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weibliche Zuchttiere nicht mit denselben Fehlern im Hinblick auf die Vererbung behaftet seien, sondern es sollte wenigstens der eine Teil mög- lichst rasserein sein. Bei der Vergebung der Farrenhaltungen sollten die Gemeinden mit größerer Sorgfalt Verfahren und weniger auf niedere Angebote, als darauf sehen, daß die Farrenhaltung in solche Hände kommt, die den Anforderungen zu entsprechen vermögen. Redner empfiehlt den Gemeinden darnach zu streben, entweder den Regiebetrieb für die Farrcnhalt- ung nach und nach einzurichten, oder aber wenigstens die Farren ins Eigentum der Ge­meinden zu übernehmen und führt Beispiele von einzelnen Bezirken an. wo sich der Regiebetrieb sehr bewährt habe. Was die Beschaffenheit der Tiere anbelangt, so müsse von einem schönen Tier verlangt werden, leichter kurzer Kopf, feine Haare und feine Haut, sanftes, gutmütiges Auge, schöner, nicht allzudicker Hals, möglichst gerade Rückenlinie, keinen Senkrücken und nicht über­baut, tiefe und breite Brust, schön gewölbter Leib und richtige Stellung der Hinteren Schenkel- partieen und der Füße. Bezüglich der Gründ- ung einer Biehzuchtgenoffenschaft ist Redner der Ansicht, daß solche sich mit Erfolg durchführen lasse. Nach seinen Wahrnehmungen seien zwar bis jetzt noch wenig geeignete Tiere vorhanden, aber eine Zuchtgenossenschaft werde eine Ver­mehrung solcher Tiere herbciführcn. Man werde überhaupt mehr erreichen, wenn man für den Anfang lieber weniger, aber nur schöne Tiere aufnehme, also zuvor eine sorgfältige Auswahl treffe. Auf dieser Basis solle man weiter bauen und die Fortschritte hauptsächlich in der Nach­zucht suchen. Zum Schluß kam Redner noch auf die Beschaffenheit der Stallungen zu sprechen und gab beherzigenswerte Winke und Anleitungen darüber, wie die Stallungen im Allgemeinen und die Viehstände im Besonderen beschaffen sein sollen.

Einen recht zeitgemäßen Vortrag hielt als­dann Oberamtsbaumwart Weiß von Otten­hausen über die Behandlung der Bäume, die von der Kälte gelitten haben. Der lang an­haltende und schneereiche Winter habe größeren Schaden herbeigeführt, als der Winter 1878/79. Bemerkenswert sei die große Verschiedenheit im Frostschaden und es werde die Ursache wohl auf den trockenen Jahrgang 1893 zurückzuführcn sein. In dem nassen Jahrgang 1894 seien die Bäume vorzeitig von Blattfallkrankheiten be­fallen und teilweise krank in den Winter ge­bracht worden, so daß die Widerstandsfähigkeit abgeschwächt gewesen sei. Die Behandlung der erkrankten Bäume erfordere viel Aufmerksamkeit und mache manche Arbeit notwendig, die Redner in 3 Abteilungen zu bringen sucht:

1. jüngere Bäume, die erst in den letzten Jahren gepflanzt wurden und von denen viele in den Kronen vollständig und im oberen Teil des Stamms abgefroren sind. Ein Ausrangieren solcher Bäume würde ein Fehler sein, weil sich auf zweierlei Art ein Baum wieder erziehen lasse. Ent­weder werde der kräftigste Zweig der am gesunden Teil des Stamms zum Vorschein kommt und das Bestreben hat, gerade in die Höhe zu wachsen, angebunden und da­raus ein Stamm gebildet, oder aber werden im kommenden Frühjahr der Stamm bis auf das vollständig gesunde Holz abge­schnitten, ein Propfreis aufgesetzt und da- durch ebenfalls wieder ein Baum erzogen. In beiden Fällen habe man Sorge zu tragen, daß der junge Trieb oder das Propfreis gut angebunden und sorgfältig vor Wildfraß geschützt wird. Auch sei von Wichtigkeit, die entstehende Kopfwunde durch Baumsalbe oder Baumwachs so zu schützen, daß kein Wasser eindringen könne;

2. solche Bäume, wo der Stamm gesund ge­blieben ist, wo aber die Kronen bis zum Stamm abgefroren sind. Hier seien die dürren Aeste bis auf das gesunde Holz zurückzusägen und die Schnittflächen vor Fäulnis sorgfältig zu schützen. Aus den kräftigeren Schossen wäre dann im kom­menden Jahre die Baumkrone wieder zu erziehen;

3. diejenigen Bäume, die im Stamm und in einem Teil der Krone gesund geblieben sind, wo aber ein einzelner Ast abge- froren ist. Hier muß alles trockene Holz ausgeschnitten werden und wenn die Baum­krone lückenhaft oder gar einseitig zu wer- den droht, empfiehlt es sich, auch die ge­sunden Zweige so einzuschneiden, daß die Möglichkeit vorhanden ist, Zweige heran- zuziehen, die mit der Zeit diese Lücken wieder ausfüllen.

Mit Rücksicht darauf, daß ein großer Teil der geschädigten Bäume spitzendürr geworden und in vielen Fällen die Kronenzweige bis zur Hälfte der Länge abgestanden sind, empfiehlt Redner, die vorbezeichneten Arbeiten soweit mög­lich noch während der Zeit der Belaubung der Bäume vorzunehmen, weil nach erfolgter Ent­laubung da und dort noch dürres Holz stehen bleiben kann, das den schädlichen Insekten ein willkommener Aufenthalt sein würde. Solche Bäume, die vollständig oder doch bis zum Wurzelhals abgefroren sind, sollten entfernt und durch baldige Neupflanzung ersetzt werden. Eine absolute Notwendigkeit sei die Düngung der Bäume, um eine rasche Kräftigung herbeizu­führen. Diese Düngung habe in geeigneter Weise zu erfolgen. Der Dung sei nicht so nahe am Baum, sondern möglichst an die äußersten Spitzen der Wurzeln durch Graben von Löchern in den Boden zu bringen. In einem Schluß­wort kam Redner im Hinblick auf den heurigen Obstausfall und die hiedurch notwendig werden- den großen Ausgaben für Getränke auf Surogate für Mostbereitung zu sprechen und brachte das früher gebräuchlich gewesene Obstdörren in obst­reichen Jahren in Anregung, um in obstarmen Jahren aus dem Dörrobst ein Getränke bereiten zu können. Auch empfiehlt Redner die Pflanz­ung von Obstbäumen, deren Früchte zum Dörren vorzugsweise geeignet seien.

Der dritte Gegenstand der Tagesordnung war ein Referat des Vereinssekretärs Kübler über Hagelversicherung und über die vom Staat getroffene Einrichtung zur Erleichterung der Hagelversicherung. Einleitend bemerkte Redner, daß diese Versicherung im Bezirk noch keine größere Verbreitung gefunden habe, ein Um­stand, der auf die geringe Hagelgefahr zurück­zuführen sei. Das laufende Jahr sei aber wohl geeignet, unsere Aufmerksamkeit auch auf die Hagelversicherung zu lenken, denn Hagelschläge von solcher Ausdehnung und von solch ver­heerender Wirkung wie Heuer seien lange nicht mehr dagewesen, und selbst in den Nachbar­bezirken Calw und Nagold habe der Hagelschlag großes Unheil angerichtet und ungeheuren Schaden verursacht. Das Los dieser Hagelbeschädigten sei betrübend. Die Bestellung der Felder war beendigt, die Arbeit gethan, mit frohen Hoff­nungen und guten Erwartungen konnten die Leute der Ernte entgegensehen; da auf einmal greift eine höhere Macht in die Geschicke der Beschädigten ein und ein Hagelschlag vernichtet alle ihre Hoffnungen, so daß die ganze mühsam, im Schweiß ihres Angesichts verrichtete Arbeit verloren ist. Bei solchem Ungemach müsse der Wunsch laut werden, Vorsorge zu treffen, um sich gegen die Folgen des Hagelschlags zu sichern. Eine sorgsame Bestellung und Pflege der Felder genüge eben leider nicht, um sich eine gute Ernte auch zu sichern. Man könne durch eine ver­ständige sorgsame Kultur vieles zum Gedeihen der Früchte beilragen, aber dem Hagelschlag stehe man machtlos gegenüber und es gebe nur das eine Mittel, um sich vor den Folgen zu sichern, die Versicherung. Die Schaffung einer staatlichen Organisation für die Hagelversicher, ung sei eine alte Forderung der Landwirtschaft, aber wie diese Organisation zu schaffen sei, da­rüber giengen die Meinungen auseinander, weil die große Verschiedenheit in der Hagelgefahr der einzelnen Bezirke einer einheitlichen Regelung entgegenstanden. Neuerdings habe nun die K. Staatsregierung die Frage in einer Weise ge­löst , die wohl die meisten befriedigen dürfte. Die Regierung habe nämlich mit der nord­deutschen Hagelversicherungs-Gesellschaft eine Vereinbarung über die Regelung der Hagel- Versicherung in Württemberg in der Hinsicht

getroffen, daß die Gesellschaft verpflichtet wird, jeden Versicherungssuchenden in Versicher­ung zu nehmen und daß der Staat finanziell sich an den Versicherungsbeiträgen beteiligt. Nach, dem Redner einzelne Bestimmungen für den Schadenfall und das Abschätzungsverfahren der Gesellschaft vorgetragen gieng er über zu den Prämien und Nachschußzahlungen. Die auf Grund der Hagelstatistik festgesetzten Grund­prämien der Gesellschaft betragen von je 100 Mark Versicherungssumme für Gräsereien rc. 40 für Halmfrüchte rc. 60 für Dinkel rc. 70 «Z. für Erbsen, Bohnen rc. 80 für Oel- früchte, Mais rc. 1 oöL 30 u. s. w. Dazu komme noch ein Zuschlag von 10 °/o zum Re­servefonds der Gesellschaft. Die Prämien seien zwar gering, aber als eine große Belästigung werde die sogen. Nachschußpflicht empfunden, die darin besteht, daß im Falle der Unzulänglichkeit der Prämien gegenüber den Schadensvergütungen die Versicherten zu weiteren Prämienzahlungen herangezogen werden. Gerade bei dieser lästigen Nachschußpflicht habe nun die K. Staatsregier­ung den Hebel der staatl. Unterstützung einge­setzt, indem ein Landesfonds gegründet worden sei, zu dem der Staat jährlich 160000 »kL und die Versicherten 30°/» der Grundprämien bei­tragen. Damit sei die Nachschußpflicht den Versicherten abgenommen und auf diesen Landes­fonds übertragen. Die Belastung der Versicherten sei hienach eine geringe; so z. B. ergebe sich bei den Halmfrüchten für je 100 ^ Versicherungs­summe folgende Berechnung:

Grundprämie.60 ^

10°/» Beitrag z. Reservefond der Gesellschaft 6 ^ 30°/» zum württb. Landesfonds. 18 L

also bei 100 Wert zus. 84 ^ Zum Schluß spricht Redner die Bereitwilligkeit der Vereinsleitung zu jeder Auskunftserteilung und zur Vermittlung etwaiger Versicherungs­anträge aus.

Die Vorträge wurden von den Anwesenden mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und sehr beifällig ausgenommen. Der Vorsitzende, Herr Oberamtmann Maier sprach in warmen Worten den Rednern den Dank der Versammlung aus und leitete nach jedem Vortrag eine Debatte ein, die eine lebhafte gegenseitige Aussprache einer ganzen Reihe von Rednern herbeiführte und den Zuhörern noch manchen guten Wink mit auf den Weg gab.

Pforzheim, 6. Aug. Die Frage einer würdigen Gedenkfeier an den Krieg 1870/71 beginnt immer mehr ihrer Lösung entgegenzu­gehen. Wie man hört, soll seitens der Stadt selbst die Veranstaltung eines größeren Festes angeregt werden. Bis jetzt ist in Aussicht ge­nommen der Samstag 31. August und Sonntag der 1. Sept. An besagtem Samstag abend soll ein Zapfenstreich stattfinden. Der Sonntag darauf wird mit Böllerschüssen, Läuten der Glocken und Reveille eröffnet. Kränze sollen niedergelegt werden am Kaiserdenkmal und am Kriegerdenkmal, das besonders bekränzt wird, sowie auf dem Kirchhof. Abends soll ein großes solennenes Festbankett stattfinden. Noch diese Woche wird ein größerer Ausschuß, zu dem auch die Vorstände der bedeutenderen Vereine zuge­zogen werden, zusammentreten, um Endgiltiges zu beschließen.

Pforzheim, 6. August. (Correspond.) In einer großen sozialdemokratischen Versamm­lung wurde gestern über die Kandidatenfrage zur bevorstehenden Landtagswahl beraten. Bon Seiten dessozialdemokratischen Vereins" wurde Juwelier Strotz hier in Vorschlag gebracht, während der VereinVorwärts" Dr. Rüdt empfahl. In der Versammlung kam es zu beispiellosen Skandalszenen. Nicht nur, daß die feindlichen Brüder kein gutes Haar aneinander ließen und mit wahrem Behagen ihre schmutzige Wäsche bearbeiteten, sie traktieren sich auch gegenseitig mit den gewöhnlichsten Schimpfworten und als ein Wunder ist es zu bezeichnen, daß die Versammlung nicht in eine solenne Keilerei ausartete. Unter ungeheurem Tumulte wurde von denDreesbachianern", die etwa mit 20 Stimmen in der Majorität waren, die Kandi­datur Strotz proklamiert.