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geständnis in schönster Form und das Suchen im Koffer erklärte sie damit, daß sie darin ihres geliebten Freundes Porträt zu finden gehofft hatte.

Hans stand wie vom Donner gerührt. Daß er ein hübscher Junge sei und viel Glück bei den Frauen habe, sagten ihm seine Eitelkeit und, mehr als für sein bischen Verstand gut war, seine vielfache Erfahrung in diesem Fach. Aber so etwas war ihm in seiner Praxis doch noch nicht vorgekommen. Sonst war er doch immer der Angreifer und etwas Widerstand hatte selbst die glühendste Bewunderin seiner Vorzüge seinen Bewerbungen entgegengesetzt hier kam ihm die vielumworbene schöne Frau nicht auf halbem, nein! auf ganzem Wege entgegen und über­lieferte sich auf Gnade und Ungnade. Und das ihm, dem simplen Sergeanten, während das ganze Offizierkorps mit ihm konkurrierte und um die Gunst der Frau Marie buhlte! Donner­wetter, Hans Brackebusch war doch ein ver­fluchter Kerl.

Das war der erste und vorherrschende Ge- danke in der Seele unseres Hans als er die schöne Frau weinend und verschämt die Hände vor das Gesicht schlagend vor sich stehen sah. Der zweite aber war ein ungeheures Mitleid mit der Armen, die sein Anblick so tief unglück­lich gemacht halte, daß sie zum Diebstahl greifen wollte, nur um in Besitz seines Bildes zu kommen. Und zum dritten schämte sich Hans, daß er die Aermste so rauh angefahren und so erschreckt habe, und er beschloß großmütig, Alles wieder gut zu machen und die Liebeflehende an seine verzeihende Brust zu ziehen. Also näherte er sich ihr mit ausgebreiteten Armen und zärt­lichem Liebesblick, und wenn er ihr auch keine wohlstilisierte französische Rede halten konnte, so reichte sein französischer Wortschatz doch bis zu der kurzen, aber eindringlichen Phrase: karäon, Llaäaiae, so vous aims äe tont mon cvöur«. Und weiter brauchte er auch nichts, die eigentliche Sprache der Liebe ist ja inter­national. Also sank Madame gerührt in seine Arme und vergab ihm, ihre Lippen fanden sich diesmal in gemeinschaftlicher Absicht und eine lange zärtliche Umarmung bezeugte auch äußer­lich, daß sich die Herzen dieser Beiden trotz Krieg und Feindschaft der Nationen in heißer Liebes- glut gefunden.

Wie lange sie so in seliger Vergessenheit Brust an Brust gestanden hatten, war wenigstens Hans Brackebusch nachher nimmer klar. Der gleichmäßig dröhnende Schritt des zurückkehrenden Regimentes, die lauten Kommandos, das Klirren der Waffen hatten ihn aus seinem Liebestraum in die schnöde Wirklichkeit zurückgerufen und Frau Marie war mit einem letzten Kusse von ihm geschieden, als eben der Oberst und sein Adjutant in das Gehöft einritten.

Seitdem ging Brackebusch wie im Traume umher. Seine Vorgesetzten, der Adjutant wie der Oberst, wunderten sich, was in den so dienst­eifrigen Soldaten gefahren sei, und manchen Anranzer setzte es, den Brackebusch durch seine Zerstreutheit und Unordnung wohl verdient hatte. Denn im Bureau stimmte nichts mehr und manche wichtige Sache fehlte ganz, war wenigstens absolut nicht zu finden. Wohin war sie gekommen? Hans zerbrach sich vergeblich den Kopf. Es betrat Niemand außer seinem Vor­gesetzten, die Ordonanzen und ihm das Bureau, nur die Geliebte huschte manchmal in Augen­blicken, wo er allein war, ins Zimmer, um einige flüchtige Grüße und Küsse mit ihm zu wechseln. Sollte sie unmöglich! Und doch stieg immer wieder der alte, dumme Argwohn in ihm auf, und das Bild, wie sie, gebeugt über den Koffer, hastig die Papiere durchstöberte, tauchte immer von Neuem vor seiner sich mit Selbstvorwürfen quälenden Seele empor. Namentlich, wenn er sich Nachts schlaflos auf seinem Lager wälzte, peinigten ihn Gewissensbisse, und mehr als ein­mal beschloß er, am nächsten Morgen dem Ober­sten zu beichten und ihm Alles mitzuteilen. Alles ja was Alles? Wußte er denn etwas Bestimmtes? War denn überhaupt etwas Pflicht­widriges und Strafbares geschehen? Die abhanden gekommenen Papiere waren von keiner solchen

Wichtigkeit, daß dem Feinde besonders an ihrem Besitze gelegen sein konnte solche Schriftstücke beherbergte das Regimentsbureau überhaupt wohl kaum. Aber Losung und Feldgeschrei hatte Frau Marie Pierrot ein Paar Mal von ihm bei ihren gegenseitigen Sprachübungen im Scherze und, ohne daß er es merkte, erpreßt. Erst hinterher war ihm dann eingefallen, was er in seiner Verliebtheit gethan, und jedesmal hatte er sich vorgenommen, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Aber nein! Die Frau konnte unmöglich ein Spion sein und die Liebe zu ihm nur heucheln, um ihn auszuhorchen und zu bestehlen. O pfui, welch' abscheulicher Verdacht!

Hans mußte fürchten, wenn er mit seiner Liebesaffaire vor den Obersten trat, sich lächer­lich zu machen, und scheute den Spott seiner Kameraden, wie des ganzen Regiments Nein, er wollte schweigen, aber er beschloß die Augen fortan offen zu halten und sich durch keine Liebeständelei zu ferneren Pflichtwidrigkeiten verführen zu lassen.

Wiederum vergingen etliche Tage, ohne daß etwas Besonderes vorgefallen wäre. Da kam eines Tages vom Brigadekommando eine Nach­richt und ein Befehl, die geeignet waren, die allmählig wieder eingeschläferten Bedenken und Selbstanklagen des Regimentsschreibers neu zu entfachen.

Es sei ohne Zweifel, hieß es in jenem Be­fehl, daß die eingeschlossene Festung trotzdem einen regen Verkehr mit der Außenwelt unter­halte und Bazaine seine Boten durch die dies- seitigen Vorposten und Wachen unentdeckt durch­zubringen wisse. Ebenso sei festgestellt, daß die Hauptrichtung dieses Verkehrs auf Gorze oder Pont a Mousson gehe. Die bezüglichen Vor- Postenkommandeure würden also aufgefordert, ihre Feldwachen und Posten zu doppelter Aus- merksamkeit zu ermahnen, und namentlich auf die Zivilbevölkerung ein wachsames Auge zu haben.

Das gab Hans Brackebusch zu denken, und er konnte das um so ungestörter, weil Marie seit gestern wieder krank und unsichtbar war. Ruhelos strich der Sergeant in seinen Muße­stunden durch Haus und Hof, Garten u. Wein­berg, und quälte sich vergeblich, die in ihm auf­steigenden Bedenken nieder zu drücken. Endlich beschloß er, um sich möglichst Gewißheit zu ver- schaffen, das Haus Pierrots und dessen nächste Umgebung planmäßig abzusuchen, ob irgend welcher verborgener Ausweg sich entdecken lasse. Denn, pflegten Pierrot und seine Frau wirklich Verkehr mit dem Feinde, so konnte das nur auf diesem Wege geschehen, da sie ja das Haus und den Hof selten verließen und dann höchstens auf eine Stunde, um ihren Weinberg aufzu­suchen.

Tagelang hatte er sich vergeblich angestrengt, nichts Verdächtiges war ihm aufgefallen. Nun galt es noch den Keller zu untersuchen, den Pierrot und seine Frau sorgfältig verschlossen hielt und wozu er auch, mit Erlaubnis des Obersten, den Schlüssel behalten hatte. Er hatte seine Bitte darum wohl zu begründen gewußt. Denn da er in friedlichen Tagen, wie die meisten Weinbauern, einen ziemlich ausgedehnten Wein­verkauf unterhielt, so lagerten in diesem Keller nicht nur die aufbewahrten Vorräte vergangener, guter Jahrgänge, sondern auch ansehnliche Mengen edlen Bordeaux und Burgunders, womit der biedere Pierrot seinen Landwein Verschnitt, ehe er ihn als echten Chateau Margaux und Lafitte in die Welt schickte. Es wäre unverantwortlich gewesen, den Mann um sein Eigentum zu bringen und den Wein den Soldaten zur Plün­derung zu übergeben, ganz abgesehen von den unausbleiblichen Störungen der Disziplin, die dabei vorgekommen wären. Dagegen hatte Monsieur Pierrot den Herren Offizieren seinen Keller gerne zur Verfügung gestellt und sich be­reit erklärt, auf Requisitionen oder Bons von seinen Vorräten abzugeben. Solchem loyalen Verhalten gegenüber hatte der Oberst nicht anders gekonnt, als dem Eigentümer den Kellerschlüssel zu belassen.

Wie sollte nun Brackebusch in den Besitz desselben, ohne Aufsehen zu erregen, kommen?

Und haben mußte er ihn, denn je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, daß in dem Keller der Schlüssel des Geheimnisses liege, wenn hier überhaupt von einem solcher die Rede war und unser Sergeant sich nicht mit Hirngespinnsten abquälte. Ein Zufall war ihm zu Hilfe gekommen. Der Oberst hatte von einigen Tagen noch spät Abends Wein verlangt, und die Burschen waren beordert worden, mit Pierrot in den Keller zu steigen, das Verlangte zu holen. Anstatt des einen der Burschen, der bei Tisch aufwartete, war Brackebusch bereit­willigst aufgesprungen und war so mit Pierrot in den ihm so interessanten Raum gelangt.

(Fortsetzung folgt.)

Wettervorhersagung der Meteor. Zent.-Station. Stuttgart, 22. August. Nachm. 4 Uhr. Trotz der Abnahme des Luft­drucks im Nordwesten wird bei uns unter der Herrschaft des Hochdrucks, dessen Kern jetzt über Oestreich-Ungarn liegt, das Helle u. trockene Wetter verbunden mit große Hitze fortdauern. Doch werden Nachmittags gewitterdrohende Wolken auftreten.

(Auszug aus einer schwungvollen Rede zur Feier des Sedantages.) Der Donner der deut­schen Geschütze auf den Höhen von Wörth war das »83UV6 qui peutz" der französischen Armee.

Wie einst auf den katalaunischen Feldern die Macht des Hunnenherrschers Attila zerschlagen wurde, so wurde auf den Gefilden von Sedan der eiserne Würfel gerollt, welcher über das Schicksal des zweiten Kaiserreichs den Stab brach.

Der gallische Hahn neigte das frevlerische Haupt, ein Blitzstrahl warf seine Kaiserkrone in den Staub, gleichsam des Dichters Wort be­wahrheitend: Die Weltgeschichte ist das Welt­gericht. Der große nationale Gedanke, der Jahrhunderte lang in den Tiefen des Kyffhäusers geschlummert, er raffte sich jetzt auf Sturmes­fittichen auf und setzte sich an den Webstuhl der Zeit; aber was er wob, war nicht das Traucr- gewand der Penelope, sondern die deutsche Kaiserkrone.

(Frech.) Herr: Wissen Sie, das ist doch Unverschämtheit, Sie geben sich als blind aus und sind ja gar nicht blind! Bettler: Ja, lieber Herr, bei den heutigen schlechten Zeiten muß sogar ein Blinder die Augen offen halten!

In der Gewerbe-Ausstellung in N. hing ein Stück Sohlenleder mit einem Zettel daran, worauf geichrieben stand: Dieses Sohlenleder ist von einem inländischen Ochsen verfertigt.

Unteroffizier:Wann bekommt der Soldat eine schwere Brotation?« Soldat:Wenn das Brot nicht ausgebacken ist.«

Telegramme.

Mainz, 22. August. Die Bischofs­konferenz in Fulda beschloß folgende Ver­ordnung zu erlassen: Zur Erinnerung an die göttliche Fügung, welche in den glorreichen Er- reignissen vor 25 Jahren gnädig über unserem Vaterlande gewaltet hat, verordnen wir, daß am 1. Sept. d. I. in allen Kirchen unserer Diöcesen mit dem Hauptgottesdienste ein feierliches Tedeum unter Einläutung desselben am Vorabend ver­bunden werde.

London, 22. August. Das Reutersche Bureau meldet aus Hongkong: Neue Gewalt- thätigkeiten sind bei Futschau in der Provinz Fuhkien verübt worden. Die dortige amerikanische Mission wurde von einer zahlreichen wütenden Volksmenge angegriffen, die mit allerhand Waffen versehen war. Kapelle und Schule wurden zer­stört, vier eingeborene Schüler verwundet. Ein Lehrer, welcher Ausländer ist, entkam. Eine stark fremdenfeindliche Stimmung herrscht unter Bevölkerung Futschaus, welche die Straßen durch­zieht unter dem Rufe:Vertreibt die ausländ­ischen Teufel!«

Portsmouth. 22. Aug. Heute fand hier der Stapellauf des Schlachtschiffes I. Kl. Prinz George« statt, welcher 14 500 t Gehalt hat. Dasselbe ist das größte Schlachtschiff der Engländer.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.