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ließ. Es sind wahrhaft teufliche Grausamkeiten gegen Kranke aller Art, nicht bloß gegen Irre allein, sondern auch gegen epileptisch Kranke verübt werden. so daß der durchaus berechtigte Sturm der Entrüstung den Alexianern und ihren Niederlassungen in Preußen sehr wahr­scheinlich das Lebenslicht ausdlasen wird. Die Zeugenvernehmung bei der gegen Mellage und seine Mitangeklagten eingeleiteten Strafkammer­berhandlung brachte gegen die Alexianer ein so erdrückendes Beweismaterial zu Tage, daß die Angeklagten freigesprochen werden mußten. Sehr unklugerweise hatte die Zentrumspresse die kath. Bevölkerung jener Gegend zu sehr gegen den Wirt Mellage ausgehetzt und so nachdrücklich für die Alexianer Partei ergriffen, daß der Rück­schlag für die ganze kath. Kirche und nament­lich für die kath. Männerklöster unausbleiblich ist. Im prcuß Landtag ist auch bereits schon eine Interpellation bezügl. des Prozesses Mellage eingereicht worden und die ganze Angelegenheit wird ohne Zweifel dazu führen, daß die Irren-1 gesetzgebung und namentlich aber auch die Ver­waltung der öffentlichen und Prioatirrenanstalten einer gründlichen Revision unterzogen würden. Die Staatsanwaltschaft in Aachen wird nicht umhin können, gegen die am meisten bloß ge- stellten Alexianer. Brüder das Strafverfahren wegen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode und wegen roher Behandlung der Kranken über. Haupt einzuleiten.

Aachen, 11. Juni. Der aus dem Prozeß Mellage bekannte Bruder Heinrich wurde heute in Mariaberg verhaftet und ins Untersuchungs­gefängnis abgeführt.

Berlin, 17. Juni. Der Berliner Kor­respondenz zufolge ist von dem preußischen Kultusminister und dem Minister des Innern die Aufhebung der Krankenanstalt der Alex­ianer zu Mariaberg angeordnet worden. Die Nachricht über die angeordnete Schließung er­regt großes Aufsehen und in vielen Kreisen Be- friedigung. Das ultramontaneEcho" meldet, die Alexianer-Genossenschaft habe die Anstalt Mariaberg mit Gebäuden, Ländereien und In- ventar der Provinzialverwaltung mit dem An­heimgeben zur Verfügung gestellt, das Pflege. Personal zu behalten oder beliebig zu ändern; alles nach freier Verfügung der Provinzial. Verwaltung.

In Straßburg i. E. fand am Sonntag mittag vor dem kaiserlichen Palast die Weihe der Fahne statt, welche dem Straßburger Krieger­verein vom Kaiser verliehen worden ist. Der festliche Akt vollzog sich in feierlichster Weise; ihm wohnten etwa 3000 Mitglieder von 82 reichsländischen, pfälzischen, badischen, württem- belgischen, hessischen und rheinpreußischen Krieger, vereinen bei.

Württemberg.

Stuttgart, 11. Juni. In der Kammer der Abgeordneten entwickelte sich bei Beratung des Justizetats eine äußerst interessante Debatte wegen der Eingabe des früheren Landgerichts­rats und jetzigen Rechtsanwalts Gustav Pfizer in Ulm. Der Justizminister behauptete, die Ein» gäbe an die Kammer habe den einzigen Zweck ihn aus dem Amt zu entfernen und er sei be. reit aus dem event. Kammerbeschluß die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Des weiteren ver­teidigte der Minister energisch seinen gegen Pfizer eingehaltenen Standpunkt und ebenso das Ver­fahren des Oberlandesgerichts als des richter­lichen Disziplinarhofs. Der Minister wurde von mehreren Abgeordneten, namentlich v. Geß und Rembold in Schutz genommen und schließ­lich wurde über die Pftzer'fche Petition einstimmig dem Antrag der Kommission gemäs Uebergang zur Tagesordnung beschlossen. Damit dürfte der Fall Pfizer nun wohl endlich zur Ruhe ge- langen. In derselben Sitzung wurde ein An­trag des Zentrumsabgeordneten Dr. Klaus (Rektor des Reallycsums in Gmünd) auf Zu- lassung der Realgymnasial-Abiturienten zum juristischen Studium trotz des Widerspruchs des Justizministers, v. Geß und des Kanzlers von Weizsäcker mit knapper Mehrheit angenommen. In der folgenden Sitzung erklärte der Finanz- minister Dr. v. Riecke auf die Interpellation wegen der internationalen Währungskonferenz.

daß die württembergische Regierung im Bundes, rat gegen die Berufung einer internationalen Währungskonferenz stimmen werde, und be­gründete diese Anweisung in fünfviertclstündiger Rede. Der Führer des Zentrums, Dr. Gröber, behielt sich bezüglich des Grundsatzes der Doppel- Währung freie Hand vor. Seine Partei werde sich weder für noch gegen die Doppelwährung erklären, ebenso wie der Beschluß des Reichs­tages vom 16. Februar ihr in keiner Weise präjudiziert habe. Die Redner der konservativen Partei sowie die der agrarischen sprachen für die Doppelwährung. ohne grade in bestimmter Weise dafür einzutreten. Nach dreistündiger Be­ratung nahm das Haus mit 49 gegen 24 St den Antrag Haußmann an, wonach die Regier- ung ersucht wird, zunächst in ihrer bisherigen Stellung im Bundesrat weiter zu wirken.

Stuttgart. 9. Juni. Am Freitag vormittag wurde Sigmund Schott zur letzten Ruhe bestattet. Dem reich mit Blumen ge- > schmückten Sarge folgte ein Blumenwagen. Auf dem Wege zum Grabe schloß sich ein großes Trauergefolge dem Sarge an, ein großer Teil der Abgeordnetenkammer, insbesondere die Frak­tion der Volkspartei. OberhofpredigerOberkonsist.- Rat Braun hielt die Grabrede, der er die Worte zu Grunde legte: Selig sind, die eines reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selten sei so viel geistige Kraft, Vielseitigkeit und Befähigung vereint gewesen, wie bei dem Verstorbenen, der, 16 Jahre alt die Universität besuchte, mit 20 Jahren sein erstes Buch schreiben und 21 Jahre alt den gewählten Beruf beginnen konnte. Ader der edelste Kern seines Wesens sei in seinem reinen Herzen, seiner edlen Ein­fachheit, seinem reinen Idealismus gelegen ge­wesen. Und das trat besonders hervor bet seinem Anwaltsberufe, in der Sorge für die Armen und Bedrängten, in dem Verhältnis zu seinen Gegnern, gegen welche er nie erbittert war. Sein reines Herz trat hervor in seiner Freude an der Natur, in seinen Gedichten, die voll religiös-philosophischen Inhalts sind. Kammer­präsident Payer hielt darauf dem Verstorbenen einen Nachruf namens der Volkspartci. Er sagte: Schott habe sich nicht zwingen lassen in die Schablone der Partei, aber sie sei ihm zum größten Dank verpflichtet. Das Recht achten, die Freiheit lieben, habe er schon von seinen Eitern gelernt. Namens der Württ. Anwaltskammer legte Justizrat R.A. Leipheimer einen Kranz nieder.

B i b e r a ch, 10. Juni. Bundestag des Württ b. Krieg er bundes (Nachtrag). Der König hielt auf ein seitens des Ehrenpräsiden­ten des Bundes auf ihn ausgebrachtes Hoch eine Ansprache, in der er u. a. folgendes sagte:In der ernsten und schweren Zeit, in der wir leben, geziemt es sich, ein mahnendes Wort zu sagen. Sie, verehrte Kameraden, pflegen Sie so viel als möglich die Gesinnungen, die Sie während Ihrer Soldatenzeit gelehrt worden sind, und bleiben Sie die Träger derselben. Pflegen Sie die Gesetze und Pflichten der Sitte, der Religoo, der Ordnung und der Liebe zu Thron und Vaterland. Wenn jeder, was an ihm ist, das Seinige hierzu thul, so kann es nicht fehlen, so müssen die schweren Wolken, die über unserem Vaterlande schweben, vorübergehen, denn unsere Sache ist eine edle, gute und gerechte. Pflegen Sie diese Gesinnungen, nehmen Sie dieselben in Ihre Heimat in erneutem Maße zurück und teilen Sie dieselben Ihren Kameraden, die heute am Fest nicht teilnehmen können mit." Zum Schluß seiner Rede forderte der König zu einem Hoch auf den obersten Kriegsherrn Kaiser Wil­helm II. auf, in das die Versammlung mit großer Begeisterung einstimmte. Auch hier zeigte der König, in welch' treuer Freundschaft er zu seinem kaiserl. Freunde steht.

Heilbronn, 9. Juni. Der Eoang. Bund in Württemberg hält hier am 16. und 17. d. M. seine Landesversammlung. Am 16 ist Abends Festpredigt in der Kilianskirche von Dekan Bezold aus Bcackenheim, sodann gesellige Vereinigung im Falkensaal. Am 17. ist Vorm. Hauptversammlung im Falkensaal, bei der Stadt- Pfarrer Dr. Weitbrecht von Wimpfen über die gegenwärtige Aufgabe des evang. Bundes in,

Württemberg, sowie Prof. Thoma aus Karls­ruhe über die Arbeit des evang. Bundes in Baden sprechen werden. Nachm, ist gemeinsames Mittagsessen im Falkensaal; später Vereinigung im Aktiengarten.

Stuttgart, 10. Juni. Heute Vor­mittag fand im Kreuzersaale der Liederhalle eine außerordentliche Generalversammlung der Genossenschaften der landwirtschaftl. Konsum- Vereine und der Molkereien in Württemberg statt, zu welcher auch der Herr Minister des Innern von Pischek mit Oberregierungsrat Maginot und Rechtsanwalt Dr. Schall von hier erschienen waren. Nach längerer Debatte, in welcher der Herr Staatsminister des Innern die Bereitwilligkeit erklärte, beim Landtag eine Nachexigenz von 120 000 zur Unterstützung der genannten Genossenschaften einzubringen, wurde beschlossen, diese Hilfe des Staats dank­barst anzunehmen und auf die einzelnen Ge­nossenschaftsmitglieder die Summe von 50 000 Mark umzulegen. Mit der Gesamtsumme von 170 000 ^ könnten dann die schwebenden oder noch in Aussicht stehenden Prozesse aus der Welt geschafft und so eine lange schwebende peinliche Angelegenheit endgiltig geregelt werden.

Ulm, 12. Juni. Heute Abend ist folgen­des Telegramm aus Friedrichsruh hier einge­gangen: Der Empfang der Ulmer Deputation ist äußerst glänzend verlaufen. Fürst Bismarck betonte, daß das Ulmer Münster als schönstes Denkmal deutscher Baukunst bekannt sei; er freue sich der patriotischen Gesinnung der Ulmer Bürgerschaft und hoffe, daß der Ulmer Dom in seiner stolzen Vollendung ein Wahrzeichen deutscher Kraft und Einheit bleiben möge. So­dann rühmte der Altreichskanzler den gediegenen Eindruck, den die Stadt Ulm bei seinem ersten Besuch schon 1837 auf ihn gemacht habe. Da­rauf fand ein belebtes Familienfrühstück statt. Oberbürgermeister Wagner führte die Frau Gräfin Herbert Bismarck zu Tisch und saß rechts vom Fürsten Bismarck, der sich öfter und lang mit ihm unterhielt. Mehrere ernste und heitere Reden belebten das Mahl.

Ulm, 10. Juni. Der gestern hier im Goldenen Hirsch abgehaltene Kreisturntag war vom 11. Kreis Schwaben von 150 Ver­einen mit 228 Stimmen besucht. Den ersten Gegenstand der Tagesordnung bildete die Neu- Wahl des Kreisvertreters für den altershalber zurückgetretcnen Langer-Biberach. In Vorschlag kamen, da der bisherige Stellvertreter Schwarz- Eßlingen entschieden abgelehnt hatte, Hofmeister- Ludwigsburg, Lachenmaier-Stuttgart u. Hermes- Tübingen. Jeder dieser drei fand in der Ver­sammlung kräftige Fürsprecher und es wurde eine sehr lebhafte, teilweise auch gereizte De­batte geführt. Bei der dann vorgenommenen Wahl erhielt Kaufmann Hofmeister 181, Oberpräzeptor Lachenmaier 44 Stimmen. Hermes war zuvor zurückgetrelen. Hofmeister übernahm nun den Vorsitz, dankte in warmen Worten für die ehrende Wahl und versprach, die Turnsache im 11. Kreis Schwaben mit allen Kräften fördern zu wollen. Er bringt dann ein herz­liches Abschiedsschreibeu seines Vorgängers Langer an die schwäbische Turnerschaft zur Verlesung und die Versammlung tritt einstimmig dem An­trag bei, Langer zum Ehrenvorsitzenden des 11. Kreises zu ernennen und denselben durch Ueber- reichung eines künstlerisch ausgeführten Diploms zu ehren. Die Ersatzwahl in dem Kreisausschuß fällt auf Käfer-Cannstatt. Bezüglich des vom deutschen Ausschuß gestellten Antrags auf Aender- ung der Statuten der deutschen Turnerschaft zum Zweck, soziale Bestrebungen und Elemente aus der Turnerschaft fernzuhalten, beschließt der Kreistag mit Mehrheit, die Abgeordneten des 11. Kreises sollen auf dem deutschen Turntag in Eßlingen für Uebergang zur Tagesordnung stimmen, da man es bei dem Gothaer Beschluß von 186 l belassen könne, der jede Politik aus dem deutschen Turnvereinswefen ausschließt. Die Frage gab allerdings zu lebhaften Erörter­ungen Anlaß, indem die Minderheit, insbesondere Hermes und Kießleg-Smrtgart, sich dafür aus- sprachen, den Abgeordneten ihre Entscheidung frei zu lassen, je nach dem Ergebnis der Be- , ratungen des Turntags.