608
Petersburg, 10. Sept. Der deutsche Reichskanzler Fürst Hohenlohe ist heute hier eingetrosten, am Bahnhof wurde er von den Mitgliedern der deutschen Botschaft empfangen.
Der Besuch des Lordmayors von London in Paris soll mit aller Gewalt ein politisches Gepräge erhalten. Am Sonntag nahm er an einem Frühstück teil, welches der Minister des Auswärtigen Hanotaux den Mitgliedern der Pariser Meterkonferenz gab. Der Lordmayor brachte hierbei einen Trinkspruch auf den Präsidenten der Republik aus und rühmte die wohlwollende Aufnahme, die er bei Herrn Faure gefunden. Minister Hanotaux toastete auf die Königin von England und auf alle in der Meterkonferenz vertretenen Souveräne und fügte hinzu, daß die Pariser Reise des Lordmayors die freundschaftlichen Beziehungen zwi- scheu England und Frankreich befestigen werde. Das ist indessen wohl nur eine Höflichkeits- Phrase des französischen Ministers gegen den englischen Gast, Herr Hanotaux selber dürfte schwerlich glauben, daß der Besuch des Londoner Stadtoberhauptes in Paris die französisch-englischen Beziehungen irgendwie beeinflussen werden.
Paris, 10 Sept. Ueber die Umstände, unter welchen der geheimnisvolle Attentäter von der rue Laffitte erkannt wurde, wird folgendes berichtet: Ein Polizeiinspektor, der von seinem Urlaub zurückkehrte, erkannte, als man ihm die Photographie des Anarchisten wies, sofort einen ehemaligen Kollegen. Der Attentäter, der bisher so hartnäckig seinen Namen zu nennen verweigert hatte, erklärte hierauf: „Ja ich bins. Macht mit mir, was ihr wollt."
Paris, 10. Sept. Der vielbesprochene General Munter sucht durch hiesige Journale die Anschauung verbreiten zu lassen, daß er in dem mehr erwähnten Verläumdungsprozeß nur deswegen verurteilt worden sei, weil es ihm verwehrt worden sei, den Wahrheitsbeweis zu erbringen. Nun geht aus dem vom Pariser Appellgerichtshof am 26. Dezember v. I. gefällten Urteile hervor, daß Munier und seine Complicen Levy. Aaron und Verstraet in einem im „Bulletin financier" veröffentlichten und mehreren Generalräten zugesandten Rundschreiben, durch das eine Konkurrenzgesellschaft moralisch vernichtet werden sollte, einen gewissen Circaut als einen bankerotten Betrüger hingesteüt hatten, der mit der erwähnten Konkurrenzgesellschaft in keinerlei Verbindung stand. Das Appelgericht, vor welchem Munier als Großoffizier der Ehrenlegion erscheinen mußte, verurteilte denn auch sämtliche Angeklagten zu einer Geldstrafe von je 1000 Frcs., zu Schadenersatz von gleichfalls 1000 Frcs. und zur Publizierung des Urteils in mehreren Pariser und Provinzblättern.
Triest, 7. Sept. In der Stadt und Umgegend herrscht infolge anhaltender Dürre großer Wassermangel. Die öffentlichen Brunnen sind teils versiegt, teils liefern sie spärlich Wasser.
Aus Belgien, 7. Sept. Furchtbare Gewitter gingen in den heutigen ersten Morgenstunden längs der belgischen Küste nieder. Die Blitze folgten eine Stunde lang mit solcher Heftigkeit aufeinander, daß der Himmel in ^in unaufhörliches Feucrmeer verwandelt erschien. Der Widerschein des Blitzfeuers im Meer bot einen großartigen Anblick. An verschiedenen Stellen schlug der Blitz ein.
Aus New-Jork, 9. Septbr. wird gemeldet: Gestern brach im reichsten Stadtviertel von Halifax eine große Feucrsbrunst aus. 15 Magazine, 20 Rentiers gehörige Häuser und eine Kirche wurden vollständig zerstört. Der Schaden beträgt 1 Million Dollars.
Hlnterßattender Heil.
Eine Löwenjagd.
Aus meinen Erlebnissen in der Fremdenlegion.
Von Erich von Nordeck.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
So verstrichen lange, aufregende fünf Minuten. Fünf Minuten, die Nordon fünf Stunden dünken. Nichts unterbricht diese fürchterliche Stille! Jeden Augenblick erwartet Nordon ein
ungewisses Ereignis, eine schaurige blutige Lösung. Seine Nerven und Muskeln sind bis auf das Aeußerste gespannt. Aber eine erwartungsvolle Minute verschwindet langsam nach der anderen, ohne daß etwas geschieht. Eine graußige Ruhe, gleich einem Pesthauche, der dem Würgengel vorangeht, ehe dieser sein schauriges Werk vollführt. Ein zweites Gebrüll, wie ein gewaltiger Donner, erschütterte die Lüfte. Niemand darf schlafen. wenn der König der Tiere wacht! Dann läßt sich ein Geräusch und Knacken in den Zweigen vernehmen, als ob das Tier damit anzeigen wollte, daß es da sei, aber aus Stolz es unter seiner Würde halte, sich den Jägern preiszugeben.
In regelmäßigen Zwischenräumen läßt sich nun die laute Stimme des Löwen vernehmen, um dann, immer schwächer werdend, zuletzt nur noch aus weiter Ferne herüberhallend, mit den ersten Strahlen der Morgensonne für immer zu verstummen.
Was blieb den Jägern übrig. Sie nehmen einen stärkenden Imbiß, versehen sich mit allem Nötigen, auch für den Fall einer Verwundung und kurze Zeit darauf sitzen Achmet, Nordon, Jsmael und ein dritter Araber zu Pferde. Die Spuren des Löwen beweisen zur Genüge, daß dieser das Lager mehrmals umkreist hatte, aber trotz der Windstille die Jäger gewittert haben mußte. Bald ist die Fährte, welche der Löwe auf seinem Rückwege eingeschlagen hat, entdeckt. Sie führt wohl eine halbe Stunde im Walde hin, biegt dann nach rechts ab und geht direkt in die Wüste hinein. Hier ließen die Reiter ihren Pferden freien Lauf und in gestrecktem Galopp jagen sie nebeneinander über die weite sandige Ebene.
„Ist der Löwe in die Wüste hinein, so werden wir ihn schwerlich ausmachen", sagte Jsmael. welche jene Gegend genau kannte. „In diesem Falle hätte er auch zu bedeutenden Vorsprung. Ich glaube aber, daß er sich bei den Bergen Tessalah, vielleicht in der Nähe des Baches versteckt hält.
Der Bach Achret macht an seinem nörd- lichsten Punkte eine Wendung von Nord-Ost nach Süd Ost und zwängt sich dann durch eine Hügelkettej, genannt die Berge von Tessalah. Ein dichter, fast undurchdringlicher Urwald mit turmhohen tausendjährigen Baumriesen befindet sich südlich vom Flusse und stößt hier bis an dessen Ufer.
So wie Jsmael gesagt hatte, war es auch. Nachdem sie eine Zeit geritten, machte die Fährte des Löwen eine Schwenkung nach links und bald darauf konnten sie am Horizont die dunklen Umrisse des Waldes erkennen. Die Fährte ging bis dicht an den Fluß, der hier eine bedeutende Breite und Tiefe hat, dann stromabwärts eine Strecke an demselben entlang, durch eine Fuhrt an das jenseitige Ufer und dann geradeaus in den Wald hinein. Schon nach wenigen Schritten mußten sie die Pferde zurücklassen.
„Ich denke, wir haben ihn jetzt", meinte Achmet, als die Reiter schnell von den Pferden sprangen.
Nach fünfhundert Metern machte die Spur eine abermalige Schwenkung nach links. Wohl eine Viertelstunde mögen sie, das Gewehr stets schußbereit, in gespannter Aufmerksamkeit durch das Dickicht vorgedrungen sein, als sie sich Plötzlich vor einer großen freien Lichtung, von ungefähr hundert Meter im Durchmesser, befinden, in derem Hintergründe das gesuchte Wild, der Löwe, nachlässig auf dem Boden hingestreckt, den angenehmen Strahlen der Morgensonne ausgesetzt, sich einer recht behaglichen Ruhe hingab. Verschiedene seltene Moosarten, sonderbare Schlingpflanzen. Kräuter und Blumen, deren Blüten in der wunderbarsten Farbenpracht der Tropen prangten, entzückten mit einem herrlichen grünen Untergründe, gleich einem prachtvollen seltenen Teppiche, in reizender Abwechselung das Auge. Den Jägern gegenüber thürmten sich Sandstein- und Kreidefelsen mit Spalten und Klüften in sonderbaren Gebildungen wild empor, stellenweise mit Schlingpflanzen oder mit einer eigenartigen Moosart bedeckt, andere Stellen wieder nackt und wild; ein pittoresker
Hintergrund für dieses Stillleben. Die Sonne schien hier ihre Gefährlichkeit verloren zu haben. Ihre Strahlen brachen sich glitzernd an den weiß und grau schimmernden Felsblöcken, wurden in mattem Glanze zurückgeworfen und überfluteten die Gegend mit einem eigenartigen Lichtschimmer, sie bahnten sich ihren Weg durch die dichten Zweige der altersgrauen Baumriesen, tanzten in allen Farben spielend über den buntschillernden farbenprächtigen Boden der Lichtung, bis zu jener dunklen gähnenden Oeffnung im Hindergrunbe, welche, von gewaltigen Felsblöcken gebildet, in ihrer nackten, toten Eintönigkeit um so effektvoller von der farbenprangenden Umgebung abstach und dem Beschauer in eine eigentümliche Stimmung versetzte.
Und gleich einem Cerberus, seiner Macht und Würde voll bewußt, lag der Löwe vor diesem Schlund und bewachte den Eingang zu diesen noch unerforschten, wohl kaum je von Menschenfuß betretenen Höhlen.
Der Löwe schien die Jäger gewittert zu haben. Er stieß ein scharfes dumpfes Knurren hervor und zwei feurige Augen starrten nach der Gegend, wo sich die Jäger befanden. Diese trennten sich. Achmet und Nordon umschritten links, Jsmael und der andere Araber nach rechts den freien Platz, um so dem Löwen näher zu kommen. Der Löwe lag den Jägern gegenüber, mehr zur linken Seite, so daß Achmet und Nordon ihn zuerst erreichten und auch am besten zu Schuß bekommen mußten.
(Schluß folgt.)
Der „Beobachter" hatte dieser Tage in einem scherzhaft angehauchten Artikel aus der „Ferienstille" die Zeitungsleser einer kleinen Stadt so charakterisiert: Den „Schwab. Merkur" liest der Herr Pfarrer und Präzeptor, die „Tag- wacht" der „Geißhirt", den „Schwarzwälder" lesen sie wegen seiner Billigkeit und den „Beobachter" lesen die „freien Männer". Der „Schwarzwälder" giebt dem „Beobachter" die Billigkeit heute heim, indem er eine Geschichte erzählt, aus der erhellt, warum die „freien Männer" den „Beobachter" lesen: In einem gut bürgerlichen Restaurant der schwäbischen Residenz verkehrt allabendlich eine „freie Stammgesellschaft". Der Wirt bietet die Zeitungen zum Lesen an und stellt an einen Herrn die Frage: „Wünschen Sie vielleicht den „Beobachter?" Frage des Stammgastes: „Schimpfst heut wieder donderschlächtig?" Antwort des Wirts: „Nein, heute nicht." Antwort des Gastes: „No will i ihn au net."
sEin echter Sonntagsjäger.s Der Baron Mucki ist ein Schlaumeier! Immer, wenn er auf die Jagd will, bestellt er sich zuvor ein altes Weib, das ihm über den Weg laufen muß, damit er eine Ausrede hat, wenn er nichts trifft!
sVorbereitet.s „Durchlaucht kommen morgen zur Jagd . . . Ist alles vorbereitet?" — „Zu Befehl, sämtliche Treiber sind in die Unfallversicherung eingekauft."
Telegramme.
Berlin, 11. Sept. Die Morgenblätter melden: Eine gestern Abend in Märkischen Hof veranstaltete anarchistitche Versammlung wurde polizeilich ausgelöst, weil der Aufforderung des Polizeilieutenants, die Frauen zu entfernen, nicht nachgekommen wurde. Die Versammlung war schwach besucht.
Zürich. Der Technikerkongreß machte gestern eine Uetlibergfahrt. In halber Höhe löste sich ein mit Passagieren gefüllter Wagen und rollte thalabwärts; derselbe konnte jedoch bald zum Stehen gebracht werden. Professor Haienichild-Wien erlitt einen Fußgelenkbruch. ' Petersburg, 11. September. Gestern Abend 8 Uhr fand Galatafel mit 28 Couverts zu Ehren des Reichskanzlers bei dem deutschen Botschafter statt. Anwesend waren der Minister des Auswärtigen Lobanow, der Minister des Innern, der österreichische Botschafter Fürst Lichtenstein, der französische Geschäftsträger Graf Vaurineux. der italienische Silvestrelli, der Direktor des astatischen Departements u. A.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.