413

Mehr erkenne ich in demselben den Ausfluß des Pulsschlags des gesamten deutschen Volkes, das stolz daraus ist. das neu geeinte deutsche Reich in seinen Fürsten und hohen Gästen vertreten zu sehen. Solche Momente, wie wir sie heute erleben, rufen in uns die Erinnerung zurück, vor allem die Erinnerung in dankbarer Form. Wir müssen in Dank und Wehmut gedenken des großen Kaisers, der dahin gegangen ist, und seines herrlichsten Sohnes, unter denen dos Werk, auf das Sie soeben angespielt haben, erstanden ist. Uns allen ist noch gegenwärtig der Jubel bei dem letzten Besuche meines hochseligen Herrn Großvaters. Wir vereinigen zwei Meere. Auf das Meer lenken sich unsere Gedanken; das Meer ist das Sinnbild der Ewigkeit, Meere trennen nicht, Meere verbinden. Die verbindende Meere sind verbunden durch ein neues Glied zum Segen und Frieden der Völker. Die erz­gepanzerte Macht, die sich versammelt auf dem Kieler Hafen, soll zu gleicher Zeit ein Sinnbild des Friedens sein, des Zu­sammenwirkens aller europäischen Kulturvölker zur Hochhaltung und Aufrechterhaltung der europäischen Kulturmission. Haben wir e'nen Blick geworfen aus das ewige Meer, so werfen wir einen Blick auf das Meer der Völker. Aller Völker Herzen richten sich hieher mit fragendem Blick. Sie erheischen und wünschen den Frieden. Im Frieden nur kann der Welthandel sich entwickeln, im Frieden nur kann er gedeihen, den Frieden werden und wollen wir auf­rechterhalten. Möge in diesem Frieden auch Hamburgs Handel blühen und gedeihen! Es soll ihm stets der Schutz des kaiserlichen Aars folgen, wohin er auch seine Bahnen über die Welt ziehen möge. Wir aber alle erheben jetzt die Gläser und trinken auf das Wohl unferer werten Hansestadt Hamburg. Sie lebe hoch, nochmals hoch und zum dritten Mal hoch! Die Rede des Kaisers machte auf die Ver­treter der Nationen wegen ihrer entschiedenen Betonung der Friedenspolitik den tiefsten und erfreulichsten Eindruck. Nach der Festtafel begab sich der Kaiser mit dem regierenden Bürgermeister Lehmann auf den Balkon des Rathauses, vor dem, trotz eines herrschenden schweren Gewitters, Tausende standen und dem Kaiser zujubelten, als wenn sie die Rede des Kaisers über den be­geisterten Empfang schon gekannt hätten. Nach 9 Uhr ging der Kaiser nach der Alsterinsel. Unbeschreiblicher Jubel des Publikums empfing ihn, die Militärkapellen spielten die National­hymne. Das Fest und die Beleuchtung verlief aufs herrlichste. Die Lombardbrücke zeigte nie gesehene Feuereffekte, das Feuerwerk übertraf alles aus dem Alsterbecken bisher Gesehene.

Brunsbüttel, 20. Juni, 4 Uhr früh. DieHohenzollern" , mit dem Kaiser und Prinzen an Bord, passierte um 3^/« Uhr die festlich geschmückte Westschleuse unter brausenden Hurrahrufen der Kriegervereine, der Schulen und eines vielhundertköpfigen Publikums. Die Militärkapelle spielte die Nationalhymne, in welche die Menge einstimmte. Der Kaiser war an Deck und dankte, sichtlich bewegt, nach allen Seiten. Um 4 Uhr zerschnitt dieHohenzollern" die über den Kanal gespannte Schnur, und majestätisch begann das stolze Kaiserschiff die Kanalfahrt. Das Wetter ist herrlich. Die den Anfang des Kanals begleitende« Höhenzüge prangen im Flaggen« und Guirlandenschmuck.

Kiel, 20. Juni. DieKaiserin und die Prinzessin Heinrich beobachteten vom Hotel Bellevue aus das Einlaufen der^Kaiseryacht ^Hohenzollern".

Hol tenau, 20. Juni. Die JachtKaiser« adler" mit den deutschen regierenden Fürsten an Bord ist um 1 Uhr 25 Min. hier einge­troffen, von lebhaften Hurrahrufen begrüßt. Bei dem Eintreffen der JachtHohenzollern" befand sich der Kaiser auf der Kommando­brücke und grüßte fortwährend nach allen Seiten.

Kiel, 20. Juni. Als drittes Schiff pas­sierte um 4.30 Min. der LloyddampferKaiser Wilhelm II." mit den deutschen Fürsten und den Ministern an Bord die Holtenauer Schleuse. -- Das letzte Schiff hat wohlbehalten Grünen­thal passiert.

Rendsburg, 20. Juni. Der französ. l AvisoSurcous" wurde bei der Durchfahrt mit' der Marseillaise begrüßt. Die Begrüßung am Ufer wurde von den Offizieren lebhaft erwidert.

Glatz, 18. Juni. Heute Morgen 5U» Uhr wurde der vom hiesigen Schwurgericht wegen Ermordung und Beraubung der Botenfrau Anna Paul zum Tode verurteilte Fleischer Benedikt Siegt aus Volpersdorf vom Scharfrichter Reindel aus Magdeburg hingcrichtet.

München, 18. Juni. Eine allgemeine Schönheits-Konkurrenz" findet im Oktober d. I. in Warschau statt. Der erste Preis be­trägt 1000, der zweite 700, der dritte 500 Rubel. Das Preisrichteramt soll eine Anzahl von Malern und Journalisten übernommen haben.

Karlsruhe. 17. Juni. Statt des be­rechneten Defizits von 600000 Mk. ergaben im Jahr 1864 die bad. Staatsbahncn eine Ein­nahme von 3,1 Millionen, somit eine Besserung von 3,7°/o.

Frei bürg, 18. Juni. Ein raffinierter Schwindler scheint hier sein Unwesen zu treiben. Gestern Mittag erschien ein Unbekannter in Arbeiterkleidung in einem Hause der Bahn­hofstraße, dessen Bewohner z. Z. vereist ist, und gab dem Dienstmädchen gegenüber an, er sei von seinem Meister beauftragt, die Offen des Hauses auszubessern, zu welchem Zwecke er sich solche ansehen müsse. Diesem Ansuchen wurde von Seiten der Dienstmädchen entsprochen, wobei der Unbekannte in ein Zimmer sich einjchloß und längere Zeit in diesem verweilt. Der Auf­forderung der Mädchen, die Thür zu öffnen, leistete er Folge, entfernte sich aber schleunigst unter dem Vorgeben, er wolle jetzt Arbeilsge- schirr holen, kehrte.aber nicht mehr zurück. Am gleichen Tage hat ein Unbekannter sich unter gleichen Vorspiegelungen in ein Anwesen der Alberstraße Eingang zu verschaffen gewußt. Ob derselbe etwas gestohlen hat, konnte bis jetzt in beiden Fällen noch nicht festgestellt werden.

Württemberg.

Se. Majestät der König ist am letzten Dienstag zur Teilnahme an den Feierlichkeiten bei Eröffnung des Nordostseekanals nach Ham­burg bczw. Kiel abgercist. Die württembergischen Minister müssen wegen des Standes der parla­mentarischen Arbeiten Zurückbleiben; der Kammer­präsident Payer ist in seiner Eigenschaft als Reichstagsabgeordneter, der an ihn ergangenen Einladung gefolgt und wird diese Festlichkeiten mitmachen, während Vizepräsident Dr. Kiene die Kammerverhandlungen leitet. In der Kammer selbst kam in der letzten Woche zunächst der Justizetat und dann der Postetat zur Beratung. Aus Wunsch der Kammer werden mehrere bis­herige Hilfsrichterstellen in definitive Richter­stellen umgewandelt werden. Der Ertrag der württemb. Posten und Telegraphen ist seit einer Reihe von Jahren meistens hinter dem Voran­schlag zurückgeblieben, was seinen Grund, wie der Verkehrsminister, Ministerpräsident Dr. Frhr. v. Mittnacht selbst zugab, in der Hauptsache darin hat, daß auf dem Lande zahl­reiche Postanstalten und Tclegraphenämter er­richtet wurden, die weit mehr Kosten verursachen, als sic Einnahmen bringen.

Balingen, 18 Juni. Heute Nacht 1 Uhr brannte ein durch die Hochflut stark be­schädigtes Wohnhaus nieder. Das in unmittel­barer Nähe gelegene Mühleanwesen des C. Stingel, das durch das Hochwasser so zerstört wurde, daß die Hälfte einstürzte, fing ebenfalls Feuer; die Feuerwehr mußte sich aus den Schutz der Nachbarhäuser beschränken. Die Entstehungs­ursache des Brandes ist unbekannt. Als vor einigen Tagen zwei Herren die hies. Unglücks­stätten besichtigten, kamen sie auch an das stark beschädigte Anwesen des Obermüllers Haug, wo sie mit einem Techniker zusammentrafen. Sie erkundigten sich nach dem Schaden des Müllers und fragten, was es wohl kosten würde, um die Mühle nur teilweise und notdürftig in Betrieb setzen zu können. Da der Techniker erwiderte, daß sich mit 200 ^ vorläufig viel richten lasse, griffen sie in die Tasche und überreichten dem Techniker diese Summe zur Begleichung der ent­

stehenden Kosten und entfernten sich, ohne ihren Namen zu nennen. Durch Mithilfe der Pioniere, die ein Notwehr anlegen werden, wird nun Haug in der Bälde in der Lage sein, seinen Betrieb, wenn auch im kleinsten Umfange, wieder aufnehmen zu können. (S. M.)

Neresheim, 17. Juni. In der Nacht vom Sonntag auf den Montag sind hier nicht bloß die feineren Gartengewächse, Gurken, Bohnen u. s. w., sondern selbst die Kartoffeln erfroren. In Ellwangen war der Reif in der gleichen Nacht ebenso stark.

Tuttlingen, 19. Juni. Ein gewisser R. hier, welcher aus Rache im Garten des Schuh­fabrikanten Reichte mehrere junge Bäume ab- schnitl wurde dieserhalb von der Strafkammer Rottweil zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt.

Tuttlingen, 19. Juni. Vergangenen Sonntag fand in der Bierbrauerei L. Storz hier eine Bienenzüchter-Versammlung statt, auf welcher die letzte Ueberwinterung der Bienen besprochen und Ratschläge für künftige Ueberwinterungen gegeben wurden. Für lange strenge Winter wurde der Keüer-Ueberwinterung das Wort ge­redet, mit der mancher Bienenzüchter gute Er- folge gehabt.

Ausland.

Im österreichischen Landtag haben sich die Parteikämpfe richtig so zugespitzt, daß kein Mensch mehr weiß, wer Koch und Kellner ist. Die Polen haben im Budgetausschuß den Slovcnen ln Cilli ein eigenes slavisches Gym­nasium neben dem deutschen bewilligt, weshalb die deutschnationalen Abgeordneten aus der Regierungsmehrheit ausgetreten sind, und nun hat das Ministerium Windischgrätz keine sichere Mehrheit mehr und deshalb den Kaiser um seine Entlassung gebeten. Was nun weiter werden soll, weiß kein Mensch vorauszujagen, thatsäch- sich scheinen die Jungczechen Herren der Lage in ganz Oesterreich geworden zu sein.

Wien, 19. Jum. Der Kaiser hat das Cntlassungsgesuch des Ministeriums Windisch­grätz angenommen.

Der Präsident der französ. Republik hat vom Zaren den höchsten russischen Orden erhalten, und nun jubeln die Franzosen gewaltig über dieses russische Freundschaftszeichen, freilich wäre vielen Franzosen die russische Unterschrift unter ein Schutz- und Trutzbündnis lieber ge­wesen, dazu gievt sich aber Zar Nikolaus nicht her, den Franzosen Elsaß-Lothringen wieder zu verschaffen, und hat lieber dem Präsidenten Faure den Andreasorden geschickt, der viel weniger Geld kostet, als ein Krieg und nament­lich auch keine blutigen Opfer fordert. Nun möchten freilich die Franzosen diese Ordensver­leihung mehr als eine Demonstration Rußlands gegen die Kieler Festlichkeiten darstellen, aber sie werden rasch belehrt werden, daß Rußland durchaus nicht feindselig gegen Deutschland ge­stimmt ist und so kann man ^unseren Nachbarn im Westen wohl die Freude der Selbsttäuschung gönnen. Letzten Sonntag wurde in Paris ein Aufzug vor der Statue der Stadt Slraßburg veranstaltet, was einen Protest Frankreichs gegen die Beteiligung französischer Schiffe an den Kieler Festen bedeuten sollte, aber die ganze Demonstration verlief äußerst harmlos und erreichte ihren Zweck, dem Ministerium eine ernstliche Verlegenheit zu bereiten, nicht. Bei dem Feldzug gegen Madagaskar haben die Franzosen in der letzten Woche einige Vor­teile über die Hovas errungen, aber letztere scheinen noch nicht gewillt zu sein» sich zu unterwerfen.

Paris, 19. Juni. Obwohl die offiziöse Presse findet, daß die heute gelegentlich der Cremonie der Ordensüberreichung an den Prä­sidenten der Republik getauschten Ansprachen jeden Zweifel an dem Vorhandensein einer französisch russischen Allianz beseitigen müßte, muß sestgestellt werden, daß die Ansprache des Botschafters Mohrenheim den in sie seitens der französischen Kreise gesetzten Erwartungen nicht entsprochen hat. Dieselben hatten gehofft, in derselben ein Gegenstück zu dem jüngst rn den Erklärungen Hanotanx und Ribots wiederholt gebrauchten WortAllianz" zu finden, auch die