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eiLcrge zu Mr. 165 des KnzthäLers.
Neuenbürg, Samstag den 19. Oktober 1895.
Württemberg.
Stuttgart. 14. Oktbr. Der „Schw. Merk." bringt in Folg. „Noch ein Wort über die Jubelfeier des Nationa lfestes." Es war in den letzten Wochen viel Erhebendes zu berichten über die Begehung der Jubelfeier der nationalen Wiedergeburt des deutschen Reiches. Auf mancherlei Art ist dieses Fest gefeiert worden, meist mit reichhaltigem Programm, mit Reden und Gesängen voll von Begeisterung undPatriolis- mus, mit fröhlichem Gelage uud jubelnder Beteiligung der Bevölkerung in den fahnengeschmückten Städten und Dörfern. Und all diese festliche Bewegung hat ihre Weihe und ihren richtigen Ausdruck in den Festgoltesdiensten gefunden. welche durch alle deutsche Lande hin gehalten worden sind. Eine besonders schöne und sinnige Art von Feier war cs nun, wenn bei diesen Gottesdiensten für unsere Kriegsinvaliden und ihre Hinterbliebenen geopfert worden ist; denn auf diesem Wege sind gerade diejenigen bedacht worden, welche in erster Reihe berufen gewesen wären, das Fest mitzuseiern, aber wegen Krankheit, Gebrechlichkeit und aus sonstigen Gründen davon abgehalten waren. Aber Freilich nur in einer verschwindend kleinen Anzahl von Gemeinden hat man sich in dieser sinnigen Weise einer Dankecpflicht gegen die Opfer des großen Feldzugs erinnert, und doch wäre gerade dies die lieblichste und segensreichste Feier gewesen. Wohlan! noch ist es in unserer schwäb. Heimat Zeit, das Versäumte nachzuhoien, da für unser Schwabenland die kommenden Gedächt- nistage von Cocuilly und Champigny (30. Nov. und 2. Dez.) erst recht eine Jubiläumszeit sind. Wie schön und erhebend wäre es, wenn um diese Zeit an einem geeigneten Sonntag in allen Landeskirchen aus freier Entschließung der Kirchengenosscn oder durch Empfehlung der Oberkirchenbehörde das Opfer für unsere Kriegsinvaliden und ihre Hinterbliebenen bestimmt würde. Wir glauben, das wäre eine schlichte und stille, aber eine edle, segensreiche Jubelfeier.
Nagold, 12. Okt. Die Württb. Bolksz. bringt folgende Correspondenz: Ueber die Flößerei auf Enz und Nagold hat, wie man weiß, der Abgeordnete Commerell in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 11. Mai 1895 und wiederholt später Klage geführt und die Regierung um Aufhebung derselben ersucht. Jetzt geht der „Württ. Volkszeitung" zu diesem Kapitel eine Zuschrift aus dem Oberamt Nagold zu, worin folgendes ausgeführt wird: Trotz der großen Trockenheit in den letzten zwei Monaten ist der Wasserstand der Nagold im allgemeinen kein auffallend niederer geworden, so daß die verschiedenen Wasserwerke auch im obern Nogoldthal in ihrem Gang keine besondere Störung zu erleiden hatten. Seit Anfang dieses Monats kommt cs nun aber fast jeden Tag vor, daß der Betrieb der Wasserwerke infolge unregelmäßigen Wasserzuflusses ins Stocken gerät, ja auf einen halben Tag lang ganz eingestellt werden muß. Als Ursache dieser für die betreffenden Wasserwerkbesitzer so mißlichen und nachteiligen Lage ist die Flößerei zu betrachten. Vom 1. Aug. bis 15. Sept. dauert gewöhnlich die Floßsperre auf der Nagold. Wegen größerer Reparaturen an Wasserwerken in Calw und Pforzheim wurde Heuer ausnahmsweise die Floßsperre auf 1. Okt. ausgedehnt. In den zwei letzten Monaten wurde nun aber in den verschiedenen Wasserstuben des oberen Nagoldthals eine große Anzahl von Klößen eingebunden. Und jetzt, da die Floßgasse wieder frei ist, kommen die Flöße oft in großer Zahl die Nagold herab, an einem Tag oft fünf bis sechs. Zu diesem Zweck werden die Wasserstuben abgelosfcn, und wenn der Floß von der gesammelten Woffer- masse fortgelahren ist, alsbald wieder gesperrt. Dadurch wird natürlich die Wasserkraft für Triebwerke oft so geschwächt, baß der Gang eingestellt werden muß. Es ist darum leicht be
greiflich , daß die Wasserwerkbesitzer nicht gut auf die Flößerei zu sprechen sind und ihr Auf- hören oder wenigstens einen die Interessen der Industrie mehr berücksichtigenden Flößcreibetrieb sehnlich herbeiwünschen. Ein weiterer bedenklicher Zustand ist das in unheimlicher Menge in den Wasserstuben und auf den Holzplätzen angesam- melte Langholz. Beim Eintritt eines plötzlichen Hochwassers könnte dasselbe leicht fortgerissen werden; dos würde für Wasserwerke und Orte an der Nagold unsägliches Elend bringen. Also auch dieser Grund spricht für Aufhebung der Flößerei. Seit dem Betrieb der Lokalbahn Nagold-Alten steig wird zwar sehr viel Langholz durch die Eisenbahn abgeführt. Gleichwohl sehen sich aber die Holzhändler veranlaßt, den immer noch billigeren Wasserweg zur Be> föiderung des Langholzes zu benützen. Daß bei billigerer Effenbahnfahrtaxe sür Langholz die Flößerei nach und nach von selbst oushören würde, ist sicher onzunehmen. Dadurch würden nicht bloß die verschiedenen Wasserwerke in ihrem Betrieb nicht gestört, sondern dem Staat, dem die Unterhaltung der Wasserstuben und Floßgassen obliegt, würde manche Ausgabe bei der Einstellung der Flößerei erspart bleiben. Von dem regelmäßig günstigen Wcsseistand der Nagold und dem beträchtlichen Gefall derselben (durchschnittlich 2.8 Meter pro Kilometer) könnte auch ihre Wasserkraft zu industriellen Zwecken noch viel mehr ausgcnützt werden als cs bis jetzt der Fall ist.
AnLeryatterrder Teil.
Der gute Onkel.
Humoreske von GeorgGrad.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Nun war es vom Herzen herunter. Franz war, wie man sah, ein gelehriger Schüler seines würdigen Vetters, auf dessen Haupt er feurige Kohlen sammelte. Aber einmal und nie wieder hatte er sich zu einem derartigen Freundschaftsdienst verleiten lassen, das schwor er sich in diesem Augenblick selbst zu.
„Junge. Junge, Junge," diesen seinen Lieblingsausdruck noch ein paarmal wiederholend, lief der gute Onkel erregt im Zimmer auf und nieder.
„Es ist mir nicht um das Geld zu thun, mein lieber Franz, aber das sollte mir außerordentlich leid thun, wenn auch Du Dich verleiten ließest, die bisherige Bahn zu verlassen und Dich einem leichtsinnigen Lebenswandel hin- zugeben. Das Spiel! Dos Spiel! Trunk und Spiel bringen das größte Unglück über den Menschen. Höre mich an, Franz, laß cs dos erste und letzte Mal gewesen sein, daß Du die Nacht am Spieltische zugebrocht hast. In der That, Du sichst ganz übernächtig aus," rief er aus, indem er dos magere Gesicht seines ihm über den Kopf gewachsenen Neffen einer Okularinspektion unterzog. Dieser Scharsbl ck des guten Onkels hätte Franz beinahe ein Lächeln abge- nötigt. Er am Spieltisch und übernächtig aussehend! Um 10 Uhr hatte er bereits im Bettchen gelegen. Doch er durste nicht aus der Rolle fallen und hielt daher wacker stand. Mit Ruhe hörte er die Erzählung seines Onkels an, der eine ganze Reihe von Allen aufzählte, in denen Leute durch das Spiel zeitlebens unglücklich geworden waren und daran für ihn die erbaulichsten Mahnungen knüpfte, sich nicht wieder vom Spielteufel umgarnen zu lassen.
„Nicht wahr, lieber Franz, Du versicherst mir auf Ehrenwort, niemals wieder zu spielen?"
Franz wäre am liebsten dem guten Onkel um den Hals gefallen und hätte ihm einge- standen, was für ein erbärmlicher Komödiant er war, ober durste er es? Hatte ihm nicht sein braver Veiler die Pistole auf die Brust gesetzt?
„Ich verspreche es Dir auf Ehrenwort, lieber Onkel, ich will niemals spielen." versicherte Franz, der auf diese ein wenig jesuitische Weise sein ob der vorgezogcnen Lüge erregtes Gewissen zu beruhigen suchte.
„Selbstredend sollst Du das Geld unter dieser Bedingung haben." Onkel Wiese trat an den großen Wandschrank und entnahm dem Tresor drei der bekannten blauen Scheine, welche die stattliche Zahl: Einhundert Reichsmark als Wappen im Schilde führen.
„Nicht wahr, lieber Onkel", bat Franz, „Du bist mir nicht böse?"
„I bewahre," versicherte dieser, ich bin dergleichen kleine Szenen von Deinem liebe» Vetter her gewöhnt."
„Und nicht wahr. Du erwähnst nichts davon dem Paul gegenüber. Es wäre mir un- angenehm."
„Keine Silbe, verlaß Dich darauf, das Geheimnis bleibt unter uns, aber", setzte er hinzu, „es muß das erste und das letzte Mal gewesen sein, daß Du Geld für dergleichen Zwecke brauchst; wenn Du sonst in Verlegenheit bist, oder irgend etwas nötig hast, weißt Du ja, daß ich Dir mit allen Kräften zur Seite stehen werde."
Ein Händedruck besiegelte den neugeschlossenen Bund.
Gerade, als hätte er eine Ahnung gehabt, daß der Zweck der Unterredung zwischen den beiden jetzt erreicht sei, erschien Paul in demselben Moment mit einer riesigen Rumflasche auf der Bildfläche.
„Ein prächtiger Jamaika, versichere ich Dir, Onkelchen", rief er einlretend, indem er die volle Flasche prüfend gegen das Licht hielt. „Ich habe sie soeben auf meiner Forschungsreise in der Küche entdeckt. Es ist ein Rümchen, wie es im Buche steht. Das wird einen, prächtigen Grog setzen. Diese Verheißung wird gut thun gegen unsere Erkältung."
In demselben Moment erschien auch Mine mit einer dampfenden Karaffe Wasser und einer Dose Zucker auf dem Theebrett in der Thür.
Jungfer Mines Gesicht sah heute ordentlich verklärt aus und es wurde ganz gegen seine Gewohnheit nicht einmal mürrisch, als die Alte die dichten Rauchwolken bemerkte, welche wie ein dichter Nebel über dem Zimmer lagerten und den frisch gewaschenen Gardinen Gefahr drehten. Wahrscheinlich hatten einige Schmeicheleien Pauls, des losen Schalks, den Sonnenschein auf ihrem Gesicht hervorgezaubert.
Mit vieler Umständlichkeit machte sich der Hausgenius daran. den Tisch zu decken. Mit einem kühnen Ruck breitete sie die schneeweiße Decke über den runden Tisch aus, holte dann aus dem Eckschrank die Butterdose mit dem goldgelben Inhalt hervor und setzte sie neben den Korb mit dem leckeren Feinbrot, den knusperigen Rundslücken. Der treffliche holsteinische Schinken, die prächtige Mettwurst und der saftige Käse zogen Pauls begehrliche Blicke mächtig auf sich.
„Nun, Kinder, wollen wir es uns gut schmecken lassen," rief Onkel Wiese, bei dem die gute Laune längst wieder die Oberhand gewonnen hatte, seinen Neffen zu. „Nun laßt Euch nicht nötigen und langt wacker zu." eine Aufforderung, der Paul prompt entsprach, denn er säbelte bereits von dem Schinken eine gehörige Ration für sich herunter.
„Ein prächtiger Rum in der That", meinte Franz, indem er behutsam kostete.
„Nicht wahr, wein Junge, auch direkt bezogen. Ja, ja, wundert Euch nur. Der Edmund, wißt Ihr, mein früherer Lehrling, der immer nicht gut thun wollte und der schließlich zur See ging, hat ihn mir direkt aus Jamaika mitgebracht, ein Zeichen, daß er seinen alten Meister noch nicht vergessen."
„Hört mal, Kinder," fuhr der Onkel fort, der allmählich in eine äußerst gemütliche Stimmung geriet, „Ihr könnt mir wirklich leiVthun,