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Mäzene Truppe ihre Fahne als höchstes Kleinod rettet, so haben unsere Väter aus der schwankenden Sturmstut des politischen Lebens eins geborgen: den Gedanken nationaler Einheit, der uns wie ein holder Schutzgeist vor einem ähnlichen traurigen Lose bewahrte, wie das unglückliche Polen, das sich drei mal gefallen lassen mußte, von seinen Nachbarn unbarmherzig zerstückelt zu werden.
Glorreich haben unsere Väter gestritten in den Völkerschlachten von Leipzig und Waterloo, sie haben den gewaltigen Napoleon vom Throne gestoßen, jenen stolzen Korsen, der Tausende und Abertausende an seinen Triumphwagen gekettet und unsägliches Elend über Deutschland gebracht hatte.
Die Stunde der Einigung glaubte man gekommen — o bittere Täuschung! Die schöne Hoffnung'und freudige Erwartung, die sich an die Tage knüpfte ward zu Schanden, die das Schwert auf dem Schlachtfelde geeint hatte, wurden durch ränkevolle Diplomaten am grünen Tisch wieder entzweit — Deutschland war befreit aber nicht geeint. Und wenn cs in den kommenden Jahrzehnten der Herd einer Unruhe und Unzufriedenheit wurde und die Brandfackel des Aufruhrs und Revolution hell aufflammte
— der Beweggrund war lediglich die deutsche Einheitsbewegung!
Königgrätz — der 3. Juli 1866 — legte den Grundstein, auf welchem sich der stolze Dom des einigen Deutschlands erheben sollte — es war ein Bundeskrieg, eine Freude voll tiefer Wehmut, wie es so schön im altgriechischen Liede heißt:
„Freue Dich, Mutter, im Geist, doch fasse Dich, jauchze nicht hellauf,
Sündhaft ist's und geziemt sich nicht,
ob der Erschlag'nen zu jauchzen!"
Hätten wir uns auch freuen dürfen? Es kann der Beste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. Und einen solchen Nachbar hatten wir im Westen unseres Vaterlandes. Frankreich war es, welches den Brand des 30jährigen Krieges stets von neuem schürte und entflammte, uns die schönen Provinzen abschwindelte und raubte, und die alten Reichsstädte Metz, „die jungfräuliche Festung" und Straßburg „die wunderschöne Stadt", mitten im Frieden wegstahl, Frankreich war es, welches freundnachbarlichst die blühende Pfalz zur Einöde machte, Heidelberg. Mannheim, Speier und Trier durch seine Kriegsfackeln in rauchende Trümer verwandelte, so daß die geängstigten Bewohner kaum ihr nacktes Leben retten konnten
— zu allen Zeiten war Deutschland der Tummelplatz gallischer Söldner und Mordbrenner.
Doch die Nemesis ruht nimmer, es sollte ein Tag gerechter blutiger Rache kommen. Gleichwie es in vielfältigen Lebenslagen betrogene Betrüger giebt, so ereignet es sich im Völkerleben nicht selten, daß eine Regierung heftig in eine Richtung zu drängen scheint, während sie von einer still arbeitenden Kraft selbst noch um vieles heftiger dahin gedrängt wird.
Die Schlacht von Königgrätz hatte Napoleon III. dargethan, daß er in seiner Erwartung. Preußen und Oesterreich würden sich gegenseitig erschöpfen und an die Vermittelung Frankreichs appellieren — nicht nur einen schwerwiegenden politischen Rechenfehler begangen, sondern das ganze französische Volk fühlte sich vielmehr auch in den Grundfesten seiner vererbten Eitelkeit dadurch tief gekränkt, daß die Veränderungen des Jahres 1866 in Mittel-Europa sich ohne Befragen und die Zustimmung Frankreichs zu vollziehen vermocht hatten. Für diese vorgebliche Kränkung verlangte Frankreich „Rache für Sadowa", und von dem Moment an war in Frankreich der Krieg gegen Preußen populär, das französische Volk wollte ihn, da es durch die Feldzüge in der Krim, in Oberitalien, Algier und Mexiko gewöhnt war, den Krieg — der stets auf fremdem Boden geführt wurde — als nichts anderes, denn ein pikantes Aufregungsmittel zu betrachten, und das französische Kaiser- tum gewährte in demselben ein Doppelmittel, im nötigenden Augenblicke die im Innern steigende Unruhe der unversöhnlichen Feinde des Staatsstreichs geschickt nach außen abzulenken und zugleich sein in den letzten Jahren mehr
und mehr verloren gegangenes Uebergewicht im politischen Areopag Europas wieder zu gewinnen.
Die Franzosen leben in dem Wahn, ihre hergebrachte Rolle in der Weltgeschichte sei die Löwenrolle. Viele Jahrhunderte haben sie dieselbe gespielt, sie thaten was sie wollten, sie nahmen was sie fanden. Die Löwenrolle zu spielen schienen die Franzosen von Gott und Natur bestimmt; wenn der Löwe brüllte, sollte die ganze Welt schweigen, zittern und sich verkriechen; ihr Gebrüll bewirkte auch Schweigen, ihr Ueberfall wurde gerechtfertigt gefunden, denn — sagten die Andern — es ist ja der Löwe.
Für den Bonapartismus war die höchste Zeit des vabavgua-Spiels gekommen, nur um sich noch länger auf dem morschen und unter- wühlten Throne behaupten zu können, war ein Krieg für das Kaisertum unerläßlich notwendig geworden.
Der Sommer 1870 kam.
„König Wilhelm saß ganz heiter Jüngst zu Ems, dacht' gar nicht weiter An die Händel dieser Welt."
Da begann der Löwe aus dem bekannten nichtigen Anlaß wieder zu brüllen, und weil ihm sein friedlicher Nachbar ob dieses beleidigenden kategorischen Gebrülls nicht schleunigst zu Füßen fallen wollte, wollte er auf das ruhige Preußen losstürzen und es zerfleischen.
„Wir müssen endlich daran denken — schrieb damals ein angesehenes Pariser Blatt — erstens die preußischen Truppen, dann Preußen selbst zu vernichten! Nach Berlin, dem Nest der Barbaren! Von den Heerstraßen, die dorthin führen, laßt uns die durch Baden, Württemberg und Bayern wählen! Das sind kleine Staaten, die uns ihr Dasein verdanken; die wir geschaffen haben. Jetzt sind diese erbärmlichen Kerle, welche mit ihren Bärten den Staub von unsern Stiefeln abwischen würden, wenn wir kommen, »och die Leibeigenen Preußens. Ihr werdet uns unsere Verluste mit Zmjeu zurückzahlen, ihr elenden Schufte! Frankreich kann sich nur durch die gänzliche Ausrottung dieses deutschen Ungeziefers retten. In einem Jahr müssen wir an der Ostgrenze ein zerstückeltes und unterjochtes Deutschland unsere Provinz nennen!"
„Doch der Preuße läßt zu Zeiten Nicht gern jeden auf sich reiten."
Preußen griff nach seiner Linken und zog das blanke Schwert. Und Napoleon hatte einen zweiten, ihm verhängnisvollen Rechenfehler gemacht. Das Gebrüll des übermütigen Löwen weckte All-Deutschland aus dem Schlafe, die deutschen Stämme und Staaten schloßen sich in seltener Einmütigkeit Preußen als der führenden Macht an, und dem Löwen wurde von derben germanischen Fäusten das Fell recht tüchtig gegerbt, vom Leibe gezerrt und in Stücke zer- rißen. Glorreichere Tage als die nun folgenden hat die Weltgeschichte nie gesehen.
Frankreich bekam Antwort und Quittung aus seine Sprache des unversöhnlichsten Haffes und mußte sühnen, was es Jahrhunderte an Deutschland gefrevelt. Wie wahr sagte doch Schiller:
Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
Aieuenbürg, 18. Juli. Stadt und Bezirk sind heute wiederholt durch eine schmerzliche Kunde zu inniger Teilnahme erregt. Unser werter Hr. Dekan Cranz ist heute früh '/, 4 Uhr nach nur kurzem Kranksein unerwartet schnell von diesem Leben abgerufen worden. Die Trauer und der Schmerz der geehrten Familie des selig Entschlafenen wird allseitig mitempfunden. Vor der Beerdigungsfeier am Samstag mittag 4 Uhr findet die Aufbahrung und Aussegnung der Leiche in der Friedhofkapelle statt, wo gegenwärtig die Gottesdienste abgehalten werden, da die Stadtkirche wegen Vornahme von Erneuer. ungs-Arbeiten im innern Raum z. Z. nicht benützt werden kann.
Wildbad, 15. Juli. Am letzten Sonntag konzertierte der Bürgergesangveren, von Eßlingen mit der Kurkapelle in den Anlagen zu , Gunsten armer Badbedürftiger, die im Katharinen
stift keine Ausnahme finden können, unter großem Andrang. Aber auch alle Achtung vor den Sängern, deren meisterhafter Gesang stürmischen Beifall erntete! Ein Reinertrag von nahezu 500 „lk floß der Unterstützungskasfe zu. — Die Frequenz des Bades ist sehr stark; es befinden sich augenblicklich 1300—1400 Fremde hier und täglich werden 1100 Bäder abgegeben. Die Thätigkeit des Wohnungsnachweisbureaus verhindert trotz des Andrangs jede Stockung bei Unterbringung der Gäste» denn die Zahl der Wohnungen hat seit dem vorigen Jahr durch mehrere große Neubauten erheblich zugenommen.
Calw, 16. Juli. Gestern hielt Herr Major a. D. v. Hagen aus Weimar im Saale der Bierbrauerei von I. Dreiß hier einen interessanten Vortrag über die „Notlage der Landwirtschaft und des Mittelstandes." Der durch eine schlagfertige Beweisführung sich auszeich- nende Redner führte aus. daß die z. Z. herrschende Notlage des das jMark des Landes bildenden Mittelstandes hauptsächlich von der im Dienst des Großkapitals stehenden Gesetzgebung herrühre, indem sie eine Folge des Freihandels sei. Das Freizügigkeitsgesetz, die Gewerbefreiheit und die Börse seien ein großer Schaden für de« Mittelstand geworden; auch die großartige Entwicklung des Verkehrswesens habe den Mittelstand geschädigt. Die Handelsverträge hätten auf viel kürzere Zeit abgeschlossen werden sollen. Deutschland müsse nicht in erster Linie Industriestaat, sondern landwirtschaftlicher Staat sein und bleiben. Die vom Redner gemachten Reformvorschläge gehen dahin, daß die Gesetzgebung die wirtschaftlich Schwachen mehr unterstützen und das Großkapital eindämmen müsse; der jüdische Einfluß auf die Presse müsse zurückgedrängt und der Konservatismus gestärkt werden. Man soll praktisches Christentum treiben. Die neuen Bersicherungsgesetze sollen abgeändert, die Börse unter Aufsicht gestellt, das Submissionswesen, die Gesängnisarbeit, das Baugewerbe anders gestaltet werden u. a. Vor allem aber möge sich die Landwirtschaft und der Handwerkerstand besser organisieren. Mehrere der zahlreichen Besucher folgte der Aufforderung zum Eintritt in den Bund der Landwirte, welchem der Redner auch angehört. Zum Vorsitzenden des sich konstituierenden Bezirksausschusses wurde Herr Badbesitzer Bauer von Teinach gewählt. Dem Vortrag wurde reicher Beifall zuteil.
Pforzheim, 16. Juli. Der vor einem Jahre begründete Kreditoren-Verein deutscher Bijouterie-Fabrikanten hielt gestern hier seine erste Generalversammlung ab, welcher auch Vertreter der Ortsgruppen Gmünd und Hanau anwohnten. Der Jahresbericht legte in erfreulichster Weise die segensreiche Wirksamkeit des Vereins dar, der sich die Wahrung der Interessen feiner Mitglieder mit Geschick und Energie angelegen sein läßt und denselben bereits ungezählte Tausende genützt hat. Bon besonderem Werte ist seine Stellungnahme zu denjenigen Fallissements des In- und Auslandes, bet welchen seine Mitglieder mit Forderungen beteiligt sind. Nicht minder vorteilhaft ist das trefflich organisierte Auskunftswesen wodurch schon mancher Fabrikant vor empfindlichem Schaden bewahrt worden ist. Der Verein hat im abgelaufenen Jahre mehr als 3000 Auskünfte über in- und ausländische Firmen erteilt, darunter auch viele in überseeischen Ländern. Der Verein zählt jetzt nahezu 600 Mitglieder und umfaßt so ziemlich alle namhaften Firmen der Bijouterie-Branche in Deutschland.
Deutsches Weich.
In der Reichshauptstadt herrscht ziemliche politische Stille, wie auch im ganzen übrigen deutschen Reiche. Der deutsche Kaiser weilt noch in Schweden und die Zeitungen aller Parteien beschäftigen sich mit Rückblicken auf den vor 25 Jahren entbrannten Krieg mit Frankreich. Wenn nur diese Sommerstille nicht eine unerwartete Unterbrechung erfährt! Das Attentat in Sofia könnte möglicherweise das Vorspiel zu bösen politischen Konflikten sein. Unwillkürlich erinnert man sich daran, daß vor 25 Jahren noch im Mouat Juni kein Mensch an die Möglichkeit eines Krieges gedacht hatte, der damalige