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Meitcrge zu Ar. 116 des KnzthüLers.

Neuenbürg, Donnerstag den 25. Juli 1895.

Kriegschroniü 1870/71.

22. Juli 187«.

Berlin. Der König wird sein Hauptquartier in Mainz ausschlagen. Die Abreise erfolgt, sobald die Rheinarmeen konzentriert sind und die Aktion unmittel­bar zu erwarten ist.

Die Gesamtstärke der deutschen Truppen beträgt 936 707 Mann mit 2050 Geschützen.

Die Totaliumme der aktiven französischen Armee und Reserve wird auf 658000 Mann mit 1014 Ge­schützen angegeben.

Oberlaynstein. Die anellierten Nassauer lassen es an Patriotismus nicht fehlen. Fast alle Gemeinden haben ihren abziehenden Männern und Junggesellen drei bis fünf Thaler per Mann als Kriegsgeld mit aus den Weg gegeben. Auch für verlassene Familien und für die Verwundeten wird allenthalben thätige Fürsorge getroffen.

Stuttgart. Die Begeisterung wächst von Stunde zu Stunde. Bayerische und badische Truppen passieren den hiesigen Bahnhof unter großem Jubel. Die Ver­brüderung ist eine allgemeine. Einer Versammlung der deutschen Partei wohnten Angehörige der sämtlichen anderen Parteien bei. Das Ergebnis derselben war, daß Männer, die sich Jahre lang im Parteikampfe gegenüber gestanden hatten, sich unter Thränen und Handschlag gelobten, alle innere Zwietracht zu ver­gessen und nur der Sache des gemeinsamen Vaterlandes zu dienen.

Stratzburg. Die Kehler Rheinbrücke ist heute um 4 Uhr von den deutschen Truppen gesprengt worden. Die Explosion war eine fürchterliche, die Brückentürme wuroen zerstört und Trümmer bis aus das französische Ufer geschleudert.

23. Juli 187«.

Saarbrücken. Französische Truppen schössen heute auf. einen zwischen Louisenthal und Burbach fahrenden Eisenbahnzug, der mit Militär besetzt war. Eine Kugel zertrümmerte die Fensterscheiben eines Coupö, ohne Jemanden zu verletzen, wohl aber wurden durch diese Schüsse ein Mädchen und drei Arbeiter auf dem rechten Saarufer verletzt.

Paris. Der Uranos" zufolge hat die hiesige Regierung diesen Morgen die offizielle Notifikation der Neutralität Rußlands erhalten. Marschall Leboeuf, von dem es hieß, er sei bereits zur Armee abgegangen, ist, wie dieb'rauvs" meldet, noch in Paris. Der Kaiser ist gestern morgen nicht nach Paris gekommen.

Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

8 Neuenbürg, 24. Juli. Auf das am morgenden Donnerstag im Gasth. z. Bären statt- findende Konzert des Künstler-Terzetts von Stuttgart möge hiemit besonders auf­merksam gemacht sein. Das vorliegende Pro­gramm enthält folgende Nummern : I. Fantasie aus Faust von Gounod-Allard (Biolin-Solo von Erwin Forschner.) 2. I Gesang des Wolfram aus Tannhäuscr von Rich. Wagner.Blick ich umher" (Baritonsolo v.G. Müller, Kgl. Sänger ) 3. Duett aus der OperMartha" (Tenor und Bariton A. und G. Müller, Kgl. Sänger.) 4. Wach aus" v. Esser. (Lied für Tenor: A. Müller)

5. Intermezzo aus Cavalleria Rusticana von Mascagni (Biolin-Solo von Erwin Forstner.)

6.O Maienzeit" von Fischer (Bariton-Solo v. G. Müller.) 7. Duett aus der Oper Belisar (A. und G. Müller.) 8.O Schwarzwald o Heimat" von Abt (Tenor-Solo: A. Müller.) 9. Adagio und Ronde aus dem 9. Konzert von Benot (Biolin-Solo v. E. Forschner.)

Württemberg.

Stuttgart, 19. Juli. (Schwurgericht). Heute war wegen eines Vergehens der Gottes­lästerung der Redakteur derSchwäb. Tagwacht," Leonhard Tauscher, hier vorgeladen. Die Anklage vertrat der erste Staatsanwalt Nestle. Die Verteidigung war Rechtsanwalt Schickler übertragen. Seitens der K. Staatsanwaltschaft war Stadtdckan Weitbrecht als Sachver ständiger geladen, seitens der Verteidigung Repe­tent Hertlein von hier gestellt. Die Anklage war erhoben wegen eines in Nr. 288 der Schwäb. Tagw." vom 10. Dezember v. Js. erschienenen Leitartikels mit der Aufschrift:Die Kinder der Finsternis und die Kinder des Lichts", worin folgende Stelle sich findet:Ja wir sind die Kinder der Finsternis und finden, daß der Teufel gewissermaffen die einzige anständige Person in der ganzen christlichen Mythologie ist."

Der Angeklagte verantwortete sich dahin, er sei damals krank gewesen, der Artikel sei ohne sein Wissen gedruckt worden, er habe ihn nicht ver­faßt und ihn erst nach dem Drucke durchgeleseu. Er übernehme aber als Redakteur die Verant­wortlichkeit dafür. Eine Gotteslästerung habe er nicht darin gefunden, die Leser derTagwacht" seien aufgeklärte Leute und haben daran kein Aergernis genommen. Die christliche Mythologie sei nicht die christliche Lehre. N>cht von dieser, sondern von jener sei darin die Rede. Von Gott selbst sei kein Wort darin enthalten, nur vom Teufel sei gesprochen, der Teufelsglauben aber sei von vielen Christen über Bord geworfen. Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts und mit Zustimmung des Verteidigers wurde von der Vernehmung der beiden Sachverständigen abge­sehen. Der Erste Staatsanwalt führte aus, aus dem Satze, der Teufel sei die anständigste Person, ergebe sich eine Beschimpfung Gottes und beantragte Schuldigsprechung. Der Ver- teidigrr bestritt dies. Von Gott sei in dem Artikel gar nicht die Rede. Dieser handle nur von Mythologie, nicht von Theologie. Hienach sei der Angeklagte freizusprechcn. Die Geschwor­enen bejahten die Schuldfrage, worauf der An­geklagte zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde Der Erste Staatsanwalt hatte nur zwei Monate beantragt, der Strafrahmen geht bis zu drei Jahren Gefängnis. Die Unbrauch­barmachung der betr. Exemplare und Platten wurde gleichfalls verfügt.

Die Berliner Liedertafel (Dir. Zander) wi>d im Herbst d. Js. aus einer Sängerreise nach Süddeutschland Stuttgart besuchen, am Sonntag 22 Scptbr. mit Sonderzug eintrcffen, und sich 3 Tage hier aufhalten. Am 23. Sept. giebt die Berliner Liedertafel hier ein Konzert. Von da geht die Reise weiter nach Baden und dem Elsaß, wo die Erinnerung an Straßburgs Wiedergewinnung vor 25 Jahren gefeiert wird. An der Fahrt beteiligen sich 160 Sänger und 40 passive Mitglieder. Heute sind einige Ver­treter der Liedertafel aus Berlin hier Hiüge- troffen, um in Gemeinschaft mit dem Stuttgarter Liedeikranz die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Dieselben haben das Erträgnis (^L 500) eines Konzerts, das die Liedertafel im Tivoli in Berlin zu Gunsten der Ucberschwemmten in Balingen veranstaltete, dem Stuttgarter Liedcrkranz zur llebermittlung übergeben.

Stuttgart, 23. Juli. Durchschnitts­preise des hiesigen Schlacht- und Viehhoses per Pfund Schlachtgewicht: Farren und Stiere 57 bis 60 Rinder 6468 Schweine 50 bis 52 Kälber 70-80 L.

Stuttgart. sLandesproduktenbörse. Bericht vom 22. Juli von dem Vorstand Fritz Kreglinger.s Der Getreideweltmarkt verkehrte gegen Schluß der Woche in angenehmer Stimmung, da England wieder mehr Kauflust zeigte und Amerika etwas höhere Kurse meldete. Auf den deutschen Märkten war die Tendenz ruhig, doch scheint auch wieder etwas mehr Zuversicht vor­handen zu sein. Wir notieren per 100 Kilogramm: Weizen, Nikolajeff 15 -4L 75 bis 16 -4L Gyrka 15 -4L 50 ^ bis 15 -4L 75 Laplata 15 -4L 75 ^ bis 16 -4L -4, Kernen, Oberl. 17 -4L 40 fränk. 16 -4L 25 Gerste, württ. (alt) 14 -4L 50 ^j, Alb Hafer 12 -4L 40 Kohlreps (franko Obertürkheim) 21 -4L Mehlpreise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack bei Wagenladung: Letzwöchentlich.

Anterhattender Teil.

Ein Brillantenhalsband.

Kriminal-Novelle von Ferdinand Herrmann.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Doktor Hartwig ging geradewegs aus dem Hause des Stadtverordneten, das in der vor­nehmsten Straße von M. gelegen war, in jenen Stadtteil, in welchem sich das Häuschen des Fräulein v. Römer, der Schauplatz der blutigen Tragödie, befand. Er hatte während der letzten Tage diesen Weg schon häufiger gemacht, und er wurde dabei sicherlich von anderen Beweg­

gründen geleitet, als von den Pflichten seines ärztlichen Berufs oder gar von müßiger Neugier.

Er hatte in der ganzen Nachbarschaft des kleinen Hauses auf das Eifrigste Nachfrage ge­halten, ob denn nicht doch vielleicht irgend Jemand an dem verhängnisvollen Tage etwas bemerkt hätte, das ihn auf eine neue Spur auf die Spur des wirklichen Verbrechers hätte führen können. Bisher waren seine Nachforsch­ungen ohne jeden Erfolg geblieben. Keiner hatte dem Häuschen und seiner Bewohnerin eine besondere Beachtung geschenkt und keiner hatte wahrgenommen, wer an jenem Nachmittag oder Abend in dasselbe eingetreten war. Trotzdem war Doktor Hartwig weit davon entfernt, schon jetzt jede Hoffnung fahren zu lassen. Daß er nicht so schnell zum Ziel kommen würde, als ein Polizeibeamter, dem Hunderte von Hilfs­mitteln zur Verfügung stehen, war ihm ja von vornherein klar gewesen, und er hotte sich so­gleich gesagt, daß er nur durch eiserne Aus­dauer und unermüdliche Beharrlichkeit diesen Mangel würde ersetzen können. Mochte es auch immerhin eines glücklichen Zufalls bedürfen, um für ihn das Dunkel aufzuhellen, in welchem er bisher noch ratlos umhertappte, so hatte er doch Vertrauen genug in die ousgleichende irdische Gerechtigkeit, um sich überzeugt zu halten, daß ein solcher Zufall noch rechtzeitig eintreten würde, wenn schon er auch andererseits nicht daran dachte, in Erwartung desselben die Hände müßig in den Schob zu legen.

Er hatte es bisher geflissentlich vermieden, gerade diejenigen Personen aufzusuchen, an die sich ein Anderer zuerst gewendet haben würde nämlich das Ehepaar Rüdiger, dessen Name als derjenige der Haupibelastungszeugen gegen Bernhard von Römer seit dem Tage, an welchem man das Verbrechen entdeckt hatte, in den Spalten aller Zeitungen zu finden war. Daß er von diesen Leuten nur Unerwünschtes und Ungünstiges erfahren würde, konnte ihm ja nicht zweifelhaft sein, und jedes Mal, Wenn er in den Blättern nachlas, mit einer wie auffälligen Bestimmtheit und Ausführlichkeit jenes Ehepaar seine belastenden Aussagen gemacht, beschlich ihn ein gewisses Mißtrauen, welches ihn bisher immer wieder abgehalten hatte, mit feinen Nach­forschungen gerade an dieser Stelle einzusetzen. Heute aber gedachte er, das Versäumte nun dennoch nachzuholen, da alle anderen Mittel vorläufig erschöpft waren, und da er cs zudem für seine Pflicht halten mußte, sich von der Be­rechtigung oder Nichlberechtigung seines Arg­wohns durch eigene Beobachtung zu überzeugen.

Ehe er aber das Haus betrat, in welchem die Rüdigerschen Eheleute wohnten, wendete er sich noch einmal dem eigentlichen Schauplatz des blutigen Ereignisses zu. Er kannte das Häus­chen des alten Fräuleins, seine Lage und seine innere Einrichtung von seinen häufigen Besuchen her gut genug; aber es drängte ihn doch, sich jetzt so weit es bei den verschlossenen und gerichtlich versiegelten Thüren möglich war, noch einmal genau darüber zu unterrichten.

Das niedrige und sehr bescheidene Gebäude lag inmitten eines kleinen Gärtchens, welches indessen längst fast ganz verwildert und ver­wahrlost war, und dessen Bepflanzung beinahe nur aus niedrigem Strauchwerk bestand. Die Thür des eisernen Garlengitters war nicht ver­schließbar, und so konnte der Doktor ungehindert eintreten und sich dem Hause nähern. Die Fenster desselben wären wohl niedrig genug gewesen, um ihm einen Einblick zu gestatten; aber man hatte von drinnen sämtliche Vorhänge herab- gelaffen, so daß es unmöglich war, in das Innere zu spähen. Ueber einen anderen Umstand aber, dessen Feststellung ihm offenbar sehr am Herzen lag, konnte sich Hartwig dennoch Aufklärung verschaffen. Ihm war bisher nur ein einziger Zugang zu dem Hause bekannt gewesen, nämlich derjenige, welcher nach der Straße lag, und welchen Bernhard von Römer nach der Aussage