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ische Wahl der OrtSvorsteher auf Grund des bestehenden direkten Wahlrechts der Gemeinde­bürger eingeführt wird unter sachgemäßer Regel­ung der Aufgaben der Gemeindcbeamten. insbe­sondere der polizeilichen Strafbefugnisse, übrigens unter Belassung der Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den Gemeinden." Dieser Antrag wurde mit 66 gegen 9 Stimmen ange­nommen, mit einem Zusatz von dem Bericht­erstatter Hau ßmann (Balingen):Ausreichende Entschädigung der z. Z. der Einführung des Gesetzes im Amt befindlichen und nicht wieder- gewählten Ortsvorsteher", welch letzterer fast einstimmig angenommen wurde, während vor­her der Zusatzanlrag von Rembold (Zcntr.): Wahrung der wohlerworbenen Rechte der Octsvorsteher unter Anspruch auf Gehalt und Nutzungen" mit 41 gegen 34 Stimmen ab- gelchnt wurde. Der Berichterstatter Hauß- mann-Balingcn (V-P.) führte aus: Die Kom­mission war der Meinung, daß man an dem bestehenden Wahlrechte der Gemeindebürger fest- halten müsse, schon weil es ein bestehendes Recht sei. Mit der Amtsdauer, der wichtigsten Frage, hat die Kommission sich eingehend beschäftigt. Die öffentliche Meinung sprach sich dahin aus, daß dieLcbenslänglichkeit" eine Beeinträchtig­ung der bürgerlichen Rechte sei; hierzu kommen die Erfahrungen der letzten Jahre und die Un­zulänglichkeit des Disziplinarhofes, endlich die resormfreundliche Haltung des Ministers und die Meinungskundgebuug bei den Wahlen. Das sind neue Momente, die berücksichtigt werden mußten, und so fanden sich die Anhänger aller Parteien zusammen und sprechen sich für die periodische Wahl aus. Jnbelreff des Zeitpunktes der Reform einigte man sich dahin, das es un- thunlich sei, mit ihr bis zum Erscheinen des bürgerlichen Gesetzbuches zu warten; insbesondere könne die Frage der freiwilligen Gerichtsbarkeit kein entscheidendes Motiv abgeben. Es frage sich, ob es nicht möglich ist, einen Teil der Auf­gaben, die gegenwärtig dem Ortsvorsteher ob­liegen, auf andere Stellen zu übertragen; die Kommission habe davon abgesehen, Vorschläge zu machen, da in einer so wichtigen Angelegen­heit die Regierung die Führung haben müsse, auch sei hierbei die Mitarbeit der Ortsvorsteher selbst notwendig. Durch solche Mitarbeit wer­den auch die Uebertreibungen, die von beiden Seiten im politischen Kampfe zur Verwendung kamen, beseitigt werden können. Daher ward von der Kommission einstimmig die Ablehnung der Regierungsvorlage beschlossen und in einer Resolution ihr Stand­punkt nieüergelegt. Danach soll das bisherige Gemeindebürger-Wahlrccht erhalten und von einer Vertagung der Reform abge­sehen werden. Ausdrücklich betont der Referent, daß man der Regierung nicht habe nahe legen wollen, die Polizeigewalt den Ortsschultheißen abzunehmen; das Ausüben der richterlichen Funktion sei gerade wertvoll für die Autorität des Ortsvorstehers. Ueber die sogenannten wohlerworbenen Rechte" der bisherigen Orts­vorstände hat die Kommission ebenfalls diskutiert. Die Mehrheit ist der Ansicht, daß der Vorsteher bei Nichtwiederwahl vollen Anspruch auf Pension habe; der Referent glaubt» daß zwar kein for­melles Recht des Ortsvorstehers, aber ein nobilo vküeium des Staates vorliege. Es sei Aufgabe der Regierung, hier die richtige Grenze zu finden. Es sei in einer großen und schwierigen Frage eine weitgehende Uebereinstimmung erzielt, trete das Haus den Beschlüssen bei, so werde sich das erfreuliche Resultat ergeben, daß die Frage aus der Reihe der Parteifragen ausscheide. Die Lösung, die man anstrebe, entspreche dem Bild- ungsgrad und dem Sebständigkeitsgefühl des Volkes.

Stuttgart, 4. Juli. (Kammer der Abgeordneten.) Der Antrag, die k. Staats­regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf ein­zubringen, durch welchen den Privatfeuer. Versicherungs-Gesellschaften die Ver­pflichtung auferlegt wird, an die einzelnen Ge­meinden, je nach dem Grade der Ausbildung der Feuerlöschwesens derselben, einen im Weg der Verordnung festzusetzenden Beitrag bis zur Höhe von 6 Prozent ihrer Prämieneinnahmen zu

leisten, trug die Unterschriften von 5 ordneten: Kloß, Schrempf, Glaser. Bctz, Schu- macher. Nachdem ihn der Abg. Kloß ausführlich begründet (besonders auch mit Hinweis auf Stuttgart). Sachs, Vogler und der Minister Pischek dagegen gesprochen, wurde namentlich abgestimmt. Der Antrag wurde ab gelehnt mit 69 gegen 4 Stimmen. Der Abg. Schumacher war entwichen oder sonst an der Abstimmung ver­hindert. Der homöop. Verein Hahnemannia hatte die Eingabe an die Kammer der Abge­ordneten gerichtet, an den Irrenanstalten homöopathische Behandlung einzuführen. Gabler als Berichterstatter für innere Verwalt­ung war dafür, diese Eingabe der Regierung zur Erwägung zu übergeben, Dentler sprach für Uebergang zur Tagesordnung, Schick des­gleichen, Schmidt-Maulbronn als Bermittlungs- theologc für Kenntnisnahme. Und wie das bei Vermittlungsanträgen üblich ist, Schmidt blieb Sieger. Der 7. Punkt der Tagesordnung, erste Beratung des Wasserrechts, wurde wieder abgesetzt.

Der württembergischeLandtag wird wahrscheinlich nicht nur diese, sondern auch die ganze nächste Woche versammelt bleiben müssen, um wenigstens den wichtigsten Aufgaben noch gerecht zu werden. Ende voriger Woche be­schäftigte sich die 2. Kammer mit den Anträgen der beiden sozialistischen Abgeordneten, betr. einen erweiterten Arbeiterschutz. Während sonst die Sozialdemokraten von der Polizei nicht gerade erbaut sind, möchten sie die Fabrikinspektoren mit polizeilicher Machtbefugnis ausrüsten, daß sowohl die Großindustrie als das Kleingewerbe durch polizeiliche Maßregelung schwer geschädigt oder ruiniert werden könnten. Zu derartigen Experimenten sind aber alle Parteien der Kammer mit Ausnahme der Sozialdemokraten nicht zu haben und letztere rächen sich nun für die Ab- Weisung in derSchwäb. Tagwacht" durch äußerst giftige Bemerkungen, überweise Mäßig­ung und parteitaklische Erwägungen der demo­kratischen Partei", welche für die Arbeiter nur schöne Worte hätte. Auch die Einladung des reichen demokratischen Abgeordneten Hähnle an seine Parteigenossen, welche er mittels Extra­zuges von Stuttgart nach Giengen und zurück­führte und sie in Giengen mit einem Festessen bewirtete, wird von der sozialistischen Presse giftig verhöhnt, indem sie dazu bemerkt, die Regulierten hätten sich gegenseitig angehocht und dann zum Schluß wörtlich sagt:Es war dies besonders für die demokrat. Reichstagsabg. eine würdige Nachfeier der Gratisfestfahrl zur Ein­weihung des Nordostseekanals, welche auch die­jenigen mitmachten, die sich fast nie im Reichstag sehen lassen. Gratisfahrten und Gratisfesttafeln sind die neuesten Erscheinungen im parlamentar­ischen Leben der Demokraten." Mit derartigen Auslassungen statten also die Sozialdemokraten den Dank dafür ab, daß ihnen die Volkspartei in der Stadt Stuttgart und im Bezirk Cannstatt das Landtagsmandat verschafft hat. Schon in voriger Woche zeigte sich diese sozialistische Dank­barkeit auch darin, daß der Kammerpräsident. Rechtsanwalt Payer, wegen seiner Mitgliedschaft beim Liederkranz auf die sozialdemokratische Boykottliste gesetzt wurde. Hienach darf also kein Sozialdemokrat der Advokatenfirma Payer u. Kapp einen Prozeß übertragen, was freilich den anderen demokrat. Rechtsanwälten Stutt­garts wie den Brüdern Haußmann, den An­wälten Dr. Elsaß, Dr. Erlanger, Levi, Scheüing, Schickler rc. nur angenehm sein wird, da die Sozialdemokraten bekanntlich häufig einen Ver­teidiger für Beleidigungsklagen u.s.w. brauchen.

Groß- und Kleinbetrieb in derBier- brauerei. Geradezuunsinnig" wird von einer Stuttgarter Bierbrauerei in einem Bericht der Stuttgarter Handelskammer die Konkurrenz im Bieroerkauf genannt; insbesondere kommen dabei die kleineren und mittleren Bierbrauereien zu Schaden. Immer schwieriger wird es für sie, Absatz zu finden, da die großen Brauereien das ganze Geschäft in Händen haben. Letztere errichten überall Niederlagen, kaufen Wirtschaften zusammen oder unterstützen Wirte durch Geld­mittel und haben so sichere Abnehmer für ihre Erzeugnisse. Sodann suchen sie planmäßig

möglichst viel zu erzeugen, infolgedessen die Preise immer mehr gedrückt werden. Die Klein- und Mittelbrauereien, haupsächlich die weniger bemittelten, haben unter dieser gewaltsamen Geschäftsweise der Aktienbrauereien sehr zu leiden; ihr Bestand ist sogar sehr gefährdet und nur geldlich gut dastehende Alleinbesitzer von Brauer­eien können sich dieser Konkurrenz gegenüber halten. Sollte einer so ungesunden wirtschaft­lichen Entwickelung nicht durch zweckmäßige Organisationen, durch korporative Zusammen­fassung des Erwerbslebens Einhalt geboten werden können? Auch für die Wirte würde es sich empfehlen, ihre Aufmerksamkeit dieser auch ihre wirtschaftliche Selbständigkeit untergrabenden Entwickelung zu schenken, die zehnmal wichtiger als z. B. die llmgeldfrage ist.

Bei dem am 25. Juni ds. Js. in Schwäbisch Gmünd abgehaltcnen X. Landesverbands­tag der Wirte Württembergs wurde mit Einstimmigkeit nachfolgende Resolution gefaßt: ,Die heute in Gmünd tagende Versammlung der Wirte Württembergs spricht die bestimmte Erwartung aus, daß die am Freitag den 21. Juni von der Abgeordnetenkammer beschlossene Einstellung von 2,200,000 Mk. Umgeldsabgabe, zum letztenmal in unserem Etat figuriere und daß bei der bevorstehenden Steuerreform in erster Linie darauf bedacht genommen werde, das nur in Württemberg bestehende Umgeld zu beseitigen." Der vor einiger Zeit schon an den Landtag eingereichten Eingabe betr.Abschaffung des Umgeldes" sind bis heute 7760 Unterschriften württ. Wirte beigegeben.

Ulm, 5. Juni. Gestern haben die bürger­lichen Collegien beschlossen, daß die hiesigen Schützengilden ihr Schiebhaus und die Schützen­stände in der Friedrichsau. wo schon manches schöne Schützenfest gefeiert wurde, innerhalb der nächsten 2 Jahre zu räumen haben, wegen zu­nehmender Gefahr für das in der Aue zahlreich verkehrende Publikum.

Pleidelsheim, 2. Juli. In alter Anhänglichkeit an den früher hier waltenden Stadtschultheitzen Bätzner in Wilddad ließ es sich die hiesige Bürgerschaft nicht nehmen, den ge­strigen Einzugs- und Amtseinsctzungstag seines Sohnes, des neu erwählten Schultheißen Bätzner jr. zu einem Freudetage zu gestalten. Um halb 9 Uhr kam der neue Ortsvorsteher in Begleitung von 54 Bürgern aus Wtldbad und einer Musik­kapelle in Bietigheim an, von wo aus die Ge­sellschaft in 12 Gefährten hierher abgeholt wurde. Der Ort war festlich geschmückt und hielt der Ortsgeistliche eine Begrüßungsansprache. Die Amtseinsetzung erfolgte durch Oberamtmann Schott-Marbach. Hieran schloß sich ein stai.!- besuchtes Festmahl im Gasthof z. Ochsen, während dessen noch mancherlei Trmksprüche ausgcbracht wurden.

Nürtingen, 30. Juni. Als dankbarer Jüngling hat sich heute ern Braubursche von Schöll hier erwiesen. Als derselbe, dem Er­trinken nahe, von Gerichtsvollzieher Würth hier aus dem Neckar gezogen wurde, war das erste, was er herauszustottern vermochte:I' mach' mein' Dank!"

Stuttgart, 30. Juni. Erdbebenprophet Falb hat für Monat Juli 2 kritische Tage in Aussicht gestellt. Es sind dies der 7. Juli, welcher einer 3. Ordnung werden soll, während er den 22. Juli als solchen 1. Ordnung be­zeichnet.

Anstand.

Ein Pariser Blatt hat den angeblichen Wortlaut des russisch-französischen Bündnis.Vertrags veröffentlicht. Andere Pariser Blätter bestreiten aber die Authentizität dieser Aktenstücke und versichern, daß die dies­bezüglichen Bündnisvertragsoerhandlungen noch in der Schwebe seien. Abgesehen von diesem Bündnis zeigen die Franzosen in ihrer Presse fortgesetzt eine derartig hochgradige Erbitterung gegen Deutschland, daß wir gut daran thun werden, uns in keine falsche Sicherheit wiegen zu lassen. Der Zollkrieg zwischen Frankreich und der Schweiz ist durch ein vorläufiges Handels­übereinkommen aus der Welt geschafft worden, welches indes noch der Genehmigung der beider-

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