ist in Flottenangelegenheiten gerade so gut bewandert, wie Cavaignac in den das Landheer betreffenden Fragen. Gut ausgenommen wird im allgemeinen cm Gegensatz zu den oben erwähnten Ministern Berthelot, der neue Unterrichtsnunister. Er ist seit 1881 Lonator inunwviblo und seit Jahrzehnten einer der Hauptträger der französischen Wissenschaft. Justizminister ist Ricard, das heißt ein Nichtradikaler, der sich vor einer großen Zahl seiner engeren Parteigenossen durch eine große Rechtschaffenheit auszeichnet. Mit dem Finanzmmister Doumer naht die lang erwartete Aera der Steuerreformen, die von den verschiedenen opportunistischen Kabinetten von einem Rechnungsjahre auf das andere verschoben worden waren. Ob es freilich möglich sein wird» die in Aussicht genommene Erweiterung der Erbschaftssteuer und die Anfänge einer progressiven Einkommensteuer in das nächstjährige Budget hinemzubringen, muß als zweifelhaft gelten; die Zeit drängt, und da die erwähnten Maßnahmen jedenfalls auf großen Widerstand seitens der Opportunisten stoßen werden, so wird man sich wahrscheinlich genötigt sehen, sie auf das übernächste Rechnungsjahr zu verschieben. Dana aber dürfte wohl sicherlich das radikale Kabinet einem neuen gemäßigten schon wieder den Platz geräumt haben.
Paris, 1. Novbr. Die radikalen und sozialistischen Blätter begrüßen das Ministerium Bourgeois freundlich. Die gemäßigten Zeitungen fürchten, daß die Reformentwürfe Verstimmung im Lande herbeiführen. Die monarchistischen Blätter sagen dem neuen Kabinet nur kurze Dauer voraus.
Paris. 2. Nov. Gleich Däcrais hatten auch die zuerst wegen Uebernahme des Portefeuilles des Aeußern ausgeholten Diplomaten» nämlich der ehemalige Botschafter in Petersburg de Laboulaye und der gegenwärtige Botschafter in Bern, Barrere, den Antrag Bourgeois adge- lehnt. Präsident Faure soll von der Wahl Cavaignac's zum Kriegsminister wenig erbaut sein. Das Gerücht, daß mehrere Corpskommandanten entschlossen seien, wegen des neuen Krieg-» Ministers zu demissionieren, findet vielfach Glauben.
Paris, 2. Nov. Das Zuchtpolizeigericht verhandelte heute unter Ausschluß der Oeffent» lichkeit gegen das wegen Spionierens angeklagte