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Württemberg.

Stuttgart. Der Schw. M. schreibt: Für dieUeberschwemmten in Balingen gelangen an die Stuttgarter Hauptsammelstelle noch immer schöne Beiträge, mit denen nament­lich die Deutschen im fernen Ausland in einer alle Anerkennung und herzlichen Dank verdienen­den Weise sich einstellen. So z. B. sind zu verzeichnen: je 800 zusammen 1600 von Hrn. Gustav Brückner in Johannesburg (Süd­afrika) und Hrn. Friedr. Eckstein daselbst; 400 Mark als Ergebnis einer von den Herren Ad. Kolb aus Stuttgart und Paul Ellwanger aus Göppingen unter den 10 Deutschen Samarangs auf Java veranstalteten Kollekte, sodann 660 Mark von Hrn. Gust. Heerbrandt (Heerbrandt Publ. Co.) in New-Iork, durch Gebr. Lehren­krauß hier übergeben. Möchten nun, nachdem für das Balinger Oberamt die Gaben reichlich flössen, auch für die durch Hagel so schwer be­schädigten Bezirke Calw und Nagold die Herzen sich erwärmen! Dazu kommt noch das neueste Unglück Württembergs, der große Brand in Leonberg der gestern ein ganzes Stadtviertel dort in Asche legte. Noch unberechenbar ist der Schaden, der hier ent­standen. Rasche Hilfe für die armen Abge­brannten thut not!

Ueber das große Brandunglück in Leonberg berichten wir weiter: Das Feuer entstand auf bis jetzt unerklärliche Weise am Sonntag den 8. ds., mittags zwischen 3 und 4 Uhr in der Scheuer des Schuhmachers Längerer in der Zwerggasse und verbreitete sich in dem engen Stadtteil und bei der gegenwärtigen großen Trockenheit ungeheuer rasch, wozu auch die überall lagernden eben erst eingeheimsten Fruchtvorräte wesentlich beitrugen. Das Feuer nahm zuerst seine Richtung gegen das Rathaus, plötzlich schlug aber der Wind völlig um. das Feuer schlug nach der Kirche, Flugfeuer setzte noch weitere Gebäude in Brand und so wälzte sich in unglaublich kurzer Zeit ein Flammen­meer in dem Straßenviertel zwischen Kirche und Rathaus, begrenzt durch die Schloß-, Kloster- und Kirchgasse. Die Feuerwehr, unterstützt durch die alsbald gerufenen und so bald wie möglich herbeigeeilten Feuerwehren aus den Nachbarorten, hatte unsägliche Arbeit; dazu fehlte bald das wichtigste, das Wasser. Durch Fuhrwerke mußte dasselbe aus dem Feuersee herbeigeschaffl werden. Das Rathaus war stark bedroht und hatte auch schon Feuer gefangen; von 3 Seiten schlugen die Feuersäulen empor. Aus allen Stockwerken wurde gespritzt; als auch noch die Kehl'sche Apotheke Feuer fing, war die Gefahr vermehrt; es wurde alle Kraft ange­wendet. Auf der Unterseite des Marktplatzes verursachte der starke Feuerherd des Gerichts­notar Bühler'schen Hauses ebenfalls große Ge­fahr für die Nachbargebäude, worunter die Krone. Doch gelang es auch hier den vereinigten An­strengungen das Feuer am Weitergreifen zu verhindern. Nachts 2 Uhr, nach 11 ständiger, schwerer Arbeit war schließlich die Gefahr der Weiterverbreitung beseitigt. In Trümmer liegen aber 70 Firste, worunter 54 Hauptgebäude; es ist ein schrecklicher Anblick; weinende Frauen und Kinder stehen an der Stätte des Unglücks. Ihres Obdachs beraubt sind 70 Familien, leider halten manche von ihnen ihr Mobiliar nicht versichert; sie sind auf schnelle Hilfe angewiesen. Der Gebäudeschaden dürfte die runde Summe von 250,000 oiL, der an Mobiliar ebensoviel betragen. Die Stadt Leonberg wurde im Jahre 1498 von einem ebenso großen Brande heimge­sucht, damals wurden 48 Gebäude vernichtet; seither war sie aber von einem größeren Un­glück verschont. Nun aber steht die Stadt vor dem furchtbarsten Brandunglück. Der Jammer ist um so größer, als die Stadt voriges Jahr schwer vom Hagel betroffen wurde und Heuer ein schöner Ernteertrag eingeheimst werden konnte. Glücklicherweise ist kein Menschenleben zu beklagen.

Der Stadtschultheiß von Leonberg sowie der Besitzer der Kehl'schen (früher Roth'schen) Apotheke mit Frau befanden sich zur Zeit des Brandes auf einer Erholungsreise in der Schweiz.

Die Bücher und Akten des Rathauses wurden in das ziemlich entfernt vom Brandplatz gelegene Haus des Stadtschultheißen, die Werteffekten der in den untern Räumlichkeiten des Rathauses untergebrachten Post ins Forsthaus geflüchtet.

Leonberg, 9. Sept. (Korresp.) Schon der zweite Vormittagszug brachte von Stuttgart mehrere Hundert Neugierige hierher, welche die immer noch rauchende Brandstätte besichtigten. Heute Nachmittag trafen nicht weniger als 3 große Extrazüge von Besuchern aus Stuttgart und Umgebung hier ein. Zum Glück konnten sich die hiesigen Wirte und Bäcker wieder rasch verproviantieren, denn heute früh war in der Stadt kein Tropfen Bier mehr aufzutreiben und ebensowenig auch nur 1 Pfund Fleisch oder ein Stück Brot. Der durch den Brand entstandene Schaden kann noch nicht genau ermittelt werden, doch beträgt derselbe über '/i Million. Bedauer­licher Weise sind verschiedene Abgebrannte nur teilweise und andere gar nicht versichert, wes­halb sie die öffentliche Mildthätigkeit anrufen müssen. Große Entrüstung herrscht darüber, daß 2 Strolche in verschiedenen Häusern, in welchen Kleider und andere den Abgebrannten gehörige Gegenstände niedergelegt worden waren, zu stehlen versuchten, wobei sie jedoch, so weit bis jetzt bekannt, stets sofort verjagt wurden. Um so größere Anerkennung finden die ver­schiedenen Feuerwehren aus dem Bezirk, die zum Teil in richtiger Vorahnung des bald ein- lretenden Wassermangels gleich auf besonderen Wagen Wasservorräte mitbrachten und mit einer Unerschrockenheit und Unverdroffenheit den Kampf mit dem wilden Elemente aufnahmen, welche ihres Gleichen suchen. Von den nächst gelegenen Dörfern waren auch zahlreiche Bauernmädchen herbeigeeilt, welche die ganze Nacht unverdrossen teils Wasser herbeischafften, teils sich an den Bergungsarbeiten beteiligten. Mehrere Stunden lang hielt ein Feuerwehrmann in seiner expo­nierten Stelle auf dem höchsten Giebel des Rathauses mit dem Schlauch in der Hand noch treue Wacht, nachdem es chm und einigen Ka­meraden gelungen war, das lichterloh brennende Rathaustürmchen wieder zu löschen. Nachdem er abgelöst worden war, hatte der beißende Rauch und der Feuerqualm sein Auge derart angegriffen, daß er erst nach mehreren Stunden sein volles Sehvermögen wieder erlangte.

Leonberg, 9. Sept. Ein weites rauchen­des Trümmerfeld zwischen Kirche und Rathaus, ringsum eine bunte, nach Tausenden zählende Menschenmenge, dienstthuende Feuerwehrleute, schuttabführende Fuhrleute, Knaben mit Sammel­büchsen, Photographen, das ist das heutige Bild der Un glücksstätte. Der Feuerwehrmann dort mit den roten entzündeten Augen (Mörk) hat mit einem Kameraden (Kocher) stundenlang in der Gluthitze auf der Rathausbühne ausge- halten und das Feuer abgewehrt. Die ange­brannten Giebelseiten der Häuser in der Kloster- und Schloßgaffe zeugen von dem heißen Kampf der Feuerwehren (Gerlingen, Rutesheim, Höfingen, Leonderg) gegen das entfesselte Element. Ihnen ist hauptsächlich die Rettung der übrigen Stadt zu verdanken. Vom Rathaus aus bietet sich eine vollständige Uebersicht über die Trümmer­stätte. Das Rathausglöckchen auf dem halb ab­gebrannten, wackeligen Holztürmchen hat gestern zuweilen selbst Sturm geläutet. Die Akten werden wieder in das Rathaus und Post einge­räumt. Die Kehl'sche Apotheke ist jetzt in der Holzäpfel'scheu Brauerei untergebracht und im Betrieb. Die Stadt darf viele Teilnahme er­fahren. Bei einer Menge von Fremden, die zu Fuß. mit Wagen, mit fahrplanmäßigen und Sonderzügen hieherströmen, mag die Befriedig­ung der Neugier der Grund ihres Besuches sein, bei vielen äußert sich aber eine wohlthuende Teilnahme in Wort und Thal. Heute Montag nachm, schon traf Ministerialdirektor v. Fleisch- Hauer mit dem stellvertretenden Vorstand des Verwaltungsrats der Gebäudeversicherungsanstalt Oberregierungsrat v. Doll, hier ein, um mit den Mitgliedern des gemeinschaftlichen Oberamls und einem Vertreter der Stadtgemeinde über die erforderlichen Maßnahmen zur Fürsorge für die Abgebrannten und zur thunlichst raschen Wiederherstellung der zerstörten Gebäude Be­

ratung zu pflegen und die geeignete Anleitung zu geben. (S. M.)

Der große Brand in Leonberg ruft die Erinnerung an ähnliche Unfälle in Württemberg hervor, die glücklicherweise in dieser Ausdehnung doch selten sind. In frischer Erinnerung ist noch der Brand in Nagold, der vor 2 Jahren am 17/18. September 1893 27 Häuser einäscherte. Die Nähe der Brandstätte erinnert an die Zer­störung des Dorfs Rutesheim, OA. Leonberg, wo am 30. Juni 1837 118 Häuser abbrannten. Noch bedeutender waren die riesigen Brände in Balingen (1806) und Tuttlingen 1803) u. a.

Stuttgart, 10. Sept. Gestern vor­mittag besichtigte der Herr Finanzminister Dr. v. Riccke mit Professor Wilhelm aus Graz, einem nahen Verwandten, einige der untern Säle des Landesgewerbemuscums, wobei dem letzteren das Unglück zustieb, durch eine Oeffnung im Boden, welche in den Maschinenraum führt, etwa 6 Meter hoch senkrecht hinabzustürzen. Durch den Sturz zog sich Prof. Wilhelm einen Schädelbruch und Schenkelbruch zu; er wurde sofort in das Katharinenhospital gebracht. Das Befinden des Verunglückten ist noch be­sorgniserregend, obgleich die Nacht ruhiger war, als der gestrige Tag. Das Bewußtsein ist noch nicht wiedergekehrt.

Stuttgart, 9. Sept. Die Untersuch­ung gegen den Schustersgcsellen Rätter hat keine Beziehungen desselben zu dem Ulmer Mord ergeben.

In Ausführung der Beschlüsse der allgem. Wirtsversammlung vom 17. Juli d. I. richtet jetzt der Ausschuß des Stuttgarter Wirts­vereins eine Eingabe an die bürgerl. Kollegien, in der nach eingehender Darlegung der Ver­hältnisse die Bitte zum Ausdruck gebracht wird, es möchte die geplante Errichtung eines Ratskellers im Rathausneubau unterlassen werden.

Heilbronn, 9. Sept. Das auf Antrag des Oberbürgermeisters Hegelmaier und Stadt­pflegers Füger gegen dieHellbrauner Zeitung" eingcleitete Strafverfahren wegen Beleidigung dieser beiden Beamten begangen durch einen in Nro. 151 des genannten Blattes enthaltenen Artikel über die entehrte Behandlung der Stein­ausfuhrzollangelegenheit seitens der Verwaltung ist gestern durch Beschluß der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.

In Leutkirch demonstrierte ein Teil der Schulkinder, Mädchen, gegen schlechte Sedan­bretzeln, weil sie bei Austeilung derselben ent­täuscht und eifersüchtig auf die übrigen Kinder waren, da dieselben nach ihrer Meinung besser beschenkt worden seien. Das resolute kleine Völkchen zog mit den Bretzeln klagend zu ver­schiedenen Sladträten und schließlich zum Bäcker, der das ungezuckerte und etwas mangelhaft aussehende Brot geliefert und stellte es ihm unter Protest zurück.

Cannstatt. Bei der Versteigerung der Wirtschastsplätze für das Volksfest wurden Preise von 331040 Mk. pr. Bude erzielt und im Ganzen 7874 Mk, erlöst. Mergenthaler- Stuttgarl bezahlte für eine Doppelbude 1040 Mark. Für die Wirtschaft unter der Karlsbrücke» welches voriges Jahr die Bachner'sche Brauerei hatte, zeigte sich Heuer kein Liebhaber.

Obstpreiszettel.

Stuttgart, 10. Sept. Zufuhr auf dem Wil­helmsplatz: 200 Zentner Mostobst zu 5 4L 4 bis 5 4L 80 4 per Ztr.

Ausland.

Antwerpen, 10. Sept. In der ver­gangenen Nacht ist östlich von Blissingen der norwegische Dampfer Xania, von Bergen nach Antwerpen bestimmt, mit dem spanischen Dampfer Manilla, der von Antwerpen nach Santander ging, zusammengestoßen. Die Tania wurde in 2 Stücke geschnitten und sank sofort, die ganze Besatzung mit sich in die Tiefe ziehend. Der belgische Lotse, der die Lania führte, zwei Kinder des Kapitäns und 3 Matrosen sind er­trunken. Der Rest der Besatzung wurde von der Manilla aufgefischt, welche dieselben in Blissingen landete. Die Beschädigungen der Manilla sind nicht schwer.