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deurs v. Kirchbach in Stuttgart ohne die Erlaubnis zum Tragen der bisherigen Uniformen und ohne die übliche Rangerhöhung, sowie die plötzliche Abreise des Genannten aus Stuttgart. Der einigen Blättern mitgeteilte GrundSpiel- affaire" läßt weite Deutungen zu, soll aber nicht das Wahre treffen. Die vor kurzem gemeldete telegraphische Zurückberufung des kommandieren­den Generals v. Lindcquist von Ulm nach Stutt­gart durch den König und die Entsendung des Generaladjutanten, Generaüirutenants Freiherrn v. Falkenstein nach Berlin sollen durch die Kirchbachaffaire" veranlaßt worden sein.

Mit Note des K. Staatsministcriums vom 14. d. Mts. sind dem Präsidenten der Kammer der Abgeordneten vier auf die Reform der direkten Staatssteuern bezügliche Gesetzentwürfe betr. die Einkommensteuer, brtr. die Kapital- steuer, betr. Abänderungen des Gesetzes vom 28. April 1873 über die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer, und betr. die Wandergewerbe- steuer, nebst einer den Rcformplan im Ganzen darlegcnden Denkschrift zur weiteren Behandlung zugegangen.

In der Abgeordnetenkammer trat am Freitag bei der Beratung des KapitelsZentral­stelle für Gewerbe und Handel" der Abg. Schu­macher (B.-P.) dafür ein, daß die Handwerker, die öffentliche Arbeiten verrichten, nicht so lange auf Be­zahlung zu warten brauchen. Eckart (Ztr.) verbreitete sich über den Arbeitsnachweis und gab dem Wunsche Ausdruck, die Regierung möge vorangehen mit der Organisation des Kleinhandwerks und im Reiche ein- treten für die Weiterführung der Sozialgesetzgebung. Henning (B.) brachte in Anregung, die Zentralstelle solle populäre Vorträge für das Kleingewerbe veran­stalten; im Lande seien Fachschulen zu errichten, das Tempo der Sozialgesetzgebung solle ein langsameres sein. Binz (B.) wies auf die Schattenseiten des Submissionswesens hin, der Staat solle die Produktiv­genossenschaften unterstützen. Kloß (Soz.) bemerkte: Die heute herrschende Art beim Submissionswesen habe eine Reihe von Mißständen im Gefolge. Man solle nur noch bie Pläne auflegen, keine Voranschläge. Weiter empfahl Redner, der Wohnungsfrage allseitige Aufmerksamkeit zu schenken. Schrempf ftons.) trat ebenfalls für die Organisation des Kleinhandwerks ein und betonte, daß über Hausierer, zum Teil wenigstens, große Klagen bestehen. Ebenso sei es mit den Wander­lagern. Die Regierung müsse den Schwerpunkt ihrer Vergünstigung, die bisher der Großindustrie zu teil geworden, mehr nach der Mitte verlegen. H außmann- Gerabronn polemisierte gegen den Vorredner, der sich anstellte, als ob andere Parteien kein Herz für das Handwerk haben.Alle Maßregeln zu Gunsten des Handwerks begrüßen wir, vermissen aber positive Vor­schläge." Wenn die Großindustrie bevorzugt erscheine, solle man durch eine scharfe progessive Einkommensteuer eine Ausgleichung herbeizusühren suchen. In die so­ziale Hilfsarbeit müssen auch die Bürger eintreten. G (D. P.) bestritt, daß die soziale Gesetzgebung ins Stocken geraten sei und betonte gleichfalls, daß man auch die bürgerlichen Kreise zur sozialen Hilfsarbeit heranziehen müsse. Glaser (Soz.) meinte: Die Mittel, die zur Hebung des Mittelstandes vorgeschlagen werden, können den natürlichen Entwicklungsgang nicht aushalten. Das Großkapital sauge die mittleren und untere Stände immer mehr aus. Deshalb werden auch alle diejenigen, die cs ehrlich mit dem Volk meinen, über kurz oder lang in das sozialdemokratische Lager übergehen. (Widerspruch und Gelächters Egger (Zcntr.) klagte über den Hausierhandel. Klaus (Z.) bemerkte: Es sei von der Regierung schon viel ge­schehen auf dem Gebiete der Sozialreform und Glaser habe kein Recht, dies zu leugnen, denn was habe denn seine Partei für die Arbeiter gethan? Redner bestritt die Ansicht Schrempfs, daß die Großindustrie Sozial­demokraten züchte, denn mit dem Gedeihen der Indu­strie sei das Wohl der Arbeiter innig verbunden. Sachs (D. P.) verwies darauf, was die Regierung für die Wohnungen der niederen Beamten thue. Die Klagen über das Submissionswesen seien berechngt. Dem Abgeordneten Schrempf bemerkte Redner, daß wir uns auf keinen Fall das Gut der Gewerbesreiheit werden nehmen lassen. (Zustimmung.) Mit kleinen Mitteln, wie höhere Besteuerung der Hausierer, werde man nichts ausrichten. Mit der progessiven Besteuer­ung des Großkapitals erklärte sich Redner ganz einver­standen und trat für das gemeinsame Wirken aller Parteien auf dem sozialen Gebiet ein. Schrempf meinte, wenn der Staat auch für die niedersten seiner Beamten einen Befähigungsnachweis verlangte, warum sträube man sich gegen dessen Einführung beim Hand­werk? Weidle (B.) trat für die Gönninger Samen­händler und deren Hausierbetrieb ein. Minister v. Pischek führte aus: Was den Hausierhandel anbe­lang«, so werde sich der Reichstag binnen kurzem mit einem Gesetz über diesen zu beschäftigen haben. Gar zu schroff dürfe man jedoch nicht Vorgehen mit Rücksicht auf »gewisse Branchen des Hausierhandels. Auf die Frage der Organisation des Kleingewerbes und der sozialen Gesetzgebung wolle er sich nicht näher einlaffen, müsse aber bestreiten, daß bei den Regierungen der Eifer dafür erkaltet sei. Was die Wohnungsfrage an- belange, so seien die Verhältnisse teilweise sehr bedauer­lich, so daß jeder human denkende Mensch auf Abhilfe

sinnen müsse. Der Staat könne aber nur baupolizeilich eingreifcn, die Gemeinden im Verein mit wohlhabenden Männern müßten hier handelnd Vorgehen. Das Sub­missionswesen sei im Jahre 1888 geregelt worden. Die geschilderten Uebelstände bei der Zahlung von Arbeiten für den Staat seien nur vereinzelt vorgekommen, er sehe darauf, daß so etwas nicht wieder vorkomme. Die Errichtung von Fachschulen behalte die Regierung stets im Auge, ebenso unterstütze sie die Hausindustrie, wo sie könne. In der darauf folgenden Einzelberatung trat bei der PositionReutlinger Webschule" Hähnle dafür ein, daß Fachschulen kräftig unterstützt werden; sie würden dem Gewerbetreibenden mehr nützen als Zünfte und Befähigungsnachweis. Beim Kap.Ge­werbeinspektion" wurde nach längerer Debatte ein An­trag Hähnle angenommen, dem württ. Dampfkessel­revisionsverein die totale Untersuchung aller Dampf- kessel einschließlich der Heiz- und Druckproben sowie die Prüfung sämtlicher neuer Dampfkessel zu übertragen. Für die Verteilung von Preisen bei der Ausstellung für Kunstgewcrbe und Elektrotechnik im nächsten Jahre bewilligte die Kammer 25,000 Mark.

In der Samstagssitzung wurde zunächst über die neue Forderung der Regierung von 5000 Mk. jährlich zur Fürsorge für Arbeitsvermittlung beraten. Sachs empfahl die Forderung. Kiene (Zentr.) be­tonte ebenfalls die sozialpolitische Bedeutung der Maß­regel, die dem Arbeitsmangel abhelfen solle. Redner befürwortete die organische Verbindung der Arbeits­ämter und deren Zentralstation. Kloß (Soz.) erkennt die gute Absicht der Regierung und schilderte die Folgen der Arbeitslosigkeit. Er bat im nächsten Etat eine größere Summe einzustellen. Die Kammer bewilligte die Forderung und gieng hierauf über zur Unfall - und Invaliditäts-Versicherung. Nußbaumer empfahl Errichtung einer einzigen Genossenschaft für das Land statt der jetzt bestehenden vier. Besonders habe der Schwarzwaldkreis sehr unter der Ungleichheit der Beitragsleistuug zu leiden, da die Beiträge dort ein Drittel der Staatssteuern betragen. Stockmayer (F. B.) hält den Wunsch des Vorredners für unstillbar. Zwar seien die Beträge verschieden, aber auch die Ver­waltungskosten. Die landw. Bevölkerung sei unzufrieden mit dem Anwachsen der Beiträge, die von 10 Ps. pro 100 Mark Umlage-Kataster in 1888 auf Mk. 1,08 im Neckarkreis und Mk. 1,55 im Schwarzwaldkreis für 1894 gestiegen seien. Der Reservefonds sei so ange­wachsen, daß die Rücklagen eingestellt werden könnten. Minister v. Pischek erklärte: In acht Tagen werde den Ständen eine Vorlage zugehen, wonach die Rück­lagen in den Reservefonds einzustellen seien. (Bei­fall.) Dadurch würde in den nächsten vier Jahren je ein Betrag von 859,000 Mk. erspart. Mit der Zu­sammenlegung würden Donau- und Jagst-Kreis zu­frieden sein; die hohen Umlagen des Schwarzwaldkreises seien auf die Art des landwirtschaftlichen Betriebes zu­rückzuführen. Schürer (D. P.) will, daß die nächsten Jahresbeiträge aus dem Reservefonds geleistet werden. Der Redner führte aus, daß die kleinen Renten sehr belastend wirken; bei einer Invalidität unter zwanzig Prozent der Arbeitsfähigkeit solle überhaupt keine Rente bezahlt werden. Kloß (Soz.) sprach gegen Schürers Wunsch, der dem Sinn des Gesetzes zuwiderlaufe. Er beklagte, daß man neuerdings bei Feststellung und Auszahlung der Renten wenig liberal verfahre. Der Antrag Stockmayer, die Zinsen des Reservefonds für die Berwaltungskosten aufzuwenden und den Reserve­fonds teilweise zur Herabminderung der Beiträge zu verwenden, wurde angenommen.

Stuttgart, 16. Mai. Se. Majestät der König, welcher gegenwärtig allabendlich nach dem Jagdschlösse Weil fährt, verlor an einem der letzten Tage auf dem Wege dahin eine wert­volle Brieftasche mit Inhalt, sowie einen Regen­mantel. Eln Gypserjunge von Cannstatt, welcher die Brieftasche gefunden, wurde von dem König empfangen und erhielt nebst einem Geldgeschenk von 50 ^ den persönlichen Dank des Monarchen für die durch Wiedergabe des Fundes an den Tag gelegte Ehrlichkeit.

Die von Münsingen aus in die Welt gesetzte Nachricht, daß für das württb. Armee- korps der nötige Schießplatz auf der Mün- singer Hardt definitiv ausersehen sei, hat sich nicht bestätigt und sowohl die Nellinger als die Böhmenkirchener Bewohner haben noch Aussicht, unter Umständen den Schießplatz zu bekommen. Es kommt nun vor allem darauf an, welche Preise die drei in Frage kommenden Gemeinden für ihre Grundstücke fordern.

Der frühere Direktor der Maschinenfabrik Eßlingen, Emil ». Keßler, ist ui Baden- Baden gestorben. Mit ihm ist ein hervor­ragender Industrieller Württembergs aus dem Leven geschieden, durch dessen unermüdlichen Fleiß und Vorwärtsstreben die württ. Industrie es im In- und Auslande zu hohem Ansehen gebracht hat. Bis in die fernsten Weltteile ist die Bedeutung der Eßlinger Maschinenfabrik und ihrer Leistungen, insbesondere auf dem Gebiete des Lokomotivenbaus und des Brückenbaus, an­erkannt. Emil Keßler, 1841 in Karlsruhe ge­boren. besuchte die polytechnische Schule in Stuttgart und übte 3 Jahre Praxis (Schlosserei).

Auf verschiedenen Reisen in Deutschland Oester­reich und im Ausland hat sich der Verstorbene reiche Erfahrungen gesammelt.

DerStuttgarter Liederkranz" ist in cor­pore dem schwäbischen Schillerverein deigetreten und hat den Reinertrag des Schiller­festes am nächsten Sonntage dem neuen Verein zugcwendet,

Ludwigsburg, 14. Mai. In der städt­ischen Quartierbarale beim Schlachthofe wurden letzte Nacht mehrere Diebstähle in raffinierter Weise ausgeführl. Den dort zur Zeit einquar­tierten Reservisten, die im tiefen Schlafe lagen, wurde zum Teil der Brustbeutel ausgeschnitten, den sie auf dem Leibe trugen und dieselben ihres Inhalts beraubt. Auch ließen die Lang- finger, von denen man bis jetzt keine Spur hat, Uhren. Messer und vieles andere mitlaufen.

Aus demFilsthal, 16. Mai. Im ganzen mittleren Filsthal hatten wir heute Morgen einen ziemlich ausgiebigen Schn eefall. Unsere Albberge ringsum: Hohenstaufen, Rechberg, Messclberg, Hohenstein, Tegelberg, Grünenberg, Wasserberg und Fuchseck, die sich mit schönstem Grün geschmückt hatten, zeigten sich im weißen Schneekleide. Im wunderschönen Monat Mai ein überraschender Anblick für unS! Glücklicher­weise schmilzt der Schnee rasch wieder zusammen,

Ausland.

Wien, 15. Mai. Prinz Albrecht von Preußen, Regent von Braunschweig, ist heute früh 8'/« Uhr mit der militärischen Abordnung hier eingetroffen, um dem Kaiser Franz Joseph deMpreußischen Feldmarschallstab zu überreichen. ^Am Bahnhofe hatte eine Ehren­kompagnie des Jnfanterie-Regiments Erzherzog Karl mit Fahne und Musik Aufstellung ge­nommen. Zur Begrüßung des Prinzen waren erichienen die Erzherzöge Karl, Ludwig, Ludwig Viktor, Otto und Karl August, ferner Herzog Wilhelm von Württemberg; dann der deutsche Botschafter Graf zu Eulenburg mit dem gesamten Bvtschastspersonal und zahlreiche Vertreter der Militär- und Zivilbehörden. Um 8'/, Uhr traf Kaiser Franz Joseph in der preußischen Feldmarschallsuniform, darüber das Band des Schwarzen Adlerordens, ein. Der Kaiser be­grüßte die Anwesenden und zeichnete besonders den deutschen Botschafter durch eine längere Ansprache aus. Beim Einlaufen des prinzlichen Sonderzuges spielte die Kapelle die preußische Nationalhymne. Nach der Vorstellung fuhr der Prinz, zur Rechten des Kaisers sitzend, in offenem Wagen nach der Hofburg, vom Pub­likum lebhaft begrüßt. Der Marschallstab besteht aus getriebenem Gold, reich besetzt mit Edelsteinen, Brillanten und Rubinen. Zwischen den Edelsteinen ziehen sich grün emaillierte Eichenblätter auf weißem und rotem Grunde um den Stab herum, der vom preußischen Adler mit Krönungskrone gekrönt wird. Auf dem Stab befindet sich die Inschrift:Wilhelm II., König von Preußen, seinem hochverehrten Bundesgenossen Franz Joseph, Kaiser von Oesterreich, König von Ungarn" und das Datum der Verleihung.

Die Nuntiuskrise in Österreich-Ungar« ist noch immer nicht endgiltig geregelt. Nuntius Agliardi soll bereits vom Papste abberufen wor­den sein, bevor die Reklamation des Grafen Kalnoky im Vatikan eintraf und auch der un­garische Ministerpräsident Banffy soll eine völlige Genugthuung vom Kaiser Franz Josef erhalten, aber der Hauptpunkt der Differenzen zwischen beiden Reichshälften, ob der gemeinsame Minister des Auswärtigen Vorgesetzter des ungarischen oder österreichischen Staatsministeriums seine oder vielmehr die Beschlüsse dieser Ministerien auszuführen habe, ist nicht leicht zu lösen. Wenn das auswärtige Amt für Oesterreich-Ungarn auch durch einen Ungarn besetzt würde, so bliebe noch immer die cisleithanische Hälfte der Monarchie unbefriedigt. Dazu kommt, daß das ungarische Magnatenhaus den kirchenpolitischen Gesetzes­vorlagen noch immer den entschlossensten Wider- stand entgegensetzt und die Bestimmungen über die sogenannte Judenrezeption abermals wir glauben zum 4. Male abgelehnt hat.

In der österreichischen Hauptstadt be­mächtigen sich nunmehr die Antisemiten ^der