530

krönt worden, und somit bitte ich Sie. sich einem Experiment zu unterwerfen, das. wenn es von Erfolg begleitet wird, eine der überraschendsten Thatfachen unserer Zeit repräsentiert. Sie sind, wie ich, ein wissenschaftlich gebildeter Mann, und wir wissen beide, daß das Problem, ob eine Empfindung im menschlichen Gehirn auch nur eine Sekunde nach der gewaltsamen Abtrennung des Kopfes vom Rumpfe zurückbleibt, eines der­jenigen ist, welches die Gelehrtenwelt stets sehr erregt hat. Dieses Rätsel ist niemals endgiltig gelöst worden, wohl hauptsächlich aus dem Grunde, weil die der Guillotine Verfallenen, welche die dazu notwendige geistige Kraft und Einsicht be- saßen, es zu können, niemand hatten, der sich mit ihnen in der gleichen Absicht verbinden konnte oder mochte, während solche, mit denen die Aerzte experimentieren wollten, meistenteils schon vor­her halb durch die Furcht getötet waren; in Ihnen aber Brüneau, sind Intelligenz und Mut vereinigt."

Was verlangen Sie von mir?" erwiderte der Verurteilte bleich wie ein Toter in höchster Erregung.

Ich wünsche im Interesse der Wissenschaft nach der Exekution mit Ihnen zu reden. Ich wünsche von Ihnen mittelst eines vorher unter uns abgemachten Zeichens benachrichtigt zu werden, daß Ihr Gehirn befähigt ist, zu verstehen, was ich sagen werde, folglich sich eine Gedankenfolge in Ihrem Geiste vorfinden muß und der Schlag des Messers der Guillotine nicht sofort Ihre Willensstärke vollständig beendigt, Ihre Fähig­keit, eine an Sie gerichtete Frage zu beantworten, nicht erschüttert hat, vorausgesetzt, daß dieselbe eine Sekunde nach der Abtrennung des Kopfes vom Rumpfe geschieht. Es ist eine furchtbare Aufgabe, welche beinahe an Unmenschlichkeit streift, aber denken Sie an den unvergeßlichen Dienst, den Sie der Wissenschaft für alle Zeiten leisten."

Der Abbe ging ein Weilchen in höchster Aufregung, aber schweigend in seiner Zelle auf und nieder, denn selbst seine bei dem Verbrechen bewiesenen eisernen Nerven verließen ihn. in dieser schrecklichen Lage. Endlich stand er vor dem Rechtsanwalt still und sprach mit fester Stimme:Also Sie wünschen von mir, daß mein Kopf zu Ihnen spricht?"

Nein, nicht sprechen, nur ein Zeichen des Verständnisses geben, denn die schnelle Blut- entlecrung verhindert wahrscheinlicherweise die physische Form des Hauptes so rasch, daß ein Sprechen zur Unmöglichkeit wird, aber viel- leicht ist die Hämorrhagie relativ so langsam, daß Muskelbewegungen des Gesichts nicht dadurch verhindert werden können."

Worin besteht nun Ihr Plan?" fragte Brüneau.

Darin, daß ich bei Ihrer Enthauptung neben dem Scharfrichter Deibler stehe und ehe das Messer der Guillotine fällt, Sie so deutlich, daß Sie es hören können, auf unseren Vertrag aufmerksam machen werde. So wie das Urteil vollstreckt ist, hebe ich dann Ihren Kopf bis zur Höhe des meinigen und werde sagen:Ant­worte, antworte!" Wenn Sie noch in jenem Augenblick Besinnung haben und meine Worte verstehen, so werden Sie Ihre Augenlieder ein- oder zweimal erheben, und haben durch diese beiden Bewegungen mehr für die Wissenschaft gethan als irgend ein Mensch, welcher vor Ihnen gelebt hat. Wollen Sie dies thun?"

(Schluß folgt.)

(Die Zahl der Sommertage.) Der seit etwa 12 Tagen erfolgte Umschlag in der Witterung sowie die in der Nacht zum letzten Montag ein­getretene starke Abkühlung legte die Frage nach der Zahl der Sommertage in diesem Jahre nahe. Darauf ist zu bemerken, daß bis Ende Juli 24 Sommertage zu verzeichnen gewesen sind, d. h. also 6 weniger, als die normale Zahl (30) verlangt. Um die für ein gutes Weinjahr erforderliche Anzahl von 40 Sommer­tagen zu erreichen, fehlen bis heute noch 16, so daß die Sonne, wenn sie ein gutes Gewächs in dem 1895er zeitigen will, sich auch noch ge- hörig anstrengen muß. Hoffen wir das Beste! Daß ein Sommertag die Wärme von 20 Grad

U oder 25 Grad 0 erreichen muß, setzen wir als bekannt voraus.

(Wo und wann hat Wilhelm I. zum ersten MalDie Wacht am Rhein" gehört?) Kürzlich ging unter den von Tag zu Tag zahlreicher auftauchenden Kriegserinnerungen die Mitteilung durch die Presse, König Wilhelm habeDie Wacht am Rhein" zum ersten Mal am 15. Juli 1870 auf der Fahrt von Ems nach Berlin und zwar in Burg bei Magdeburg gehört. Hierzu schreibt ein Lehrer, Herr W. Krone in Rath bei Düsseldorf, denDüsseldorfer Neuesten Nach­richten": König Wilhelm hatDie Wacht am Rhein" schon viel früher gehört. Im Jahre 1861 kam derselbe bei Gelegenheit der Herbst­manöver nach den Rhcinlanden. Während seines Aufenthaltes im Schlosse zu Bernrath durfte der niederrheinische Lehrer-Gesangverein, unter Leitung des Seminar-Musiklehrers Eickhoff aus Mörs, dem Könige einige Lieder vortragen. Unter diesen Liedern war auchDie Wacht am Rhein". Ob bei diesem Anlaß der König zum ersten Male das Lied gehört hat, weiß ich nicht, jeden- falls aber hat dasselbe schon damals seinen Ein­druck nicht verfehlt, denn die Lehrer mußten es dem Könige zweimal vortragen.

Ein berühmter Patient, dessen Leidens geschichte bereits vor 20 Jahren in zahlreichen medizinischen Monographien, sowie auch in dem weitverbreiteten Buche von KußmaulDie Sprache", eingehend beschrieben worden ist. wurde am Mittwoch auf der Klinik des Prof. Mendel zu Berlin vorgestellt. Der Mann, von Beruf ein Schneider, hatte vor 21 Jahren einen Schlaganfall erlitten. Nachdem er das Bewußt­sein wiedererlangt hatte, zeigte sich bei ihm neben der gewöhnlichen halbseitigen Lähmung ein eigentümlicher Ausfall der Sprache, den man motorische Aphasie nennt und wie man ihn in dieser Reinheit damals zum ersten Male zu Gesicht bekommen hatte. Jetzt nach Verlauf von 21 Jahren hat sich die Sprachstörung durchaus nicht gebessert, weshalb man annehmcn muß, daß in der linken Gehirnhälfte ein Defekt an der Gehirnsubstanz vorhanden ist. weil man schon einmal in einem analogen Falle einen ähnlichen Befund durch die Sektion festgestellt hatte. Unser Kranker stößt auf die an ihn ge­richteten Fragen nur Laute, wie ta-ta-ti-ti-ki-ki aus, obgleich er wohl versteht, was man zu ihm spricht. Denn sein Denkvermögen (loKos) ist in Ordnung, auch die Nervenleitung und der Sprachenapparat funktionieren, ausgefallen allein ist das Sprachenzentrum, d. h. die Fähigkeit, dem Begriffe gemäß, Worte zu bilden. Da er sich durch die Sprache nicht verständigen kann, so that er es durch die Schrift; er schreibt aber mit der linken Hand, da sein rechter Arm ge­lähmt ist. In seinem Haushalte besorgt er sich alles allein, so daß er trotz des hohen Alters von beinahe 70 Jahren und seines Gebrechens jeglicher Stütze entbehren kann.

Vom Lande, 3. Aug. ImElsässer" lesen wir folgende Schnurre: Ja, unsere Dienst­boten! s'Lenele, das in d'rKrone" dient, hat schon furchtbar viel Gläser und Geschirr zerschlagen. Doch seit 14 Tagen geht's besser; keinBruch" mehr. Darüber hat derKronenj- wirt große Freude. Heute bei Tisch sagte er zu ihm:Lenele, es frait mi, daß di jetzt besser zamme nemmsch, zitier 14 Daa hesch nix meh verbräche."Oh, lewer Herr", seufzte die Lene,i mueß jetzt au sage, warum. Ich Hab welle de Ferdinand, de G'schirrhändler, hirote, un er hält' m'rs au verspräche g'hätt. Jetzt hirot er 's Sälmel üs d'r Mctz'g: jetzt verheij i zaleid au ken G'schirr meh. Er soll nix meh an mir verdiene." (Str. P.)

(Eine seltsame Erkrankung der Hände und Arme) hat sich in einigen Gegenden der Mark unter den Landleuten gezeigt. Tie besteht in merkwürdigen geschwulstartigen Anschwellungen an den bezeichneten Gliedern, ohne daß die davon Betroffenen zunächst wußten, wodurch sie sich das Leiden zugezogen. Die ärztlichen Unter­

suchungen haben nun ergeben, daß die betreffen, den Landleute mit Verletzungen bezw. kleinen Wunden an den Händen, wie sie gerade die ländlichen Arbeiter so leicht und häufig sich An­ziehen, auf den Aeckern Kunstdünger ausge­streut haben, welcher Chilisalpeter und Kalisalze enthalten hat. Diese Stoffe, die. wenn sie ins Blut gelangen, äußerst gefährlich wirken, sind durch den Kunstdünger in die offenen Verletz­ungen der Landlcute eingedrungen und haben an den Händen und Armen Entzündungen der Lymphgefäffe und damit Blutvergiftungen her­vorgerufen, welche in mehreren Fällen die Amputation der erkrankten Gliedmaßen notwendig machten. Es wird daher auf Grund dieser Feststellungen von ärztlicher Seite dringend ge­mahnt, mit den sogenanntenKunstdüngern" äußerst vorsichtig umzugehen und bei der ge­ringsten Verletzung an den Händen keinen solchen auszustreucn, oder mindestens nicht mit der Hand zu berühren.

(Der Einfluß der Elektrizität auf das Wachstum der Pflanzen), ein Gegenstand, der vielleicht noch von der größten Bedeutung wer­den kann, beschäftigt fortdauernd unsere Natur­forscher. Neuerdings hat, wie wir durch das Intern. Patentbureau von Heimann u. Co. in Oppeln erfahren, Professor Chodat in Genua über Versuche berichtet!, die er mit Bohnen an­stellte und zwar in der Weise, daß er dieselben in mit Wasser gefüllten Glasgesäßen keimen ließ. So war er im Stande, die Wurzelbild­ung genau zu beobachten und es ergab sich, daß unter dem Einfluß des elektrischen Lichtes die Keimung schon am zweiten Tage begann, wäh­rend sich sonst erst am siebenten Tage die ersten Spuren der Keimung zeigten.;

(Besorgt.)Sie sollen Ihrem Nachbar eine solche Ohrfeige gegeben habe, daß er heule noch geschwollen ist was haben Tie darauf vorzubringen?"Ich biltte um ein rasches Urteil sonst schwillt der Mensch aus Bosheit immer weiter! (Fl. Bl.)

(Exakte Wissenschaft.) Hauslehrer (der kleinen Baronin): Um Ihnen nun eine Vorstellung von den Entfernungen der Gestirne zu geben, will ich Ihnen erzählen, daß ein Eisenbahnzug mehr als dreihundert Jahre gebrauchen würde, um von der Erde bis zur Sonne zu gelangen. Baronesse: Ist das schon mit Aufenthalt auf den Stationen?

Viersilbige Charade.

2 3 4 ist 3 4 von 3 4,

3 4 von 2 3 4 ist das Ganze,

2 3 4 von 3 4 ist ebenfalls das Ganze.

Telegramme.

Berlin, 8. Aug. Die Einnahmen an Kanalabgaben und Schleppgebühren im Kaiser Wilhelm-Kanal betrugen im Juli 63 181 »il ! Während sie in der ersten Juliwoche 11 766 ^

betrugen, stellten sie sich vom 28. Juli bis > zum 30. August 21 027 »lL

Köln, 8. Aug. Die Stadtverordneten bewilligten heute einstimmig 30 000 Mark für die Sedan fei er. Beschlossen wurde für den 1. September die festliche Beleuchtung der städtischen Gebäude und Beflaggung, sowie für den 2. Septbr. eine Festfeier auf dem Gürzenich. Für jeden hier wohnenden Mitkämpfer aus den Kriegsjahren 1864, 1866 und 1870 wird ein Ehrensold von 5 bestimmt für Hilfsbedürftige außerdem giebt es eine besondere Unterstützung.

Honkong, 8. August. Eine wütende Volksmenge griff gestern nachmittag die eng­lischen und amerikanischen Missionen in Fatsch an bei Canlon an und zerstörte die Krankenhäuser. Einige Missionare entflohen nach Schamin. andere blieben. Ein chinesisches Kanonenboot ist zur Herstellung der Ordnung abgesandt. Das Gerücht geht, alle Missionen der Provinz Kwangtung würden bald zerstört, alle Missionare nach den offenen Häsen ver­trieben werden. Der Vegetarierbund, jetzt 12000 Mann stark, wohlbewaffnet und organisiert, ist fähig, den chinesischen Truppen zu widerstehen.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.