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im Zwangsweg für 625 000 Mark versteigert worden.

Eine Belohnung von 20 Pfennig gab ein Herr, der am Dienstag auf der Fahrt von Offenbach nach Frankfurt die Summe von 78000 Mark verloren hatte, dem Finder, einem Eisen- bahnschaffner. Hoffentlich klagt der Schaffner auf den gesetzlich ihm zustehcnden Finderlohn.

Das bürgerliche Gesetzbuch.

Wenn es je eine Schwergeburt gab, so ist es die des bürgerlichen Gesetzbuches, das nun endlich so weit entwickelt ist, daß es nach Durch­beratung im Bundesrat und im Reichstag die konstitutionelle Weihe und damit die Rechtskraft erlangen wird. Das deutsche Reich ist weit schneller geschaffen worden, als dieses bürgerliche Gesetzbuch, zu dessen Herstellung der Bundesrat im September 1874, also vor 21 Jahren elf Rechtsgelehrte berief, die, durch weitere Hilfs- kräfte verstärkt, 13 Jahre brauchten, um einen Entwurf herzustellen, der bald als unbrauchbar erkannt wurde. Die Väter desselben waren zu tief im römischen Recht stecken geblieben, als daß ihr Werk den gehegten Erwartungen hätte ent- sprechen können. Auch hatten sie sich von den sozialen Fragen der Gegenwart, die das Rechts­leben stark berühren. gar zu ängstlich fernge­halten. Der zweite, jetzt fertiggestellte Ent- Wurf ist wesentlich verbessert worden. Aber auch hier hat sich die betreffende Kommission allzu peinlich an die bestehenden unzähligen Sonder­rechte angeklammert und stand auch immer noch zu sehr unter dem Banne des römischen Rechtes. Der Reichstag wird daher noch vielfach nachzu­helfen haben, um das Ganze etwas mehr mit neuzeitlichem Geist zu erfüllen und alles veraltete römische Beiwerk auszumerzen. Besonders im Kapitel des Familienrechtes wird dies notwendig sein. Zweckmäßig ist es, daß dem Familien­namen Rechtsschutz verliehen wird und daß man gegen den Klage anstellen kann, der sich unbe­fugt den Namen eines Anderen als Pseudonym beilegt. Bezüglich der Entmündigung geht der Entwurf zu weit, wenn er neben der Trunksucht auchGeistesschwäche" als einen Grund dafür gelten lassen will. Der Begriff der Geistes­schwäche ist ein viel zu allgemeiner, als daß eine so verhängnisvolle Rechtswirkung an ihn ge­knüpft werden dürfte. Eine wesentliche Ver­besserung erfährt in dem Entwürfe das Ver­einsrecht. Er bestimmt, daß alle Vergnügungs-, Gesang-, Turn-, gemeinnützige und wohlthätige Vereine rechtsfähig werden. Sie müssen sich nur, falls sie wenigstens sieben Mitglieder zählen, in das Bereinsregister ihres Amtsgerichts ein­tragen lassen. Vorher erfolgt durch die Ver­waltungsbehörde eine Prüfung der Vcreins- statuten in politischer, sozialpolitischer und reli­giöser Hinsicht. Erhebt die Behörde in letzter Hinsicht Widerspruch gegen die Eintragung, so wird auf dem Verwaltungswege darüber ent­schieden. Was das internationale Privatrecht betrifft, so erkennt der Entwurf das Recht des Heimatstaates in allen Fällen als maßgebend an, in denen es sich um die persönlichen Ver­hältnisse einer Person handelt. Das Anerben­recht wird da bestehen bleiben, wo es schon ein- geführt ist, anderwärts wird es aber nicht ein-. geführt. Es ist Sache der Landesgesetzgebung, dieses Sondererbrecht für den bäuerlichen Grund­besitz zu regeln und weiter zu entwickeln. Das Erbrecht der Verwandten wird in dem Ent­würfe zu Gunsten des Staates beschränkt. Dieser tritt als Erbe ein, wenn der Erblasser weder Erben fünfter Ordnung noch einen Ehegatten hinterlassen hak. Was das Verhältnis zwischen dem Reich und den Bundesstaaten dabei betrifft, so erbt das Reich nur dann, wenn der Erb- lasser die Reichsangehörigkeit besitzt, ohne zugleich Angehöriger eines Bundesstaates zu sein. In allen diesen Beziehungen wird, wie gesagt, der Reichstag noch seine bessernde Hand anzulegen haben, was manche interessante Debatte er­warten läßt.

Württemberg.

Stuttgart, 9. Aug. Seine Maj. der König befindet sich noch auf der Billa See- seld bei Rorschach, begiebt sich aber noch im

Laufe dieser Woche zu der Hochzeit seines Schwagers (des Bruders der verewigten ersten Gemahlin Sr. Maj.) des Fürsten von Waldeck- Pyrmont mit seiner Schwägerin Bathildis, Schwester Ihrer Majestät der Königin, nach dem Schloß Ratiboritz bei Nachod in Böhmen. Ueber die Frage, ob der Raubmörder st er von Waiblingen zu lebenslänglichem Zuchthaus be­gnadigt oder hingerichtet werden soll, ist die Allerhöchste Entschließung erst nach längerer Zeit zu erwarten, da der König von Ratiboritz aus mit der Prinzessin Pauline einen Besuch bei seiner Schwägerin, der Königin-Regentin von Holland zu machen gedenkt.

Stuttgart, 8. August. Dem neuesten Vernehmen zufolge gedenkt Se. Maj. der König von den Hochzeitsfeierlichkeiten zu Nachod am kommenden Sonntag zurückzukehren und wird seinen Aufenthalt wieder in Billa Siefeld bei Rorschach nehmen.

Wiener Blätter berichten über eine Wall­fahrt der Herzogin Margarethe von Würt­temberg zu dem berühmten Wallfahrtsort Mariazell, deren Zweck gewesen sei, anläßlich der Genesung des Herzogs Albrecht von schwerer Krankheit ein kostbares Meßgewand zu opfern, das aus der Schleppe ihres Brautkleides herge­stellt und mit Juwelen reich gestickt ist.

Dem Heilbronner Gemeinderat Huber ist seine Rücktrittserklärung wieder leid geworden. Infolge der letzteren hatte ihn der Oberbürger­meister Hegelmaier auf Grund einer Bestimm­ung des Verwaltungsedikts nicht mehr zu den Gemeinderatssitzungen laden lassen und nun schreibt Huber an den Gemeinderat, er überlasse es diesem zu bestimmen, ob sein eigenes Mandat erloschen sei oder nicht, fügt aber gleichzeitig hinzu, er möchte bis zum Austrag der Ange­legenheit bezügl. der Steinausfuhr aus Heil- bronn resp. der von ihm skhobenen Anschuld­igungen der Steuerhinterziehung durch Heil­bronner Werkmeister und Steinbruchbesitzer noch im Amte bleiben.

Heilbronn, 8. Aug. Nachdem Ge­meinderat Louis Huber sein Entlassungsgesuch las Gemeinderat zurückgezogen hat, wurde er wieder zu den Sitzungen des Gemeinderates eingeladen und wohnte auch der heutigen Sitz­ung unter dem Vorsitze des Oberbürgermeisters bei. Die Sitzung nahm einen durchaus ruhigen Verlauf.

Münsingen, 7. Aug. Die Verhandlungen betr. die Erwerbung eines Militärschieß' Platzes für das XIII. württb. Armeekorps sind dem Vernehmen nach nun endgiltig entschieden und zwar ist das Münsinger Hardt gewählt worden.

Tübingen, 7. Aug. Gestern hatten wir den ganzen Tag über einen orkanartigen Sturm, der an den Obstbäumen großen Schaden an­richtete. Auch von den Kastanienbäumen in der Allee wurden Zweige und Aeste abgerissen.

Stuttgart, 8. August. Kartoffelmarkt am Leonhardsplatz. Zufuhr 200 Ztr., Preis per Zentner 3 50 ^ bis 4 V-L Z. Krautmarkt am

Marktplatz. Zufuhr 800 Stück Filderkraut, 25 ^

bis 30 vkL per 100 Stück.

Ausland.

Wien, 7. Aug. Das Fürstl. Thurn und Taxis'sche Schloß in Pilsen steht in Flammen.

Einem Bericht aus Alt-Aussee zufolge unter­hielten sich Fürst Hohenlohe und Graf Goluchowskr am Sonntag sehr heiter über die anläßlich der ersten Verfehlung gezeitigtensauren Gurken." Die Hauptpunkte der Unterredung bildeten die bulgarische und die macedonische Angelegenheit. Prinz Ferdinand habe angezeigt, datz er nach Sofia zurückkehren werde. Aus Maeedonien liegen, wie zur Sprache kam, be­ruhigende Nachrichten vor. Es ze'gte sich in allen Fragen eine vollständige Uebereinstimmung.

Das Gesamtresultat der französischen Gene- relratswahlen liegt jetzt vor; die Republiklaner haben 90 Sitze gewonnen.

Sofia, den 6. August. Die Ansprachen des Bischofs Clement haben eine große Ent­täuschung der bulgarischen Bevölkerung über den Erfolg derDeputation" in Petersburg hervor- gerufen. Clement sprach auf dem Balkon der

Heiligen Synode", wurde aber von dem Prä­sidenten der Sobranje, Teodoroff, unterbrochen, als er auf den Prinzen Ferdinand übergehen wollte. Das Schicksal des Letzteren scheint ent­schieden zu sein. Die Zeitungen Zankoffs und Karaweloffs haben bereits einen anlidynastischen Feldzug eröffnet. Zankoff schlägt einen neuen Kandidaten für den bulgarischen Thron vor. Es wird als abgemacht betrachtet, daß Prinz Ferdinand, wie ehedem Prinz Alexander von Battenberg, zu Gunsten des bulgarischen Volkes abdanken werde. Die Sobranje werde, um völlige Aussehnung mit Rußland zu erzielen, kein Interregnum eintreten lassen und diesmal weder einen Prinzen ans den fürstlichen Häusern Deutschlands noch einen Prinzen der lateinischen Raffe in Vorschlag bringen, sondern den Prinzen Georg von Griechenland, der das Leben deS jetzigen Zaren gerettet habe und beim russischen Hofe in besonderer Gunst stehe. Die Rückkehr des Prinzen Ferdinand nach Sofia wird demnach als aufgegeben betrachtet. Das Resultat der bulgarischen Deputation" dürfte ein alsbald bevorstehender Thronwechsel unter Rußlands Einfluß sein, falls nicht seitens der übrigen Mächte Einspruch gegen ein einseitiges Vorgehen Rußlands erhoben wird.

London, 7. Aug. Das Kabinet Rose­ber y hat, bevor es aus dem Amte trat, Papier­lieferungen für 140 000 Pfd. St. abgeschlossen, davon mit deutschen Häusern.

New-Jork, 7. August. Die hiesige cubanischeJunta" hat eine direkte Drahtung aus Havanna erhalten, nach welcher bei Baracoa zwischen den spanischen Truppen und Den Insur­genten eine Schlacht statlgefunden hat, in welcher General Sandoval, einer der spanischen Befehls­haber, verwundet worden ist. Ferner soll die Stadt Baracoa und der Ort Jiguani (letzterer in der Nähe von Bayamo gelegen) in Asche gelegt worden sein.

Unterhaltender Heil.

Wohnt dem Kopfe eines Guilloti­nierten eini-e Zeit «ach der Ent­hauptung Bewußtsein inne?

(Nachdruck Verbote».)

Die vorstehende Frage ist heute noch immer wissentschaftlich unentschieden, und wenngleich einige Erforscher dieser in mancher Hinsicht wichtigen Angelegenheit sich für die Bejahung aussprechen und eine Meinungsverschiedenheit unter ihnen nur in der Länge oder besser ge­sagt Kürze der Zeit, in welcher Intelligenz noch in dem abgetrennten Haupte wahrzunehmen ist, besieht, so sind andere Gelehrte entgegengesetzter Meinung.

Der Advokat Dominique, welcher den voll­ständig überführten Mörder des französischen Priesters Fricot, Abb6 Bruneau, während der Gerichtsverhandlungen verteidigte, versuchte das Geheimnis zu ergründen oder doch wenigstens das Rätsel einer Lösung näher zu bringen, in­dem derselbe den Miffethäter dazu bestimmte, ihm durch ein Zeichen mit den Augen sofort nach der Enthauptung mitzuteilen, daß er oder vielmehr sein Kopf noch Bewußtsein besäße, und wir verdanken die nachfolgenden höchst interes­santen und wahrheitsgetreuen Daten den uns gütigst übersandten Aufzeichnungen eines intimen Freundes des genannten französischen Rechtsan­waltes.

Einige Tage vor der Hinrichtung erhielt der Direktor des Gefängnisses in Laval, in dem Abbe Bruneau saß, einen Befehl, welcher vom Präsidenten der Republik unterzeichnet war, Herrn Dominique eine Unterredung ohne Zeugen mit dem Mörder zu gewähren. Als die Zellen- lhür sich hinter dem Advokaten geschloffen yatle, begann dieser seine Rede:Ich komme, um mit Ihnen, Bruneau, sehr aufrichtig über eine höchst wichtige Angelegenheit zu sprechen, welche mich schmerzlich berührt und furchtbar zu dis­kutieren ist; aber Sie sind ein Mann von mehr als gewöhnlicher Intelligenz, und ich weiß, daß Sie außerordentlichen moralischen Mut besitzen. Meine Aufgabe, Sie von der Vollstreckung oeS Todesurteils zu retten, ist nicht von Erfolg ge-