zu unterstützen. Die in städtischen Betrieben verwendeten Veteranen von 1870/71 haben am 2. September nachmittags frei bei Zahlung des vollen Lohns. (S. M.)

Stuttgart. 23. Aug. Unsere noch in Villa Seefeld bei Rorschach weilende kgl. Familie empfing letzter Tage den Besuch des auf der Insel Mainau weilenden großherzogl. Paares von Baden. Die früher angekündigte Reise der kgl. Familie nach Holland wird in einiger Zeit stattfinden und nach der Rückkehr werden die Majestäten bis zum Beginn des Winters wieder in Villa Marienwahl bei Ludwigsburg residieren.

Stuttgart, 21. Aug. Die evangelische Oberkirchen- und Schulbehörde hat angeordnet, daß am 1. September im Hauptgottesdienst der großen Ereignisse des Jahres 1870/71 dankbar gedacht werde. In den Mittel- und Volks­schulen fällt der Unterricht aus. Vormittags finden Schulfeiern statt. Wo am 2. September nachmittags öffentliche Feiern in den Gemeinden stattfinden, wird den Ortsschulbehörden anheim­gegeben, zu veranlassen, daß dabei von der Jugend geeignete Turnübungen und Turnspiele vorgeführt werden.

Stuttgart. 21. Aug. Wie wir er­fahren, soll der verurteilte Raubmörder st er, nachdem er gestern zuerst einen geistlichen Bei­stand zurückgewiesen hatte, eine Stunde später nach einem Geistlichen verlangt haben, worauf der hiesige Zuchthausgeistliche zu ihm gerufen wurde. Ueber die Schuld Vösters ist trotz seines beharrlichen Leugnens kein Zweifel möglich. Vielleicht läßt sich Vöster im letzten Augen­blick noch zu einem Geständnis herbei. Den verschiedenen prinzipiellen Gegnern der Todes­strafe ist entgegen zu halten, daß die förmliche Aufhebung dieser Strafe oder eine systematische Begnadigung aller Raubmörder zu lebensläng­lichem Zuchthaus, eine große Gefahr für die friedliebendsten Menschen bildet; denn wenn es den Kopf nicht kostet, riskiert mancher Verbrecher eine Mordthat, die er andernfalls unterläßt. Die Spitzbuben wissen zu gut, daß sie bei ordent­licher Führung auch wenn sie zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden sind, nach 15 Jahren doch der Freiheit wieder zurückgegeben werden und schon aus diesem Gesichtspunkt ist es im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu begrüßen, wenn ab und zu einmal ein Exempel statuiert wird.

Stuttgart, 22. Aug. Die Hinrichtung des Raubmörders Vöster vollzog sich heute in derselben Weise wie bei Mauth. Kurz nach 5 Uhr wurde der Verurteilte vom Landgerichts­gefängnis im Gefangenenwagen zur Richtstätte in den Hof des Zuchthauses gebracht. Am Schaffst stand Scharfrichter Silier mit seinen Gehilfen. Dem Akte wohnte in feierlicher Kleid­üng eine größere Zahl von Personen aus ver- schiedenen Ständen, darunter zahlreiche höhere Beamte, sowie Mitglieder der bürgerlichen Kol­legien an» während die zum Zuchthaus führen­den Straßen mit Neugierigen dicht gefüllt waren. Der Gerichtshof erschien 5 Minuten vor 6 Uhr, ebenso Amtmann Nick, Landjäger-Bezirkskomman­deur Oberst v. Groll und Stadtdirektionsarzt Dr. Köstlin. Punkt 6 Uhr ließ der Staats­anwalt den Verurteilten in Begleitung von Pfarrer Falch durch Landjäger vorführen, wäh­rend die Glocke von der nahen Johanniskirche läutete. Staatsanwalt Herrschner richtete hier­auf an den Verurteilten folgende Worte: Gott­lob Vöster, ich habe Euch zu eröffnen, daß das gegen Euch ergangene Urteil, sowie die k. Ent­schließung Euch nochmals eröffnet und dann so­fort in Vollzug gesetzt werden wird. Der Ge­richtsschreiber verlas alsdann beide Schriftstücke. Staatsanwalt Herrschner wandte sich nun an den Verurteilten mit den Worten:Gottlob Vöster, Euer Leben ist verwirkt; Gott sei Eurer Seele gnädig!" sodann wandte er sich an den Nachrichter, indem er sprach:Nachrichter, ich übergebe Euch den Gottlob Vöster mit dem Be­seht, ihn dem Urteil gemäß zu richten vom Leben zum Tode." Nachdem der Geistliche mit dem Verurteilten noch ein kurzes Gebet verrichtet, reichte Vöster demselben die Hand und schritt hierauf vor den Staatsanwalt, demselben eben­falls die Handgreichend, und bat ihn um Ver­

zeihung, wenn er sich öfters und namentlich bei 1 der Ankündigung der Urteilsvollstreckung unge-' bührlich aufgeführt habe. Der Delinquent zeigte sich ruhig; er war sicheren Schritts und benahm sich während des ganzen Akts mit großer Festig­keit; keine Fiber verriet, was in seinem Innern Vorgehen mochte. Hierauf wurde Vöster auf ein von dem Staatsanwalt gegebenes Zeichen von den beiden Gehilfen des Nachrichters auf das Brett geschnallt. Ein Augenblick und das grau- same Verbrechen vom 26. Dezember 1893, das das ganze Land in Aufregung setzte, war ge- sühnt. Der Leichnam wurde sofort entfernt, worauf Pfarrer Falch noch ein Gebet sprach. Um 6.10 Uhr war der Hinrichtungsakt, der ohne jegliche Störung in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise vor sich ging, beendigt. Stadtdirektions­arzt Dr. Köstlin nahm sofort nach der Hinricht­ung im Zuchthaus im Beisein mehrerer Aerzte eine Kopfseklion vor. Ueber das Verhalten des Verurteilten vor seinem Tode teilt der St.A. folgendes mit: Der Verurteilte war durch die Verkündigung der K. Entschließung in die höchste Aufregung versetzt worden und hatte unter Aus­brüchen des Zornes und der Verzweiflung bald die Richter, den Staatsanwalt und den Ver­teidiger, bald die vernommenen Zeugen des Meineids beschuldigt und selbst jeden geistlichen Beistand trotzig von sich gewiesen. Bald jedoch machte diese hochgradige Aufregung einer ruh- igeren Gemütsstimmung Platz; der Verurteilte verlangte die Berufung eines Geistlichen und verkehrte mit diesem viele Stunden bis zu seinem Tode. Im Laufe des vorgestrigen Tags schrieb er mehrere Briefe an verschiedene Zeugen, in denen er diejenigen, welche gegen ihn aussagten, des Meineids beschuldigte, denselben jedoch gleich­zeitig erklärte, daß er ihnen verzeihe. Am gest- rigen Nachmittage empfing er den Besuch seiner Angehörigen und nahm von denselben unter Thränen und sie um Verzeihung bittend, be­wegten Abschied. Abends */r8 Uhr, während der Geistliche bei ihm war, bat er den Staats­anwalt, zu ihm in das Gefängnis zu kommen, und erklärte demselben, als dieser teilnehmend nach seinem Befinden sich erkundigte, er bitte ihn und die Richter um Verzeihung, er glaube, daß die Richter nach Recht und Gewissen geur­teilt haben, er sei aber unschuldig, die Richter haben sich geirrt: er verzeihe übrigens den Rich- tern ihren Irrtum, denn der Mensch könne fehlen. Der Verurteilte, welcher von dem Geist­lichen mit unermüdlichem Eifer in der liebe­vollsten Weise beraten und getröstet wurde, war sichtlich bewegt und sprach viel über sein ver­fehltes Leben, sowie auch davon, daß er gebetet, und das Gefühl habe, daß ihm Gott verziehen habe. Schließlich erklärte er, es wäre vielleicht klüger gewesen, wenn er um Begnadigung ge­beten hätte, er wäre dann vielleicht zu lebens­länglichem Zuchthaus und bei gutem Verhalten nach 12 bis 15 Jahren vollständig begnadigt worden und hätte dann seiner Schwester, deren Mann krank sei, beistehen können, er setzte aber sofort hinzu, jetzt sei es schon so und er wolle hieran auch nichts mehr ändern.

Unsere Eisenbahnen machen zur Zeit glänzende Geschäfte, namentlich an den Sonn­tagen, wo die Massenbeförderung nur mit der allergrößten Anstrengung bewältigt werden kann. Bon Notstand gewahrt man nichts. Nach Wildbad mußten letzten Sonntag zwei Extra­züge abgehen und beide waren trotz der ab­normen Zahl der eingestellten Wagen überfüllt.

Ulm, 19. Aug. Die Prämierung der Aussteller auf der III. Württ. Flaschner-Fach­ausstellung wurde gestern vorm. II Uhr auf dem Ausstellungsplatz oorgenommen. Bon 123 Ausstellern erhielten 53 Medaillen und 12 Diplome, außerdem wurden mehrere Gesellen für ausgestellte Arbeiten Diplome verliehen.

F re u d e n st a d t, 21. Aug. Dem kgl. Amtsgericht Freudenstadt sollte heute Nachmittag der Zimmerman Wurster von hier, welcher vor­geladen war und nicht erschien, vorgeführl weren. Wurster wurde deshalb festgehalten und bis zu seiner Vernehmung in dem Gerichtsgefängms untergebracht. Als Wurster kurz darauf vom Gerichtsdiener vorgeführt werden sollte, fand dieser den.Wurster, welcher sich unterdessen mit

einem Messer den Hals abgeschnitten hatte, tod in der Zelle vor.

Stuttgart, 22 . August. Kartoffelmarkt am Leonhardsplatz. Zufuhr 900 Ztr., Preis per Zentner 2 -4L 50 ^ bis 3 Krautmarkt am

Marktplatz. Zufuhr 4500 Stück Filderkraut, 15 ^L ^ bis 25 «4L ^ per 100 Stück.

Anstand.

Der künftige Thronfolger in Oesterreich- Ungarn, Erzherzog Franz Ferdinand, Bruder der Herzogin Albrecht von Württemberg ist ziemlich bedenklich erkrankt. Hoffentlich wird der Kranke wieder ganz hergestelll. Im Falle seines Ablebens würde das Erbfolgerecht auf seinen nächstältesten Bruder, Erzherzog Otto, übergehen.

Aus Rußland, 19. Aug. Aus Warschau berichtet dasN. W. Tagbl.": In der hiesigen Zuckerfabrik Josefow ist eine große Veruntreu­ung entdeckt worden. Bei der Durchsicht der Bücher wurde der Abgang von einer halben Million Rubel festgestellt. Ueberdies fehlen 100 000 Rubel an Einlagen. Die Unterschlag­ung ist schon Jahre alt. Nach einer Meldung der TurinerGazzetta del Popolo" und anderer Blätter soll die Artillerie-Kaserne in Tula in die Luft geflogen sein. Man beklagt 300 Tote, darunter viele Offiziere. Die Kaserne, welche nunmehr einem Trümmerhaufen gleicht, war, wie die Untersuchung ergab, ganz unterminiert. Die Umgekommenen wurden in Stücke zerrissen. Es wurden zahlreiche Verhaftungen vorgenommen.

Das neue englische Kabinet ist Ende voriger Woche durch eine Thronrede eröffnet worden, die sehr friedlich klingt und sogar die armenische und chinesische Frage sehr vorsichtig behandelt; dagegen hat alsbald darauf der Ministerpräsident Marquis von Salisbury im Oberhause wegen der armenischen Greuel eine sehr scharfe Sprache gegen die türkische Regier­ung geführt und angekündigt, daß er sich mit bloßen Reformversprechungen der Türken nicht werde abspeisen lassen. Aehnliche Erklärungen gab der Unterstaatssekretär Curzon im Unter­hause ab und nun wissen die unaussprechlichen Türken, wie sie daran sind.

Aus dem Orient. Aus Smyrna melden griechische Blätter, daß das auf seiner Hoch­zeitsreise befindliche englische Ehepaar Leeds während eines Spazierganges an der asiatischen Küste von Räubern überfallen und ausgeraubt worden sei. Die Räuber banden den Gatten, befestigten einen Stein an seinem Hals und warfen ihn ins Meer, während sie die junge hübsche Frau mit sich ins Gebirge schleppten.

Anteryattender HeU.

Die Spionin.

Erzählung aus dem Kriege 1870/71 von I. Steinbeck

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Einen Augenblick schien es, als wolle Ma­dame zusammenbrechen, so furchtbar erschrak sie bei der plötzlichen Berührung und Anrede. Alles Blut trat ihr in's Gesicht, um dann plötzlich zum Herzen zurückzudrängen, und wie ohnmächtig schloß sie auf einen Moment die Augen. Dann aber hatte sie sich ebenso schnell gefaßt, und, genau wie jenes erstemal, fühlte sich Brackebusch von ihren vollen und weichen Armen umfaßt, und ehe er's wehren konnte, brannten wieder ihre Lippen auf den seimgen. Aber dieses Mal ver- fehlte der Angriff seine sinnverwirrende Wirk- ung wie früher, Hans Brackebusch hatte zu viel gesehen und sein Argwohn war zu rege ge­worden , um sich umgarnen zu lassen. Rauh stieß er die Versucherin von sich und nur noch barscher fuhr er sie an:

Madame, was suchen Sie hier?

Ein französischer Wortschwall ergoß sich wie eine Sturzwelle über den Sergeanten. Leider verstand Brackebusch kein Französisch, aber die Worte wie umi aiinö xortrüt schlugen doch be­kannt an sein Ohr und der zärtliche Ton ihrer Stimme, die heiße Liebesglut ihrer Blicke und endlich die ausbrechende Thränenflut der schönen Frau ließen ihm keinen Zweifel über das, was sie ihm sagen wollte. Es warg ein Liebes-