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Der Sergeant war ein mutiger Mann, sonst wäre er längst umgekehrt, nun aber fiel diese Totenstille und lichtiose Einsamkeit doch mächtig auf seine erregten Sinne und trieb ihm den Angstschweiß aus. Einen Augenblick mußte Hans Brackebusch still stehen, um sich an den seuchtkalten Wänden seines Grabes so kam es ihm vor festzuhalten, um nicht umzusinken. Aber nur einen Augenblick, dann ermannte er sich und mit dem festen Vorsatz, sein Vorhaben zu Ende zu führen, schritt er weiter.

Richtig, da stand er vor Felsgeröll und Schutt hier hatte die Hacke der Pioniere gearbeitet, die Wasserleitung zu unterbrechen. Davor aber stand, das wußte er. ein preußischer Posten, der gewiß keine Menschenseele hier heraus oder herein ließ, ohne sie anzurufen. Wenn überhaupt ein geheimer Verkehr der Pierrotts stattfand, wie Brackebusch doch immer erst argwohnte, ohne irgend welche Beweise zu hoben, konnte er auf diesem Wege nicht vor sich gehen.

Also kehrte er um und schritt seinen Weg zurück. Fast war er auf die Mündungsstelle seines Seltenkanals zurückgekommen, da stieß er auf eine starke mit Eisenblech beschlagene Thür. Dieselbe war nur angelegt. Brackebusch öffnete sie und leuchtete hinein. Stufen aus Stein führten aufwärts. Ohne Zaudern betrat der Sergeant die Treppe und nur wenige Minuten nachher stieß er rmt dem Kopfe unsanft an eine zweite, eine Fallthüre, die erst seinem energischen Drucke nachgab. Aber sie öffnete sich doch und mit Entzücken sah Brackebusch die Sterne des Himmels über sich und atmete die erquickende frische Nachtluft ein. Gott sei Dank, er war dem Grabe entronnen und wieder unter Gottes freiem Himmel. Aber das war auch Alles, was er von seinem Standorte vorläufig wußte jetzt galt es, den Spürsinn des Soldaten aus­bieten und trotz nächtlicher Dunkelheit und seiner Unbekanntschaft mir der Gegend herauszufinden» wo er sei.

In wenigen Stunden mußte es ja hell werden. Brackebusch beschloß, im Notfälle so lange zu warten.

Eins aber war ihm bald klar er be­fand sich in einem Weinberge, das zeigten ihm die Rebstöcke und Pfähle, deren regelmäßige Reihen er unterschied. Aha! Also im Weinberge des sauberen Herrn Pierrot auf diesem Wege gelangte man also ins Freie, ohne sich der läst­igen Kontrolle der Posten zu unterziehen. Und der Weinberg Pierrots war ja nicht von unfern Posten besetzt» er lag außerhalb der Linie da war ja ein Durchschleichen nach Metz leicht und ungefährlich. Mein Gott, der Herr Oberst hatte es den Leutchen doch gar zu bequem ge­macht, als er einwilligte, ihr Eigentum zu schonen.

So weit war Hans Brackebusch mit seinem Ueberlegen und Kombinieren gekommen, da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich durch ein uner­wartetes Ereignis in Anspruch genommen. Unter ihm regte sich etwas: die Treppe herauf kamen leise Tritte.

Mit einem Satze war der Sergeant von der Thüre hinweg und warf sich platt auf den Boden, doch so, daß er die Thüre im Auge be­hielt. Jetzt! Wahrhaftig, sie hebt sich, eine Zipfelmütze wird sichtbar, eine Gestalt steigt heraus, noch eine vorsichtig schauen sie sich um, jetzt sind sie beide draußen und der Zweite wirft das Bündel, das er getragen, unmutig zur Erde.

Gott's Blut!" hört Brackebusch eine Stimme fluchen, die ihm das Blut zum Herzen treibt, cs ist die seiner angebetenen Marie, der schönen Frau Pierrot.Gott's Blut, Pierror, ich glaube, wir sind wie ein paar Hasen vor einem blinden Schreckschuß davongelaufen. Wir hätten dem Lassen eins hinter die Ohren geben und dann uns über ihn beim Colonel beklagen sollen als über einen Weindieb das wäre Alles ge­wesen, die Deutschen sind viel zu dumm, hinter unsere Schliche zu kommen."

Was der Alte in seinem Patois dagegen knurrte, konnte Brackebusch nicht verstehen, war auch für ihn nicht nötig. Er wußte genug und

sein Entschluß stand fest, die offenbare Flucht des nichtsnutzigen Ehepaares mit allen Kräften zu hindern. Nur wisse« wollte er, wohin sie ihre Schritte wandten, um ungestört nach Metz zu gelangen; das Vorterrain, von unseren Patrouillen durchstreift, war zur offenen und freien Promenade doch nicht sicher genug.

Marie Pierrot nahm ihr Bündel wieder auf sich, da der alte knickebeinige Ehegatte keine Anstalten machte, cs ihr abzunehmen, und beide schritten in den Weinberg hinein. In Ent­fernung von zehn Schritten folgte Brackebusch.

Einmal stand die Frau still und machte Pst! hörtest Du nicht? Mir war es, als schliche Jemand hinter uns her."

Beide blieben stehen und horchten ange­strengt. aber auch Brackebusch verhielt sich un­beweglich , so schritten jene nach einer Weile weiter, ihr Verfolger immer in gleichem Ab­stande hinter ihnen.

Jetzt machten sie Halt und beugten sich zur Erde. Was war das? Eine zweite Fallthür? War denn diese ganze Gegend unterminiert?

Aber hier galt es kein Besinnen, schon war der Alte halb in die Oeffnung hineingestiegen, in einer Minute waren Beide auf Nimmerwieder­sehen verschwunden.

Brackebusch's Revolver knallte, mit einem Fluche verschwand der Alte ganz in der Tiefe.

Mit einem Satze stand Brackebusch neben der verkleideten Frau.Marie", rief er ihr zu und ein flehender Ton bebte in seiner Stimme, ergeben Sie sich! Sie sind in meiner Gewalt, Widerstand ist unnütz."

Allein Frau Marie Pierrot dachte weder an Ergebung, noch daran, daß sie noch einmal ihre Buhlkünste dem Betörten gegenüber in An­wendung bringen könnte. Zeit und Umstände waren auch schlecht dazu gewählt gewesen, hier galt es für sie Freiheit oder schwere Kerker­strafe, wenn nicht gar Leben oder Tod.

Kanaille!" zischte sie dem Sergeanten ent­gegen und mit der Wut einer Tigerin war sie ihm an den Hals gesprungen. Brackebusch mußte sich wehren, so sehr es ihm widerstrebte, Ge­walt gegen eine Frau, zumal gegen diese zu gebrauchen. Bald aber ward ihm klar, daß er seine ganze Kraft aufbieten mußte, wollte er in dem Ringkampf, der sich nun entspann, nicht schmählich unterliegen. Denn die Frau ent- faltete eine katzenartige Geschmeidigkeit der Glieder und eine Muskelkraft, die einem Ringer von Prosession Ehre gemacht hätte. Umsonst rang er sie drei-, viermal nieder, immer wieder kam sie auf die Füße und griff den Gegner von Neuem an, dabei immer bedacht, der Ocffnung, in welcher der Gefährte verschwunden, nahe zu kommen und sich mit Brackebusch dort hinein zu stürzen.

Lautlos tobte der Kampf, nur das Knacken der umgebrochenen Rebstöcke und Weinpfähle, das Keuchen der Ringenden gaben Zeugnis von der Heftigkeit dieses anscheinend so ungleichen Kampfes, denn Brackebusch war ein starker Mann in der Blüte seiner Kraft. Und endlich glaubte er den Sieg davon getragen zu haben, er hatte die Gegnerin niedergerungen und regungslos, anscheinend ohnmächtig lag sie da.

Einen Augenblick ließ Brackebusch sie los, um sein Taschentuch zu ziehen und ihr für alle Fälle die Hände zu binden; doch in demselben Augenblicke sprang das Weib blitzschnell in die Höhe gab Brackebusch einen Stoß, daß er taumelte, und war mit einem Satze an der Oeffnung im Erdboden. Ihr nach sprang der Sergeant und erwischte sie im letzten Augen­blicke. Auf den ersten Stufen der nach unten führenden Treppe erneuerte sich der Kampf, und jetzt endlich gewann die größere Köcper- klast des Mannes über die erstaunliche Geschick­lichkeit des Weibes den Sieg, leise wimmernd sank Marie zusammen, sie war besiegt und er­gab sich in ihr Schicksal.

Wirklich? Nein, noch nicht, denn als der Sergeant sich über sie beugt, blitzt es noch ein­mal in dem fast erloschenen Auge auf und schnell, ehe er die Hand ablenken kann, stößt sie das Winzermesser, das sie aus ihrer Blouse gezogen, ihm zwei- dreimal in die Brust.

Mit einem Aufschrei sinkt Brackebusch zu­sammen. während das Blut hoch aus den Wun­den aufspringt, er muß seine Gefangene fahren lassen. Aber noch hat er Kraft genug, den Revolver an seiner Seite zu fassen und der Flüchtigen eise Kugel nachzusenden, die ihr Ziel nicht verfehlt. Mit einem Wutschrei stürtzt die Getroffene die Treppe hinab und entschwindet den Blicken des nachschauenden Sergeanten, der gleich darauf ohnmächtig zusammenbricht.

(Fortse tzung f olgt.)

(Ein billiger Wetteranzciger.) Auf eine ganz einfache und kostenlose Weise kann man sich einen billigen Wetteranzeiger verschaffen. Man schlägt einen Nagel in die Wand, vielleicht an die Hinterseite des Gebäudes, und befestigt an diesem einen Bindfaden, an dessen Ende sich ein leichtes Bündel Hühner- oder Gänsefedern befindet. Hierauf bezeichnet man die Stelle, bis zu der das Bündel herabhängt, durch einen Strich. Ist Regenwetter in Aussicht, so wird das Bündel unter diesen Strich herabsinken; sobald es sich zum Besseren wendet, wird es wieder aufwärts steigen. Erntearbeiten von geringerem Umfang, kleine Touren rc. kann man ganz gut danach einrichten, da die Differenz zwischen Ansagen und Eintritt des Wetters 1012 Stunden be­trägt. _

Von einem Amerikan. Schiffs-Construktcur ist ein Verfahren erfunden worden, um das Holzwerk an Schiffen feuerfest zu machen. Das Verfahren soll, wie das Intern. Patentbureau von Hermann L Co. in Oppeln schreibt, darin bestehen, daß die Poren des Holzes, nach dem demselben der Saft entzogen ist, unter Druck mit einer Composition aus Borax, Bor­säure, Salmiak und schwefelsaurem Ammoniak gefüllt werden. So behandeltes Holz entzündet sich nicht, wenn es ins Feuer kommt, auch soll es sein natürliches Aussehen behalten. (Oben­genanntes Patentbureau erteilt den geschätzten Abonnenten dieses Blattes Auskünfte und Rat in Patentsachen gratis.)

(Kindermund.) Lieschen:Mama, Schwester Anna hat Honig gemascht." Mama:Hast Du das gesehen, Lieschen?" Lieschen:Nein, aber Herr Lieblich sagt, er wolle den Honig von ihren Lippen küssen."

Akrostichon.

Aljen, Reue, Ode, Gram, Riesen, Wald. Aube, Oden, Gent.

Durch Vorsetzen je eines Buchstabens sind obige Wörter in andere zu verwandeln, deren Anfangsbuchstaben den Titel einer Oper ergeben.

Telegramme.

Berlin, 28. August. Das Telegramm des Kaisers an den General und Exkanzler Caprivi lautete:Bei der 25jährigen Wieder­kehr des Schlachttags von Vionville und Mars- la-Tour, des Ehrentags des X. Armeekorps, gedenke ich gerne und dankbar Ihrer verdienst­vollen Thätigkeit als Chef des Generalstabs des Korps.

Berlin, 28. Aug. Der Kronprinz von Italien wird den Kaisermanövern bei Stettin beiwohnen.

Heidenheim, 28. August. Wegen Sittlichkeits-Verbrechens an einem schulpflichtigen Mädchen wurde ein 41jähriger Bauernknecht aufgegriffen und eingeliefert.

In Lotzen ist am 27. am Eingang des Sarnthales ein Felssturz niedergegangen. Ein Italiener wurde oabei getötet.

Graz, 28. Aug. Als Prinz Ernst in Rohan sich auf die Jagd begeben wollte, entlud sich sein Gewehr auf bisher unaufgeklärte Weise. Der Schuß gieng dem Prinzen in das Kinn und zerschmetterte den Kopf, wodurch der Tod sofort eintrat.

Iorea, 28. Aug. Durch die Explosion einer Petroleumlampe in Biberdone geriet das für Pilger bestimmte Lokal in Brand, 8 Per­sonen wurden getötet, 4 schwer verwundet.

Cadix, 28. Aug. Ein Bataillon sch>W sich gestern nach Kuba ein.

Redaktion, Druck Mid Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.