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des revanchedürstigen „Figaro" in Paris eine Unterredung gewährt haben, um ihm Dinge zu enthüllen — die wir allerdings schon wissen! Es wäre jedenfalls neu, daß unsere Regierung sich der Pariser Presse bediente, um Deutschland über deutsche Angelegenheiten aufzuklären.
Karlsruhe, 23. Sept. Die „Karlsruher Ztg." bestätigt, daß in einer Unterredung des Reichsschatzsekretärs Grafen Posadowsky-Wehner mit Mitgliedern des badischen Staatsministeriums die Frage der Wiedereinbringung der Tabak- Steuervorlage in keiner Weise erörtert worden ist.
Die Blättermeldung über die angebliche Abneigung der japanischen Regierung, einen Handelsvertrag mit Deutschland abzuschließen, wird aus competenter japanischer Quelle, dem „Berl. Tagbl." zufolge, als unbegründet bezeichnet. Im Gegenteil soll auf japanischer Seite ebensolche Geneigtheit zu einem derartigen Vertrage, wie auf deutscher, bestehen, so daß die Aussichten auf das baldige Zustandekommen eines deutsch-japanischen Handelsvertrages die besten seien. Auch das weitere Gerücht, Deutschland wolle sich weiteren Schritten Rußlands und Frankreichs zur Beschleunigung der Räumung der Liatong-Halbinsel seitens der Japaner anschließen, wird als der Begründung entbehrend bezeichnet.
Auf dem nationalen Turnfeste der Italiener in Rom hat die deutsche Turnkunst mit Ehren bestanden. Bei der Preisverteilung wurden der .Berliner Turnerschast in ihrer Gesamtheit mehrfache Auszeichnungen zu Teil, den höchsten Preis, die goldene Medaille der Stadt Rom und außerdem die goldene Medaille des Ausschusses, erhielt der Turner Weingärtner, ferner wurden von deutschen Turnern durch Preismedaillen noch ausgezeichnet Platow, Krämer, Zimmermann, Schumann, Zahn und Neukirch. In einer Ansprache vor der Preisverteilung hob der Präsident des Ausschusses die ausgezeichneten Leistungen der deutschen Turner hervor und ermahnte die italienischen Turner, sich die Methode. Eleganz und Disziplin ihrer deutschen Kameraden zum Vorbild zu nehmen.
Aus Köln wird der „Post" berichtet: Der kürzlich hier vorgenommenen Verhaftung eines französischen Paares wegen Landesverrats wird große Bedeutung beigemessen, weshalb die Staatsanwaltschaft im Interesse der Allgemeinheit, sowie der gründlichen Untersuchung jegliche Auskunft bis zur Stunde verweigert. Man glaubt durch die Verhaftung der beiden Personen einer ganzen Gesellschaft von Landesverrätern aus die Spur zu kommen.
Posen, 23. September. Heute wurde hier der 25. Kongreß für innere Mission bei Anwesenheit von 600 Teilnehmern eröffnet.
Posen, 23. Sept. Die neue Infanterie- kaserne in Rawitsch ist heute abgebrannt.
Vom Bodensee, 20. Sept. Auf den 18. September hatte der alte Wetterheilige Falb Erdbeben, Gewitter, Sturm, Unwetter prophezeit, denn, so sagte er, der 18. Sept. ist der aller- kritischste Tag des ganzen Jahres! Dabei herrschte hier am See, wie wohl allerwärts, das allerherrlichste Wetter voll Ruhe der Luft und klarem Sonnenschein — ein selten schönes Herbstwetter! Wie nun, wenn Falbs Prophezeihung eingetreten, ja nur teilweise eingetreten wäre, etwa mit einem Sturm oder einem Gewitter? alle Zeitungen wären gefüllt worden mit Lob und Preis der dadurch unwiderleglich bewiesenen Fluttheorie des guten Falb. Jetzt schweigt alles — natürlich! Wer wird auch über das seit Wochen herrschende schöne, gleichförmige Wetter noch etwas in die Zeitung setzen? Das wissen und sehen doch alle Leute. Kurz, der 18 Sept., welcher der allerkritijchste Tag des Jahres hätte werden sollen, ist nicht im mindesten, trotz Sonnenfinsternis und Mond- und Sonnennähe, geworden. Die Freunde Falbs sind aber sicherlich nicht verlegen, uns zu beweisen , daß der kritischste Tag etwa in Hinterindien oder bei den Patagonieren in Südamerika thatsächlich eingetroffen ist, daß er aber den Weg zu uns gefunden hätte. Wenn aber dieser fürchterlich kritische Tag des Jahres 1885 so freundlich aussieht, wie wird's dann
mit jenen nur zweiter und dritter Ordnung aus- sehen?
Die Reform unseres politischen Parteilebens
Unter diesem Titel veröffentlichte kürzlich Geh. Reg.-Rat C. v. Massow eine sehr beachtenswerte Flugschrift.*)
Was der Verfasser des so schnell berühmt gewordenen Buches „Reform und Revolution" über die Notwendigkeit der selbstthätigen Beteiligung aller Bürger an der Politik sagt, das läßt sich auch auf die Behandlung Vater- ländischer Angelegenheiten übertragen. Aus diesen und aus anderen Gründen empfehlen wir die kleine Flugschrift unseren Freunden auf das angelegentlichste. C. v. Massow sagt u a.: „Es ist ein großer Irrtum, wenn man die Besserung der Verhältnisse, die Heilung der Schäden von oben erwartet, ohne selbst etwas dazu zu thun.
Der Durchschnittsdeutsche liest seine Zeitung und schimpft mit ihr, eventuell auch einmal über sie, und damit hat er seine gesamte politische Thätigkeit erschöpft. Der Gedanke, daß er als Glied eines freien, selbst mitbestimmenden Volkes zu irgend welcher politischen Thätigkeit verpflichtet sei. liegt ihm gänzlich fern.
Wirtschaftliche Interessen stehen der menschlichen Natur entsprechend unter der Herrschaft des Egoismus, und der Egoismus ist ein Feind idealen Strebens, er kennt eben nur seine Spezialinteressen. Dadurch geht den Fraktionen und weiterhin dem Parlament im ganzen das ideale Streben verloren und damit schließlich der geistige Inhalt.
Durch unser gesamtes deutsches Volk, soweit es den staatserhaltenden Parteien angehört, muß wieder Leben und Bewegung gehen, auch die wirtschaftlichen Nöte müssen schließlich vor den politischen in den Hintergrund treten.
Der beschlußunfähige, gegen die Geschäfte des Landes gleichgiltige Reichstag ist nichts weiter als unser getreues Abbild, das wir am Königsplatz vor uns sehen.
Unser derzeitiger Reichskanzler ist 75 Jahre alt. Mag ihm Gott noch Jahre und mit diesen Jahren körperliche und geistige Spannkraft schenken. Der Gedanke: Wer wird sein Nachfolger sein? drängt sich bei einem so hohen Alter ganz von selbst und naturgemäß auf. Ja, wer wird es sein? Er lebt schon unter uns. Kennen wir ihn? . . . Der Kaiser hat allein das Recht, sich einen Kanzler zu wählen; aber wären unsere Verhältnisse normale, so müßte die Nation zehn, zwölf Männer und noch mehr dem Kaiser zur Wahl stellen können... so müßte jeder Deutsche seinen Kanzlerkandidaten in petto haben.
Württemberg.
Stuttgart, 19. Sept. Die hier neu eingeführte Kirchensteuer bewirkt in gewissen Volkskreisen, welche sich an dem kirchlichen Leben aktiv sonst nicht zu beteiligen pflegen, große Unzufriedenheit und hat zu mehrfachen Austritten aus der evang. Landeskirche geführt', in welchem Fall die Betreffenden der Entrichtung einer Kirchensteuer enthoben sind. — Mag auch eine Kirchensteuer als solche finanziell von manchem lästig empfunden werden, so kann d^ch nicht geleugnet werden, daß eine solche Handlungsweise, wonach einiger Mark wegen der Glauben und die Religion der Eltern geleugnet wird, vom Volke mit Recht als wenig achtungswert erklärt.
Stuttgart, 18. Sept. Heute Abend nahm Oberschützenmeister Frhr. v. Neurath die Preisverteilung für das seit Sonntag im Gange befindliche Festschießen der hiesigen Schützengilde vor. Es erhielten die 10 ersten Preise auf Feldfestscheibe König Wilhelm: 1) Architekt Trübenbach. 4 Ringe (Pokal des Königs.) Der Gewinner gab seiner Freude über den errungenen Sieg durch ein begeistert aufgenommenes Hoch auf S. M. den König Ausdruck. 2) Architekt
*) DieReform unseres politischen Parteilebens. Mit einem Nachwort: Deutsches Parlament, deutsche Nation und Bismarcks 80. Geburtstag. Von C. v. Massow. (Fortsetzung von: Reform oder Revo» lution.l Berlin Otto Liebmann. 61 S. 1 M.
Hengcrer, der Erbauer des hiesigen neuen Schützenhauses (34 Ringe). 3) Bildstein, Bregenz (33), 4) Kentner 86n., Heidenheim (32), 5) Schlegel, Oberndorf (32), 6) Schützenmeister Treiber, Wildbad (30), 7) Beth, München (29). 8) Ehrmann. Heilbronn (29), 9) Berg, mann, Bregenz, 10) Seitz, Eßlingen (28).
Ulm, 23. Sept. Gestern war hier eine Vorbesprechung von Verwaltungsaktuaren und Ortsvorstehern des Landes, um über die künftige Organisation des Hilsbeamtenwesens zu beraten. Es wurde beschlossen, für eine im Winter ein- zuberusende Hauptversammlung als Referenten den Registrator Matthes-Stuttgart aufzustellen. Auch soll eine Eingabe an die Sländckammer und das K. Ministerium ausgearbeitet, auch Brochüren ausgcgeben werden.
Tübingen, 29. Septbr. Unter sehr zahlreichem Besuch aus allen Bezirken fand am Samstag hier das landwirtsch. Gau fest des VIII. Verbandes statt, welches eine beson- dere Bedeutung durch die Anwesenheit Seiner Majestät des Königs erhielt, Höchstwelcher vom Balkon deS Kanzlergcbäudes aus den so finnig und hübsch zusammengesetzten Festzug besichtigte. In demselben fand man Borreiler. 8 prächtig dekorierte Wagen: einen Ackerbauwagen, auf dem die Göttin Ceres thronte, einen Garbenwagen, hinter welchem Schnitter in ländlichen Trachten einherschritten, einen Dreschwagen, wo lustig drauf los gedroschen wurde, einen Viehzuchtwagen mit Kuh samt Kalb und Schweinestall, einen Geflügelwagen mit hübschen Gänsen. Enten. Tauben rc., einen Heuwagen, einen solchen für Weinbau, wo eine Mühle im Betrieb war, sowie einen solchen für Obstbau. Kaum war der Festzug auf dem Festplatz angekommen, als Se. Maj. der König erschien und Höchsteigenhändig die Preisverteilung vornahm. Auch Prinzessin Pauline besichtigte den Festplatz. Nachmittags fanden Spiele statt. —, Die Ausstellung im Reithaus hatte sich Samstag und Sonntag (wo von 11—12 Uhr Konzert war) eines außerordentlich zahlreichen Besuchs zu erfreuen. Die Arrangierung ist großartig, wie noch nie, namentlich nimmt diesesmal die Fischausstellung besonderes Interesse in Anspruch.
Reutlingen, 19. Sept. In der heute begonnenen Ziehung der Reutlinger Kirchenbaulotterie fiel der 1. Gewinn mit 25 000 auf die Nr. 31 769. Durch einen Arbeiter in Ulm wurde diese Nummer vorgezeigt; aber es war Vas Los erster Klasse. Der Betreffende hatte versäumt, das Los für die zweite Klasse erneuern zu lassen. So wurde es nach dem 15. August anderweitig verkauft. Der glückliche Gewinner (d. h. der Inhaber des erneuerten Loses) ist bis jetzt unbekannt.
Aalen, 23. Sept. Heute Nachmittag ist abermals in Oberkochen ein Brand ausgebrochen, der 6 große Gebäude und einige kleine Häuschen in Asche legte. Eines der größten Häuser war der Gasthof z. Ochsen. Die Feuerwehren, die auf dem Platze waren, darunter die von Aalen, Unterkochen und Königsbronn, hatten vollauf zu thun, das Feuer einzudämmen; der dem Ochsen gegenüberstehende Gasthof z. Hirsch hatte bereits Feuer gefangen; das Feuer wurde aber wieder gelöscht. Die protestantische und katholische Kirche, sowie das katholische Tchul- haus standen in Feuersgefahr. Es wird Brandstiftung vermutet. Der Brand kam in der Ochsenscheune aus. Die Bewohner des Orts waren meist auf dem Feld und im Wald. Gerettet wurde beinahe gar nichts.
Oberdischingen, 23. Septbr. Am Samstag wurde der Gastwirt Rommel von seiner Frau mit Vierlingen. 4 Knaben, beglückt, die sich des besten Wohlseins erfreuen. Der genannte Gastwirt ist jetzt glücklicher Vater von 10 Buben.
Heidenheim, 22. Sept. Vergangene Nacht sank bei uns der Wärmemesser etwas unter Null; wir haben damit den ersten Herbstfrost dieses Jahres zu verzeichnen.
Fortsetzung in der Beilage.
Redaktion, Druckend Verlag von C. Meeh in Neuenbü.rg.