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König Wilhelm I. von Preußen im Bad Ems sich befand und die meisten preußischen Minister in Urlaub gegangen waren. Die fortgesetzt wütenden Hetzartikel der französischen Blätter finden plötzlich eine verschärfte Beachtung in Deutschland und falls der Mord von Sofia auf russische Anzettelungen erfolgt sein sollte, so könnten plötzlich schwere Wetterwolken am poli­tischen Horizont austauchen. Wegen Ermordung des Deutschen Rockstroh haben die Marokkaner bisher immer noch keine Genugthuung geben wollen, weshalb mehrere deutsche Kriegsschiffe nach Tanger abgegangen sind, um den Marok­kanern zu zeigen, wo Barthel den Most holt. Obgleich französische Blätter sehr bösartige Aeußcrungen über dieses Vorgehen Deutschlands machen, scheinen aber doch die Marokkaner auf eine französische Hilfe nicht zu rechnen u. wollen nunmehr die geforderte Entschädigung bezahlen, falls ein diesbez. Privattelegramm richtig ist.

Ueber die deutsche Expedition nach Marokko, welche bekanntlich zu dem Zweck ge­schieht, um Sühne für einen in Marokko er­mordeten Kaufmann zu verlangen und um dem Räuberunwesen an der Küste von Marokko ein Ende zu machen, hat sich eine merkwürdige Er­örterung in der französischen und englischen Presse entwickelt. Während nämlich die Eng­länder das Vorgehen Deutschlands in Marokko für durchaus berechtigt erklären. finden die Fränzosen, daß Deutschland in Marokko einen äußerst bedenklichen Schritt thue. Offenbar ist es weiter nichts als Neid und Haß der Iran- zosen, der sich in dieser eigentümlichen Haltung spiegelt. Auch reden die Franzosen mit Eifer von einer Bedrohung ihrer Interessen in Afrika, da sie als die Besitzer von Algier keine Ver­änderungen in Marokko dulden könnten. Wie man hört, ist die deutsche Regierung entschlossen, nötigenfalls durch ihren Botschafter in Paris der französischen Regierung erklären zu lassen, daß Frankreich in den deutschen Streitfall mit Marokko nichts hineinzureden habe. Bekanntlich denkt ja auch das deutsche Reich nicht daran, Marokko zu erobern, sondern es handelt sich nur um Erlangung der erwähnten Genugthuung.

Berlin, 15. Juli. Die Eingabe des Allgem. deutschen Handwerkerbunds an den Kaiser wird jetzt bekanntgegeben. Die infolge Beschlusses des letzten Handwerkertages in Halle erbetene Audienz beim Kaiser war bekanntlich nicht ge­währt, dagegen schriftliche Einsendung der Be­schlüsse des Handwerkertags anheimgestellt worden. Die Eingabe bezeichnet nach derNat.-Ztg." die Lage der Handwerker als eine von Jahr zu Jahr gedrücktere, bedrängtere und trostlosere; d'e alleinige Ursache sei die schrankenlose Ge­werbefreiheit. Die Verhältnisse des deutschen Handwerkerstandes können sich nur zum Bessern wandeln, wenn ihm durch Einführung der obli­gatorischen Innung und von Handwerkerkammern eine feste, gesunde Organisation auf Grundlage des Befähigungsnachweises gegeben würde. Den Handwerkerstand vor dem nahen Ruin zu be­wahren, sei die Hilfe des Kaisers dringend not­wendig.

Württemberg.

Ihre Majestäten der König u. die Königin haben anfangs dieser Woche der Stadt Künzelsau und der dortigen Bezirksgewerbeausstellung einen Besuch erstattet und sind dann wieder nach Bebenhausen zurückgekehrt. Binnen kurzem wer­den sich beide Majestäten nach Nachod in Böhmen begeben, um der Hochzeit der Prinzessin Bathildis von Schaumburg-Lippe, Schwester unserer Königin, mit dem regierenden Fürsten von Waldcck-Pyrmont beizuwohnen. Hierauf ge­denken beide Majestäten die Mutter des Königs, Prinzeß Katharine, auf der Villa Seefeld zu besuchen, um dann wahrscheinlich einige Zeit auf dem Schlosse Friedrichshofen zu verweilen.

Das Regierungsblatt Nr. 16 vom 13. Juli enthält das Gesetz vom 8. Juli 1895, betr. die Abstufung der Malzsteuer: An die Stelle der Ziff. 3 des Art. 1 des Gesetzes, betr. die Malzsteuer, vom 8. April 1856 in der neuen Fassung nach Art. 3 Ziff. 1 des Gesetzes, betr. die Abänderung einzelner Bestimmungen der

Wirtschaftsabgabengesetze, vom 12. Dez. 1871 und nach Art. I des Gesetzes, betr. die Abstuf­ung der Malzstcuer, vom 28. April 1893, tritt folgende Bestimmung: 3) Die Steuer wird nach dem Gewichte des ungeschrotenen Malzes er­hoben ohne Unterschied, ob das Malz einge­sprengt oder trocken zur Mühle gebracht wird. Der Steuersatz wird durch das Finanzgesetz be­stimmt. Für diejenigen, welche Bier nur zum eigenen Bedarf im Haushalt bereiten (Privat­brauer) und hiezu in einem Etatsjahr nicht mehr als 500 KZ (10 Zentner) Malz verwenden, ist der durch das Finanzgesetz bestimmte Steuersatz um 75°/o zu ermäßigen. Ein jedes Ablassen solchen Biers an nicht zum Haushalt gehörige Personen gegen Entgelt ist untersagt. Bierver­käufer haben auf diese Ermäßigung keinen An­spruch. Für diejenigen Bierbrauer, welche im Laufe eines Etatsjahres nicht mehr als 100000 KZ (2000 Zentner) Malz für ihre Rechnung zur Bierbereitung verwenden, ist der durch das Finanzgesetz bestimmte Steuersatz für die ersten 50000 KZ (1000 Zentner) um 10°/o zu er­mäßigen. Bierbrauer, welche im Laufe eines Etatsjohres mehr als 500000 KZ (10000 Ztr.) Malz für ihre Rechnung zur Bierbereitung ver­wenden, haben für die diese Menge übersteigen­den nächsten 1500000 (30 000 Ztr.) zu dem durch das Finanzgesetz bestimmten Steuersatz noch einen Zuschlag von 5°/». und für die 2 000 000 KZ (40000) Ztr.) übersteigende Malzmenge eine Zuschlag von 10°/o zu ent­richten. Bei Berechnung der Abgabe werden für Tara 2°/» des Bruttogewichts ohne Rücksicht auf die Art und das Gewicht der Verpackung in Abzug gebracht. Art. 2. Die neuen Be­stimmungen in Abs. 3 und 5 der Ziff. 3 des Art. 1. des Malzsteuergesetzes treten bezüglich der Steuerermäßigung des Abs. 3 mit dem I. April 1895, im klebrigen mit dem 15. Juli 1895 in Wirkung. Ferner enthält das Re­gierungsblatt eine Verfügung der Ministerien des Innern und des Kriegswesens vom 4. Juli 1895, betr. die Dienstvorschrift über Marschge­bührnisse bei Einberufungen zum Dienst, sowie bei Entlassungen vom 22. Febr. 1887.

Der Württ. Kriegerzeitung folgend waren Vorschläge gemacht worden zur würdigen Begehung der Jubiläumsfeier zur Erinnerung an den Feldzug 1870/71 durch die einzelnen Regimenter und ihre Veteranen. Das württ. GrenadierregimentKönig Karl" begeht am 6. August als den 25jährigen Jubiläumstag der Schlacht bei Wörth in festlicher Weise, sämtliche frühere Angehörige des Regiments oder des früheren dritten württembergischen Jägerbatail­lons sind zu dem Feste eingcladen. Ebenso feiert das Grenadierregiment Nr. 123 das Ge­dächtnis an die Schlacht bei Wörth am 6. Aug. in der Friedrichsou. Das Regiment Kaiser Wilhelm, König von Preußen Nr. 120 wird den Erinnerungstag am 6. August im Kreise der Offiziere und Beamten festlich begehen, kann aber die Veteranen des Regiments zu dieser Feier als Gäste nicht berücksichtigen, da die Raum­verhältnisse der hiesigen kleinen Garnison dies nicht gestatten. Selbstverständlich ist von dem Regiment jeder frühere Angehörige, der in dem­selben den Feldzug 1870/71 mitgemacht hat, willkommen.

Ein Angebot eines Bankenkonsortiums auf das Neue 3'/r"/o württemb. Staats an- lehen mit 103,25 ist gestern vom ständischen Ausschuß angenommen worden. Das letzte 3^-°/» Anleihen vom 29. Oktober 1894 war zu 101,75 begeben worden.

Die Radfahrer Württembergs veranstalteten letzten Sonntag eine Distanzwettfahrt von Friedrichshafen über Ulm, Göppingen, Stutt­gart nach Heilbronn. Bei diesem Wettfahren kamen nur kleine Unfälle vor. Der zuerst An­gekommene, Göckler aus Neckarsulm, brauchte für diese riesige Strecke, wie schon mitgeteilt, nur wenig über 9'/- Stunden und kam dabei so vortrefflich frisch an, daß er allgemeines Auf­sehen hervorrief.

Tübingen, 11. Juli. Die Landesver­sammlung des Vereins württembergischer Körper­schaftsbeamten, welche Heuer hier stattfindet, be­

ginnt am Donnerstag den 25. ds. mit geschäst- lichen Verhandlungen im oberen Museumssaal, darunter Vorträge über die Einführung perio­discher Ortsvorsteherwahlen, die beabsichtigte Aenderung in den Geschäftsaufgaben der Ge­meindebehörden und die Gesetzentwürfe betr. die Steuerreform. Nach jedem Vortrag wird eine Diskussion »ber denselben eröffnet.

Besigheim, 15. Juli. Die am 18. v. M. vor sich gegangene Stadtschultheißenwahl, bei welcher der bisherige Stadtpfleger Köhler mit bedeutender Majorität gegen seinen Onkel, den Gemeinderat und Buchdruckereibesitzer Müller, gewählt wurde, ist angefochten worden, weil der freie Trunk" bei derselben eine große Rolle gespielt haben soll. Die Anhänger Köhlers setzten alle Hebel in Bewegung, um ihren Kandi­daten durchzubringen.

Künzelsau, 15. Juli. Unsere Bezirks, Gewerbe-Ausstellung durfte sich bisher eines sehr zahlreichen Besuchs aus allen Schichten der Bevölkerung von nah und fern erfreuen. Am Eröffnungstage waren 3040 Herren aus Ellwangen hier unter Führung von Oberamt­mann Entreß, der früher hier gewesen. Am Sonntag war der Gewerbeverein von Neuen­stein hier, gestern der von Crailsheim und eine Abordnung von Neckarsulm, die Abends mit Musik zum Bahnhof geleitet wurden.

Ausland.

Sofia, 18. Juli. Das gestern abend 6 Uhr ausgegebene Bulletin über das Befinden Stam- bulow ist ungünstig, eine Wunde zeigt Brandsymptome. Die Temperatur ist neuerlich auf 39 gestiegen. Stambulow ist heute früh 3 Uhr 35 Min. seinen Verletzungen er­legen.

Die englischen Unterhauswahlen haben bereits begonnen. Die bisher stattge­fundenen Wahlen haben den Konservativen und den liberalen Unionisten eine ganze Reihe von Wahlsiegen gebracht, so daß der Bestand des Kabinets Salisbury auch dann schon als ge­sichert erscheint, wenn bei den nachfolgenden Wahlen sich die streitenden Parteien keine Nieder­lage mehr beizubringen vermöchten. Es ist aber mit großer Wahrscheinlichkeit vorauszusagcn, daß die Konservativen und Unionisten noch weitere Wahlsiege erringen und damit eine große Mehr­heit im Unterhause erlangen werden. Für die Erhaltung des Weltfriedens sind diese Wahlen von großer Bedeutung, denn gerade das Kabinet Salisbury würde im Falle eines europäischen Konfliktes nicht neutral bleiben, wie dies seitens des liberalen Kabinets Rosebery zu befürchten war und gerade diese Aussicht wird vielleicht die Franzosen und Russen davon abhalten, den Kriegswürfel ins Rollen zu bringen.

Telegramme.

Berlin, 19. Juli. Der Lokal-Anzeiger erfährt aus Kreisen der hiesigen italienischen Kolonie: Es verbreitete sich in später Nacht­stunde plötzlich das Gerücht von der schweren Erkrankung des Königs von Italien. Auf der italien. Botschaft war jedoch nichts darüber zu erfahren.

Berlin, 18. Juli. Einem aus Wien stammenden Börsengerücht zufolge soll Fürst Ferdinand als Fürst von Bulgarien abge­dankt haben.

Sofia, 19. Juli. Auffallende Leere herrscht vor dem Sterbehause Stambulow s. Die Bevölkerung hielt sich vollkommen teil­nahmslos.

Petersburg, 18. Juli. Aus Hof­kreisen in Peierhof verlautet, daß daselbst ein Handschreiben des Kaisers Wilhelm dem Zaren überreicht wurde.

London, 18. Juli. DerDaily Chronicle" meldet aus Odessa, Rußland thue sein Mög­lichstes, um den Abschluß eines Handelsvertrags mit China zu beschleunigen, der Rußlands Handel auf den großen chinesischen Flüssen be­günstige. Es sind Pläne zur Gründung neuer Dampserlinien entworfen, die wie die einer freiwilligen Flotte von der Regierung unterstützt werden sollen.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.