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nachdrückliche Betonung des friedlichen Geistes des französischen Volkes wird eher als ein ge­rade jetzt unwillkommener Dämpfer für gewisse Aspirationen angesehen, welche der Glaube an ein Schutz- und Trutzbündnis mit Rußland bei manchen großgezogen hat. Wie dieFrance" meldet, wurde heute in den Kammercouloirs die offizielle Banalität" der gestern im Elysöe ge­tauschten Ansprachen und der Dankdepesche des Präsidenten Faure an Zar Nikolaus mit unver­hohlener Verstimmung erörtert. Einige radikale deputierte hätten die Absicht geäußert, an Hano- taux die direkte Anfrage zu richten ob zwischen Frankreich und Rußland ein Allianzvertrag be­stehe oder nicht. Auch eine Anzahl hier an- säßiger. aus Elaß Lothringen stammender Per­sonen. hielten eine Versammlung ab^ um gegen die Entsendung französischer Schiffe zu den Kieler Feierlichkeiten zu protestieren. Ein Red­ner fand es für angezeigt, gegen den Besuch, den Kaiser Wilhelm im Jahre 1900 der Stadt Paris abstalten wolle, Verwahrung einzulegen, ein anderer suchte in einem stundenlangen Bor­trag nachzuweisen, daß die Elsäßer nicht ger- manischen, sondern gallo-keltischen Stammes seien. Der Name dieses Redners ist Waldteufel.

DieenglischePresse begrüßt einstimmig das deutsche Reich zu der Vollendung des Nord- Ostseekanals und widmet uns Deutschen sehr sympathische Artikel, sogar der greise Gladstone hat es sich nicht nehmen lassen, persönlich sich zu den Festlichkeiten zu begeben. Die konser­vative Partei in England scheint nunmehr schon sicher darauf zu rechnen, daß das Parlament bald aufgelöst wird und daß ihnen die Neu­wahlen eine Majorität bringen werden, wodurch sie wieder zur Regierung gelangen können. Die liberalen Unionisten und die Konservativen haben durch ihre Führer bereits erklären lassen, daß in letzterem Falle die Ministersitze unter diesen beiden Gruppen der seitherigen Opposition gleichmäßig verteilt werden würden.

In Grenoble schickte der Hauptmann Hutin nachts seinen Ordonanzburschen zu einem Gerichtsvollzieher. Der Ordonanzbursche weckte infolge eines Irrtums den Advokaten Lavauden aus dem Schlafe und als dieser im Dunkeln einen bewaffneten Mann sah, feuerte er gegen denselben einen Revolver ab, in der Meinung einen Räuber vor sich zu haben. Der Ordonanz­bursche wurde tötlich verwundet.

Unterhaltender Heil.

Ein Brillantenhalsband.

Kriminal-Novelle von Ferdinand Herrmann.

(Nachdruck verboten.)

Es war nicht leicht in dieser späten Abend­stunde die schmale, dunkle, vielgewundene Treppe mit ihren ausgetretenen unregelmäßigen Stufen zu erklettern, ohne dabei Schaden an seinen Gliedmaßen zu nehmen. Aechzte und knarrte doch überdies das morsche Holz bei jedem Schritt, als sei cs nicht länger gewillt, sich geduldig treten zu lassen und als müsse das ganze uralte Stiegenhaus unter dem Gewicht des langsam und vorsichtig vorwärts tappenden Mannes zu- sammenbrechen. Vom zweiten Treppenabsatz her­ab fiel ein schmaler, kümmerlicher Lichtstreifen in die egyptische Finsternis, gerade ausreichend, um die letzten Stufen notdürftig zu erhellen. Da brannte nämlich vor einer niedrigen, schmutz­igen Thür ein armseliges, qualmenden Lämpchen neben einem lose in seinem halbzerbrochenen Messingrahmen hängenden Porzellanschildchen, auf welchem zu lesen stand:Julius Wende­land. Pfandleiher", und darunter:Man trete ein. ohne anzuklopfen."

Vor dieser Thür machte der späte Besucher Halt. Er schöpfte tief Atem, als habe er eben etwas schweres vollbracht oder als wollte er sich Mut machen zu irgend einem schwierigen Be­ginnen. Dann legte er seine Hand auf den Griff des Thürschlosses und drückte die so wenig einladende Pforte auf. Sie führte direkt in das Geschäftslokal des Herrn Julius Wendeland und ein schriller, lang nachzitlernder Glocken­schlag verkündete dem Geschäftsinhaber den Ein­tritt seines Besuchers. Es herrschte ein un­

sicheres Licht in dem niedrigen Gemache, daß es nicht ganz leicht war, die Gestalt des Pfand- leihers sogleich wahrzunehmen. Der würdige Mann saß oder kauerte vielmehr in einem mäch­tigen Lehnstuhl hinter der breiten schmutzigen Tafel, welche dasKomptoir" in zwei Hälften durchschnitt. Außer diesem Lehnstuhl war an Einrichtungs-Gegenständen nur noch ein drei- beiniges, durch eine alte Kiste notdürftig unter­stütztes Schreibpult mit einigen sehr abgegriffenen Geschäftsbüchern, eine Wage, einigen Flaschen und einem Probierstein wahrzunehmen, während allerdings der aus mehreren Stücken verschieden­farbigen Kattuns zusammengesetzte und zum Ueberfluß durch eine stattliche Anzahl von Flicken in allen Nüancen des Regenbogens verzierte Vorhang, der eine beträchtliche Ecke in dem Raume abteilte, auf allerlei wunderbare Ge- Heimnisse und verborgene Herrlichkeiten schließen ließ, welche dort etwa den profanen Blicken un­eingeweihter Personen entzogen sein möchten. Jutius Wedeland ließ beim Eintritt des Fremden nicht sogleich das Zeitungsblatt sinken, in wel­chem er studiert hatte; aber er Hörle sofort auf zu lesen, um hinter dem mächtigen Papierbogen hervor seine kleinen verschmitzten Augen mit scharf forschendem Ausdruck auf den Ankömmling zu richten. Die Musterung konnte kaum zu Ungunsten des letzteren ausgefallen sein, vor­ausgesetzt, daß Papa Wendeland den Geschmack anderer Menschen teilte; denn der schlank ge­wachsene und gut gekleidete, vielleicht fünfund­zwanzigjährige junge Mann, der da mit allen Anzeichen der Verlegenheit vor dem schmierigen Ladentische stand, hatte unzweifelhaft ein sehr einnehmendes und Vertrauen erweckendes Ge­sicht. Auffallend war vielleicht nur die toden- blasse Farbe desselben und die eigentümliche Un­ruhe, welche sich in seinem Mienenspiel wie in allen seinen Bewegungen auf das Unzweideutigste ausprägte. Er hatte den Kragen seines Ueber- rockes in die Höhe gezogen und war offenbar bemüht, den untern Teil seines Antlitzes so tief als möglich in denselben zu begraben, obwohl bei der in dem niedrigen Raume herrschenden dumpfigen Wärme nur wenig Veranlassung dazu gegeben war. Schon bei seinem Eintritt hatte er ein ziemlich umfangreiches, viereckiges Etuis von schwarzem Leder aus der Tasche gezogen und dasselbe auf die Tafel niedergelegt.

Ich habe den Wunsch, diesen Gegenstand bei Ihnen zu verpfänden", sagte er nachdem sein Gruß unerwidert geblieben war.Ich hoffe, Sie werden kein Bedenken tragen, mir eine größere Summe darauf zu leihen."

Erst jetzt faltete Herr Julius Wendeland bedächtig sein riesiges Zeitungsblatt zusammen und richtete sich aus seiner lauernden Stellung auf. Er war von so winziger Gestalt, daß sein Kopf nur um ein Geringes über die Tafel ragte, und daß er fast gezwungen war. sich auf die Zehen zu stellen, um das Etui an sich zu nehmen. Wäre der junge Mann überhaupt in der Stimmung gewesen, solche Betrachtungen und Beobachtungen anzustellen, so hätte er sich wahrscheinlich mit einigem Erstaunen die Frage vorgelegt, wie alt wohl dieses kleine, gebrech­liche Kerlchen in Wirklichkeit sein möge, denn während das sehr wohl mit einer vertrockneten Zitrone vergleichbare, eingeschrumpfte pergament­artige Antlitz nur dasjenige eines Greises sein konnte, waren der seltsame listige Glanz der kleinen Augen und die energische Hast der Be­wegungen ganz darnach angethan, den Be­obachter in seiner Wahrnehmung wieder irre zu machen.

Aber der Fremde war, wie gesagt, augen­scheinlich durchaus nicht geneigt, sich über das mutmaßliche Alter den Kopf zu zerbrechen. Ein fieberhafter Glanz, der ebensowohl durch eine gewaltige Seelenangst als durch eine auf's Aeußerste gespannte Erwartung hervorgerufen sein konnte, leuchtete in seinen dunklen Augen auf. während er jede Bewegung seines Gegen­über verfolgte.;

Julius Wendeland hatte das Kästchen ge­öffnet und noch einmal war sein scharfer, lauern­der Blick blitzschnell über das Gesicht und die Gestalt des Fremden hingeglitten, als ihm von

dem verschlossenen Sammet, mit welchem das Etuis gefüttert war, eine große Anzahl pracht­voller Brillanten entgegengefunkelt hatten.

Hm! Hm!" meinte er, den Schmuck dicht an sein vertrocknetes Gesicht haltend.Die Steine sind natürlich unecht, nicht wahr?"

Nein, mein Herr, sie sind vollkommen echt", war die rasche Antwort des jungen Mannes, Sie werden unzweifelhaft in der Lage sein, sich durch irgend eine Prüfungsmethode zu über­zeugen."

Hm! Hm!" meinte der Pfandleiher wieder, indem er das Kollier unter dem Lichte der einzigen Gasflamme, die über dem.Tombank brannte, hin- und herdrehte.Wenn sie da Recht hätten, würde der Schmuck ziemlich wertvoll sein."

Die Art des Herrn Wendeland gefiel dem Besitzer des Brillantenhalsbandes offenbar sehr wenig; denn seine eben noch so bleichen Wangen begannen sich mit einer feinen Röte zu färben; aber er mochte wohl Ursache haben, an sich zu halten, denn er schluckte seinen Aerger hinunter und sagte mit leise zitternder Stimme:

Allerdings bin auch ich der Ansicht, daß das Kollier einen bedeutenden Wert hat. Es ist ein Familienerbstück und hat auch nie zuvor einem ähnlichen Zwecke dienen müssen, wie in diesem Augenblick."

Letzteres schien dem Pfandleiher vollkommen gleichgültig zu sein, denn er setzte seine Prüfung mit der vorigen Bedächtigkeit fort und ließ eine geraume Weile verstreichen, ehe er den Mund zu einer neuen Bemerkung öffnete:

Wie groß würde denn das Darlehen sein, das Sie auf diesen Gegenstand zu erheben be­absichtigen?"

Der Angeredete zögerte.

Ich glaubte, Sie würden mir ein Aner­bieten machen." sagte er endlich.Sie können sich wohl denken, daß es mir nicht ganz leicht wird, mich dieses teuren Gegenstandes zu ent- äußern nur eine peinliche Verlegenheit konnte mich dazu zwingen, und es ist mir vornehmlich darum zu thun. recht schnell in den Besitz einer größeren Summe zu gelangen. Je höher der Betrag ist, den sie mir geben können, desto dankbarer werde ich Ihnen sein."

Hm! Das ist nicht so einfach, knurrte Herr Julius Wendeland.Ich muß mich zuvor von der Echtheit der Steine überzeugen. Warten Sie einen Augenblick!"

(Fortsetzung folgt.)

sDer tiefe Eindrucks Lieutenant A.: Denken Sie. Kamerad, wie ich gestern auf Wohnungs­suche, gerate zufällig mitten in Damenpensionat hinein! Lieutenant B.: Aeh, famos, und . . . Lieutenant A.: Vorsteherin selbstver­ständlich gleich Ferien gegeben; wäre doch mit Lernen nichts mehr gewesen. (Fl. Bl.)

(Modern.) I. Kritiker:. . . Kennen Sie den Dichter des Dramas, das morgen zur Auf­führung kommt? Ein unausstehlicher Mensch! Wenn ich nur wüßte, wie ich ihm 'mal ein's anhängen könnte." 2. Kritiker:Schreiben Sie über sein Drama, es sei ein ernstes poetisch schönes Werk und kein Mensch wird in's Theater gehen!"

Telegramm.

Kiel, 21. Juni. Gestern abend 8.30 begann der große Marineball in den glänzenden Festräumen der erweiterten Marineakademie. Die Stimmung unter den 3000 Geladenen war die beste. Es waren alle Nationalitäten ver­treten. Die französischen Offiziere erschienen sämtlich unter Führung des Admirals Menard. Um 10 Uhr traf der Kaiser, bald darauf die Kaherin ein.

Berlin. 21. Juni. Nach einer Blätter­meldung aus Kiel trafen gestern etwa 60 000 Fremde ein. 1600 Brieftauben tragen die Kunde von dem Eintreffen des Kaisers in Holtenau nach allen Gegenden Deutschlands. Der Schluß­stein in Holtenau wiegt 40 Zentner. Derselbe bildet den Grundstein für das Denkmal Kaiser Wilhelms I.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.