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dann zu erwidern, und zuletzt — ja, wie soll ich das nur erzählen, um es meinen liebenswürdigen, aber gewiß höchst sittenstrengen Leserinnen glimpflich beizubringen? — ja, zuletzt hat sich etwas ereignet, was ich nun und nimmer für möglich gehalten hätte, wenn Hans Brackebusch nicht selbst später es mir mitgeteilt hätte. Da hatte er eines Abends, so im Halbschlummer, in der Dämmerung in der Stube des Obersten gesessen — die Offiziere waren alle abwesend, denn das Regiment stand einen Kilometer vor dem Dorfe in Gefechtsstellung — und hatte eine vom Ober-Kommando aus Corny den Nachmittag eingelaufene, für die Brigade bestimmte Ordre über geplante Veränderung in der Aufstellung der Truppen um Metz soeben kopiert, um sie den Regimentsakten einzuverleihen, da hatte sich ganz leise die Thür geöffnet und ehe Hans sich umsehen konnte, hatten zwei volle weiche Frauenarme sich um seinen Hals geschlungen und ein Paar schwellende Lippen hatten sich so recht hinterlistig von hinten her auf die seinigen gepreßt. Donnerwetter! War mein Hans aufgesprungen und der entfliehenden Frauengestalt nachgeeilt! Aber zu spät, sie hatte die Thür bereits hinter sich in's Schloß geworfen und war die Treppe herunter, ehe er recht zur Besinnung kam. H^rot und mit pochendem Herzen hatte Hans wohl eine halbe Stunde gestanden und auf das Wiedererscheinen der holden Spukgestalt gewartet — allein, wer sich nicht zeigte, war sie, und nur Monsieur hatte endlich hüstelnd und näselnd, als er auf seinen Holzschuhen die Treppe heraufstolperte, gefragt, ob luousieur 1e serAeaut- major was verloren habe. Nein, verloren hatte er nichts, nur etwas gefunden, was? konnte er aber Monsieur Pierrot am allerwenigsten sagen. Und doch hatte der Sergeant Hans Brackebusch, der sonst in allen Dienstangelegenheiten die Pünktlichkeit selbst war, an diesem Abend etwas verloren, was er aber in seiner verliebten Erregtheit gar nicht merkte. Erst als der heim- gekehrte Oberst nach der vom Ober-Kommando eingegangenen Ordre fragte, siel dem Regimentsschreiber seine gefertigte Abschrift ein. Wo war sie nur hingekommen? Er suchte und suchte, aber das Papier fand sich nirgends, und schließlich redete sich Hans ein, daß er es wohl selber in seiner Aufgeregtheit vernichtet habe. Die nächsten Tage gaben Hin- und Hermärsche, viel Unruhe, und eine Weile schien es, als seien auch für den Regimentsstab die schönen Tage von Jussy vorüber. Aber zuletzt blieb doch alles beim Alten, und Keiner war froher, als Hans Brackebusch, daß er auch ferner in der Nähe seiner Angebeteten verweilen konnte. Merkwürdig, er hatte sie seit jenem Abend holdseligen Angedenkens nicht wieder gesehen. Frau Marie Pierrot war am folgenden Tage von ihrem ehrwürdigen Seladon krank gemeldet und dieses Mal dauerte die Krankheit sogar mehrere Tage. Dann ereigneten sich wichtige Neuigkeiten. Es war nämlich den Belagerten erst jetzt zu Ohren gekommen, daß die Stadt Metz ihr Trinkwasser durch eine Wasserleitung in der Nähe von Gorze her beziehe, denn die nächste Umgebung von Metz ist höchst wasserarm und das Wasser der Mosel nur im Notfälle, dann auch nur mit großer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung genießbar. Diese Wasserleitung war, nun man von ihrem Dasein erst Kunde hatte, auch bald von den deutschen Truppen gefunden und natürlich sofort vernichtet, so daß fortab den Belagerten das allererste Bedürfnis des Menschen, frisches gesundes Trinkwasser, fehlte. Freilich, der erfinderische Geist der Franzosen hatte diesen Unfall vorausgesehen und auch im Voraus für Ersatz dadurch gesorgt, daß man Filtrirmaschinen in großem Maße in Metz aufstellte, um so das Moselwasser genießbar zu machen. Aber immerhin herrschte bei den Belagerern ob der Entdeckung und Vernichtung jener Wasserleitung großer Jubel, und alle verfügbaren, in der Nähe befindlichen und nicht gerade beschäftigten Truppen wurden ein paar Tage verwendet, um die aus Granitquadern aufgebaute herrliche Leitung zu zerstören.
Auch an Jussy führten diese Gewölbe, in
denen mehrere Menschen nebeneinander bequem stehen konnten, vorüber, auch die Ter waren mehrere Tage lang mit dem Zerstörungswerk beschäftigt. Das ging Keinem näher als Monsieur Pierrot; nun verlor er auch das absolut notwendige Wasser für seinen Weinberg, und seine mühselig bis hierher durchgebrachte, viel versprechende Ernte war verloren. Man konnte den lauten Jammer des alten Mannes, mit dem er dem Zerstörungswerke unserer Soldaten zusah, wohl begreifen und ihm ein gewisses Mitgefühl nicht versagen — aber was half's? Not kennt kein Gebot und der Krieg hat kein Erbarmen.
Von da ab legte Pierrot die Hände in den Schoß Und sah müßig und verbitrert dem Treiben der deutschen Eindringlinge in seinem Eigentum zu. Desto geschäftiger waltete seine jugendliche Ehehälfte in Küche und Keller und war nach wie vor von zuvorkommendster Liebenswürdigkeit für ihre ungebetenen Gäste. Für alle, nur für einen nicht. Und dieser Eine glaubte doch vor allen Anderen ein Anrecht auf ihr freund- liches Entgegenkommen zu haben. Hatte sie ihn nicht mit ihren weichen runden Armen umfangen, sie ganz allein aus eigenem Antriebe, ohne sein Zuthun? Brannte ihr Kuß ihm nicht noch auf den Lippen? Und nun diese kalte, fast feindliche Zurückhaltung, dieses ruhige Abweisen seiner Annäherungsversuche, die völlig fremde Miene, mit welcher sie seinen fragend auf sie gerichteten Blicken begegnete! Mein Gott, war sie es denn etwa nicht gewesen? Gab es denn außer ihr noch ein zweites weibliches Wesen im Hause und in ganz Jussy?
Im Hirne unseres guten Bcackebusch sing es an zu wirbeln und seine Gedanken verwirrten sich. Hatte er etwa gar den ganzen Auftritt nur geträumt? Fast wollte er sich dazu überreden. Da sollte ihm Gewißheit werden, wie er sie schöner sich nicht wünschen konnte.
Wieder war es in der vorgerückten Nach- Mittagsstunde eines der letzten Augusttage; früh am Morgen war das Regiment alarmiert worden und in Gefechtsstellung gerückt, da man einen Ausfall Bazaine's aus Metz erwartete, der ja auch in diesen Tagen geschah, nur nach einer ganz anderen Richtung als nach Jussy hin. — Der Regimcnlsadjutant hatte Brackebusch und den Ordonanzen zwar befohlen, nach Vorschrift das Bureau des Regiments ebenfalls aufzupacken und mit dem Regimentswagen zu folgen, allein er hatte auch hinzugcfügt: „Nun. zu Abend sind wir doch wieder hier", und Brackebusch glaubte seinen Vorgesetzten nicht mißverstanden zu haben, wenn er aus seinen Worten entnahm: „Mit dem Aufpacken hat es solche Eile nicht."
Also ließ unser guter Hans Brackebusch, dem unnötige Ueberhastung von jeher fremd gewesen war, das Regiment ruhig abziehen und' folgte erst eine Stunde danach mit seinem Planwagen gemächlich in der ihm vorgeschriebenen Richtung; ebenso kehrte er aber im Laufe des Nachmittags lange vor dem Regiment zurück und begann ebenso gemächlich, seine Sachen wieder auszupacken. Und als das geschehen war, hatte er seinen Freund Marketender aufgesucht, um mit demselben ein vernünftiges Wort hinsichtlich seines sterblichen restaurationsbedürftigen Menschen zu sprechen, ehe die Menge der hungrigen Soldaten heimkehrte.
Nun schleuderte er gemächlich in der Dämmerstunde seinem Quartier zu. um an das Ordnen seiner ausgepackten Sachen zu gehen. Keine Menschenseele begegnete ihm, weder im Hose noch im Hause Pierrots, und den Kopf voll Gedanken an die schöne Wirtin schlich Hans Brackebusch .betrübt und still die Treppe zum Bureau empor. Warum war sie, die ihm das eine Mal so entgegengekommen war, nun so ganz und gar unnahbar und unsichtbar für ihn?
Aber welcher Anblick bot sich ihm. als er lautlos die Stubenthür öffnete! Da stand sie. die so sehnsüchtig Herbeigewünschte, das Ziel seiner heißen Liebesgedanken leibhaftig vor ihm. Zwar wandte sie ihm den Rücken, aber jeder Zweifel war ausgeschlossen — sie war es, die schöne Frau Pierrot. Was aber that sie hier? Hans stand vor Ueberraschung und Schrecken
wie eine Bildsäule und gab keinen Laut von sich. Die Französin hatte sich vor den großen Koffer gebeugt, der Regimentsakten barg, und durchforschte den Inhalt. Augenscheinlich suchte sie etwas dort, das sie nicht finden konnte — was konnte das sein? Was konnten die Akten für die Frau, die ja kein Wort Deutsch verstand, für Interesse haben? Ein furchtbarer Argwohn stieg in Brackebusch auf und ihm wie einer augenblicklichen Eingebung nachgebend, trat er mit einem großen energischen Schritt aus die Frau zu und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Madame, was suchen Sie hier?"
(Fortsetzung folgt.)
Infolge einer Wette verzehrte dieser Tage ein anfangs der 20er Jahre stehender junger Mann in dem Zeitraum von 1 Stunde und 3 Minuten eine vollständige Gans im Gewichte von über 5 Pfund samt einer tüchtigen Schüssel voll Salat. Hiezu trank er 2'/s Liter Bier und meinte derselbe, nachdem er die Gans aufgezehrt hatte: So. jetzt hätten wir eine richtige Unterlage, jetzt thät's mir erst recht schmecken. Thatsächlich ließ er sich auch nach einer kurzen Pause eine Portion Kalbsbraten mit Salat bringen, die er mit einem Appetite verzehrte, als ob er noch nüchtern gewesen wäre.
Ein exotischer Gast wird an der Kaiser- Parade der Krieger und Kampfgenossen von 1870/71 am 19. August teilnehmen. Es ist das Herr Berger, der Hof-Kapellmeister des Königs Kalakaua von Honolulu. Sandwichsinseln, der früher bei dem hiesigen Kaiser Franz-Grenadier- Regiment stand. Derselbe ist nach Berlin gekommen, um der Erinnerungsfeier der Krieger beizuwohnen und dem Kaiser vorgestellr zu werden.
Ein vielsagendes Inserat findet sich im „Lang. Anzeiger": „Dem edlen Manne, welcher mich bei meinem letzten Brande vom Tode des Ertrinkens rettete und mich dem nassen Elemente entrissen hat, sage ich meinen besten Dank. N. N."
sUnangenehmes Uebereinstimmen.j A.: „Hast Du mit Hildas Vater gesprochen?" —B.: „Gewiß. Ich sagte: Herr Professor, ich liebe Ihre Tochter wahrhaftig!" — A.: „Und was antwortete er?" — B.: „Das thue ich auch, junger Freund, und nun wollen wir über ein anderes Thema sprechen."
Lieutenant: „Das vorsätzliche Zerstören, Beschädigen oder Preisgeben eines Dienstgegenstandes wird mit Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren bestraft. — Was versteht man denn unter Preisgeben eines Dienstgegenstandes?" — Rekrut: „Wenn der Soldat seinem Schatz untreu wird!"
Telegramme.
Köln, 20. Aug. In der vergangenen Nacht stieß, bei Mehrum am Niederrhein ein Personendampfer mit einem Schleppzug zusammen. Ein Schleppschiff versank, 8 Personen ertranken.
Weil der Stadt, 21. Aug. In dem benachbarten Orte Friolsheim ist gestern Nacht ein Brand ausgebrochen, durch welchen 13 Gebäude (6 Wohnhäuser und 7 Scheunen) eingeäschert wurden. Mehrere Familien sind obdachlos. Dieselben retteten nur mit knapper Not das nackte Leben. Schul- u. Rathaus waren sehr gefährdet.
Göppingen, 21. Aug. Gestern nachmittag verunglückte in Mühlhausen O.A. Geislingen der 36 Jahre alte Steinbruchbesitzer Julius Allmendinger durch eine losgelöste Felsmasse, die ihm die Hüfte zerschmetterte und worauf der Tod folgte.
Newhaven, 21. Aug. Der Dampfer „Lyon" kam gestern abend mit allen Passagieren der Besatzung des englischen Dampfers Seaford, zusammen 297 Mann hier an. Der Seaford von Dieppe nach Newhaven sank nach einem Zusammenstoß mit dem Lyon in Folge eines Nebels. Der Dampfer Lyon erlitt auch Havarie; 4 Personen ertranken.
Redaktion. Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.