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Zum Besuch des Kaiserpaares in den Reichslanden. Dem für den Monat Oktober ganz bestimmt in Aussicht genommenen kaiserl. Besuch sieht man im ganzen Reichslande bereits mit begreiflicher, freudiger Erregung entgegen. Nach den bisher bekannt gewordenen vorläufigen Bestimmungen dürfte der Kaiser etwa am 15. Oktober auf dem Krongute Urville in Lothringen eintreffen. um am 17. Oktober in dem nahen Kürzel dem Einweihungsakte der aus kaiserl. Mitteln erbauten neuen protestantischen Kirche beizuwohnen. Tags darauf soll dann die Weiter- fahrt nach Wörth stattfinden zur Einweihung des Denkmals weiland Kaiser Friedrichs. Am Nachmittag dürfte Se. Maj. das Kaiserpalais zu Straßburg beziehen und einige Tage in der Landeshauptstadt weilen. Wie gesagt find dies die vorläufigen Dispositionen, die möglicher Weise noch einer Aenderung unterzogen werden könnten.
Breslau, 26. Aug. Die hiesige Stadtverordnetenversammlung bewilligte heute den * Antrag der konservativen Partei, 15000 «fL am Sedantage an bedürftige Veteranen aus den Jahren 1864, 1866 und 1870/71 zur Verteilung gelangen zu lassen.
Berlin. 13. Aug. Der neue Schnelldampfer der Amerika-Linie „St. Louis", der nach den vor seiner Jnbetriebstcllung veröffentlichten Berichten amerikanischer Zeitungen alle übrigen Schnelldampfer aus dem Felde schlagen sollte, hat auch auf der jüngsten Reise den Erwartungen in Bezug auf seine Geschwindigkeit durchaus nicht entsprochen und ist von dem Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd „Lahn" um volle 6 Stunden über» troffen worden. Der Dampfer „St. Louis" verließ Newyork am 17. Juli 12 Uhr 47 Min. abends und erreichte Southampton am 25. Juli 8 Uhr 15 Min. morgens; die Reisedauer beträgt somit unter Berücksichtigung des Zeitunterschiedes 7 Tage 14 Std. 28 Min. Die „Lahn" ging am 16. Juli 7 Uhr morgens von Newyork ab und traf am 23. Juli 8 Uhr 45 Min. nachm, in Southampton ein, legte also die Ueberfahrt in 7 Tagen 8 Std. 55 Minuten zurück. Zu bemerken ist dabei, daß es sich bei der', „Lahn" durchaus nicht um eine begünstigte Reise handelt, sondern daß sowohl dieser Dampfer wie auch andere Schnelldampfer des Norddeutschen Loyd die Strecke Newyork-Southampton wiederholt in 6'/» Tagen zurückgelegt haben.
Die Bahnsteigsperre tritt am 1. Okt. auf allen Vollbahnstrecken der preußischen Staatsbahnen in Kraft. Die Maßregel ist der- art vorbereitet, daß ihrer Durchführung schon am 1. Tage ab nichts mehr im Wege steht. Hoteldiener sollen zur Lösung von Bahnsteigkarten nur dann zugelassen werden, wenn sie in Begleitung der Reisenden deren Handgepäck zum Bahnzuge bringen. Das Begleitungspersonal wird durch die Einrichtung der allge- meinen Bahnsteigsperre an Zahl erheblich ver- ringert; die frei werdenden Schaffner finden als Bahnsteigschaffner Verwendung. Dagegen wird die Zahl der Zugrevisoren verstärkt.
Das Jahr 1870 in französischer Beleuchtung.
In der „Patrie" veröffentlicht Herr Emil Massard einen Artikel „Da. jeuue arwäo", dem wir — nach der „Straßb. Post" — folgende Stelle entnehmen, da wir es für ein Unrecht halten, diese Gelegenheit, unseren Lesern einen heiteren Augenblick zu verschaffen, ungenützt vorübergehen zu lassen.
„Die Deutschen feiern die Siege, welche sie 1870 durch Verrat und infolge unserer Sorglosigkeit erfochten haben. Unsere junge Armee wartet, stolz, das Gewehr im Arm. Mögen sie ihre Fahnen bekränzen drüben, sie werden niemand mehr täuschen! Sie leben von leicht erworbenem Ruhm. An stetige Siege gewöhnt, hatten wir uns überraschen lassen und blieben dann, voll Erstaunens, verwundert in unserer Niederlage sitzen. Jetzt ist das anders! Gegenüber den kupfernen Pickelhaubenspitzen erhebt sich bei uns ein Wald blitzender Bajonette, und den germanischen Horden gegenüber stehen die jungen Legionen des alten Galliens bereit. Der Gott der Schlachten wird den Namen des
nächsten Sieges nennen. Unsere Truppen', die physische Elite der Nation, sind den dicken Panduren Wilhelms wohl gewachsen. Niemals haben wir eine so zahlreiche, furchtbare Armee gehabt als heute. Die Engländer, die sich nicht ohne Beefsteak schlagen, und die Deutschen, die nur unter Schlägen ins Feld ziehen, mögen thun was sie wollen. Wir zucken die Achseln und schließen die Reihen zusammen. . ."
Mehr kann man doch nicht verlangen.
Württemberg.
Stuttgart, 22. Aug. In sanitärer Hinsicht sind diesmal für die Manöver, wohl mit Rücksicht auf einige Unglücksfälle der letzten Jahre, besonders strenge Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Seitens des Oberkommandos ist den Offizieren gegenüber die bestimmte Erwartung ausgesprochen worden, daß Unglücksfälle bei großer Hitze vermieden werden, unter Betonung der großen Verantwortung, welche l die Führer aller Grade nach dieser Hinsicht hin tragen. Für eventuelle Fälle ist die Mitnahme nasser Tücher angeordnet worden. Bei Trinkwaffer zweifelhafter Güte soll den Mann- schäften Thee verabreicht werden; besonders aber werden die Mannschaften auch dieses Mal vor dem Genuß von neuem Bier und Most, sowie von unreifem Obst gewarnt. — Bei großer Hitze sollen die Tornister nicht getragen, sondern geführt werden.
In Stuttgart hat Sonntag früh zwischen 3 und 6 Uhr ein junger Mann von seiner Wohnung in der Ledergaffe aus 24 scharfe Schüsse aus einer Zimmerbüchse gegen die Fenster der Nachbarhäuser aus Mutwillen abgefeuerl, wodurch 6 Fensterscheiben durchschossen und in 2 Lokalen 4 Personen gefährdet waren. Der Thäter wurde festgenommen.
Stu ttgart, 26. Aug. Ein hiesiger Waffenhändler hat sich einen Schlagring mit Schießvorrichtung und Hinterverschluß an letzterer patentieren lassen. Man darf begierig sein, wer das erste Opfer dieser humanen Erfindung sein wird.
Stuttgart, 26. Aug. Ungefähr ein Dutzend hiesiger Gigerln machte sich gestern Nachmittag das Vergnügen, vor dem Königsbau einen recht bäuerlich angeschirrten Leiterwagen mit reichlicher Stroheinlage zu besteigen und durch die Stadt zuerst eine Renommierfahrt und einen Ausflug zu machen. Der scharfe Kontrast erregte viel Heiterkeit, worauf es auch offenbar abgesehen war.
Ulm, 27. Aug. Der hier neu angestellte Kriminalinspektor Meng ist gestern nach Stuttgart gereist zum Verhör des Sittlichkeitsverbrechers Rätter. Da die Wohnung des Rätter in der Schwilmengasse ganz in der Nähe des Friseurladens ist, aus dem voriges Jahr ein Friseur- gehilfe so scheußlich ermordet wurde, so vermutet man einen Zusammenhang zwischen den beiden Verbrechen und es soll nun ermittelt werden, wo sich Rätter um diese Zeit damals aufgehalten hat.
Tübingen, 26. Aug. Einem soeben eingetroffenen Telegramm aus Jsny zufolge findet die nächste Wanderversammlung des Gewerbevereins in Tübingen nächstes Jahr statt.
Ehingen, 26. Aug. Heute verkaufte Buchdruckereibesitzer Feyer hier den 1. Ballen Hopfen (Frühhopfen) an Bierbrauereibesitzer Bai er in Blaubeuren zu 105 Per Zentner.
Stuttgart, 27. Aug. Durchschnittspreise des hiesigen Schlacht- und Biehhofes per Pfd. Schlachtgewicht: Farren und Stiere 58—60 Rinder 66—68 Schweine 54—5? ^s, Kälber 74—80 ^Z.
Stuttgart. (Landesproduktenbörse. Bericht vom 26. August von dem Vorstand Fritz Kreglinger.j Bis Mitte der abgelaufenen Woche haben die Getreidepreise für Brotfrüchte am Weltmärkte wiederholt nachgeben müssen, Rumänien und Rußland sind an die Stelle Amerikas als Lieferanten getreten. Trotzdem die Getreidewelternte 10°/g weniger ergiebt als die vorigen Jahres, verhält sich die Spekulation zuwartend. Der Grund dieser Zurückhaltung dürfte sein, daß die Getreidegroßhändler sowohl in diesem Jahre als in den beiden vorhergehenden, große Verluste zu verzeichnen hatten. Gegen Schluß der Woche erhöhten sich die Preise etwas. Die süddeutschen Märkte haben kleine Zufuhren bei unveränderten Preisen. Nächsten Montag ,
fällt die Börse der Sedanseier wegen aus. Der heutige I. Hopfenmarkt war verhältnismäßig gut besucht. Zufuhr 34 Ballen, hievon wurden 24 Ballen zum Preise von 60—80 vkL zum größten Teile an Bierbrauereien abgesetzt. Nächster Markt Dienstag den 3. September.
Stuttgart, 27. August. Kartoffelmarkt am Leonhardsplatz. Zufuhr 600 Ztr., Preis per Zentner 2 50 ^ bis 3 — Z. — Srautmarkt am
Marktplatz. Zufuhr 4500 Stück Filderkraut, 15 ^
bis 20 ^ per 100 Stück.
Ausland.
Brüssel, 25. Aug. Heute früh 8 Uhr 7 Min. hatte der von Brüsfel nach Deutschland abgegangene Blitzzug auf dem Haltorte Tirle- mont einen Zusammenstoß mit einem daselbst haltenden leeren Zuge. Der Bahnhofsvorsteher wurde getötet; sonst ist niemand verletzt worden.
Paris, 27. August. Die Untersuchung betreffs die Urheberschaft des Attentats gegen den Baron Alphons Rothschild hat bisher keinerlei Resultat ergeben. Die Anhaltspunkte, die zur Entdeckung des Thäters führen könnten, sind auch äußerst geringfügig. Man weiß nur, daß der explosible Brief Freitag abend in einen Postbriefkasten geworfen und Samstag vormittags mit der ersten Post ausgetragen wurde. Erhalten ist von dem Couvert nichts als ein Stückchen Briefmarke mit dem Buchstaben R. und ein Stückchen Papier mit einem Buchstaben der Adresse. Man hofft mit Hilfe dieses einen Buchstabens die Schrift des Attentäters zu rekonstruieren und aus den zahlreichen Drohbriefen, die Baron Rothschild in den letzten Jahren erhielt, die gleiche Schrift zu entdecken. — Das Befinden des verwundeten Giodko Witz hat sich verschlimmert; die Linse des rechten Auges ist geplatzt und überdies hat sich in demselben ein Eiterherd gebildet.
Paris, 26. Aug. Der General Munier, dessen gehässigter, im „Figaro" veröffentlichter Brief mit Recht in der deutschen Presse den lebhaftesten Unwillen hervorgerufen hat, ist seit mehreren Jahren in der Reserve. General Munier, der als Oberst bei Sedan in die deutsche Gefangenschaft geriet, war eine zeitlang Platzkommandant von Belfort und wurde 1880 zum Divisionsgeneral ernannt. Munier ist gegenwärtig 67 Jahre alt.
Wie schon berichtet, hat der Erzbischof von Toledo, Kardinal Moneseillo an den Papst eine von 10 Erzbischöfen, 49 Bischöfen und 6 Vikaren Unterzeichnete Adresse gerichtet, worin er gegen die Feier der Besetzung Roms durch italienische Truppen, die eine Verletzung des Völkerrechts gewesen sei, protestiert.
Cetinje, 27. Aug. In Antivari ist ein russisches Schiff aus Kronstadt eingetroffen und überbrachte 30000 Gewehre. 15 Millionen Patronen, Kanonen, Mitrailleusen, Dynamit und anderes Kriegsmaterial als Geschenk des Zaren an Montenegro.
London, 25. Aug. Der an der Themse bei Black Friers belegene Speicher von Han- burys Wharf, in welchem große Mengen Getreide und Ocl lagerten, ist in der vergangenen Nacht abgebrannt. Die Bewohner der angrenzenden Häuser flohen in größter Verwirrung, nur mit Nachtgewändern bekleidet. Bei den Löscharbeiten waren 220 Feuerwehrleute beschäftigt. Der Schaden wird auf etwa fünf Millionen Mark geschätzt.
Anterhattender Hell.
Die Spionin.
Erzählung aus dem Kriege 1870/71 von I. Steinbeck
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Weit konnte der Gang in die Wasserleitung hinein ihn weder rechts oder links führen, so mutzte er auf eine Stelle stoßen, wo die Preußen dieselbe bloßgelegt und den Zugang verschüttet hatten. Das war ja drei, vierfach in der Nähe von Jussy geschehen, also entschied sich Hans Brackebusch für die Richtung auf Metz, nach links hin. Den Revolver schußbereit in der einen, die Leuchte in der anderen Hand, schritt der Sergeant dahin. Nichts rührte sich, da — horch! doch etwas! Nein, es war abbröckelndes Gestein oder eine vorüberhuschende Ratte. Nun j wieder alles still — die Stille des Grabes.