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leisten können, erscheint sreilich im Hinblick auf die Anstrengungen, welche für ihn die eventuelle Reise nach Berlin zur Folge haben würde, sehr fraglich.
Der Verkehr auf dem Kaiser-Wilhelm- Kanal hat sich in letzter Zeit von Tag zu Tag gesteigert, wie Kieler Meldungen berichten. Es haben sogar Dampfer privater Gesellschaften gechartert werden müssen, um als Hilfsschleppdampfer zu fungieren. Wenn erst die Zeit der Herbststürme den Weg um den Skagen noch mehr gefährdet, wird die Zahl der den Kanal passierenden Schiffe sicher noch steigen. Außer den deutschen Schiffen befahren vorzugsweise Schiffe aus Dänemark, Schweden und Norwegen den Kanal. Besonders groß ist die Zahl der kleineren Fahrzeuge, welche den Kanal benutzen, es lassen sich davon vier bis sechs auf einmal durchschleppen. Die elektrische Beleuchtungsanlage, welche seit einiger Zeit in Betrieb gesetzt ist, funktioniert jetzt befriedigend, so daß der Kanalverkehr nunmehr auch des Nachts über nicht zu ruhen braucht.
Die Zahlung der von Deutschland geforder- ten Entschädigungssumme wegen der Ermordung des Kaufmanns Rockstroh seitens der marokkanischen Regierung dürfte schon in den nächsten Tagen erfolgen. Sobald dies geschehen sein wird, werden die noch vor Tanger weilenden beiden deutschen Kriegsschiffe „Hagen" und „Marie" die Heimreise antreten.
Berlin, 11. Aug. Die „Nordd. Allgem. Ztg." meldet die thatsächliche Rückberufung des deutschen Geschwaders aus den marokkanischen Gewässern, da die dortige Regierung volle Ge- nugthuung geleistet habe, indem sie die verant- wörtlichen Beamten absetzte und die an der Mordthat Beteiligten bestrafte.
Berlin, 10. Aug. 26 preußische Lieutenants schiffen sich, nachdem sie den Abschied erhalten haben, freiwillig nach Chile ein, um in dem dortigen Heere während zweier Jahre als Lehrossiziere thätig zu sein. Die Abreise erfolgt gegen den 24. August, die Ankunft am Reiseziel ist nicht vor Oktober zu erwarten. Gutem Vernehmen nach werden die Reisenden am 18. Aug. dem Kaiser vorgestellt werden.
Wie verlautet, wird der bisherige türkische Marschall Freiherr von der GoltzPascha endgültig aus dem Dienste des Sultans scheiden und wieder in die preußische Armee eintreten, wo er den Rang eines Generalmajors bekleidet. Die Ursache seiner Rückkehr in die Heimat ist lediglich darin zu suchen, daß die ihm gestellten Aufgaben innerhalb der türkischen Heeresverwalt- ung, namentlich soweit sie sich auf die Heeresorganisation und das militärische Unterrichtswesen beziehen, im Großen und Ganzen erfüllt sind. Frhr. von der Goltz hatte sich zum Eintritt in den türkischen Militärdienst erst entschlossen, nachdem ihm seitens der preußischen Heeresverwaltung bezüglich seines Wiedereintritts in das preußische Heer bestimmte Zusicherungen gemacht waren.
Berlin. Ueber die sittliche Kraft des deutschen Heeres und seine nationale Erziehung sprach der Rektor der Berliner Universität, Dr. Pfleiderer, nebenbei bemerkt ein Würt- temberger, am 3. ds., am Gedächtnistage Friedrich Wilhelms III., folgende schöne Worte: „Jede andere Schule gilt mehr oder weniger nur einem besonderen Wissen und Können. Die Schule des Heeres allein umfaßt den ganzen ungeteilten Menschen, leiblich und geistig; für die Söhne der unteren Stände setzt sie das Werk der Volksschule fort und gewöhnt an Sauberkeit, Pünkt- lichkeit und Ordnung, bei der aus den höheren Schulen hervorgegangenen Jugend bietet sie durch ihre körperlichen Uebungen ein höchst wert- volles Gegengewicht gegen die Einseitigkeit einer gelehrten Bildung, deren ausschließliche Kopfarbeit die Frische und Kraft des jugendlichen Körpers leicht verkümmern läßt. Und bei allen ohne Unterschied erzieht sie zu den Tugenden, welche die Grundlage aller bürgerlichen Gesittung sind, zum Gehorsam, zur Tapferkeit, zum Opfermut und Pflichttreue. Wie leicht versinkt eine Gesellschaft, die nur das Erwerbs- und Genußleben des Friedens kennt, in Materialismus, einem Volk in Waffen aber wird durch den
ernsten Endzweck des Waffendienstes immer aufs Neue die Mahnung nahe gelegt, nicht an die Güter das Herz zu hängen, die das Leben vergänglich zieren. Und von welchem Wert, zumal in unserer Zeit, wo die Bande der gesellschaftlichen Zucht und Ordnung sich allenthalben zu lockern und zu lösen drohen, die Gewöhnung der Jugend an strikten Gehorsam und Achtung der Autorität ist, das ist gar nicht genug zu schätzen. Nicht jede Generation ist so, wie die vor 25 Jahren berufen, in kriegerischen Leistungen dem Vaterlande zu dienen, aber die Gesinnung und Charakterstärke, welche den Sieg im Kriege verbürgt, muß schon im Frieden gepflegt werden und kann auch an den Aufgaben des Friedens sich bethätigen und üben."
München, 11. Aug. Der König und die Königin von Württemberg mit Prinzessin Pauline passierten heute Mittag auf der Rückkehr von Nachod nach Villa Seefeld den hiesigen Bahnhof.
Bonn, 9. Aug. Ein hiesiger Schuhmachergeselle, welcher in Köln eine 1000 »kL betragende Erbschaftssumme erhoben hatte, stieg bei der Rückfahrt in voriger Nacht mit einem auf die 3. Klasse lautenden Billett in ein Kuppee zweiter Klaffe. Als ihm bei der Revision 6 ^ Strafe angedroht wurden, sprang er vor Bonn aus dem in Bewegung befindlichen Zuge und stürzte so unglücklich, daß er sofort tot blieb.
Als ein bedeutender Erfolg für die deutsche Industrie ist es zu bezeichnen, daß bei einer Concurrenz unter 15 Farbenfabriken um die Lieferung von Vs Million Pfund Rotations- Maschinenfarbe p. a. für die New-Iork World nach eingehendsten Versuchen der Zuschlag der renommierten Farbenfabrik von Gebr. Jänecke und Fr. Schneemann in Hannover und Newark bei New-Iork erteilt worden ist. Gleichzeitig muß erwähnt werden, daß dieselbe Fabrik auf der allrussischen Ausstellung für Buchgewerbe in St. Petersburg das Ehren- Diplom, die höchste Auszeichnung erhalten hat.
AusBaden. Eine Zusammenstellung der Obsternte-Aussichten feitens der Großh. Obstbaumschule Augustenberg zeigt deutlich, daß im Großen und Ganzen kaum eine mittlere Obsternte in Aussicht steht. Die Aepfel, welche auch im verflossenen Jahre nur eine geringe Ernte brachten, hatten im Allgemeinen keine günstige Blütezeit, die Birnen dagegen waren von der vorjährigen ziemlich guten Fruchtbarkeit noch etwas erschöpft, Haben aber auch andererseits in vielen Landesteilen, insbesondere im Unterland durch die letzte Winterkälte schwer gelitten, so daß dort heute Tausende der schönsten Bäume ganz oder teilweise abgestorben sind. Aehnlich steht es mit den Pfirsichen und Aprikosen: die Ernte in diesen Fruchtarten fällt sehr gering aus und die Nachfrage nach denselben ist bereits so gestiegen, daß im Mainthal für den Zentner Pfirsiche 120 geboten werden. Auch der Durchschnittspreis von Zwetschgen und Pflaumen wird nur mittelmäßig bis gering sein und nur einzelne wenige Bezirke erfreuen sich guter Ernteaussichten. Aehnlich ist das Verhältnis bei der zu Ende gehenden Kirschenernte gewesen. Wall nüsse und Kastanien haben schon während des Winters schwer unter dem Frost gelitten und auch die Blüte der Wallnüsse verlief nicht unter günstigen Witterungsverhältnissen, so daß auch von diesen beiden nur eine sehr geringe Ernte in Aussicht steht. Die besten Ernteergebnisse liefert auch dieses Jahr wieder das Beerenobst, nämlich im Durchschnitt einen mittleren bis guten Ertrag.
Marktpreise.
Neuenbürg, 10. August.
Butter, V- Kilo.0.90—1.20
Landeier, 2 Stück 12 Kisteneier 6 2 St. 11 ^
Pforzheim, 10. August.
Landbutter, V, Kilo.^ 0.95—1.05
Süßrahmbutter.»-L 1.10—1.20
Landeier 2 Stück.12—14 ^
Kisteneier, 2 Stück.10—12 ^
Stuttgart, 10. August.
Saure Butter, Vr Kilo.1.—
Süße Butter, V- Kilo .... -4L 1.10—1.20 Frische Eier, 10 Stück ..... 55
Kalkeier, 10 Stück ..— —
Ausland.
Kaiser Wilhelm hat am Tage seiner Ankunft in Schloß Osborne u. A. auch den Premierminister Lord Salisbury empfangen und mit ihm eine längere Unterredung gepflogen. Dieselbe soll einen sehr herzlichen Charakter ge- tragen haben. Ueber ihren Inhalt kann man aber natürlich lediglich Mutmaßungen hegen. — In London fand am Donnerstag nachmittag eine Sitzung des Ministerrates statt. Es handelte sich um die Feststellung des Textes der Thronrede bei der am Montag stattfindenden Eröffnung des neuen Parlaments. — Der greise Gladstone hat in der „Käsestadt" Chester eine große Rede über die armenischen Gräuel gehalten und hierbei die Pforte scharf wegen ihrer Haltung in Armenien mitgenommen.
Immer wieder werden aus China neue Ausbrüche des Fremdenhasses der dortigen Bevölkerung gemeldet und weitere Ausschreitungen signalisiert. Eine in Honkong abgehaltene Versammlung hat eine Resolution angenommen, welche tiefe Entrüstung über die stattgehabten Gräuelthaten ansspricht und die chinesischen Behörden beschuldigt, sie hätten wahrscheinlich diese Verbrechen begünstigt. Zugleich wird die englische Regierung scharf getadelt, daß sie den Ernst der Lage in China verkannt und in ihrer Apathie es unterlassen habe, ausreichende Maßnahmen zum Schutze ihrer Unterthanen und zur Bestrafung der Mörder der niedergemetzelten Missionare, Frauen und Kinder zu ergreife». Schließlich bezeichnet die Resolution eine etwaige Geldentschädigung als eine ganz unzureichende Ahndung der begangenen Verbrechen, der Ernst der Lage erheische vielmehr ein schnelles und strenges Vorgehen gegen die Urheber der stattgehabten Metzeleien und Ausschreitungen.
Sofia, 11. Aug. Die Blätter kündigen für die morgige Ankunft des Prinzen Ferdinand von Bulgarien in Sofia einen glänzendem Empfang an.
London, 10. Aug. Nach einer Loyd- Meldung aus Quessant ist der Hamburger Dampfer „Miranda", von Valparaiso kommend, auf dem Jumentfelsen gestrandet und bald darauf gesunken. Das Schicksal der Mannschaft ist unbekannt.
Brest, 11. Aug. Der französische Lugger „Charlotte" traf auf offenem Meere 41 Personen von dem gescheiterten Hamburger Dampfer „Miranda" an. Die Schiffbrüchigen wurden gestern Abend gelandet. Die „Miranda" ist vollständig verloren; der Schiffbruch war durch dichten Nebel verursacht worden.
Anteryattender Jett.
Gin Fremdwort-Gegner.
In einem mittleren Städtchen Hessens, dessen Name nichts zur Sache thut, trat einmal ein alter Herr an den Schalter, um einen Brief hineinzureichen.
„Das ist eine grobe Ungebührtichkeit." so hallt es ihm entgegen, „daß Sie es wagen, mir etwas vorzureichen, das die sprachschänderische Aufschrift trägt: Herrn Legations-Sekretär von Meynern, Villa Grindist, Konstantinopel!" Der Gemaßregelte fuhr erschreckt zurück. „Pardon!" sagte er, „aber seit Jahren habe ich nie anders adressiert."
„Herr, jedes Wort fast, das Sie sprechen, ist ein Schlag in das Antlitz des deutschen Volles!" entgegnete wild die Stimme aus dem Schalter. „Der Brief hätte die Aufschrift tragen müssen: Herrn Gesandtschaftsheimlicher von Meynern, Landhaus Grinds, Konstantinsstadt. Uedrigens ist es unverzeihlich, daß Sie von „Pardon" und „adressieren" sprechen. „Pardon" heißt auf deutsch „Verzeihung", „adressieren" heißt „anrichten". Sie hätten also sagen müssen: Verzeihung, ich habe meine Briefe nie anders angerichtet."
„Verzeihen Sie," bat der alte Herr, „ich wußte das nicht. Das Porto beträgt aber wohl noch so viel wie früher?"
„Sie erwarten doch," klang es zurück, „keine Antwort, wenn Sie von „Porto" reden? „Porto" kenne ich nicht, wohl aber „Traggebühr". Richten Sie sich darnach!"