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sehr ungünstig. Wenn cs der französischen Expedition nicht gelingt, vor Eintritt der Regenzeit Tamatove zu erreichen — und das ist, nachdem sich sämtliche Kommunikationsmittel als absolut unbrauchbar erwiesen haben, mehr als zweifelhaft — so ist der Erfolg des gesamten Unternehmens in Frage gestellt, abgesehen von den unzähligen Millionen, die diesem neuen Schritt der französischen Kolonialpolitik schon zum Opfer gefallen sind.
Die englische Thronrede hat keinerlei Aufklärungen über die innere noch über die äußere Politik, welche das neue Kabinet einzuschlagen gedenkt, gebracht. Man ist also darauf beschränkt, sich an die alten Ersahrungsthatsachen zu halten, welche jeder konservative Kabinets- wechsel für England mit sich brachte, d. h. eine Verschärfung der Maßregeln gegen Irland, eine Begünstigung der orthodoxen Bestrebungen und viele Temperenzgesetze.
Die Spanier machen ungeheure Anstrengungen. um Cuba wieder zu erringen, welches sich zur Zeit thatsächlich in den Händen der Aufständischen befindet. Die spanische Truppenmacht, welche den Insurgenten vergebens in kleinen Gefechten gegenübertritt, hat trotz der bramarbasierenden Erlasse des Marschalls Martine; Campos nicht einen positiven Erfolg zu verzeichnen, die Reservekräfte des Mutterlandes dürften bald erschöpft sein und noch viel früher dessen Geldmittel. Es bedarf nicht allein erneuter gewaltiger Anstrengungen, sondern vor allem eines gründlichen Wechsels in der Führung der spanischen Truppen, wenn die Insel nicht für alle Zeit verloren gehen soll.
In Cuba ist, wie aus Havanna gerüchtweise gemeldet wird, die Republik ausgerufen worden. Die Nachricht tritt allerdings vorerst noch in ziemlich unbestimmter Form auf, klingt indessen, wenn man sich die momentane politische Lage und die eklatante Hilflosigkeit ver Spanier auf Cuba vergegenwärtigt, ziemlich wahrscheinlich. Der „D. W." wird depeschiert: Havanna, 13. Aug. Via Keywest. General Masso soll, einem hier kursierenden Gerücht zufolge, zum Präsidenten der Republik Cuba erwählt worden ssein. Wo die Proklamation stattgefunden hat und ob durch die heimische Junta, wird in der Mitteilung nicht angegeben.
Ueber die Christenverfolgungen in China wird aus Peking gemeldet: Offizielle Nachrichten kündigen den Erlaß eines kaiserlichen Ediktes an. welches auf den Rat O'Connors hin erlassen worden und an die Gouverneure sämtlicher chinesischer Provinzen gerichtet ist. In demselben werden die Beamten strengstens angehalten, Vorsichtsmaßregeln gegen Agitatoren zu ergreifen, die das Volk durch eitle Gerüchte erregen und zu den Gewaltthaten gegen die Missionen aufrcizen. In Kucheng sind fünf der Haupt-Uebelthäter verhaftet worden und deren Verhör steht unmittelbar bevor.
Newyork, 13. Aug. Bei Springfield in Ohio stürzte eine Brücke ein, als ein Eisenbahnzug dieselbe passierte. 35 Wagen sind wurden zertrümmert. Biele Personen sind getötet oder verwundet worden.
Unterhaltender Teil.
Geistige Begabung.
Zeitgemäße Betrachtungen von Emil Peschkau.
(Fortsetzung.)
Talent ist nicht eine geistige Eigenschaft des Menschen, es ist eine Summe von geistigen Eigenschaften, und nur nach dem verschiedenen Stärkegrad der einzelnen Posten sind die Talente wieder verschieden. In dem einen wiegt die Phantasie vor, in dem andern die Urteilskraft, in dem dritten die Beobachtungsgabe u. s. w. Dabei kann aber naturgemäß die Verschieden, artigkeit nicht so groß sein, daß der strenge Unterschied, den man zwischen kaufmännischen, technischen, künstlerischen Talenten u. s. w. zu machen pflegt, gerechtfertigt wäre. Wer ein wirkliches Talent besitzt, d. h. ein erhebliches Maß aller hauptsächlichen Geistesanlagen, der ist nicht blos zu einem Beruf geboren, er taugt
mindestens für die Hälfte aller Berufsarten, und wenn er richtig erzogen worden ist und die nötige Charakterstärke besitzt, dann wird es nur wenig Felder geben, auf welchen er nicht seinen Mann stellen kann, vorausgesetzt, daß er die erforderlichen Kenntnisse erworben hat oder erwirbt. Nur äußere Momente drängen die Talente in der Regel in eine eng abgegrenzte Laufbahn hinein oder aus einer solchen wieder heraus — wie sehr diese äußeren Momente in der That bestimmend wirken, dafür läßt sich ein überaus drastisches Beispiel gewinnen, wenn man die geistigen Strömungen verschiedener Zeiten mit einander vergleicht. Es ist kein Zufall, daß Italien im sechzehnten Jahrhundert so viel große Maler hatte, daß es in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Frankreich so viele Gesellschaftsverbesscrer gab, daß wir von Klopfstock und Lessing bis zu Schiller, Goethe und den Romantikern so viele bedeutende Poeten hatten, und daß heute das Talent sich zumeist auf dem Gebiete der Technik, der Naturforschung, der Industrie, der Spekulation zeigt. Mag man nun diese oder jene Zeitperiode ins Auge fassen — die großen Talente erscheinen stets auf jenen Gebieten in auffallend großer Zahl, denen die geistige Strömung der betreffenden Periode, die Neigung der Zeitgenossen besonders zugewendet ist. Das Talent kann unter Umständen bis zu einem gewissen Maße den klingenden Lohn entbehren, aber nicht die geistige Atmosphäre, die Anerkennung, das Gefühl, zu wirken, den Widerhall. Einer unserer erfolgreichsten Börsenhelden hat mir einmal in vertraulichem Gespräch sein Bedauern ausgedrückt, daß er nicht vor hundert Jahren gelebt hat. Dann wäre er Dichter geworden! „Und warum sind Sie's nicht geworden?" fragte ich ihn. „Im vorigen Jahrhundert", erwiderte er mit wehmütigem Lächeln, „da war der Dichter ein Gott. Er war ein höheres Wesen, zu dem jeder in scheuer Ehrfurcht ausblickte. Heute sieht man ihn im allgemeinen über die Achseln an, und man respektiert nur denjenigen, dessen Einkünfte über alle Zweifel erhaben sind, das heißt, man respektiert eben die Einkünfte. In Versen darf der Dichter überhaupt nicht mehr kommen, er muß sich in die Prosa verkriechen. Und sehen Sie sich einen unserer bedeutenden Prosaiker an. Welche Stellung nimmt er denn ein, wie viel verdient er denn im Verhältnis zu dem, was viel geringere Talente und viel schwächere Arbeitskräfte auf anderen Gebieten erwerben und in der Oeffentlichkeit bedeuten?" — Der Mann hat recht und es ist durchaus kein Zufall, daß wir nur ein ganz kleines Häuflein bedeutender Schriftsteller haben, und daß diese fast ausschließlich Prosa — Novellen, Romane, Zeitungsartikel und Theaterstücke — produzieren.
Aber auch von anderer Seite her kann man mit Illustrationen zu unserem Falle kommen. ES ist äußerst selten, daß ein talentvoller Mensch wirklich nur eine ganz eng begrenzte Begabung hat, die überwiegende Anzahl aller Talente ist vielseitig. Lionardo da Vinci war nicht blos als Maler ausgezeichnet, sondern auch als Bildhauer, als Dichter, als Musiker, als Architekt und Ingenieur. Auch Michelangelo war nicht blos Bildhauer, sondern Maler, Dichter. Ingenieur und Baumeister. Goethe war Naturforscher, er zeichnete, als Staatsmann kümmerte er sich um die winzigsten Kleinigkeiten der Staatsmaschine und in seinen Schriften zeigt sich, daß ihm überhaupt kein Gebiet menschlicher Thätigkeit fremd war. Einer der kühnsten Finanzkünstler und Geldspekulanten, ein Handelstalent ersten Ranges und zugleich einer der geschicktesten Diplomaten und einer der größten Dichter war Beaumarchais. Der Philosoph Mendelssohn rang sich aus den ärmlichsten Verhältnissen als Kaufmann zum Wohlstand empor. Moltke war nicht blos der größte Feldherr unserer Zeit, er war auch ein großer Schrift- steüer und auf zahlreichen anderen Gebieten begab. Nicht weniger häufig findet sich die Vielseitigkeit unter den Talenten geringeren Ranges, und wenn diese heute meist einseitig werden, so liegt es an äußeren Umständen, an dem Zwang der Brotarbeit oder an der Selbstbejchränkung,
die in unseren Tagen bereits notwendig ge. worden ist, will man Bedeutendes leisten oder sich der Konkurrenz gegenüber behaupten. Auch wenn man über ein Individuum hinausgeht, wenn man die Wege der Vererbung studiert, so findet man innerhalb weniger Generationen in einer Familie oft die erstaunlichste Vielseitigkeit — ich führe nur die Familie Feucrbach an, die einen Maler, einen Juristen und einen Philosophen hervorbrachte — einer jo bedeutend wie der andere.
Wenn nun so viele Leute, die für talentiert gelten, in ihrem Berufe nichts Rechtes leisten und wohl auch über ihren „verfehlten Berus" jammern, so kommt es daher, daß ihnen eben eine Haupteigenschaft fehlt, die zum wirklichen Talent erforderlich ist. Sie besitzen vielleicht Beobachtungsgabe, Gedächtnis. Phantasie, alles, alles, aber es mangelt ihnen die eigentliche geistige Triebkraft, der Arbeitsdrang, die Energie, dieses ewige Feuer in den Adern, das den Hirnkessel beständig heizt und die Lokomotive rastlos über die Schienen sausen läßt. Wenn sie schwatzen, erwecken sie den Eindruck von ganz gescheiten Leuten, aber machen können sie nichts, vor dem Handeln erlahmen sie. Ist ihr Charakter gutmütig, dann geben sie liebenswürdige Gesellschafter. geistreich scheinende Tischgenossen, ist er bösartig, dann enden sie als unerträgliche Krittler, die an allem etwas zu nörgeln haben und die Sonne vor lauter Flecken nicht sehen. Sind sie zufällig Schriftsteller, dann werden natürlich Kritiker daraus.
Doch nun wieder zurück zur Hauptsache. Ich habe diesen Zeilen den Nebentitel „Zeitgemäße Betrachtungen" gegeben, und ich glaube, daß sie ihn nach doppelter Richtung hin verdienen, wobei noch besonders betont werden muß, daß das Gesagte ja nicht blos für das Talent ersten Ranges gilt, sondern durch alle Stufen hinab bis zu dem bescheidensten.
(Schluß folgt.)
VomJagstthal. 3. Aug. Eine komische Ueberraschung wurde einem Reservisten bereitet, der zu einer zwölftägigen Uebung einberufen war. Der Arzt hatte der Frau desselben Lohbäder verordnet und dieselbe das gar zu buchstäblich in dieser Zeit befolgt, indem sie nicht nur den Körper, sondern auch das Gesicht fast täglich mit Lohwasser wusch. Lohwasser färbt nun sehr dunkel und der Reservist wollte in der zur Kreolin umgewandelten Frau bei seiner Rückkehr durchaus nicht seine Gattin erkennen. Es bedurfte vielen Zuredens seiner Nachbarn, bis er zufrieden war. (!)
Professor: „Hören Sie, Treffer, wo schnitt denn eigentlich die Judith dem Holofernes den Kopf ab?" — Primaner: „Vermutlich am Halse. Herr Professor."
(Die Hauptsache.) Photograph: „Ihr Bild ist so hübsch geworden, daß ich mich förmlich darein verliebt habe." — Fräulein: „Sind Sie unverheiratet?"
Telegramme.
Penrith, 15. Aug. Der Kaiser ist heute Nachmittag nach Leith-Roads abgereist, um mit der „Hohenzollern" die Heimreise nach Deutschland anzutreten.
London, 15 Aug. Nach einer Reutermeldung aus Majunga von heute befindet sich General Duchesne auf dem Vormarsch gegen die Howas, welche Kinajy, zwischen Andriba und Antanarrarivo verschanzt haben. 4000 Howas kamen in Bemarivo, 2 Tagemärsche nördlich von Marovoay an, augenscheinlich in der Absicht, den französischen Truppen die Zufuhren abzuschneiden. Infolge dessen ist die Malaria und die Sterblichkeit unter den Franzosen groß.
Paris, 15. Aug. Der ehemalige Napoleonstag (15. Aug.) wurde heute durch ein Festmahl in St. Mande gefeiert. An demselben nahmen etwa 1000 Personen teil. Den Vorsitz führte der Deputierte Cuneo d' Ornario. Derselbe feierte das Kaiserreich und verherrlichte das Plebiszit. An den Prinzen Viktor wurde ein Ergebenheitstelegramm abgesandt.
Redaktion, Druck und Verlag von C.Meeh in Neuenbürg.