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hoffentlich auch bald in Angriff genommen werden. Für den Bundesrat steht in seiner laufenden Session noch eine ganz neue größere Vorlage in Aussicht, und zwar eine solche bezüglich der Bildung von Handwerkerkammern; sie befindet sich zur Zeit im Reichsamte des Innern in Ausarbeitung.
Berlin. 24. Mai. Die „Kreuzztg." schreibt: „Major Dr. v. Wißmann übernimmt seine neue Stellung als Gouverneur von Deutsch- Ostfrika mit allen Competcnzen am 5. Juni, an welchem Tage der Urlaub des bisherigen Gou- verveurs Frhrn. v. Scheele abläuft. Nach der Ankunft Wißmanns in Ostafrika wird der Oberstlieutenant v. Trotha seinen Posten verlassen und einen Nachfolger als stellvertretender Gouverneur erhalten." (Da Herr v. Trotha ein älteres Patent als Offizier hat als Dr. von Wißmann, so kann er nach den bei uns herrschenden Anschaungen nicht unter diesem dienen. Bei den älteren kolonisierenden Völkern, den Engländern und Franzosen, herrschen solche Anschauungen nicht.)
Berlin. 22. Mai. Aus Anlaß der Er. richtung von Meldereite r-Detachements hat die Heerordnung eine Reihe von Zusätzen erfahren. Danach sind für diese Detachements Rekruten auszuwählen, die — mit der Wartung von Pferden vertraut — ihrem Berufe, sowie ihrer körperlichen und geistigen Befähigung nach für den Dienst der Meldereiter besonders geeignet erscheinen. Untadelhafte Führung, scharfes Sehvermögen, Kenntnis der deutschen Sprache, Fertigkeit im Lesen und Schreiben sind weitere Vorbedingungen. In den Landwehrstammrollen sind fortan außer Kürassieren. Ulanen, Dra- gonern und Husaren auch „Meldereiter" zu unterscheiden, sodaß diese als eine besondere Gattung der Kavallerie angesehen werden; es werden dabei „Unteroffiziere" und „Meldereiter" unterschieden. Ueber die Uniformierung und Abzeichen der Meldereiter-Detachements sind noch keine Bestimmungen bekannt gegeben, und die darüber veröffentlichten Mitteilungen sind als verfrüht und ungenau zu bezeichnen.
Köln, 26. Mai. Am Samstag nachmittag fand infolge eines Blitzschlages im Trockenhaus der Pulverfabrik zu Hosenberg bei Halver eine Explosion statt. Das Fabrikgebäude wurde teilweise beschädigt. Verletzt wurde niemand.
Der letzte Forstmeister der freien Stadt Frankfurt, ein geborener Württemberger, der Frhr. Friedrich Schott v. Schottenstein, ist Sonntag Nacht in Frankfurt a. M. im Alter von 82 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. 1812 zu Großsachsenheim geboren, studierte er Kameralwissenschaft und trat schon als junger Mann in die Dienste der Stadt Frankfurt, wo er 1839 Forstmeister wurde und sich 1850 mit einer Freiin v. Gemmingen vermählte. 1888 trat er in den Ruhestand und 1890 konnte er das Fest seiner goldenen Hochzeit feiern. Seine ihn überlebende Gattin ist gleichfalls 82 Jahre alt.
Württemberg.
Die Steuerreform in Württemberg.
Die in der vergangenen Woche dem Landtag unterbreitete Steuerreform-Vorlage liegt nun im Druck vor. Sie gliedert sich in 4 Gesetzentwürfe. Der erste betrifft die Ein- kommensteuer, welche die Einführung einer allgemeinen progressiven Einkommensteuer mit Freilassung der kleineren Einkommen bis zu 500 »16 und mit Gestattung des Schuldzins, abzugs bezweckt. Der zweite Entwurf betrifft die Kapitalsteuer behufs Umgestaltung der bisherigen Dienst-, Berufs- und Kapital-Einkommensteuer in eine nur das Kapitaleinkommen als sogen, fundiertes Einkommen betreffende Steuer mit gegen bisher ermäßigten Sätzen, wornach die bisherige Dienstemkommensteuer aufhören und in der allgemeinen progressiven Einkommensteuer aufgehen, das Kapitaleinkommen aber außer der Einkommensteuer noch mit einer mäßigen Kapitalrentensteuer belegt werden soll. Die Grund-, Gebäude- und Gewerbe- steuer hatte der dritte Entwurf zum Gegenstand. Er bezweckt Ermäßigung der bisherigen Steuersätze auf Grund, Gebäude und Gewerbe und
zugleich die Abänderung der Gewerbebesteuerung in der Weise, daß künftig der persönliche Arbeitsverdienst der Gewerbetreibenden nicht mehr mit der Gewerbesteuer, sondern nur mit der Einkommensteuer belegt, die Rente aus dem in den Gewerben angelegten Kapital aber als fundiertes Einkommen mit einer mäßigen Ge- Werbesteuer neben der Beiziehung zur allgemeinen Einkommenssteuer veranlagt wird. Der vierte Gesetzentwurf betrifft die Wandergewerbesteuer und unterwirft den Betrieb der Wandergewerbe entsprechend seiner verschiedenen Spezialitäten unter Freilassung von der Einkommensteuer einer besonderen Steuer.
Künftig wird also das gesamte Einkommen eines jeden Steuerpflichtigen, gleichviel aus welchen Quellen es herrührt, zusammengerechnet, die Schuldzinsen rc. abgezogen und der Rest, soweit er 500 »16 erreicht, mit steigenden Sätzen mit der allgemeinen Einkommensteuer belegt. Mit dem Normalsteuersatz mit 4 Prozent werden erst die Einkommen von 15000 »^ an getroffen. Daneben hat das Einkommen aus Grund, Gebäuden, aus dem in den Gewerben angelegten Betriebskapital und aus dem mobilen Kapital d. h. auf Besitz gegründetes und mit dem Tode des Besitzers nicht aufhörendes und deshalb leistungsfähigeres Einkommen noch eine besondere, gegenüber den bisherigen Sätzen ermäßigte Steuer zu bezahlen. Es handelt sich bei den sämtlichen vier Entwürfen nur um die Staatssteuer. Die Fortführung der Steuerreform auch auf das Gebiet der Gemeinde- und Körperschaftssteuern bleibt einer späteren besonderen Gesetzesvorlage Vorbehalten.
Was die Behandlung der Gesetzentwürfe betrifft, so ist vorgesehen, daß nach Beendigung der Etatsberatungen, unmittelbar vor Schluß der Session eine Generaldebatte über die Steuerreform stattfindet, worauf die Entwürfe einer besonderen Kommission überwiesen werden. Diese hat ihre Beratungen im Laufe des Sommers zu pflegen, so daß die Gesetze alsdann in einer Extrasession im Herbste zur Plenarberatung gelangen.
Stuttgart, 19. Mai. Der württemb. „Schutzverein für Handel und Gewerbe" hat in ganz Württemberg Enquete darüber angestellt, inwieweit sich das seßhafte Gewerbe in Württemberg durch das Wandergewerbe mit seinen verschiedenen Spielarten geschädigt fühle. Wir sind in der Lage, das Resultat dieser umfangreichen nunmehr zum Abschluß gelangten Untersuchung unseren Lesern vorzulegen. Von den 3686 eingelaufenen Antworten Gewerbetreibender lauten 3392 dahin, daß sie sich durch das Hausiergewerbe geschädigt fühlen und zwar 2350 „bedeutend"; nicht geschädigt fühlen sich 288. Speziell durch Wanderlager fühlen sich 2215 Gewerbetreibende geschädigt, worunter 1060 „bedeutend"; nicht geschädigt fühlen sich hiedurch 1463. Durch Detailreisen fühlen sich 2870 geschädigt, worunter 1730 „bedeutend"; gar nicht geschädigt durch das Detailrcisen 806. Die Frage, ob einem allgemeinen Verbot des Detailreisens zugestimmt werden könne, haben 3438 mit „ja", und 117 mit „nein" beantwortet. — Der Verein wünscht entschieden eine Einschränkung des Hausierhandels und glaubt, daß sich für gewisse, historisch gewordene Hausierorte wie Gönningen, Matzcnbach, Unterdeuf- stetten, Lützenhardt u. a. eine gesetzliche Ausnahme werde stipulieren lassen. Der Verein wird die Resultate der Enquete unseren Landtagsabgeordneten, den Reichstagsabgeordneten, sowie den einschlägigen Behörden zugeyen lassen.
Stuttgart, 26. Mai. Im Comptoir des „Schwäb. Merkur" wurde gestern Abend vor der Heimkehr des in den unteren Räumen schlafenden Dieners ein äußerst frecher Einbruch verübt. Der Dieb erbrach die Kasse und erbeutete einen größeren Betrag. Bis jetzt hat man von demselben noch keine Spur.
Nagold, 21. Mai. Unser hiesiger „Verschönerungsverein" hatte bisher und hat auch künftig blos die Aufgabe, für die Verschönerung von Nagold und der nächsten Umgebung sowie für einen bequemeren und dadurch auch häufigeren Aufenthalt in unseren nächstge
legenen Waldungen und Aussichtsplätzen Sorge zu tragen. Wer mindestens 1 ^ jährlich Beitrag in die Kasse dieses Vereins bezahlt, war und ist Mitglied desselben. Ein Teil dieser Vereinsmitglieder, verstärkt durch weitere Naturfreunde, hat nun aber in diesem Jahre einen „Bczirksverein" Nagold als Sektion des allgemeinen württb. Schwarzwald-Vereins gegründet» der bereits 107 Mitglieder mit einem Jahresbeitrag von je 3 »16 zählt. Von diesen Jahresbeiträgen werden statutengemäß je 1 »16 pro Mann, also Heuer 107 »16 in die Kasse des allgem. Schwarzwaldvereins abgeliefert, wogegen dieser wieder aus seiner Landesoereinskasse den Bezirksvereinen Beiträge zu Projekten gewährt» welche den bequemeren Genuß lohnender Wald- Touren und Fernsichtsplätze in der weiteren Umgebung des Bezirks bezwecken. Die heute zahlreichbesuchte Versammlung dieser beiden Vereine genehmigte neben Schaffung einer Reihe von Waldruheplätzen die Ausführung mehrerer Fußweg-Projekte, darunter speziell das eines bequemen Waldwegs über Walddorf, Berneck» Egenhausen, Altensteig und das eines Fußwegs, welcher die Straße nach Jselshausen mit der Freudenstädter Straße verbindet. Der Vizevorstand, Stadtförster Weinland, wird die weiter vorgeschlagenen Verbesserungen in allernächster Zeit noch ausführen lassen. Am Schluffe des Berichts ist folgende beherzigenswerte Mahnung angesügt: „Angesichts einer Reihe neuer boshafter Beschädigungen der Bereinsanlagen muß aber hiemit die dringende Bitte wiederholt werden, daß zur Unterstützung der geehrten Herren Lehrer auch die Eltern, Lehr- und Dienst- Herrn der leider auch hier wie sonst nachweisbar jimmer frecher sich gebärdenden Jugend die Schonung der Bereinsanlagen eindringlicher eiu- schärfen und daß nicht blos die Polizeimannschaft, Feld- und Wald-Schützen, sondern auch die Hrn. Vereinsmitglieder selbst gelegentlich unsere Anlagen schärfer überwachen und dadurch mehr schützen möchten. Sollte nicht auch in den neugegründeten „Fortbildungsschulen" die Pflege des öffentlichen Anstands in dem Schulplan Berücksichtigung finden? Fällt es doch z. B. selten einem jungen Menschen ein, unaufgefordert einer leidenden, geschweige einer gesunden erwachsenen Person, einen von ihm selbst okuppierten Ruheplatz einzuräumen!"
Marktpreise.
Neuenbürg, 25. Mai.
Butter, V- Kilo. 80—95
Landeier, 2 Stück 10—11 Kisteneier 5
Pforzheim, 25. Mai.
Landbutter, V, Kilo.«-L 90—1.
Süßrahmbutter.1.10—1.20
Landeier 2 Stück.10-12
Kisteneier, 2 Stück.10—11 ^
Stuttgart, 25. Mai.
Saure Butter, V- Kilo.i.—
Süße Butter, V- Kilo . . . . 1.10—1.20
Frische Eier, 10 Stück. 50
Kalkeier, 10 Stück.— —
Anstand.
Die französischen Chauvinisten nörgeln jetzt ernstlich an der zugesagten offiziellen Teilnahme Frankreichs an den Kieler Flottenfestlichkeiten herum. Im Pariser Gememderate wurde kürzlich ein vom Seinepräfekten Poubelle allerdings sofort zurückgewiesener Antrag, der Gemeinderat möge als Protest gegen die Kieler Feste den elsaß-lothringischen „Brüdern" seine Sympathien ausdrücken, gestellt. Fast zur selben Stunde richtete man in der Deputiertenkammer von radikaler Seite die Anfrage an die Regierung. ob es wahr sei, daß die nach Kiel bestimmten französischen Kriegsschiffe die deutsche Kaijerflagge mit der Jahreszahl 1870 hissen würden, worauf Ministerpräsident Ribot indessen so gut wie keine Erwiderung hatte. Inzwischen dürfte die Interpellation des boulangistischen Abgeordneten Castelin in der Samstagsitzung der Deputiertenkammer, betr. einen Kredit von 50000 Francs zur Herstellung einer „unvergänglichen" Statue der Stadt Straßburg auf dem Concordienplatze, den Revancheschwärmern in der französischen Volksvertretern neuen Anlaß zu Vorstößen gegen den „Gang Frankreichs nach Kiel" gegeben haben. Der Ministerrat