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bloß sondern I'/, beträgt, und zwar ist der Unterschied darauf zurückzuführen, daß, während die Karlsruher Liederhalle ihren Preischor durchaus tadellos zum Vortrag brachte, die Mannheimer Liedertafel — abgesehen von einem anderen kleineren Fehler — den Zwischen» satz ihres Chores im Tempo viel zu langsam genommen hat. Da der Chordirigent der Mannheimer alsbald nach dem Konzert auf den Vortragsfehler aufmerksam gemacht wurde, mußte der Verein auf das Urteil des Preisgerichts vorbereitet sein, und man kann unter diesen Umständen nur herzlich bedauern, daß ein so angesehener Verein sich durch vollständig unbegründete Leidenschaftlichkeit zu einem Schritt hinreißen ließ, der einen störenden Mißklang in die Harmonie des Festes brachte. Ruhige Unterwerfung unter die Entscheidung eines unbefangenen Preisgerichts gehört ja leider nicht immer zu den Tugenden sestbesuchender Vereine. Um so mehr sollten große und angesehene Vereine darauf halten, in dieser Hinsicht feinen Takt zu zeigen.
In Bruchsal wurden einem dortigen Einwohner in einer der letzten Nächte von Ratten nicht weniger als 61 junge Enten totgebissen und die Kadaver alsdann auf einen Haufen zusammengeschleppt.
Württemberg.
Stuttgart, 15. Juni. Die Kammer der Abgeordneten setzte heute die Beratung des Justizetats fort. — Die von den Kammern der Abgeordneten für den Gesetzes- Entwurf betr. die Bestellung der Orts- vorsteher in den größeren Stadtgemeinden bestellte Kommission hat ihre Beratungen in der zweiten am Freitag abend stattgehabten Sitzung beendigt. Die Berichterstattung war in den Händen der Abgeordneten Rembold und Sachs. Dem Vernehmen nach beantragt die Kommission einstimmig die Ablehnung des Gefetzesentwurfs. Mit allen gegen 2 Stimmen beantragt sodann die Kommission eine Resolution, womit die Regierung ersucht wird, ein neues Gesetz einzubringen, durch welches für sämtliche Gemeinden eine periodische Wahl der Ortsvorsteher auf Grund des bestehenden direkten Wahlrechts der Gemeindebürger unter gleichzeitiger fachgemäßer Regelung der Geschäfte der Gemeindebeamten insbesondere auf dem Gebiet der polizeilichen Strafverfügungen und unter Belastung der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den Gemeinden eingeführt wird.
S t u t t g ar t, 14. Juni. In Sachen des Liederkranz-Boykotts hielt die sozialdemokratische Partei gestern Abend eine öffentliche Versammlung ab. Es wurde beschlossen, eine neue Liste der dem Liederkranz angehörenden Geschäftsleute nach Branchen geordnet zu veröffentlichen und die Arbeitergesangvereine aufzufordern, bei keinem Anlaß mitzuwirken, wo der Liederkranz irgendwie beteiligt ist, überhaupt jede Freundschaft mit demselben abzubrechen. Wiederholt wurde bedauert, daß die Versammlung schwach besucht und namentlich gar keine Sänger gekommen seien. — Trotz des Boykotts konnte der Liederkranz in letzter Zeit 143 neue Mitglieder aufnehmen.
In Cannstatt wurde vor einigen Tagen beim Bahnbau in der Waiblingerstraße ein Grab mit Steinplatteneinfassung in der Länge von 1,80 in und 50 em Breite aufgcdeckt, in welchem sich in der Tiefe von etwa 30 ein ein menschliches Skelett (Kopf und Knochen) vorfand. Das Grab dürfte ein Alter von 300 Jahren haben. — Aus Anlaß der Geburt seines siebenten Knaben erhielt Tapezier Keim in Cannstatt von dem König, der die Patenstelle übernommen , einen wertvollen silbernen und vergoldeten Becher mit der Inschrift: „Wilhelm II. König von Württemberg, seinem Patenkinde Wilhelm Keim, 1895* 'zum Geschenk.
Untertürkheim, 15. Juni. Die der- malige Witterung ist nach der Ansicht und den Beobachtungen Sachverständiger sehr geeignet, diePeronospora in den Reben wieder zu entwickeln. Zum Schutz der Weinberge wird daher allgemein die Bespritzung derselben, mit der bekannten Kalk- und Bitriollösung vorgenommen.
Zu der nun in allen Lagen begonnenen Traubenblüte wäre andauernd trockene, sonnige Witterung ebenso erwünscht wie zum Dörren des in üppiger Fülle vorhandenen Wiesengrases.
Besigheim, 13.Juni. Die Traubenblüte nimmt Heuer einen sehr günstigen Verlauf. In allen Berglagen trifft man blühende Trauben und manche hoben schon verblüht.
Reutlingen, 14. Juni. Ueber eine Maßregelung weiß der G.-A. folgendes zu erzählen: Die im Dez. v. I. neugewählten fünf Ausschußmitglieder in Betzingen verweigerten dem dortigen Schultheißen den Eid. Die Gründe scheinen nun doch nicht stichhaltig gewesen zu sein, denn die fünf wurden auf Weisung des Oberamts in voriger Woche nochmals zur Vereidigung vorgeladen. Auf ihre wiederholte Weigerung beschloß der Gemcinderat mit fünf gegen drei Stimmen, denselben die Stimmberechtigung und Wählbarkeit bei Gemeindewahlen auf die Dauer von vier Jahren abzusprechen und eine Neuwahl vornehmen zu lassen.
Tübingen, 15. Juni. Der Wohlthätig- keitssinn der hiesigen Einwohnerschaft hat sich auch bei der gegenwärtigen Sammlung für die Uederschwemmten im Eyachthale wiederholt bewiesen. Bis jetzt sind allein in der L>tadt über 6000 -/A gesammelt, das macht auf den Kopf der Bevölkerung netto 50
Stuttgart, 15. Juni. Durchschnittspreise des hiesigen Schlacht- und Viehhofes per Pfd. Schlachtgewicht: Farren und Stiere 59—62 Rinder 68—70 Schweine 45—49 Kälber
75—82 L.
Marktpreise.
Neuenbürg, 15. Juni.
Butter. Vr Kilo. 95-1.
Landeier, 2 Stück 11 Kisteneier 5
Pforzheim, 15. Juni.
Landbutter, Vr Kilo.90—1.
Süßrahmbutter.1.10—1.20
Landeier 2 Stück.11—12
Kisteneier, 2 Stück.10—11 ^
Stuttgart, 15. Juni.
Saure Butter, Vr Kilo.1.—
Süße Butter, Vr Kilo . . . . 1.10—1.20
Frische Eier, 10 Stück. 50
Kalkeier, 10 Stück.— —
Ausland.
Rußland hat dem von Japan besiegten China einen merkwürdigen Liebesdienst erwiesen. Obwohl die Russen doch immer selber auf Pump ausgehen müssen, haben sie doch den Chinesen die neue Anleihe von 400 Millionen Franks, deren das himmlische Reich der Mitte infolge seiner finanziellen Verpflichtungen gegenüber Japan benötigt ist, garantiert. Selbstverständlich vermittelt Frankreich das Geschäft, da in Rußland die 400 Millionen Franks nimmer aufzu- tretben gewesen wären. Was Frankreich für seinen Macklerdienst besehen wird, ist noch unklar, Rußland aber wird sich seine Gefälligkeit gegenüber China sicherlich mehr als genügend honorieren lassen. — Die Etablierung der japanischen Herrschaft auf Formosa geht jetzt flott vorwärts, nachdem die Hcerhaufen der der formosanischen „Republikaner" von den japanischen Gardetruppen mit leichter Mühe zersprengt sworden sind. Das Gerücht, die Pes- cadores-Jnseln seien von China Frankreich überlassen worden, bewahrheitet sich nicht; die Japaner haben bereits in aller Form Besitz von dieser Inselgruppe ergriffen.
Ein russisches Meisterstück.
Aus Paris ist die Drahtmeldung vom Ab- schluß der russisch-chinesischen Anleihe eingelaufen. Abgeschlossen wurde dieselbe durch den Direktor der Petersburger Internationalen Handelsbank, Herrn Rothstein, mit einem aus Pariser Bankhäusern zweiten Ranges bestehenden Konsortium, unter der Garantie Rußlands. Dieselbe lautet auf 16 Millionen Pfund Sterling (320 Millionen Mark). Wie verlautet, hatten die französische und die deutsche Regierung, trotz des Sirenengesanges, welcher von den russischen Machern angestimmt worden, es abgelehnt, eine Garantie mit zu übernehmen.
Die Selbstlosigkeit Rußlands bei dem Geschäfte wird durch die Thatsache fast aller Boden entzogen, daß Rußland den Hauptbetrag
bereits früher dem Reich der Mitte zu Kriegs» zwecken vorgeschossen hatte und somit das Geschäft nicht für den bezopften Nachbar, sondern recht eigentlich für den eigenen Beutel abgeschlossen hat. Daß Rußland somit nicht nur die Provision des ehrlichen Maklers, sondern auch sein dargeliehenes Kapital bei Heller und Pfennig vorweg abziehen wird, ehe die Geldkisten über die chinesische Grenze wandern, ist selbstredend. Diese Kisten werden aber, wenn sie die chinesischen Finanzleute öffnen, höchst bedenkliche Lücken aufweisen, und statt der erhofften Moneten wird aus der Leere ihnen die Lehre entgegcngähnen, daß sie nun zwar vorerst die Schulden in Petersburg los sind, aber mit Japan genau so weit sind wie vorher. Denn die Kriegskosten-Entschädigung beträgt 700 Mill. Mark und die Anleihe beziffert sich ohne das russische Rechenexempel auf nur 320 Millionen. Das Facit dieser Rechnung aber wird sein, daß China sich mit vollständig gebundenen Händen an Rußland wird ausliefern müssen und die Ernte der ostasiatischen Kriegsarbeit dem phlegmatisch zusehenden Rußland zu gleichen Teilen in den Schoß fallen wird, wie dem bluttriefenden Japan.
Eine derartige finanzpolitische Kombination, wie sie hier Rußland zu Wege gebracht, ist in der Thal im äo siöcle. Nichts in der Finanzgeschichte der letzten Jahrzehnte läßt sich derselben ebenbürtig an die Seile stellen, und selbst die Engländer, die einst das famose Geschäft mit den Suez-Kanal-Aktien fertig gebracht haben, erscheinen demgegenüber wie Stümper.
Mit diesem verblüffenden Schachzuge Rußlands dcckt sich auch sein nunmehriges Verhalten in der japanischen Räumungssrage. Bisher war es gerade Rußland, welches alle Minen springen ließ, um die Japaner aus dem okkupierten Gebiete zu vertreiben, und die russische Bereitwilligkeit, den Chinesen das erforderliche Lösegeld zu beschaffen, stand damit im besten Einklang. Nunmehr aber wird China ohne die erforderlichen Mittel den japanischen Kommissaren gegenübertreten müssen, und dieser Umstand wird ohne Weiteres zur Folge haben, daß Japan auch fernerhin die befestigten Plätze Port Arthur und Weihaiwei besetzt halten wird. Hieraus aber folgt wiederum nach der Logik der Russen und anderer Leute, daß China auch von diesem Gesichtspunkte aus den Herren an der Newa auf Gnade und Ungnade für unabsehbare Zeiten verfallen ist.
Mariaberg im Ausland. In der Irrenanstalt in Kosterneuburg wurde einem an Gehirnerweichung leidenden Patienten ein so heißes Sitzbad gegeben, daß er sich verbrühte und an den erlittenen Verletzungen starb. Die Schuld daran trug der in der Anstalt als Wärter bedienstete ehemalige Bäckergehilfe Leopold Huber, welcher nur beauftragt war, den Patienten zu waschen, nicht ihm ein Sitzbad zu geben, und also zugleich eigenmächtig und leichtsinnig handelte. Huber wurde zu dreiwöchentlichem Arrest verurteilt. — In der Irrenanstalt zu Clerm 0 nt (Oise) ist ebenfalls ein Pflegling zum Tode befördert worden. Das Opfer der Wärter war ein gewisser Maistre, der im 60. Lebensjahre stand. Der Arzt hatte den Wärtern die Weisung erteilt, Maistre eine Medizin einzu- gcben; allein dieser weigerte sich, sie zu nehmen. Man legte ihm daher die Zwangsjacke an und drei Wärter suchten ihm den Trank in den Mund zu gießen, allein vergebens. Sie hieben mit allen Kräften auf rhn ein unter dem Vorwände, ihn zu bemeistern. Dies geschah abends. Maistre klagte nicht weiter, als man ihn zu Bette gebracht hatte, und nahm sogar Tags darauf seinen Dienst bei einem Arzte der Anstalt wieder auf. Zwei Tage später wurde er ohnmächtig und starb wenige Stunden nachher cm Spital, wohin man ihn eiligst geschafft hatte. Die Autopsie ergab, daß dem unglücklichen Irrsinnigen der ganze Brustkorb eingedrückt und er einer Lungenentzündung erlegen war. Eine gerichtliche Untersuchung wurde sofort eingeleitet, welche zur Verhaftung zweier Wärter führte.
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