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Nicht teil haben wollten, in ganz empfindlicher Weise. Die nächste Generalversammlung des Konsumvereins dürfte deshalb, wie man schon hört, ziemlich stürmisch verlaufen.

Ulm. 31. Okt. Obstmarkt auf dem Güter­bahnhof. Der Handel hat jetzt fast ganz auf­gehört. Heute stehen noch 10 Wagen Mostobst zum Verkauf, aber es kommen keine Käufer. Die Händler jammern. In der Stadt wird täglich krampfhaft ausgeschellt. Mostobst und Tafelobst zu den bisherigen Preisen will niemand mehr kaufen. Die Händler werden Geld verlieren.

Schorndorf, 30. Okt. Gestern Abend wurde Hospitalpfleger R. vom Amtsgericht in Haft genommen. Wie verlautet, soll cs sich um Unterschlagungen von städtischen Geldern bis zum Betrage von 49 000 ^6 handeln. Die Veruntreuungen sollen bis zum Jahre 1886 zu­rückreichen. Man ist allgemein verblüfft darüber, daß die ausgedehnten Betrügereien der Amts- kontrolle Jahre lang entgehen konnten. R. hat verschiedene Schuldscheine, deren Schuld schon getilgt war, immer wieder vorgelegt und sein Verfahren damit verdeckt. Die Zinsen zahlte er selbst weiter in die Kasse. Seine Familie wird sehr bedauert. Als Gesamtbetrag der unter­schlagenen Gelder ist nunmehr die Summe von 101426 ^ ermittelt. Die Privatschulden sollen sich auf 5060 000 belaufen. Obgleich der Verhaftete sehr bedeutende Beträge für sich ver­brauchte, man spricht von täglich 2030 »-L, ein Verbrauch der für hiesige Verhältnisse ohne­hin rätselhaft ist, findet man bis jetzt keine genügende Erklärung dafür, daß er in 9 Jahren eine solch riesige Summe verbraucht haben soll.

Gmünd, 30. Okt. Ein schweres Unglück hat unser Wasserwerk betroffen. Heute Nach­mittag ertönte plötzlich ein furchtbarer Knall; der große D a mpf kess el bei dem Hauptschacht war geplatzt. Die Wirkung war furchtbar. 3 Arbeiter wurden völlig zerschmettert, ein vierter in den Schacht hinunter geschleudert, 3 wurden schwer 2 leichter verletzt. Die Verwundeten wurden von dem sofort herbeigeholten Wund- arzt Rieger verbunden und von den Mitgliedern der Sanitätskolonne in das Krankenhaus ver­bracht. Die Leichen sind schrecklich zerfetzt. Von einem Monteur aus Magdeburg hängen noch blutige Fleischstücke am oberen Ende des Pulso­meters; einem zweiten wurde der größte Teil des Schädels weggerissen und in die Aufzugs­maschine geschleudert. Der Dampfkessel wurde über 300 m weit durchs Feld geschleudert, der Feuerungsraum in der entgegengesetzten Richtung fortgeworfen. Stadtschultheiß Möhler erschien alsbald auf der Unglücksstätte, um mit Rat und That an die Hand zu gehen. In der Stadt herrscht begreiflicher Weise große Aufregung.

Oberndorf. 28. Okt. Die Bereinig­ung von Gemeinde- und Korporations­beamten im Schwarzwaldkreis hielt, nach demSchw. B."> gestern hier eine Versamm­lung. Bei den Verhandlungen, zu denen etwa 30 Mitglieder aus allen Gauen des Kreises er­schienen waren, bildete den ersten Punkt der Tagesordnung die Frage der Lebenslänglich- keit. Dem Auftrag, den die Landesversamm­lung in Tübingen an den Vereinsausschuß richtete, ein Gutachten von Juristen einzuholen, ist dieser nicht nachgekommen, weil von dem Minister irgend eine Entscheidung zu erwarten war. Der Erlaß ist unterdessen erfolgt, und aus demselben ist zu schließen, daß das neue Gemeindeordnungsgesetz in nicht allzu weiter Ferne mehr steht. Betreffs des neuen Steuer­gesetzes tadelte man, daß die Progression der Einkommensteuer bei 15 000 ^ aufhöre, und wünschte die größere Heranziehung der Grund­steuer, namentlich auch großer Staatsbetriebe zu den Gemeindesteuern, da sich doch auch vermehrte Auslagen für Straßenunterhaltung, bei den Armenlasten rc. ergeben. Man einigte sich zu dem Beschluß, es soll mit allen Kräften da­hin gewirkt werden, daß den Gemeinden ein großer Einfluß bei der Bildung und Fortführung der Grund-, Gebäude- und Gewerbekataster ein- geräumt werde.

Die Ortsschulbehörde in Möckmühl hat beschlossen, gegen die Aufstellung des auf dem Bahnhof befindlichen Automaten vorstellig zu

werden, da es sich herausgestellt habe, daß die Benützung desselben seitens der Jugend mit schweren sittlichen Schäden für die letztere der- bunden ist, insofern sie zur Naschhaftigkeit, zum Betrug und Diebstahl verleitet wird.

Ausland.

Die Franzosen haben wieder einmal eine Minist er kr isis. Nicht die Interpellation wegen Madagaskar oder wegen der Vorgänge in Carmaux haben das Ministerium Ribot zu stürzen vermocht, sondern der Südbahnskandal. Bekanntlich hat der Senator Magnier seine Mitschuldigen nicht genannt und ist ruhig ins Gefängnis gewandert; dagegen hat der Pariser Figaro die Mitschuldigen Magmxxz öffentlich bezeichnet und es gelang den Sozialisten in der Deputiertenkammer für eine Tagesordnung die Mehrheit zu gewinnen, welche dem Justizminister Trarieux eine Rüge dafür erteilte, daß er der Justiz nicht freien Lauf lasse. Die übrigen Mit­glieder des Kabinets hätten ihren Kollegen Trarieux opfern können, mber sie erklärten sich mit ihm solidarisch und nun fällt das Ministerium Ribot zum zweiten Mal wegen eines Finanz skandals (das erste Mal bekanntlich wegen der Panamageschichten). Allgemein wird die Lösung der gegenwärtigen Krise als eine besonders schwierige angesehen. Man weiß, daß der Prä­sident der Republik sich nur ungern entschließt, einen Radikalen mit der Bildung des neuen Kabinets zu betrauen, wobei weniger seine per­sönliche politische Richtung im Spiel ist, als die Besorgn's, daß ein auf die extremen Parteien sich stützendes Kabinet den freundschaftlichen Be­ziehungen Frankreichs zu Rußland Abbruch thun könnte. In gemäßigten Kreisen giebt man sich der Hoffnung hin, daß Bourgeois, wie vor 9 Monaten nach dem Sturz Dupuys, auch dies­mal nach mehrtägigen, resultatlosen Bemühungen, die ihm übertragene Mission in die Hände Faure's zurücklegen werde. Bourgeois soll ge­äußert haben, daß er die Erbschaft Ribots nur mit schwerem Herzen antreten würde, da ihn der Kammerbeschluß, welcher den Sturz des letzten Kabinets herbeiführte, zwänge, gegen Parla­mentarier vorzugehen, mit denen er früher lang­jährige persönliche Beziehungen unterhalten habe. Ob Burgeois oder Brisson oder Cavaignac die Bildung des neuen Ministeriums übernimmt, bleibt sich in der Hauptsache gleich. Konstatiert ist eben wieder einmal, daß das Republikaner- tum und die Parlamentsherrschaft mit dem Spitzbubentum identisch ist. Bei einer der­artigen Staatseinrichtung kann auch der ehr­lichste Mensch der Versuchung erliegen, sich auf unrechtmäßige Weise zu bereichern, weil die Ge­legenheit eben gär zu günstig ist und weil jeder sich sagt, was der andere mit Erfolg gethan hat, darf ich auch thun.

Ueder den Inhalt des Friedensvertrages zwischen Frankreich und Madagaskar sind jetzt weitere Einzelheiten bekannt geworden. Aus denselben erhellt, daß der Vertrag für Frank­reich noch vorteilhafter lautet, als schon nach den ursprünglichen Mitteilungen hierüber anzu­nehmen war. Namentlich ist Frankreich die Leitung des madagassischen Militärwesens, der Justiz und der ausübenden Gewalt, die Kontrole der inneren Verwaltung, ferner die auswärtige Vertretung Madagaskars zugcstanden worden. Auch dürfen nur Franzosen Grundbesitz auf Madagaskar erwerben. Den Franzosen wird schließlich ein beträchtlicher Landstreifcn im Norden der Insel als Eigentum abgetreten.

Rom, 29. Okt. In vatikanischen Kreisen macht man sich auf eine energische Agitation Crispis gegen den Vatikan gefaßt. Ein Brief des Papstes an den Kardinal Rampolla und der Zwischenfall, den die Weigerung des Königs von Portugal, nach Rom zu kommen, heroorgerufen haben, hätte Crispi sehr erbittert. Der Papst zeigte sich jedoch wenig beunruhigt.

Rom, 29. Okt. Der vermutlich zwischen Rußland und Japan ausbrechende Konflikt wird, wie dieItalic" behauptet, die Auflös­ung der europäischen Bündnisse zur Folge haben müssen. Wahrscheinlich wird Deutsch­land Rußland unterstützen, dagegen in England einen scharfen Gegner finden. Durch

diesen Konflikt wird Italien in große Ver­legenheit gebracht. Dieserhalb hätten die Minister Italiens in den letzten Tagen bereits lange Konferenzen gehabt, wie sich Italien verhalten solle.

Die Japaner haben aufFormosa durch die Einnahme der wichtigen Stadt Tainanfu einen neuen wichtigen Erfolg errungen. Trotz­dem scheint der Widerstand der tapferen Schwarz­flaggen gegen die ihrer Insel durch den Friedens­vertrag von Shimonoseki aufgezwungene japanische Fremdherrschaft noch nicht ganz gebrochen zu sein.

Aus der Türkei werden immer neue Greuelthaten gegen die Armenier berichtet. Wie unter solchen Umständen die vom Sultan ver­sprochenen Reformen eine Besserung sollten schaffen können, erscheint ganz rätselhaft. In Konstantinopel selbst sind nun rasch aufeinander zwei türkische Verschwörungen gegen den Sultan entdeckt und mit der schleunigen Hinrichtung der Verschwörer geahndet worden. Das Fatale für den Sultan ist nur die Erwägung, daß er nicht weiß, wieviel Verschwörer noch am Leben sind und ob ihnen die Beseitigung des Sultans auf blutigem oder nicht blutigem Wege nicht doch noch gelingt.

Kon flau tinopel, 30. Okt. Die Pforte hat ein Rundschreiben an ihre Vertreter im Aus­lande gerichtet, worin erklärt wird, die Armenier hätten die jüngsten Unruhen in den Provinzen hervorgerufen, die Ordnung sei jetzt wieder her­gestellt, ausgenommen im Bezirk Baiburt, wo eine Bande von 400 bewaffneten Armeniern die Mohamedaner bedrohe. Eine Meldung aus amt­licher Quelle berichtet, daß sich 26 000 Armenier im Distrikte Zeitun im Aufstande befinden. Die jüngsten Kämpfe hätten damit im Zusammen­hang gestanden. Infolge, der letzten blutigen Ereignisse in Kleinasten sind an den bedrohten Punkten Truppen konzentriert worden. Der armenische Patriarch ist über das Schicksal der Armenier in den Provinzen sehr beunruhigt, da nähere Berichte fehlen. Die Zahl der m Eczinghia umgekommenen Personen wird auf 85 angegeben. In der letzten Zeit sind wieder zahlreiche Armenier verhaftet worden. In der armenischen Kirche m Pera wurden drei als iürkenfreundlich geltende Geistliche von den Mit­gliedern der armenischen Kommission insultiert.

Prinz Ferdinand von Kovurg, der nicht anerkannte Fürst von Bulgarien will nächsten Sonntag seinen bis jetzt einzigen Sohn Boris nun doch auf den griechisch-orthodoxen Glauben umtaufen lassen, obgleich er weiß, daß er da­durch seine Anerkennung durch Rußland nicht erreicht. Er will dies angeblich aus dem Grunde thun, weil er damit dem bulgarischen Volk sein Entgegenkommen zeige.

Paris, 30. Okt. Das Wetter ist augen­blicklich in ganz Frankreich äußerst unfreunlich. Allenthalben hat es, sogar auch in Paris, bereits geschneit, und an der Seeküste herrschen heftige Stürme. Besonders Marseille hatte gestern unter einem solchen zu leiden, der große Ver­spätungen der fälligen Dampfer zur Folge hatte. DieSyria" die von Oran ankam, verlor unter­wegs 500 Hämmel, die die Wellen vom Deck spülten. Auf demOasis" schlug der Blitz ein und richtete großen Schaden an.

KnLeryattender Heil.

Der gute Onkel.

Humoreske von Georg Grad.

(Fortsetzung.)

Der Weihnachtsabend war herangekommen. Auf den belebten Straßen eilten die Tausende von Menschen geschäftig durcheinander, zum größten Teil mit Paketen m Dimensionen von dem großen Kolli bis herab zu dem bescheidenen Päckchen, das man bequem in die Rocktasche stecken konnte. In den unzähligen Verkaufs­läden drängte sich die Menschenmenge, die noch im letzten Augenblick ihre Einkäufe besorgte. Hier erstand ein Familienvater noch kurz vor Thoresschluß einen Tannenbaum und sein Knabe eilte mit der grünen Last froh dem elterlichen Hause zu, während ersterer für seine Lieben die winzigen Weihnachtsgeschenke anzukaufen sich be­eilte, deren Erwerbung ihm der schmale Kassen­bestand erlaubte.