386
Als fühle Benno Treuenfeld schon diese Ohnmacht über sich kommen, sank er stöhnend auf einen Stuhl und schlug die Hände vor's Gesicht.
„Endlich!" endlich!" rief er aufspringend. Wieder hatte er Schritte und Stimmen vernommen und diesmal täuschte er sich nicht. Sie blieben vor seiner Zelle stehen, der Schlüssel krachte im Schloß, die Thür drehte sich in den Angeln. Benno ging den Eintretenden einen Schritt entgegen und wich mit einem Schrei zurück.
In der Umrahmung der Thür stand Erna.
„Benno!" rief sie, auf ihn zueilend; aber er wehrte sie ab. „Ist es schon dahin mit mir gekommen, Erscheinungen!" stöhnte er. „Ich wußte ja, ich müsse wahnsinnig werden."
Die junge Frau warf einen erschrockenen Blick rückwärts auf ihre Begleiter, die hinter ihr in's Zimmer getreten waren; dann wandte sie sich mit einem Gesicht voll Liebe und Trauer dem unglücklichen Freunde zu und sagte mit einer Stimme, deren Wohllaut die bösen Geister beschwören mußte:
„Besinne Dich, Benno, ich bin kein Wahngebilde; ich bin es, Erna, die vor Dir sicht. Und ich komme nicht allein," fügte sie, da er sie noch immer ungläubig anstarrte, im munteren Tone hinzu, „da ist auch unser Freund Wecker."
„Ich verstehe," sagte Benno, die Hand von der Stirn nehmend, mit tonloser Stimme. „Ihr kommt Beide, mich zur Verhandlung abzuholcn; Ihr wollt mich den schweren Gang nicht allein gehen lassen. Habt Dank, kommt, ich warte schon lange.
Er reichte Erna die eine Hand, Wecker die andere und wollte der Thür zuschreiten; aber der Rechtsanwalt hielt ihn zurück. Sachte, sachte, Freundchen, mit der Gerichtsverhandlung hat es keine Eile."
„Ist sie vertagt?"
„Ja, auf den Nimmermehrstag. Frau von Rehfeld hat mich um meine glänzende Verteidigungsrede gebracht!"
Noch immer zweifelnd, blickte Benno von einem zu andern; aber schon brach wie ein Sonnenstrahl die lange mit Gewalt zurückgedrängte Hoffnung durch.
„Erna, Wecker, Ihr könnt nicht so grausam scherzen, — was bringt Ihr?"
„Die Freiheit!" rief der Rechtsanwalt jubelnd. „Die Freiheit!" schluchzte Erna. „Deine Unschuld ist erwiesen, der wahre Mörder ergriffen und überführt."
„Durch Dich! Erna, durch Dich!" Mehr vermochte er nicht zu sagen.
Seine beiden Hände ergreifend und ihn an ihr Herz drückend, entgegnete Erna lieblich und leise: „Für Dich und für mich!"
Der Eintritt des Landrichters, der die Untersuchung gegen Benno Treuenfeld geführt, unterbrach den rührenden Auftritt; er kam, um ihm in aller Form seine Entlassung aus der Haft anzukündigen, und that es mit tiefer Beschämung. Mußte er sich doch eingestehen, daß er im blinden Eifer auf keine Vorstellung gehört und in der vorgefaßten Meinung, den Mörder in Treuenfeld vor sich zu haben, die Verfolgung des wahren Schuldigen außer Acht gelassen hatte.
Es bedurfte nur noch weniger Formalitäten und Benno konnte den Ort verlassen, an dem er viele Wochen unter einer furchtbaren, entehrenden Inklage geschmachtet hatte. Wecker und Erna führten ihn wie im Triumphe nach der Wohnung der Letzteren; aber sie mußten sich dazu eines geschlossenen Wagens bedienen und Seitenstraßen wählen, denn die aufgeregte Menge wogte um das Gerichtsgebäude, cs war nicht abzusehen, was man in dem Freudenräusche mit demselben Manne begonnen hätte, dem man vor einer Stunde noch als Mörder geflucht, und welchen man nun bis zu den Sternen erhob.
Die Sitzung des Schwurgerichtes war von dem Präsidenten eröffnet und sofort wieder geschlossen worden mit der Erklärung, die heutige Verhandlung Hobe auszufallen, da der wahre Mörder des Herrn v. Rehfeld entdeckt und geständig, der bisherige Angeklagte, Herr Benno Treuenfeld, aber als vollkommen unschuldig be
funden und soeben in Freiheit gesetzt worden sei. Der würdige Direktor des Gerichts hatte es für angemessen erachtet, dem schwer Gekränkten diese öffentliche Ehrenerklärung zu geben, und der laute Beifallssturm, welcher seiner Rede antwortete, bewies, wie sehr er damit das Richtige getroffen habe.
(Fortsetzung folgt.)
Die Juni-Sonne steigt empor. — Verläßt schon früh das Himmelsthor, — Und immer stärker wird der Strahl, — der Wärm' und Leben schafft zumal. — Wenn Sankt Medardus ist vorbei, — Kein Frost mehr kommt, der schädlich sei — Dem Weinstock. — Auf die Wiesen grün — Die Schnitter mit der Sense zieh'n. — Gemähet sinkt das Gras zu Haus',
— Nichts hemmt der flinken Sichel Lauf. — Kommt trocken dann nachhaus' das Heu, — Das Vieh im Stalle sich erfreu'. — Auch freue sich der Wingerlsmann, — Wenn brennt die Sonn' um Sankt Johann; — Der Trauben Blüte jetzt beginnt; — Wie herrlich, wenn sie gut verrinnt! — O welche Freude, wenn die Luft — Erfüllt der Reben edler Duft —;— O welche Lust im rhein'schen Gau! — Gar mühsam ist des Weinbergs Bau; '— doch wenn die Rebe gut geblüht, — Der Landmann voller Hoffnung sieht — Zum Herbste hin und spät und früh' — Verdoppelt er der Arbeit Müh',
— Und scheint die Sonne noch so heiß, — Er opfert gern der Arbeit Schweiß. — O wögst Du braver Mann vom Rhein, — Vom Himmel reich belohnet sein I — Es ströme bald ein süßes Naß — Im kühlen Keller in das Faß! —
(Die Kosten der Parlamente.) Das teuerste Parlament der Welt ist das französische. Beide Kammern kosten dem Lande weit über 6 Millionen Mark. Dann kommt das spanische mit einem Kostenaufwande von 1 800 000 Mk., das italienische mit 1 700 000 Mk., Las österreichische mit 1 450 000 Mk., das englische mit 1 020 000 Mk., das belgische mit 750 000 Mk. das portugiesische mit 600 000 Mk. Der deutsche Reichstag kostet das deutsche Volk dagegen uur 400 000 Mk. und das ist noch genügend.
Ein „Rabenvater", in gutem Sinn des Worts lebt in Gcsselsdorff bei Graz. Es ist dies ein nahezu 80 Jahre alter Mann, namens Knoll-Michel, der in der dürftigsten Weise lebt und sich kaum das Notwendigste gönnt. Er hat kein Bett, sondern schläft mit seiner Kuh und einigen Hühnern auf Stroh im Stall; er trägt keine Wäsche und zerlumpte Kleider. Im vergangenen Winter hat aber der Knoll-Michel 600 bis 800 fl. für das Füttern von Raben und Krähen aufgewendet und Leuten, die ihm wegen dieser Thorheit Borstellungen machten, hat er erklärt, daß er sein ganzes Vermögen von 10000 fl., das er in der Sparkasse liegen hat, testamentarisch zu einer Stiftung für die Fütterung notleidender Krähen und Raben bestimmen wolle. (Der scheint also in dem Meinungsstreit über Nutzen oder Schaden dieser Vögel entschieden für erstere Eigenschaft zu plaidieren.
Eine gerechte Strafe wurde dem Frieseur A- in Basel, der „die Deutschen nicht leiden kann", zu teil. Neulich fährt er mit einem Retourbillet zu einem Feste in Mülhausen i. E. „Haben Sie etwas zu verzollen ?" fragte der deutsche Zollbeamte höflich. „Ja, e tote Katz!" „Bitte", antwortete der Beamte sehr ruhig, „wollen Sie in dieses Zimmer treten, ich werde sogleich Nachsehen, wie viel Zoll tote Katzen zu bezahlen haben." Der Beamte dreht den Schlüssel der Thür um und kommt erst abends zurück. „Pardon," sagte er, „ich habe große Mühe gehabt, den Zoll für tote Katzen zu suchen und habe ihn nirgends gefunden; endlich habe ich nach Berlin telegraphiert und vorhin die Antwort erhalten, daß ihre Katze zollfrei ist. Sie können nun gehen." — Leider war das Fest in Mülhausen nun vorüber und der letzte Zug nach Basel schon fort, das Retourbillet also verfallen.
(Ein Reizmittel für starknervige Leute) ist in Amerika in Ausführung. Es hat sich eine Gesellschaft gebildet, um Touristen mittelst einer Luftbahn quer über den Niagara, 30 Fuß oberhalb des brausenden wild schäumenden Wassers, von einem Ufer zum anderen zu befördern. Zwei Kabelleitungen sollen zwischen Türmen ousgespannt werden, die auf Canadischer und New-Jorker Seite errichtet sind; gestützt werden die Kabel durch einen gewaltigen Träger, der mitten im Niagara auf der Insel Goat Island errichtet wird. An diesen Kabeln werden korbähnliche Wagen aufgehängt, welche von der New-Uorker Seite aus mittelst Eelektrizität ge
trieben werde». Die Luftlinie führt am Rande der Amerikanischen Fälle bis Goat Island entlang und dann an der Canadischen Küste, indem sie eine Sehne zum Bogen der Horse Shoe- Falls bildet. Der Boden der Wagen soll durchlöchert sein, um ebenso wie nach den Seiten auch frei nach unten sehen zu können.
(Ein großartiges Drainierungsprojekt) zur Trockenlegung des Tieflandes des Sacramento- Thales, nördl. von den Montezuma-Bergen, wurde der Legislatur des Staates Californien vorgelegt. Wie wir durch das Intern. Patentbureau von Heimann u. Co. in Oppeln erfahren, sind die Kosten auf 40 Mill. Mark veranschlagt. Auf der Ost- wie auf der Westseite sollen große Kanäle angelegt werden durch die das Wasser dem Meere zugeführt wird. (Obengenanntes Patentbureau erteilt den geschätzten Lesern dieses Blattes Auskünfte und Rat in Patentsachen gratis.)
(Ein Spazierstock als Schiebkarren.) Dieses neue Handgerät, welches nach einer Mitteilung vom Patentbureau von Otto Wolf in Dresden (Abonnenten dieser Zeitung erteilt das Bureau konstenfreie Auskunft über Patent-, Marken- und Musterschutz) von Paris aus in den Handel gelangt, hat den Zweck, das Fortschaffen schwererer Pakete zu erleichtern. Ein gewöhnlicher starker Krückstock ist mit mehreren Haken versehen, an welchen die Pakete aufgehängt werden können. Auf das untere Ende des Stockes kann eine Gabel mit Laufrädchen aufgestcckt werden. Mit den Rädchen ausgerüstet stellt der Stock einen Schiebkarren dar, indem man ihn mit den daranhängenden Paketen in schräger Stellung vor sich herschieben kann.
^Modern.) A: „. . Kennen Sie den Herrn persönlich? — B: „Nein — nur telephonisch!" — (Ahnungsvoll.) Frau des Hauses (zu einer hübschen jungen Frau, die verspätet ins „Kaffee- Kränzchen" kommt): „Soeben, liebe Frau Doktor, haben wir von Ihnen gesprochen!" — Junge Frau (betroffen): „Ah — das ist aber nicht schön; ich habe ja den Damen gar nichts gethan!" — (Ein modernes Kind.) Frau: „Der Kleine schreit aber heute ununterbrochen!" — Mann: „Sollte der jetzt schon mit der Wahl seiner Eltern unzufrieden sein?! — Schwere Wahl.) „Krieg'n die Herrschaften Bier, Bock, Märzbier oder Salvator?" — „Was meinst Du, Alte: Fang'n wir mit'm Bier an und hör'n mil'm Salvator auf, oder bleiben wir bei'm Salvator und hör'n — gar nicht auf?!"
(Kurz) Nach langem Suchen hat ein alter mecklenburgischer Baron endlich einen Inspektor engagiert. Es entwickelt sich folgendes Gespräch: Baron: „Nochmals, ich verlange Gehorsam und liebe die Kürze. Wenn Sie über den Hof gehen, ich stehe am Fenster und mache so (macht den Fingern die Bewegung des Winkens), dann müssen Sie kommen. — Inspektor: Ik kann dat vele Reden ok nich licd'n. Wenn ik denn so mak (schüttelt mit dem Kopf), denn komm ik nich!"
Auflösung des Silben-Nätsels in Nr. 87.
Japan — Undine — Gollub — Erato — Norbert — Degras — Moldau — Usambara Sirius. — Jugend muß austoben.
Richtig gelöst von EugenOelschlägerin Birkenfeld.
Figuren'Aufgabe.
a Die Buchstaben in vorstehen-
g. der Figur sind so zu ordnen,
d o ? o § daß die senkrechte Reihe ein
I Sternbild und die wagrechte
r eine Stadt in Lippe-Detmold
ergeben.
Wird nun ober das Fragezeichen durch
einen gewissen Buchstaben ersetzt, so bezeichnen die Reihen eine frühere berühmte Schauspielerin und eine Alkalilösung.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Merh in Neuenbürg.