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festigen Parlamente bedarf, um endgiltig zu werden. Da Deutschland sowohl mit Frankreich als mit der Schweiz in dem sogenannten Meist­begünstigungsverhältnis steht, so kommen die, zwischen Frankreich und der Schweiz vereinbarten Zollerleichterungen auch den deutschen Geschäfts­leuten zu gut.

Unterhaltender Heil.

Ein Brillantenhalsband.

Kriminal-Novelle von Ferdinand Herrmann.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Nach alldem konnte es für keinen unbe­fangenen Beurteiler mehr einem Zweifel unter­liegen, daß in keinem anderen als in Bernhard v. Römer der Mörder seiner Tante und der Dieb des Brillantschmucks zu suchen sei. Der Telegraph wurde nach allen Richtungen der Windrose hin in Bewegung gesetzt, und im In­teresse der Gerechtigkeit hoffen wir, daß wir bald von der Ergreifung des Schuldigen werden be- richten können, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß der mehrtägige Vorsprung dem Ver­brecher unzweifelhaft gewaltige Vorteile gewährt. Daß kein anderes Motiv als lediglich die schnö­deste Habgier ihn zu dieser Unthat getrieben haben kann, liegt auf der Hand; aber das Ver­brechen bleibt dennoch fast unbegreiflich, da seine Verhältnisse im ganzen wohlgeordnet gewesen sein sollen, und da ihm seine Kollegen das Zeugnis eines rührigen, soliden Menschen gaben, der keine hervorstechenden Leidenschaften und kostspieligen Passionen gehabt habe. Der Ge­danke einer Unredlichkeit seinem Bankhause gegen­über ist schon deshalb ausgeschlossen, weil ihm gar keine Möglichkeit zu einer solchen geboten war. So bleibt also nur die Annahme, daß er im Verborgenen irgend einem Laster fröhnte oder vielleicht ein heimliches Liebesverhältnis unterhielt, durch welches er endlich zu einer so fürchterlichen That getrieben werden konnte."

An einer andern Stelle des nämlichen Blattes fand sich dann noch eine Notiz, die kurz vor Redaktionsschluß abgefaßt war und die noch eine wichtige Ergänzung des anstehenden ausführ­lichen Berichtes bildete. Sie lautete:Die Sektion des von seinem Neffen ermordeten un­glücklichen Fräulein v. Römer hat in der That übereinstimmend mit der Hauptbelastungs­zeugin Frau Rüdiger ergeben, daß der Tod wohl schon vor drei Tagen eingetreten ist. Die Verletzung an der Schläfe ist übrigens mit einem Instrument erzeugt worden, welches man am Thatorte bisher noch nicht aufzufinden vermochte. Sie war indessen nicht hinreichend gewesen, um den Tod herbeizuführen, und es ist festgestellt, daß die alte Dame erst an der durch die Zu­ziehung der um den Hals gelegten Schlinge be­wirkten Erstickung gestorben ist. Wenn also der Sektionsbefund etwas wesentlich neues nicht er­geben hat, so ist im Laufe des Tages eine desto wichtigere Mitteilung an die Kriminalpolizei ge­langt, eine Mitteilung, welche ganz darnach an- gethan ist, auch das letzte Dunkel aufzuhellen, welches bisher noch über der traurigen Affäre lag, wenn sie auch leider den Beweis liefert, daß der Unselige noch eine andere hochgeachtete Familie unserer Stadt in die tiefste Betrübnis versetzt hat. indem er sich eines weiteren fluch­würdigen Verbrechens schuldig machte. Auf die Nachricht von dem Morde hin, welche sich-wäh- rend des Tages wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt verbreitete, machte nämlich unser hochgeschätzter Mitbürger, der Rentier u Stadt­verordnete Nikolaus Hofrichter, bei der Behörde die Anzeige, daß seine einzige Tochter Else seit drei Tagen aus dem väterlichen Hause ver­schwunden sei und daß er sich leider überzeugt halten müsse, sie sei von dem des Mordes an seiner Tante verdächtigen Bernhard v. Römer entführt worden. Schon vor mehreren Monaten habe seine Tochter durch einen unglücklichen Zu­fall die Bekanntschaft des sehr gewandten und in seinem Aeußern bestechenden jungen Mannes gemacht, der sich ihr sogleich auf ihre wahr­scheinlich sehr bedeutende Mitgift spekulierend

in der unverkennbaren Absicht genähert habe, ihr Herz zu gewinnen. Zwar habe er, der Vater, sofort alles in seinen Kräften Stehende aufgeboten, um einen weiteren Verkehr der beiden jungen Leute zu verhindern, und er habe dem existenzlosen jungen Mann aus das Entschiedenste sein Haus verboten. Aber jener müsse wohl trotzdem ein Mittel gefunden haben, die Ver- bindung mit dem Fräulein heimlich fortzusetzen und seinen schändlichen Verführungskünsten sei es wohl dann gelungen, das unerfahrene, erst achtzehnjährige Mädchen zu einem verhängnis­vollen und folgenschweren Schritt zu verleiten. Am vorgestrigen Morgen fand der Stadt­verordnete das Zimmer seiner Tochter leer und die Andeutungen in einem zurückgelassenen Schreiben gestatteten keinen Zweifel, daß sie von ihrem Geliebten zu einer gemeinsamen Flucht beredet worden sei. Um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, hatte der tief gebeugte Vater anfänglich davon Abstand nehmen wollen, die Behörden um die Verfolgung seines armen, verblendeten Kindes anzugehen. Er hatte sich der Hoffnung hingegeben, daß es ihm durch private Nachforschungen gelingen werde, ihren Aufenthalt zu ermitteln, und er hatte wohl auch darauf gerechnet, daß sie selbst, von Reue er­griffen. zu ihm zurückkehren werde. Daß aber angesichts des fürchterlichen Verdachts, welcher jetzt auf dem jungen Römer lastete, von einer derartigen Rücksichtnahme nicht die Rede sein konnte, ist selbstverständlich, so war denn der beklagenswerte Mann, dem das Mitleid seiner Mitbürger gewiß im reichsten Maße zu Teil werden wird, gezwungen, all' diese peinlichen Dinge zur Kenntnis der Behörden zu bringen, die ihm sein verlorenes Kind hoffentlich recht bald wieder zuführen werden."

Mit diesen beiden Notizen hatte die Abend­zeitung von M. den Sachverhalt in der That, so genau und zuverlässig es nur irgend möglich, wiedergegeben. Die bestimmten und allem An­scheine nach durchaus glaubwürdigen Depositionen der Frau Rüdiger, welche in allen Einzelheiten auf das Genaueste mit den sonst ermittelten Um­ständen zusammentrafen, machten alle Erheb­ungen nach anderen Richtungen hin von vorn herein überflüssig; denn es bedurfte wahrlich nur einer sehr geringen Kombinationsgabe, um aus den bisherigen Feststellungen die letzten Schlußfolgerungen zu ziehen. Der mittellose junge Mann, welcher durch die Entführung der minderjährigen Else Hoffrichter vielleicht einen Druck auf den widerstrebenden Vater ausüben und diesen zu einer Einwilligung in die Ver­bindung zwingen wollte, hatte sich aller Wahr­scheinlichkeit nach an seine Tante gewendet, um von ihr die Mittel zu seiner Flucht zu erhalten. Der Staatsanwalt und die Untersuchungsrichter waren einstimmig der Meinung, daß es wohl kaum von Anfang an die Absicht des jungen Mannes gewesen sei, die alte Dame zu bestehlen, oder gar sie zu ermorden. Erst als sie sich weigerte, sein verbrecherisches Vorhaben zu unter- stützen, als sie ihm vielleicht gar ernste Vor­würfe wegen seines sträflichen Leichtsinns machte, war ihm wohl der unselige Entschluß gekommen, -sie für immer zum Schweigen zu bringen und sich jenes kostbaren Kleinods zu bemächtigen, dessen Vorhandensein ihm sehr Wohl bekannt war Daß das junge Mädchen an dem Ver­brechen in irgend einer Weise beteiligt sei oder auch nur Kenntnis von demselben erhalten habe, wollte bei dem Ansehen ihrer Familie Niemand für möglich halten, und für sie hatte man keine Verwünschungen, sondern überall nur Worte des tiefsten und innigsten Bedauerns. Ja, unter denjenigen, welche mit der Familie Hoffrichter aus den letzten Jahren näher bekannt waren, gab es sogar nicht wenige, welche der tyran­nischen Härte, mit der Else von ihrem Vater behandelt worden, einen großen Teil der Schuld an all' diesen traurigen Vorkommnissen zu­schrieben und welche um des armen Mädchens willen verstohlen der Hoffnung Ausdruck gaben, daß es der Aufmerksamkeit und dem Eifer der Krimininalpolizei nicht gelingen möge, der Flücht­igen habhaft zu werden.

Sie sollten bald genug zu ihrem Bedauern

erfahren, daß ihrer Hoffnung die Erfüllung ver. sagt geblieben war.

Wieder saß der Pfandleiher Julius Wende- land behaglich zusammengekauert in seinem großen Lehnstuhl hinter einem großen Zeitungsblatt, dessen Spalten er nun schon seit geraumer Zeit mit gemächlicher Muße studierte. Derjenige Teil des Journals, welcher der Politik und den schönen Künsten gewidmet war, hatte zwar durchaus kein Interesse für ihn; aber es gab auch außer, dem des Lehrreichen, Angenehmen und Be­merkenswerten für ihn noch genug in dem Blatte. Mit den Inseraten auf der letzten Seite hatte er angefangen, und einige von ihnen hatte er durch dicke Blaustiftstriche besonders markiert. Ein Beamter in bedrängter Lage, der zu mäßigen Zinsen ein kleines Darlehen suchte, eine arme Witwe, welche einen Teil ihrer Habe wegen drückender Not zum Verkauf ausbot, ein junger Mann, der seinen Anspruch auf eine sichere Erb- schaft mit großem Verlust veräußern will, und noch einige andere Unglückliche, die hier ihren letzten Hilfeschrei aus dem Schiffbruch des Da- seins ertönen ließen, waren damit auf die Opfer- liste des menschenfreundlichen Herrn Julius Wendeland gesetzt, und wehe denjenigen unter ihnen, die er nach eingehender Prüfung ihrer Verhältnisse seinerHilfe" noch würdig erachten würde. Nach Erledigung dieses wichtigsten Teils seiner Lektüre hatte der Pfandleiher seine Auf­merksamkeit den Lokalereignissen der Hafenstadt zugewendet und mit einer wahren Andacht hatte er namentlich den Polizeibericht studiert, der von den Unglücksfällen, den Diebstählen und den Verhaftungen ertappter Verbrecher erzählt. Den Beschluß gleichsam das leckere Dessert an der Tafel seiner auserlesenen geistigen Genüsse, bildete nun das Studium desVermischten", wo in buntem Durcheinander von auswärtigen Feuersbrünsten, grausigen Verbrechen, neuen Erfindungen rc. dre Rede war.

(Fortsetzung folgt.)

sPferde-Eisenbahn-Offiziere.j Zwei Offiziere des Eisenbahn-Regiments in Parade-Uniform kommen am Botanischen Garten an zwei Schul- buben vorbei.Du", sagt der eine,was sind denn das für welche?"Das sind Elsen- bahner."Der Eene hat ja aber Spörner an de Stiebeln!"Ja, der ts von de Pferde« Eisenbahn."

Gedankensplitter.

Du hast, o Dichter, wohl Ruhm errungen, Ist, Vielen zu gefallen, dir gelungen; Doch soll dein Lob mit Recht erschallen, Mußt du auch Einigen nicht gefallen.

Telegramme.

Berlin, 5. Juli. Bezüglich des Mord­anschlags gegen den Polizeioberst Krause steht, einer Mitteilung derNationalzeitung" zufolge, nunmehr fest, daß die Höllenmaschine von einem Frauenzimmer in Männerkleidern zu Fürstenwalde auf die Post gegeben worden ist. Das Frauenzimmer war den Bahnbeamten auf der Rückfahrt nach Berlin aufgefallen, bei der Ankunft in Berlin aber plötzlich verschwunden.

Dortmund. 6. Juli. Das hiesige Eisenbahnempfangsgebäude steht in Flammen. 2 Kellnerburschen sind erstickt.

Neustadt in Oberschlesien, 6. Juli. Bei einer Straßenkanalisation erfolgte eine Explosion angesammelter Gase. Der Schachtmeister und ein Arbeiter sind schwer, 4 in ^der Nähe befind­liche Personen leicht verletzt. Die Fensterscheiben der Nachbargebäude sind zertrümmert.

Brüssel, 6. Juli. Der Diebstahl bei Bankier Corteweener hängt nach Ermittlung der Polizei mit andern großen Diebstählen mehrerer internationaler Diebsgenossenichasten zusammen. Der Wert der seit mehreren Jahren verübten Diebstähle beträgt Millionen. Zahlreiche Ver­haftungen sind erfolgt.

Neapel, 6. Juli. Der Vesuv ist in voller Thätigkeit. Zwei neue Oeffnungen haben sich gebildet; reichliche Lavamasse strömt die Fahrstraße der über die Resinastraße führenden Drahtseilbahn herab.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.