384
Verwaltung. Der Antisemitenführer Dr. Lueger wurde bereits zum zweiten Bürgermeister gewählt an Stelle des zurückgetretenen liberalen Dr. Richter. Da auch der erste Bürgermeister Dr. Grübl zurücktritt, wird an seiner Stelle voraussichtlich gleichfalls ein Antisemit gewählt werden.
Der französische Ministerpräsident Ribot hat in Bordeaux eine Rede gehalten, worin er nur von einer französisch-russischen Aktion in Ost- asien sprach, Deutschland also mit Stillschweigen überging. Hiedurch wird bestätigt, daß Frankreich die Mitwirkung Deutschlands nur sehr ungern sah, aber von Rußland zu deren Gestattung genötigt wurde. Es scheint also dem deutschen Reichskanzler doch gelungen zu sein, in das russisch-französische Bündnis einen, wenn auch vorerst kleinen Keil hincingetricben zu haben.
Gegen 500 angesehene Monarchisten vereinigten sich Sonntag in Paris zu einem Bankett, bei dem zahlreiche royalistische Reden gehalten wurden. Schließlich wurde dem Herzog von Orleans in einer Adresse die unerschütterliche Anhänglichkeit an die nationale Monarchie und das Gelübde der Treue ausgesprochen.
In Serbien weilt zur Zeit die Mutter des Königs zu Besuch. Das herrschsüchtige Frauenzimmer macht noch immer in Politik und soll sehr entrüstet gewesen sein, weil der König den Ministerpräsidenten Christics nicht schon vor ihrer Ankunft entlassen hatte. König Alexander scheint aber seiner Mutter Natalie keine große Gewalt einzuräumen. Er wird wissen warum.
Die Engländer sind nunmehr völlig Herren von Tschitral geworden.'*'Der Brudermörder Omra Khan weilt noch als Flüchtling bei dem Emir von Afghanistan, der es sich noch überlegt, ob er ihn an die Engländer ausliefern soll oder nicht.
Aus Amerika. Der großen Hitze, infolge deren in New-Iork bereits Menschen und Tieren dem Sonnenstich erlagen, ist in den Vereinigten Staaten ein plötzlicher Kälterückschlag gefolgt. Blühende Obstbäume und Feldfrüchte haben empfindlich vom Frost gelitten.
ZlnLeryaltender Teil.
Eine Hochzeitsreise.
Erzählung von F. Arnefeldt.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Benno Treuenseld hatte eine furchtbare Nacht verbracht. Man hatte ihm ein ziemlich geräumiges Zimmer mit einem Bett darin angewiesen; aber es fiel ihm gar nicht ein, sich niederzulegen, er blieb in seinen Kleidern und lief ruhelos auf und ab.
„Luft! Luft! ich ersticke!" rief er, als es Morgen geworden war. und der Regen an die Scheiben schlug; „das kühle Naß wird mir gut thun!" Er öffnete die Thür, um hinunterzugehen, prallte aber einen Schritt zurück. Im Vorsaal, wo noch Dämmerung herrschte, schoß etwas vor ihm auf, und er vermochte im ersten Augenblicke nicht zu unterscheiden, ob es ein Mensch oder ein katzenartiges Tier sei; im nächsten Moment hatte er die alte Dorothea erkannt. die pustend und zischend rief:
„Der Mörder will entwischen; haltet ihn! Laßt ihn nicht fort!"
„Rasendes Weib!" sagte Benno verächtlich, schob sie beiseite und wandte sich der Treppe zu; er bemerkte den Schatten eines Mannes, der auf seinen Weg fiel und wandte sich um.
„Was wollen Sie?" fuhr er den hinter ihm stehenden Polizisten an.
„Ich bitte um Vergebung." erwiderte der Mann, der sich in Verlegenheit befand, da er den fremden Herrn nicht aus den Augen lassen durfte und doch keinen Verhaftungsbefehl gegen ihn m Händen hatte, „ich habe darauf zu sehen, daß Niemand, der Zeuge des im Kurierzug begangenen Mordes gewesen ist, sich entfernt, ehe die Herren vom Gericht hier waren."
„Ich will mich nicht entfernen, sondern nur einen Gang ins Freie machen."
„Daran kann ich Sie nicht hindern; aber —"
„Sie wollen mich begleiten?" fragte Benno.
Der Polizist verbeugte sich.
„Unter diesen Umständen verzichte ich auf den Spaziergang," erklärte Treuenfeld und wandte sich nach dem Zimmer zurück. Auf der Schwelle blieb er stehen.
„Können Sie mir wenigstens meinen Handkoffer und meinen Ueberzieher holen; man hat mir nicht Zeit gelassen, die Sachen mit mir zu nehmen, sagte er.
Der Polizist zuckle die Achseln. „Der Wagen darf vor Ankunft der Herren vom Gericht nicht geöffnet werden."
„Ich verstehe!" unterbrach ihn Benno ungeduldig und schlug die Thür hinter sich zu. „Hier scheint alles von einer fixen Idee ergriffen zu sein", brummte er; „der Wahnsinn der Alten wirkt ansteckend, ich fürchte, er wird auch die Gerichtsbeamten ergreifen. Hoffentlich stellen sie sich bald ein, daß ich hier herauskomme und zusehen kann, was aus meiner armen Erna geworden ist."
Die Gerichtsbeamten trafen ein; aber die Hoffnungen, die Benno daran geknüpft hatte, erfüllten sich nicht. Der Assessor, der sich in Begleitung zweier Gerichlsdiener zu ihm begeben hatte, um ihm seine Verhaftung anzukündigen, erklärte ihm, daß er keine der Fragen, die der Gefangene an ihn richtete, beantworten dürfe und verwies ihn auf das Verhör, dem er nach seiner Ankunft im Gerichtsgebäude unterzogen werden würde.
Düster ergab sich Benno in sein Schicksal. Ohne noch ein Wort zu verlieren, ließ er sich zu dem harrenden Wagen führen, schweigend legte er den Weg nach dem Gerichtsgebäude zurück. Er bedurfte der Aufbietung seiner ganzen Willenskraft, um ruhig zu bleiben, als man ihn durchsuchte und ihm Börse, Brieftasche, Uhr und Ringe abnahm, als sich dann aber die Thür des Gefängnisses hinter ihm schloß und er sich allein sah. sank er. laut ausstöhnend, auf das daselbst befindliche, harte Lager nieder.
Eine Stunde mochte vergangen sein, da öffnete sich die Thür und der Schließer trat ein.
„Soll ich zum Richter kommen?" fragte Treuenseld auffahrend.
„Noch nicht", war die lakonische Antwort, „ich bringe Frühstück." Er setzte ein Brett, auf welchem sich Kaffeegeschirr und ein hölzernes Teller mit geschnittenem Brot befanden, nieder und entfernte sich — und Benno entdeckte mit Grauen vor sich selbst, daß er Hunger empfand. Seit vielen Stunden hatte er nichts genossen und auch' gar nicht daran gedacht, etwas zu sich zu nehmen; der Anblick der Eßwaren erweckte plötzlich das Bedürfnis nach Nahrung so stark in ihm, daß er nicht zu widerstehen vermochte und es befriedigte.
Es währte noch lange, ehe er vorgesührt ward; bleiern lastete die Zeit auf ihm, und wie Musik erklang ihm endlich das Kreischen des Schlosses; man holte ihn zum Verhör. —
Der Landrichter erstattete nach seiner Rückkehr vom Bahnhofe zunächst dem Vorsitzenden der Kciminalavteilung des Landgerichtes Bericht über die von ihm ausgeführte Aufnahme des begangenen Verbrechens und ward von dem Beamten mit der weiteren Führung der Untersuchung betraut. Er war noch ein junger Mann und hocherfreut darüber, die Fäden eines so wichtigen und interessanten Kriminalprozesses in die Hände zu bekommen; nur eines bedauerte er dabei; die Sache lag gar zu sonnenklar; es bedurfte nicht der Geichicklichkeit und Feinheit des Inquirenten, die er in sich fühlte, um den Schuldigen zum Geständnis zu bringen; die Thatsachen hatten ihn bereits überführt.
Er begab sich in sein Amtszimmer, las das Protokoll über die bisher gemachten Aussagen der Zeugen nochmals durch und untersuchte die Gepäckstücke, welche im Wagen vorgefunden, wie die Gegenstände, die dem Verhafteten abgenommen und dem Gerichte überbracht worden waren. Es befand sich darunter nichts, was auf die Person des Mörders oder auf den Beweggrund für das Verbrechen schließen ließ. Die in der Brieftasche Vorgefundenen Papiere bestätigten lediglich, was bereits aus dem Ber-
hör hervorgegangen war, daß der mutmaßliche Verbrecher Benno Treuenfeld heiße, aus R. ge- bürtig und vor Kurzem aus Südafrika zurück- gekehrt war. Auffällig erschien, daß der letztere, welcher als Besitzer eines großen Vermögens geschildert ward, nur eine sehr kleine Summe baren Geldes und keinerlei Kreditbriefe bei sich führte.
Der Untersuchungsrichter wollte soeben den Befehl geben, den Gefangenen vorzuführen, da wurden ihm Frau v. Rehfeld und ihre Mutter gemeldet. Er zog cs vor, erst diese beiden Zeuginnen zu vernehmen, um dem Schuldigen mit der vollen Wucht des gesammelten Belastungsmaterials entgegenzutreten und ihn niederzuschmettern.
(Fortsetzung folgt.)
Ein Elternmörder. Der achtzehnjährige Arbeitersohn Koschminski in Rogasen bei Posen gab vorgestern abend, als er aus der Kirche kam, ohne jede Veranlassung zwei Revolverschüsse auf seinen Vater, wodurch er denselben am Halse gefährlich verletzte, und dann drei Schüsse auf seine Mutter ab, von denen einer sie in die Brust traf. Die Aerzte zweifeln an der Möglichkeit, die Verletzten am Leben zu erhalten. Dem Mörder gelang es zu entfliehen.
Zeitungsfreuden in Elsaß-Loth- ringen. Der Redakteur des Zaberner Anz." erklärt in seinem Blatt, daß er, weil er Berichte über die Landesausschußsitzungen gebracht hat, ohne die für eine politische Zeitung erforderliche Kaution hinterlegt zu haben. 60 Prozcßfälle auf sich geladen hat. Der Strafantrag des Staatsanwalts könne dabei auf 120000 Fr. Geldbuße und 120 Jahre Freiheitsstrafe lauten. Da wäre es doch einfacher, dem Unglücklichen gleich den Kopf abzuhauen. Die Affaire illustriert die reichsländischen Preßzustände nicht übel!
sZu gewagt.) Mama (vor dem Beginn des Balles): „Melanie, Du mußt etwas mehr die Unnahbare spielen, das reizt die Männer!"
— Melanie: „Aber Mama, ich bitte Dich, bei dieser Konkurrenz!"
(Eine Tochter Albions) will im Fleischerladen Schweinsrippen kaufen. „Geben Sie mir
— as, uie 'eißt doch das von das Schwein — die kleine Knochen — der Stück, wo Eva geschaffen worden von das."
Telegramme.
Berlin, 16. Mai. Die Branntweinsteuerkommission des Reichstags nahm in zweiter Lesung das ganze Gesetz nach den Beschlüssen erster Lesung mit allen Stimmen gegen diejenigen der Freisinnigen und Sozialdemokraten an.
Wilhelmshafen, 16. Mai. Der Kreuzer „Marie" hat Befehl erhalten, sofort die Heimreise von Ostasien anzutreten. Der Kreuzer „Alexandrine" trifft Ende dieses Monats ein.
Wien, 16. Mai. Der Minister des Aeußern und des kaiserlichen Hauses, Gras Kalnoky, hat sein Entlassungsgesuch eingereicht. Der Kaiser hat dasselbe angenommen.
— Graf Kalnoky war im Herbst 1881 nach Haymerles Tod auf den Posten gelangt, den er fast 14 Jahre verwaltet hat. Sein Sturz steht in unmittelbarem Zusammenhänge mit der Krisis, die durch das Eingreifen des Nuntius heraufbeschworen worden ist und bedeutet einen Sieg des ungarischen Kabinets über das gemeinsame.
— Als Nachfolger wird der Pole Graf Agenor Goluchowsky, zuletzt Gesandter in Bukarest genannt. Derselbe war zum Botschafter im Quirinal ausersehen und gilt als politisch unbefangen und hochbegabt.
Madrid, 16. Mai. Der „Jmparzial" veröffentlicht eine Depesche aus Havannah, wonach in der Nähe von Santiago ein Zusammenstoß zwischen den Truppen und den Aufständischen stattgefunden hat, bei dem die Truppen einen glänzenden Sieg errungen hätten. Die Verluste der Aufständischen sind bedeutend. — Marschall Campos verlangt die Entsendung von Aerzten und Krankenpflegerinnen für die Militärlazarette auf Cuba; ferner 12 Stabsoffiziere, 20 Hauptleute und 52 Lieutenants, um die Lücken in den Cadres zu besetzen:
Redaltion, Druck und Verlag von C. Meeh in Reuen bürg.