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eilcige zu Ar. 121 des GnztHMers.

Neuenbürg, Samstag den 3. August 1895.

Hlrrleryattender Teil.

Ein Brillantenhalsband.

Kriminal-Novelle von Ferdinand Herrmann.

(Nachdruck verboten.)

(Schluß.)

Es war nicht leicht, die rasende Megäre in das Gefängnis zu transportieren, und die Ab« sicht des Untersuchungsrichters, bei der Verhaft­ung alles knnötige Aufsehen zu vermeiden, er- wies sich als unausführbar. Das Schreien und Toben im Rüdiger'fchen Hause hatte draußen auf der Straße eine beträchtliche Menschenmenge angelockt, und wie im Lauffeuer verbreitete sich in der ganzen Stadt die sensationelle Neuigkeit, daß der bis dahin unter dem Verdacht des Mordes verhaftete Bernhard v. Römer unschuldig sei, und daß man in dem Rüdiger'fchen Ehepaar die wirklichen Mörder des alten Fräuleins ver­haftet habe.

All' der Abscheu und Haß, welchen man bis dahin in allen Kreisen der Bevölkerung gegen den jungen Kaufmann empfunden hatte, ver­wandelte sich -nun urplötzlich in das Gegenteil, und die öffentliche Meinung, welche bekanntlich außerordentlich wandelbar ist, richtete sich nun mit einem Mal gegen die Behörden, die angeb­lich bei Verfolgung der falschen Spur und bei der Festnahme des zuerst Verdächtigen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt und Umsicht zu Werke gegangen seien. Mit fieberhafter Span­nung sah man dem weiteren Verlauf des auf­regenden Dramas entgegen, und der Herr Stadt­verordnete Hofferichter wurde von allen Seiten mit förmlichen Glückwünschen über die uner­wartete Wendung der Dinge überschüttet, welchen Aeußerungen der Anteilnahme er aller­dings ebenso finstere Mienen und ebenso barsche Worte entgegensetzte, als früher den Ausdrücken des Bedauerns über sein beklagenswertes Schick­sal, an denen es seine Freunde und Bekannten gleichfalls nicht hatten fehlen lassen.--

Auch die Polizeibeamten der Hafenstadt, welche seiner Zeit die Verhaftung des flüchtigen jungen Paares vorgenommen hatten, nahmen die überraschende Neuigkeit mit großem Interesse und mit nicht geringem Erstaunen auf. Auch ihre Thätigkeit war ja durch diese Aufsehen er­regende Angelegenheit nach sehr verschiedenen Richtungen hin beansprucht worden, und wenig- stens in einem Punkte hatte sie zu einem Er- folge geführt, mit welchem man im Interesse der Gerechtigkeit und der öffentlichen Ordnung sehr wohl zufrieden sein konnte. Den umsicht­igen Recherchen und dem sehr energischen Vor- gehen jenes Kriminalkommissars, der den Pfand­leiher Julius Wendeland schon lange stark be­argwöhnt hatte, war es nämlich gelungen, diesen Ehrenmann und seinen Helfershelfer, einen eben­bürtigen Neffen vollständig zu entlarven. Der tüchtige und geschickte Beamte hatte, wenn auch unter vielen Schwierigkeiten, jene Gastwirtschaft ausfindig gemacht, in welche damals Bernhard durch den rothaarigen Unbekannten gelockt wor­den war, und der Besitzer dieser Schänke war an Herrn Julius Wendeland zum Verräter ge­worden. Statt die erwartete Belohnung zu er­halten, war der Pfandleiher Plötzlich durch eine Haussuchung überrascht worden, die mit ganz unvermuteter und unnachsichtlicher Gründlichkeit begonnen und durchgeführt wurde. Da hatte man zunächst die ganze Maskerade des gelehrigen Neffen, seine Perrücke, seinen falschen Bart, und was sonst noch zu der Metamorphose gehörte, zu Tage gefördert, endlich aber zum nicht ge­ringen Entsetzen des Herrn Wendeland in einem Versteck, das er für unauffindbar gehalten hatte, und das wohl auch unauffindbar gewesen wäre, wenn man ihm nur ein wenig Zeit gelassen hätte, sich auf den unwillkommenen Besuch vor­zubereiten, nicht nur eine Anzahl von Brillanten, die unzweifelhaft von jenem Kollier herrührten, sondern auch ein heimliches Warenlager von Kostbarkeiten gefunden worden, über deren Er­

werb der Pfandleiher sich nicht in genügender Art auszuweisen vermochte, und die sich bald als durchweg aus Diebstählen herrührend erwiesen. Der unmittelbaren Entdeckung war die Ver­haftung der beiden raffinierten und gefährlichen Hehler erfolgt, die es vergeblich mit dem Leugnen versuchten und sich in all' ihren mit übergroßer Schlauheit ersonnenen Ausflüchten nur in ein Netz von Widersprüchen verwickelten, aus dem es kein Entrinnen mehr für sie gab. Wenn auch aus der Anklage, welche später gegen sie erhoben wurde, die Affaire mit dem Brillantenhalsband ausgeschieden werden mußte, da sie dasselbe von dem rechtmäßigen Besitzer gekauft hatten, so hatte die Haussuchung doch noch anderweitiges Material in genügender Fülle ergeben, um die Verurteilung der beiden verschlagenen Individuen, deren ganzes verbrecherisches Treiben jetzt ans Licht kam, zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu bewirken.

Von all' diesen Vorgängen hatte Else Hoffe­richter nicht das Mindeste erfahren. Tagelang hatte sie ja völlig bewußtlos auf ihrem Leidens- betle gelegen, und die Aerzte hatten kaum eine schwache Hoffnung gehabt, das entfliehende Leben in dem zarten Körper zurückzuhalten. Aber sie hatten ihre ganze Kunst aufgewendet, um dies­mal dem Tode die Beute zu entreißen, die ihm fast schon sicher zu sein schien, und nach hartem Kampfe war es ihnen wirklich gelungen, das drohende Gespenst des Sensenmannes noch ein­mal in die Flucht zu schlagen.

Aber es wäre vollkommen gleichbedeutend mit einem Todesurteil gewesen, dem jungen Mädchen schon jetzt, während noch immer eine Wiederkehr nicht unbedenklicher Krisen gefürchtet werden mußte, eine Enthüllung oder auch nur eine Andeutung über jene fürchterlichen Dinge zu machen, von denen sie noch immer keine Ahnung hatte. Darum widersetzten sich die be­handelnden Aerzte auf das Entschiedenste der Absicht des ehemaligen Schlächtermeisters, seine Tochter zu sehen und sie duldeten nicht, daß am Krankenbette ein Verhör angestellt wurde, wie es von der Untersuchungsbehörde zu M. wiederholt beantragt worden war.

Wie dankenswert diese Vorsicht und Sorg­falt gewesen war, erwies sich jetzt, wo Bern- hard's Unschuld an dem ihm zur Last gelegten schweren Verbrechen so plötzlich erwiesen wurde, auf das Glänzende, denn die Aerzte durften sich ohne Ueberhebung das Verdienst zuschreiben, ihr dadurch, daß sie ihr die Kenntnis von dem Ent­setzlichen erspart hatten, das Leben gerettet zu haben.

Auffallend erschien es nur, daß Else auch jetzt, wo sie ihr Bewußtsein wieder erlangt hatte, und wo sie Kraft genug besaß, sich in kurzen, abgebrochenen Worten und mit leiser Stimme mit ihrer Umgebung sich zu unterhalten» an niemanden eine Frage nach dem Stande ihrer Angelegenheit richtete. Weibliches Schamgefühl verschloß ihr den Mund, obwohl sie sich in Sehnsucht verzehrte, etwas von Bernhard zu erfahren, und obwohl sie den Umstand, daß ihr niemand etwas von ihm meldete, nur für ein übles Zeichen nehmen konnte. Da erschien eines Tages in dem Krankenhanse ein fremder Be­sucher, dem der dirigierende Arzt nach einer kurzen Unterhaltung den Zutritt zu der Leiden­den nicht verweigerte, weil er die Ueberzeugung gewonnen halt, daß eine Unterhaltung mit ihm gewiß eher günstig beeinflussen als verschlimmern würde.

Es war Dr. Hartwig, der zum Zwecke dieses Besuches die Reise von M. hierher gemacht hatte, und der sicherlich nicht gekommen war, um der Kranken eine unangenehme Botschaft zu hinter- bringen. Zwar schrack sie zuerst bei seinem An­blick merklich zusammen, und es war offenbar eine Fülle schmerzlichster Erinnerungen, die durch seine Erscheinung in ihrem Geiste geweckt wur­den, aber schon die ersten sanften und freund­lichen Worte aus dem Munde des Arztes be­

ruhigten sie in merkwürdiger Weise. Von dem ganzen Wesen dieses Mannes ging eine so wohl- thuende Herzlichkeit, eine so Vertrauen erweck­ende Wärme aus, daß es unmöglich war, ihm anders als mit aufrichtiger Zuneigung entgegen zu kommen, und daß Else ihn gewiß längst als ihren aufrichtigen Freund betrachtet haben würde, wenn er nicht von ihrem Vater immer als Be­werber um ihre Hand hingestellt worden wäre. Sie begriff kaum, zu welchem Zweck er sie jetzt noch aufgesucht haben könnte; aber sie wurde von ihm selbst bald genug darüber aufgeklärt und sie glaubte kaum, ihren Ohren trauen zu dürfen, als sie den Inhalt seiner Botschaft vernahm.

Ich komme im Auftrag ihres Vaters zu Ihnen, mein liebes Fräulein", sagte er,und wenn Sie es über sich gewinnen können, so bitte ich Sie, für eine kurze Zeit zu glauben, daß ihr Vater selbst es wäre, welcher hier zu Ihnen spricht. Vergessen Sie gütigst alles, was früher zwischen uns gelegen hat, und seien Sie versichert, daß ich selbst dem damaligen Beginnen Ihres Vaters durchaus ferngestanden habe, und daß ich keine Ahnung hatte von dem wirklichen Sachverhalt. Es würde zwecklos sein und könnte Sie nur peinigen, jetzt noch erörtern zu wollen, wodurch das damalige Mißverständnis veran­laßt worden ist genug, daß Sie es jetzt als für immer beseitigt ansehen dürfen, und daß es hinfort niemand mehr wagen wird, Sie mit Zu­mutungen, wie es jene gewesen sind, zu quälen."

Mein Vater er hat mich verflucht nicht wahr?" hauchte Else mit kaum vernehm­licher Stimme, ober der Doktor schüttelte be­ruhigend den Kopf und ergriff mit sanftem Druck ihre Hand.

Nicht doch, mein Kind, sagte er.Er ist versöhnt und er stellt nur eine einzige Beding­ung, wenn er Sie wieder in seine Arme auf­nehmen soll."

O ich ahne, von welcher Art die Beding­ung ist", war Else's Erwiderung.Er fordert von mir, daß ich auf meine Liebe zu Bernhard verzichte, und das kann ich niemals, niemals thun. Ich weiß wohl, daß er mir auf ewig verloren ist, und ich habe mir darum von ganzem Herzen den Tod gewünscht.

Nun aber, wo es fast den Anschein hat, als ob mir dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen sollte, nun habe ich mich entschlossen, niemals in das Haus meines Vaters zurückzu­kehren, auch wenn er bereit wäre, mir zu ver­zeihen; denn er würde mich früher oder später doch auf's Neue dazu zwingen wollen, meine Hand einem andern ungeliebten Manne zu reichen. Ich werde mir mein Brot durch meiner Hände Arbeit irgendwo unter fremden Leuten verdienen, und je weiter ich dabei von meiner Heimat entfernt sein werde, je härter der Dienst sein wird, den man mir auferlegt, desto dank­barer werde ich dem Himmel für seine Strafe sein."

Hartwig hatte sie ruhig ausreden lassen, denn er wußte, daß jede Unterbrechung nur dar­nach angethan sein würde, ihre nervöse Auf­regung zu steigern. Als sie nun erschöpft inne­hielt, sagte er in liebevollem und zugleich ein­dringlichem Tone:

Sie sind im Irrtum, mein Kind, denn nicht diese Bedingung ist's, welche Ihr Vater Ihnen stellt. Er verlangt nur das feierliche Versprechen, daß Sie ihm wegen der Dinge, die sich vor Ihrer Flucht in seinem Hause zu­getragen, keinen Groll bewahren wollen und daß Sie ihm diesmal Ihre unbedingte Zustim­mung zu der Wahl des Gatten geben, den er für Sie bestimmt hat. Ich hoffe aber, es wird Ihnen kein Opfer und keine Selbstüberwindung kosten, diese beiden einzigen Bedingungen zu erfüllen."

Er hielt einen Augenblick inne, denn er wußte, daß auch ein Uebermaß an Freude einem so geschwächten Körper gefährlich werden könne,