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zur Sprache: Einbeziehung der kleinen Städte! in das Telephonnetz, Umsonstbeförderung der! Soldatenpackete, Herabsetzung der Postpersonentarife. Entlastung der Postbeamten u. s. w. Gröber kam nochmals auf seine Angriffe wegen des Vorgehens iler Postverwaltung gegen die Stuttgarter Privatpost zurück, wobei ihm Ministerpräsident v. Mittnacht und Präsident Weizsäcker wiederum entgegentraten. Am Donnerstag setzte die Kammer die Beratung des Post- und Telegraphen-Etats fort. Es kam wieder eine große Anzahl von Sonderwünschen, hauptsächlich Postgebäude betreffend, zum Vortrag. Die Stellung der Landbriefträger wurde von mehreren Rednern als besserungsbedürftig bezeichnet. Der Post- und Telegraphenetat wurde schließlich genehmigt. — Am Donnerstag Nachm, wurde auf Einladung seitens des Ministerpräs. v. Mittnacht von den Mitgliedern der Kammer mittelst Sonderzugs eine Fahrt nach Beilstein unternommen, um, da bei der Beratung des bevorstehenden Eisenbahnbaugesetzes Beratungen von schmalspurigen Eisenbahnbauten bevorstehen, die erste in Württemberg ausgeführte Bahn mit 75 ein Spurweite zu besichtigen. Es beteiligten sich an dieser Fahrt außer dem Ministerpräsidenten, dem Präs. v. Balz u. A. etwa 65 Abgeordnete.
Zu einer Eingabe des Prof. G. Jäger in Stuttgart und 803 weiterer Unterzeichner um Abschaffung der Hausaufgaben der Schüler beantragt die Kommission der Kammer: die Staatsregierung zu ersuchen, a) durch besondere Verfügung anzuordnen, welche Zeitdauer auf die schriftlichen Hausaufgaben in allen Volksschulen des Landes verwendet werden darf; b) die evangel, Oberschulbehörde zu veranlassen, eine Einschränkung des religiösen Memorierstoffes in den evangelischen Volksschulen vorzunehmen; o) die Kultmimsterialabteilung für Gelehrten- und Realschulen zu veranlassen, eine Revision des Erlasses vom 26. April 1883 in der Richtung vorzunehmen, daß eine Beschränkung der aus die Hausaufgaben zu verwendenden Zeit einzutreten habe.
Das Armee-Verordnungsblatt enthält folgende Verordnung, welche auch für hiesige Veteranen vom Interesse sein wird: Fahrpreis- Vergünstigung für Veteranen aus dem Feldzuge 1870/71 gelegentlich des diesjährigen Besuches der Schlachtfelder im Westen des Deutschen Reiches. Der Königlich Preußische Herr Minister der öffentlichen Arbeiten hat die König!. Preußischen Eisenbahn-Direktionen ermächtigt, den Veteranen aus dem Feldzuge 1870/71, die in den Monaten Juli, August und September ds. Js. aus Anlaß der 25jährigen Wiederkehr der Siegestage von 1870 festlichen Veranstaltungen auf den Schlachtfeldern im Westen des deutschen Reiches beizuwohnen wünschen, und die sich entweder durch das Besitzzeugnis der Kriegsdenkmünze des Feldzuges 1870/71 oder für den Fall des Verlustes desselben durch eine Bescheinigung ihres Truppenteiles, oder wenn dieser zur Zeit nicht mehr besteht, des heimatlichen Bezirkskommandos als solche Veteranen ausweisen, auf Erfordern die Hin- und Rückreise in der dritten Wagenklaffe aller Züge zu Militärfahrpreiscn (1,5 Pf. für das Kilometer) unter Gewährung von 25 Freigepäck zu gestatten; dieses auch dann eintreten zu lassen, wenn die Veteranen mehrere Schlachtfelder zu besuchen und die Rückreise von einem anderen Punkte als dem Endpunkte der Hinreise anzu- treten oder einen anderen Rückweg zu nehmen wünschen.
Aus mehreren Gegenden unseres Landes kommt die Nachricht, daß am 17. Juni früh die Temperatur bis unter den Gefrierpunkt gesunken, Und sonach Frost eingetreten sei. Hauptsächlich betroffen wurden die nordöstlichen Bezirke des Landes: Gerabronn, Hall, Gaildorf, Crailsheim, Ellwangen. In den Thälern und Mulden, wo die nächtliche Ausstrahlung stark wirkt und in welche die erkaltete und deshalb schwere Nachtluft von der Höhe herabsinkt, haben die Gartengewächse notgelitten, ja es ist vielfach das Kartoffelkraut bis zur Wurzel zu Grund gegangen. Junifröste sind zwar sehr selten, kommen aber in rauhen Lagen doch zuweilen, in milden Lagen
I allerdings nur ausnahmsweise vor. Der letzte I ist am 1. Juni 1873 eingetreten und hat damals viel Schaden, mehr als der diesjährige, gebracht, war auch viel mehr verbreitet, als derjenige vom 17. Juni d. I.
Stuttgart. 20. Juni. Der ehemalige Gasthof zum Ob erpolling er ist als solcher völlig eingegangen und wird für kaufmännische Zwecke durch alle Stockwerke umgebaut.
Lausen a. Eyach, 18. Juni. Die Eyach ist nun wieder zu einem kleinen Bächlein ge- worden, das beinahe trockenen Fußes überschritten werden kann. An ihrem Ufer sind im Lauf der Woche von den vier vermißten Leichen noch zwei, von Schlamm und Gerölle bedeckt, aufgefunden worden. Es fehlen jetzt noch die 12jährige Rosa Slotz und ein Arbeiter aus Italien. Präsident v. Leibbrand hat nun nähere Anordnungen über die Restauration der beschädigten Straßen, Brücken und Häuser gegeben. Da eine Straße bedeutend verlegt, das Bachbett korrigiert und tiefer gelegt, eine breite eiserne Brücke über die Eyach gebaut werden soll und mehrere Häuser abgebrochen werden, so wird der Ort künftig ein wesentlich verändertes Bild zeigen. Der Schaden, den das Hochwasser hier angerichtet hat, ist nun auf nahezu 300 000 vlL eingeschätzt. — Wie wir erfahren, sind in Balingen bis jetzt 350 000 eingelaufen. Viktualien, Kleider, Betten, besonders vom „Verein für außerordentliche Notfälle auf dem Lande" geliefert, konnten überall in ausgiebiger Weise verteilt werden. Rührende Beweise herzlicher Teilnahme laufen von nah und fern ein. So sammelte z. B. in Oeschel- bronn eine Schülerin in ihrer Klaffe 9 und schickte dieselbe mit einem teilnahmsvollen Briefchen an Lehrer H. hier.
Tübingen. Wegen Fälschung einer öffentlichen Urkunde war angeklagt der vormalige Amtsdiener Joh. Georg Gröber von Gechingen OA. Calw, weil er, wie er geständig ist, Stundung seiner Schuld von 200 M. aus dem Grunde nachsucht, weil seine Schwester, die 3000 M. geerbt habe, für die Schuld eintreten werde, das schultheißenamtliche Siegel und eine Beurkundung des Schultheißenamts Gechingen selbst beifügte. Er wurde vermutlich aus dem Grunde, weil die Geschworenen den Brief nicht als öffentliche Urkunde anzusehen vermochten, nicht für schuldig befunden und freigesprochen.
SchwurgerichtTübingen. Schullehrer Christian Friedr. Naschold von Neuhausen OA., Urach, stand in den letzten Tagen vor den Geschworenen. Eine Eigensinnigkett seines Schülers Bernhard Reusch, 8 Jahre alt, veranlaßte den Angeklagten, diesem Knaben 2 Schläge mit einem Meerrohr über den Kopf zu versetzen; er ist nun beschuldigt, den am 17. April infolge einer Gehirnhautentzündung eingetretenen Tod des Reusch verursacht zu haben. Das Meerrohr- stöckchen, das auf dem Beweistisch lag, war nicht geeignet, einen Laien davon zu überzeugen, daß mit ihm eine tötlich verlaufende Verletzung beigebracht werden könnte. Doch führten zwei von den erschienenen 3 Sachverständigen den Tod auf die Schläge mit dem Stückchen mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück, während der weitere Sachverständige nur von einer Möglich, keit sprechen konnte. Die Geschworenen entschieden sich für einfache Körperverletzung im Amt. worauf eine ämonatliche Gefängnisstrafe, woran l'/r Monate Untersuchungshaft abgehen, ausgesprochen wurde.
Cannstatt, 22. Juni. Nach der vor- läufigen Zusammenstellung der Berufszählung beträgt die Einwohnerzahl in hiesiger Stadt 22089 gegen 20 265 im Jahre 1890, 18 025 1885, 16205 pro 1880. Es hat hienach die Bevölkerung je in den letzten 5 Jahren um 1824, 1840 und 1820 zugenommen.
Rottweil, 22. Juni. In der Nacht von gestern auf heute, etwas vor Mitternacht, brach in dem zu Rottweil gehörigen Weiler Hochwald Feuer aus, das mit so rasender Geschwindigkeit um sich griff, daß in kürzester Zeit 2 stattliche Bauernhöfe in Asche lagen. Die Bewohner der- selben konnten nur mit Mühe das nackte Leben retten und verloren 20 St. Kühe und Ochsen, 2 Pferde und 34 Schweine. Abgebrannt sind
die Anwesen der Bauern Hieronymus Aigel- dinger und Matthäus Engeser.
Tuttlingen, 22. Juni. Infolge des allgemeinen und bedeutenden Lederausschlags hat der Verein der Tutllinger Schuhfabrikanten, bei welchem 21 Firmen vertreten sind, in seiner gestrigen Versammlung beschlossen, die Preise für die Schuhwaken vorerst um 10°/o zu erhöhen und von diesem Beschluß die auswärtige Kundschaft durch Zirkular in Kenntnis zu setzen.
Gundelsheim, 18. Juni. In die Dunkelheit der Herkunft des reichen Brasilianers, von der letzthin berichtet wurde, ist schon Licht gekommen. Joseph Bauer, der in San Manoel durch eine Kugel sein Leben geendet, ist 1828 hier geboren, und da er vermutlich in Amerika keine Verwandten hat, so dürfte seine Hinterlassenschaft einem hier lebenden Großneffen zufallen. Von der ganzen Verwandschaft ist sonst niemand mehr da, es würde demnach keine Teilung stattfinden. Die Papiere, welche die Ver. wandt Nachweisen, sind bereits an die bezügliche Stelle abgegangen. 17 330 Milreis (g. 2 Mk. 34 Pf.) sind 40552 Mk. (In Portugal ist ein Milreis 4 Mk. 50 Pf. Diesmal kommt das Glücksgeld an eine richtige Stelle, und es ist nur zu wünschen, daß sich dem Transport von San Manoel bis nach Gundelsheim kein Hindernis in den Weg legt!)
Perouse» 20. Juni. Am 13.Juni 1699 sind nach einem Schreiben des Leonberger Vogts Johann Konrad Bürck an die Herzog!. Kanzlei die ersten piemontesischen Ansiedler hier aufgezogen und haben sich sofort im Wald hier „Baracken" gebaut. Nach einer genauen Zählung der hiesigen Gemeindeglieder sind von 411 am 1. Juni d. I. anwesenden Einwohnern noch 71 rein waldensischer, dagegen 121 rein deutscher und 219 gemischter Herkunft. Unter den letzteren überwiegt das waldensische Blut ziemlich stark, so daß die Nachkommen der ersten Ansiedler immer noch ein gewisses Uebergewicht behaupten.
Marktpreise.
Neuenbürg, 22. Juni.
Butter, »/- Kilo.1.10—1.20
Landeier, 2 Stück 11 Kisteneier 5
Pforzheim, 22. Juni.
Landbutter, V, Kilo.90—1.
Süßrahmbutter.1.10—1.20
Landeier 2 Stück.11—12 ^
Kisteneier, 2 Stück. 9—10 ^
Stuttgart, 22. Juni.
Saure Butter, Vi Kilo.1.-
Süße Butter, Kilo . . . . 1.10—1.20
Frische Eier, 10 Stück. 55
Kalkeier, 10 Stück.— —
Ausland.
Paris, 22. Juni. Eine Anzahl junger Royalisten legten an dem Sockel der Jeanne d'Arc-Slatue einen Nelkenkranz nieder, dessen Schleife die Inschrift trug: „Der Lothringerin Johanna eine Gruppe von Royalisten, die der Trauer und den Hoffnungen des Landes Treue bewahrt." Die Polizei entfernte die Schleife. Heute nachmittag begaben sich einige Personen nach der klaeo äo8 Victoiros und legten an dem dort befindlichen Standbild Ludwigs XIV. einen Kranz nieder mit der Inschrift: „Ludwig XIV., der Frankreich das Elsaß wiedergegeben hat."
Gegenüber dem scharfen Vorgehen Englands, Rußlands und Frankreichs in der armenischen Frage scheint die türkische Regierung nun doch mildere Saiten aufziehen zn wollen. In der Antwortnote der Pforte auf die Gesamtvorstellungen der genannten 3 Mächte, welche ihrem Wortlaut nach noch nicht bekannt ist. soll der neue Großvezier Reformen in Arme» nien versprochen haben. Zwischen Versprechen und Halten besteht häufig ein Unterschied, bei den Türken ein sehr großer; aber diesmal werden sich die Engländer nicht mehr mit Versprechungen abspeisen lassen und ebensowenig die beiden anderen Mächte. Diesmal hilft den Türken das Mundspitzen nichts, es muß wirklich gepfiffen werden. Es fragt sich jetzt nur noch, wie die Melodie dann ausfällt.
Der dis jetzt parlamentarisch geführte Kampf der Norweger gegen die Union mit Schweden scheint nunmehr doch in etwas ruhigere Bahnen kommen zu sollen, da es die Norweger doch vorziehen, einen förmlichen Krieg