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MeiLclge zu Mr. 138 des KnzthcrLers.

Neuenbürg, Sonntag den 1. September 1895.

Sedan 1895.

Von Neu'm erbrause Ein Jubelgesang Weithin durch die herbstelnden Lande

Nun wieder verkünd' es der Festglocken Klang Vom Süd' bis zum baltischen Strande:

Heut' ward einst bei Sedan auf blutigem Plan Das Reich uns, das neue errungen,

Dort hob uns ein frischpulscnd Leben ja an,

Von dem der Prophet schon gesungen!

Das Sehnen, das lang unser Volk hat erfüllt,

Und nimmer von ihm wollte weichen

Wie ward es bei Sedan so herrlich gestillt Im Kampf und im Sieg ohne Gleichen!

Ein einiges Deutschland vom Memel zum Rhein Bei Sedan ward's leuchtend geboren,

Und dazu erklang es:Herein jetzt, herein,

Was uns im West ging verloren!"

Wohl sind dort am Maasflrand, im fränkischen Hag, Viel' lausend der Helden gestorben,

Doch glänzt es und strahlt's bis zum fernesten Tag, Was sie uns so tapfer erworben

So legen wir ihnen den Lorber auf's Grab,

Es bleibt uns geweiht ihr Gedenken,

EinDank Euch", es kling' in die Gruft still hinab, Und soll in die Herzen sich senken.

D'rum komme vom Ahnen zum Enkel das Wort Von der Schlacht, die damals geschlagen,

Es Pflanz' von Geschlecht zu Geschlecht sich stets fort, Hoch mög' es in Ewigkeit ragen

Nun aber zum Fest, bei dem Alle wir gleich,

Laßt freudig die Fahnen jetzt wehen

Und donnernd erdröhn' es:Heil Kaiser und Reich, Treu wollen zu ihnen wir stehen!"

Sedan 1870.

Die Bedeutung der beiden ersten September« tage 1870 ist längst allgemein anerkannt und abgehandelt worden, sodaß an dieser Stelle kaum noch etwas neues zu sagen übrig bleibt. Wäh­rend der erste Tag die Schlacht bei Sedan in sich schließt und den Untergang des franzö­sischen Heeres mit der Schärfe des deutschen Schwertes erzwingt, ist der zweite Tag, der der Kapitulation von Frenois, in welchem die Folgen des Sieges zutage treten. Wenn schon in Schule und Haus wohl allgemein gerade die Sedautage zum Gegenstand der Erzählung und Belehrung geworden sind, dürfte doch gelegent­lich der fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier des Sedantages eine etwas genauere, jedoch im Rahmen des Zeitungs-Feuilletons sich haltende Darstellung im Anschluß an unsere bisher regel­mäßig mitgeteilte Kriegschromk angebracht er­scheinen: den Lebenden zur Erinnerung, den Toten zum Gedächtnis!

Strategische Bedeutung der Sedanschlacht.

Das Generalstabswerk (Auszug) sagt über die Bedeutung der Schlacht:

Der Anmarsch zur Schlacht bei Sedan war ein strategisches Meisterwerk, geplant und aus- gesührt zur vollsten Ausnutzung eines etwaigen Sieges, nämlich zur Vernichtung der feindlichen Armee. Vorbedingung war die ausgezeichnete Führung der Kavallerie-Korps, welche auf den Märschen in Wahrheit das Auge der Armee ge­bildet hatten. Bei der Durchführung der Schlacht bei Sedan zeigte sich die Wichtigkeit großer Ar­tillerieaufstellungen zur Vorbereitung des Er­folges. Der einheitliche Plan wurde durch einen großartigen Erfolg gekrönt.

Nach der Schlacht bei Sedan war der Krieg mit dem Kaiserreichs beendet.

Die Kapitulation von Frenois.

Kaiser Napoleon, der sich am Vormittag im Kampfe stark dem feindlichen Feuer ausgesetzt hatte, dann'in Sedan auf dem Turenneplatze, der von deutschen Granaten durchfegt wurde, ein halbe Stunde lang verweilte, hatte versucht als Bauer verkleidet nach Mezieres zu gelangen; allein da die Anstalten hierzu zu spät getroffen wurden; gelang das Unternehmen nicht. Be­reits um 2^/i Uhr gab Napoleon, um ferneres unnützes Blutvergießen zu verhüten, den Befehl, die weiße Flagge aufzuziehen. Diese erschien auch, wurde aber von den Franzosen beschossen

und heruntergerissen. Dann beauftragte der Kaiser- den General Wimpffen mit dem Feinde in Unterhandlung zu treten; dieses lehnte der tapfere General wiederholt standhaft ab.

Um dem Gräuel ein Ende zu machen, hatte König Wilhelm nach 5 Uhr, noch-ehe die weiße Flagge bei Torcy gesehelr wurde, den Oberst­lieutenant Bronsart v. Schellendorf und den Hauptmann v. Winterfeld vom großen General­stab nach Sedan entsendet, um den französischen Oberbefehlshaber zur Uebergabe der Armee und Festung aufzufordern. Zu Bronsarts Erstaunen geleitete man ihn nach der Unterpräfektur zum Kaiser; man glaubte im großen Hauptquartier nicht, daß sich Napoleon noch in Sedan befinde. Bronsart richtete beim Kaiser seinen Auftrag aus, Armee und Festung zur Uebergabe aufzu- fordern. Hierauf wies ihn der Kaiser an den General v. Wimpffen und sandte zugleich durch seinen Generaladjutanten Graf Reille einen Brief an Kaiser Wilhelm, den dieser abends 7 Uhr erhielt. Der Brief Napoleons lautete:

Da es mir nicht vergönnt ist, an der Spitze meiner Armee zu sterben, bleibt mir nichts übrig, als meinen Degen zu den Füßen Ew. Majestät niederzulegen "

Der König antwortete, auf einem Stuhle schreibend, den ihm Major v. Alten als Tisch emporhielt:

Mein Herr Bruder! Indem ich die Um­stände bedaure, unter denen wir uns begegnen, nehme ich den Degen Ew. Majestät an und bitte Sie, einen ihrer Offiziere nennen zu wolle«, der mit ihren Vollmachten ausgerüstet ist, um über die Kapitulation der Armee, die sich so tapfer unter Ihren Befehlen geschlagen hat, zu verhandeln. Von meiner Seite habe ich den General v! Moltke zu diesem Behufe ernannt. Ich bin Ew. Majestät guter Bruder.

Wilhelm.

Nach der Rückkehr Reilles berief Napoleon Wimpffen zu sich. Dieser anerkannte, daß nichts übrig bleibe, als die Kapitulation, allein er weigerte sich, seinen Namen unter diese zu setzen und forderte seinen Abschied. Napoleon ver­weigerte ihm denselben und wußte Wimpffen von der Notwendigkeit zu bleiben und die Armee durch eine ehrenvolle Kapitulation zu retten, zu überzeugen. Zwar kam es noch zu sehr heftigen Auseinandersetzungen zwischen Wimpffen und Ducrot, von denen jeder dem andern den Miß­erfolg zuschob, während doch beide gleich un- schuldig waren, allein der einberufene Kriegsrat beschloß nunmehr die Kapitulation. Um 9 Uhr abends erschien Wimpffen mit dem Generalstabs­chef General Faure und mehreren anderen Generalen in Donchcry bei Bismarck, wo Moltke, Podbielski, Blumenthal und Offiziere des großen Hauptquartiers anwesend waren. Bismarck und Moltke waren von vornherein darin einig, daß Großmut hier nicht am Platze sei, daß diese als Schwäche ausgelegt werden würde und daß man bei der ganzen Situation auf Waffenstreckung der ganzen Armee bestehen müsse. In der Ver­handlung kam es zu manichfachen Auseinander­setzungen; Wimpffen wollte nicht auf so harte und die Ehre der französischen Nation so ver- letzende Bedingungen eingehen; er wünschte Ueber- gabe Sedans und dessen Artillerie, jedoch freien Abzug der Armee mit Waffen, Gepäck und Fahnen unter der Bedingung, in diesem Kriege nicht mehr gegen Preußen kämpfen zu wollen. Algier solle der Armee so lange als Aufenthalt dienen. Moltke erwiderte, er müsse bedingungs­lose Kapitulation fordern, sonst müsse er sie am nächsten Morgen mit Waffengewalt erzwingen. Bismarck betonte, daß die Armee und ihr ener­gischer Kommandant, die so tapferen Widerstand geleistet, wohl ehrenvollere Bedingungen verdient hätten; allein Deutschland wolle zu einem raschen Frieden kommen und das wirksamste Mittel hier­zu sei die Abführung der französischen Armee in Kriegsgefangenschaft. Wimpffen lehnte das ab, obschon ihm Moltke im Einzelnen klar machte,

daß die Lage der französischen Armeen derartig sei, daß jeder Widerstand absolut nutzlos; Moltke erbot sich sogar, seine Behauptungen zu beweisen, und einen französischen General herumführen zu lassen, damit sich dieser selbst von der dominier- enden Stellung der deutschen Truppen und Bat­terien überzeuge. Bismarck wies darauf hin, daß Frankreich, nachdem es Deutschland so oft ungerecht angegriffen, Rache für die erlittene Niederlage zu nehmen suchen werde und daß Garantieen nötig seien, um endlich in Frieden leben zu können. Uebrigens solle alles vermieden werden, was Offiziere und Soldaten verletze; die Waffen sollen in Magazine niedergelegt werden, wo die Deutschen sie nehmen würden und die üblichen Zeremonien beim Verlassen der Festung sollten unterbleiben. Auf die Einwürfe Wimpffens entwickelte Bismarck dann, daß Deutschland, das nicht so bald wieder in der Lage sei, einen so großen Krieg zu führen. Bürgschaften haben müsse gegen die Wiederkehr frivolen Angriffes. Wimpffen wollte nun einen Waffenstillstand von 24 Stunden, allein Moltke erklärte, dies nicht bewilligen zu können; wenn bis 4 Uhr morgens keine Entscheidung da sei, würde um diese Zeit das Feuer wieder eröffnet werden. Indes-ließ sich Moltke durch Bismarck bewegen, die Frist bis 9 Uhr morgens auszudehnen. General Castelnau, der ebenfalls anwesend war, eröffncte nun den Anwesenden eine Botschaft des Kaisers Napoleon, daß sich der König durch die beding­ungslose Ergebung des Kaisers bereit finden lassen werde, billigere Kapitulationsbedingungen zu geben. Indes waren ein Bismarck u. Moltke nichts gewillt, sich durch sentimentale Phrasen täuschen zu lassen; Bismarck fragte, ob der Kaiser als Bevollmächtigter Frankreichs anzusehen sei und als der General das verneinen mußte, er­klärte Moltke die Situation für unverändert. Wimpffen aber erklärte, er könne die Kapitula­tion nicht unterzeichnen, die Schlacht müsse wieder beginnen. Bismarck stellte ihm nochmals die schwere Verantwortlichkeit vor, das Blut so vieler braver Soldaten nutzlos zu vergießen und Moltke wiederholte, er könne Sedan in wenig Stunden in Asche legen, alle Ausgänge seien der Armee verlegt. Die französischen Unterhändler begaben sich nach Mitternacht nach Sedan zurück.

Wimpffen begab sich sofort zum Kaiser und drang in ihn, beim Könige persönlich günstigere Bedingungen zu erlangen zu suchen. Napoleon begab sich mit einem kleinen Osfiziersgefolge um 5 Uhr früh (am 2. Sept.) nach Donchery, um von Bismarck eine Unterredung zu erbitten. Bismarck kleidete sich rasch an, setzte seine Feld­mütze auf und ritt dem Kaiser entgegen, den er entblößten Hauptes begrüßte. Als ihn Napoleon aufforderte, sich zu bedecken, antwortete Bismarck: Sire, ich empfange Ew. Majestät, wie ich meinen königlichen Herrn empfangen würde." Zuerst auf der Straße, dann in einem kleinen, von einer Weberfamilie bewohnt gewesenen Hause, kam eine Unterhaltung in Gang, in welcher Napoleon seinen Wunsch, den König zu sprechen und günst­igere Kapilulationsbedingungen zu erlangen, zu erkennen gab. Bismarck lehnte es ab, auf diese rein militärische Frage einzugehen, da sie allein zwischen den Generälen Moltke und Wimpffen zu erledigen sei. Vergeblich suchte dann noch Napoleon, welcher als Gefangener über Friedens- Vorschläge nicht unterhandeln zu können erklärte und die Pariser Regierung hierzu als kompetent bezeichnet^ von Bismarck und Moltke günstigere Kapitulations-Bedingungen zu erlangen. Nach einiger Zeit kam auch eine Botschaft vom König Wilhelm, daß er den Kaiser nicht eher empfangen könne, als bis die Kapitulation unterzeichnet sei.

Inzwischen hatte Wimpffen einen Kriegsrat auf 7 Uhr früh berufen, zu dem sich 32 Generäle eingefunden hatten. Nur 2 Generäle stimmten gegen die unvermeidliche Kapitulation und auch diese zwei mußten schließlich bei der Sachlage ihr abweichendes Votum zurückziehcn. Wimpffen, von einem Abgesandten des preußischen Haupt-