729
ZZeil'clge zu Ar. 172 des GnztkäLers.
Neuenbürg, Donnerstag den 31. Oktober 1895.
Württemberg.
** Tübingen, 29. Okt. (Bierjubiläum.) Die Heinrich'sche Brauerei in Lustnau veranstaltete am Samstag abend im Gasthaus „zum Rappen" eine 25jährige Jubiläumsfeier der Lieferung ihres Bieres in das Lokal und hatte hiezu sämtliche Stammgäste eingeladen und auf eigene Rechnung bewirtet. Landtogsabgeordnete Weidle brachte das erste Hoch auf die Familie Binder und Heinrich aus. Das Arbeitcrpersonal hatte sich vollzählig eingefunden und wurde ihm seitens des Besitzes Binder der Dank ausgesprochen mit der Mahnung auch fernerhin treu zur Brauerei zu Hallen. Dem trefflichen Stoff wurde tüchtig zugesprochen unter Reden und Gesangs- Vorträgen.
Oberndorf, 24. Okt. Ein Schriftchen, welches der Vorstand des bayerischen Feuerwehrverbands soeben an Behörden und Erziehungsanstalten versendet, ist von allgemeinem Interesse. Danach wurden in den 8 Jahren von 1879 bis 1886 nur in Deutschland rund 6000 Brände durch Kinder verursacht und dadurch an ca.
13 000 Gebäuden ein Schaden (mit Einrechnuug von Schaden an Mobiliar u. s. w ) von 24 Mill. Mark also pro Jahr 3 Mill. Mark gestiftet. Rechnet man noch dazu den durch Kinder herbei- gesührlen Feuerschaden von 1862 bis 1878, der auf rund 42 Mill. Mark bewertet wird, so hätte das deutsche Nationalvermögen durch Brandstiftung seitens der Kinder in dem Zeitraum 1862 bis 1886 eine Einbuße von nicht weniger als rund 66 Millionen Mark erlitten. — Die Kinder können in der Schule und zu Hause nicht genug auf die Gefährlichkeit der Zündhölzchen und des Feuers aufmerksam gemacht werden. Die Aufbewahrung der Zündhölzer an einem Ort, der kleinen Kindern nicht zugänglich ist, muß stets eine Hauptpflicht gewifferhafter Eltern sein.
Stuttgart. (Landesproduktenbörse. Bericht vom 28. Oktober von dem Vorstand Fritz Kreglinger.s Die Tendenz auf dem Getreideweltmarkt hat sich weiter befestigt, da England sich wieder an den Einkäufen beteiligte und die Offerten sowohl von Rußland als auch Rumänien höher waren. Das Angebot von Amerika ist nicht groß und giebt nach Deutschland keine Rechnung. Verfügbare Ware wird höher gehalten, da die Ankünfte in Mannheim der schlechten Wasserverhältnisse wegen sehr klein und die Landzufuhren schwach sind. Auf den Landmärkten wurden die kleinen Zufuhren schlank zu guten Preisen ausgekaust. In Folge sehr kleinen Wasserstandes und schwacher Zufuhren halten die Kunstmühlen stramm aus unten verzeichnet« Mehlpreise. Aus dem heutigem Hopfenmarkt wurden 50 Ballen zum Preise von 30—45 Mk. abgesetzt. Wir notieren per 100 Kilogramm: Weizen, Azima 16 50 ^ bis
16 -4L 75 Gyrka 16 ^ 25 bis 16 -4L 50 La Laplata 16 «4L 50 4 ; bis 16 -4L 75 Rumänier 16 -4L 50 ^ bis 16 -4L 75 4 t, russ. Roggen 14 « 4 L 25 bis
14 -4L 50 Nördlinger Gerste 19 «4L 25 4 ) bis 19 -4L
50 , fränkische 17 ^4L — 4 -, Tauber 18 -4L —
Pfälzer 18 -4L 50 Saale 18 «4^ — 4 !, bahr. 19 -4L — .^, Landhafer 12 -4L — Albhafer la 13 -4L — bis 13 -4L 90 4 -, La Platamais 11 -4L 50 ^ bis 11 -4L
75 4 t, Mixedmais 11 -4L 50 ^ bis 11 -4L 75 4 t, weißes
amerikan. Mais 11 -4L 60. — Mehlpreise per 100 Kilogr. incl. Sack bei Wagenladung: Letztwöchentlich.
Ausland.
Paris, 28. Okt. Deputiertenkammer. Rouanet bringt eine Interpellation wegen der Südbohnangelegenheit ein: Die Regierung solle völlige Klarheit verbreiten und den Verdacht beseitigen, der über mehreren Parlamentariern schwebe. Der Justizminister erklärte, sämtliche Schuldige seien gerichtlich verfolgt. Es sei außer den betreffenden Senatoren und Deputierten, welche sich regelmäßig an den Emmiffions skandalen beteiligt hätten, keine Namen eines Deputierten in den Akten gefunden worden Die Kammer nahm darauf die Tagesordnung des Sozialisten Rouanet an, die Minister verließen den Saal, um sich nach dem Elysee zu begeben und ihre Demission einzureichen.
Paris, 28. Okt. Die „Patrie" meldet, daß die Sicherheilsbehörde den Mitschuldigen des wegen Spionageverdachts verhafteten Schwartz
auf der Spur sei; drei derselben seien jüngst ausgediente deutsche (!?) Unteroffiziere.
Paris, 28. Okt. Der König von Portugal trifft am Freitag zum Besuche des deutschen Kaisers im Neuen Palais zu Potsdam ein und bleibt dort drei Tage.
L a i b a ch , 28. Okt. Durch das Hochwasser ist der Bahnverkehr teilweise unterbrochen. Die Straßen stehen bis zu I'/r Meter unter Wasser. Die tiefer gelegenen Stadtteile der Stadt Gottschee sind überschwemmt.
Agram, 28. Okt. Infolge des anhaltenden Regens ist die Save im Steigen begriffen. Die Gefahr einer Ueberschwemmung steht bevor. Auch Schisseck ist gefährdet.
B u d a p e st, 29. Okt. In Hodmezoe und Vasarhely wurde eine Giftmischerbande verhaftet, die sieb mehr als 10 Personen bei Kranken- und Leichendestattungs-Vereinen versichert, dieselben dann durch Gift getötet und die Versicherungsbeiträge erhoben hat.
Brünn, 22. Oktbr. In der Nordbahnstation Leipnik kamen zwei Personen auf höchst seltsame Weife ums Leben. Eine Bäuerin aus der Umgebung, die den Wochcnmarkt in Leipnik besuchen wollte, versäumte in der Nachbarstation Radwanitz .den Frühzug. Auf ihr Ersuchen ließ sie ihr daselbst als Bahnwächter bediensteter Schwager mit dem nächsten Lastzüge mitfahren, obwohl dies nach der Betriebsordnung verboten ist. Der Bahnwächter fuhr gleichfalls mit, sprang aber während der Fahrt ab und schärfte vorher seiner Schwägerin ein, beim Halten des Zuges gleichfalls abzuspringcn und sich dann unbemerkt aus dem Staube zu machen. Da aber der Lastzug über die Station Leipnik hinausfuhr, sprang die Bäuerin vom rollenden Zuge ob, blub mit dem Kleide hängen und geriet unter die Räder, wodurch ihr beide Füße vom Körper abgelrennt wurden. Nach wenigen Stunden erlag die Unglückliche im Spitale von Mährisch-Weißkirckien, wohin man sie transportiert hatte, ihren Verletzungen. In Verzweiflung darüber stürzte sich ihr Schwager, als er von diesem Unglücke erfuhr, unter die Räder eines Personenzuges und wurde in gräßlicher Weise zermalmt.
Aus Brüssel schreibt man: Hiesige Blätter teilen mit Entrüstung mit, daß die Regierung das Mausergewehr 1889 einführen will, obwohl sich das Gcwehrsystkm Marga bei verschiedenen Versuchen als vorzüglich erwiesen habe. Diese Entscheidung wird als ein Skandal bezeichnet, der in der geringen Gewissenhaftigkeit der Recierrng zu suchen sei.
Mit der Uebernahme des Oberkommandos der britischen Armee durch Lord Wolsc- ley an Stelle des Herzogs von Cambridge werden in der bisherigen Disziplin der Armee- Exerzitien einige sehr radikale Aenderungen vor- genommen. Bekanntlich ist Lord Wolseley ein begeisterter Anhänger des deutschen Jnfanterie- drills: er wird daher das System des Salven- feuerns abschaffen. Auch im Artilleriedrill sollen gründliche Aenderungen eintreten.
London, 28. Okt. Die „Times" melden aus Konstantinopel: Die gegenwärtig durch den Suezkanol beförderten türkischen Truppen sind nach dem Vilajet Jemen bestimmt, wo mit Eintritt der kühleren Jahreszeit Unruhen befürchtet werden. — Derselben Depesche zufolge hatte die Untersuchung anläßlich eines an den Sultan gerichteten Drohbriefes zur Anklage gegen Mit- glieder des kaiserlichen Hofes geführt. Dieselben sollen angeblich sämtlich innerhalb der Umgrenzung des Iildiz Kiosk hingerichtet worden sein.
K o n st a n t i n o p e l, 28. Oktbr. Eine Meldung des Bureau Reuter besagt: Hier ein- getroffcne Privatmeldungen berichten, daß in Baiburt an der Straße von Erzerum nach Trape- zunt rin gräßliches Gemetzel stattgefunden hat. Danach griffen 500 bewaffnete mohamme- dänische Lahsen die Armenier in den benachbarten Dörfern an, legten Feuer in die Häuser, Schulen
und Ställe und schossen auf die Armenier, sobald diese den Flammen zu entfliehen suchten. Dabei wurden mehrere Männer und Frauen lebendig verbrannt. Viele Frauen wurden mißhandelt und zerstückelt, die Wohnungen geplündert und die Mädchen geschändet. Die Zahl der Toten soll 150 übersteigen. Die Dörfer hatten beim Ausbruch der Unruhen den Schutz des Gouverneurs von Baiburt erbeten; dieser aber sandte nur drei Gendarmen ab, welche erst anlangten, als Mord und Raub vorüber war. — Nach Meldungen aus Trapezunt wurde das Dorf Gumusch-Dagh durch Türken überfallen. Die Zahl der hierbei Erschlagenen ist noch unbekannt.
Konstantinopel, 29. Okt. Ausbrüche der zwischen Türken und Armeniern herrschenden Erregung erfolgten am 25 Okt. in verschiedenen Städten und wurden offiziell auf Angriffe seitens der Armenier zurückgeführt. Von türkischer Seite werden die Vorgänge zum Teil als unbedeutende Reibereien dargestellt. Auch aus verschiedenen anderen Orten des kleinastatischen Vilajets werden blutige Vorgänge gemeldet, deren Fortsetzung als wahrscheinlich gilt. In den meisten Meldungen werden die Türken als Angreifer bezeichnet.
Petersburg, 28. Oktbr. Samstag Abend fand in dem voll besetzten Saale der Adelsversammlung ein von den deutschen Gesangvereinen mit Sinfonieorchester ausgeführtes Konzert statt. Zum Vortrag gelangte der „Sang an Aegir". -Das Konzert, dem auch der deutsche Botschafter beiwohnte, fand stürmischen Beifall.
Seit Menschengedenken ist der Schnee in den Alpen noch nie io zurückgeschmolzen wie diesen Sommer. In den höchsten Alpen- ihälern, 2500 Meter und höher, kommen große Fels- und Trümmerflächen zum Vorschein, die noch kein lebendes Auge gesehen. Die Gletscher sind zum größten Teil schneefrei. Viele kleine Bergseen sind ganz ausgetrocknet.
Unterhaltender Teil.
Der gute Onkel.
Humoreske von Georg Grad.
(Nachdruck Verbote».)
(Fortsetzung.)
Onkel Wiese hatte es von jetzt ab äußerst wichtig mit der Ausführung der ihm anvertrauten Kommission und fast kein Tag verging, ohne daß er in dem Bertram'schen Laden erschien. Bald kaufte er neue Kragen» dann wieder Manschetten, sodaß die alte Mine oft verwundert den Kopf schüttelte. Einen besseren Kunden hatte Frau Bertram noch gar nicht gehabt; alles bezahlte er bar und dabei war er stets so höflich und zuvorkommend, daß Mutter und Tochter ihn gleich liebgcwannen.
„Kind, Kind," sagte elftere eines Tages lächelnd zu Manschen, als der prompte Kunde abermals mit einem mächtigen Paket den Laden verlassen hotte, ich glaube immer, er hat ein Auge auf Dich geworfen."
Mariechen lachte hell auf. „Warum nicht gor, Mamachen, ein so reicher Mann, wie er zu sein scheint, sollte mich armes Mädchen beachten?"
„O, so arm bist Du doch nicht, mein liebes Kind. sieh, wenn ich einst nicht mehr bin, gehört Dir doch das Geschäft, das Dir Dein sicheres Brot abwirft. Allerdings", fuhr sie fort, „ist er sehr reich, er hat eine prächtige Bäckerei und soll ein äußerst gutmütiger Mann sein, wie ich unter der Hand erfahren habe. Das wäre eine Partie für Dich."
„Aber. Mamachen", rief Mariechen lachend, „wenn er so reich ist, wie Du sagst, dann wird er sich sehr hüten, mich zu heiraten, die ich nichts besitze."
„Ja, aber wem sollen seine häufigen Besuche gelten? Denn soviel Wäsche, wie er in letzter Zeit gekauft hat, kann er ja nicht in einigen Jahren auftragen."