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MeiL'crge zu Wr. 77 des KnztHMers.
Neuenbürg, Donnerstag den 16. Mai 1895.
Württemberg.
Stuttgart, 14. Mai. Gestern Nachmittag 3 Uhr stieg Kapitän Spelterini, begleitet von Redakteur Dr. Saul von der „Frkf. Ztg.", Max Schiedmayer. Pianofortefabrikant in Stuttgart und Dr. Falkner von Basel, vom Hofe der Cannstalter Gasfabrik in seinem neuhergerichteten Luftballon auf. Die Luftschiffer erreichten eine Höhe von 3000 Meter, wo eine Temperatur von 5 Grad Celsius herrschte. Nach 2'/, ständiger herrlicher Fahrt landeten die Reisenden wohlbehalten bei Schlaitdorf, O.A. Tübingen, von wo aus die Rückfahrt mit der Eisenbahn erfolgte.
Tübingen, 13. Mai. Das auf gestern vom hiesigen Radfahrer-Verein projektierte Wett-Rennen wurde vom K. Oberamt verboten. Einzelne fuhren für sich nach Bebenhausen und zurück. Die Strecke beträgt 10 Kilometer, welche Fischer I. in 21 Minuten zurücklegte, Zahnarzt Schneyder, sowie Fischer II. brauchten 22 Minuten.
B ö b l i n g e n , 8. Mai. AufgemunNrt durch die günstigen Resultate, welche in verschiedenen Städten unseres Landes, z. B. Eß- langen Tuttlingen, Freudenstadt, Nagold u. a., durch die Einführung des elektrischen Motorenbetriebes erzielt wurden, trägt man sich in den hiesigen gewerblichen Kreisen neuerdings auch mit dem Gedanken, der Sache näher zu treten. Dies gab Veranlassung zu einem Vortrag, welchen Reallehrer Bitzer vorgestern abend im Gewerbevercin über das Thema: „Die elektrische Kraftübertragung und unser einheimisches Kleingewerbe" hielt. Für unsere nach Stuttgart u. s. w. arbeitenden Handwerker — führte der Redner ans — insbesondere Schreiner, Dreher, Schuhmacher, sei cs eine Existenzfrage, daß ihnen die Waffen nicht vorenthalten werden, mit denen allein sie den Kampf gegen die auswärtige Konkurrenz erfolgreich durchführen können.
Nagold. 5. Mai. (Lehrlingsprüfung.) Bei der am 1. Mai hier abgehaltenen Lehrlingsprüfung beteiligten sich 18 junge Leute, sämtliche dem Handwerkerstand angehörend, wobei die Schreinerei am zahlreichsten vertreten war. Es konnte allen Prüflingen ein Diplom ausgestellt werden, wenngleich die Zeugnisse große Difl ferenzen aufwiesen. Die sogenannten Schulfächer machen den Lehrlingen am meisten zu schaffen und viele der letzteren bleiben aus Furcht vor dieser „wissenschaftlichen" Prüfung der ganzen Einrichtung fern. Es ist zu hoffen, daß die neu einzuführende allgemeine Fortbildungsschule in dieser Hinsicht günstig wirken werde. Die Verteilung der Diplome erfolgte im Rathaussaale, wo die Vorstände des Gewerbevereins und Gewerbeschulrats Ansprachen hielten. Den Geprüften wurde nachher durch die freigebige Hand des — leider bald von uns scheidenden — Herrn Kommerzienrats Sannwald ein Vesper gespendet.
Aus dem Oberamt Nagold, 7. Mai. Bei Herrn Lehrer Brendle in Altensteig verweilte seit einem Monat ein Togoneger, der vor drei Jahren mit einem Missionar nach Deutschland kam, um das Deutsche zu erlernen und sich als Missionslehrer auszubilden. Der junge etwa 20—22 Jahre alte Mann hat sich während seines Aufenthalts in Württemberg eine gute Bildung erworben: er spricht und schreibt gewandt, deutsch und englisch, kann ganz hübsch Choräle, Sonaten und Märsche auf dem Klavier vortragen Seine Umgangsformen sind sehr artige und gefällige; geistige Getränke genießt der junge Mann nicht, ist sehr heiter, kann es aber gar nicht begreifen, daß die Weißen in ihrem kühlen Lande so einen kräftigen Durst Verspüren. Als man ihn fragte, ob er nicht etwa eine weiße Jungfrau als Gattin mit nach Afrika nehmen wolle, entgegnete der wackere Schwarze: „Ich nehme keine weiße Frau, die
könnte in meinem Lande nicht lange leben und ich wüßte mein Leben lang trauern." (Also: so ganz ohne Neigung für unsere Jungfrauen ist der schwarze Sohn Afrikas doch nicht!) Wünschen wir, daß der junge Mann, der sich in unserer Gegend, wohin noch nie ein Neger kam, so manche Freunde erworben hat, nach seiner Rückkehr in sein Vaterland, die am 1. Mai erfolgte, als Missionslehrer unter seinen Landsleuten in Segen wirken möge!
Stuttgart. (Landesproduktenbörse. Bericht dom 13. Mai von dem Vorstand Fritz Krsglinger.s In der letzten Woche bewegte sich das Getreidegeschäft aus dem Weltmärkte in etwas ruhigeren Bahnen. Das Geschäft bleibt dessenungeachtet ein gesundes und konnten sich die Preise behaupten. In England fanden größere Abschlüsse in Laplataweizen zu guten Preisen statt. Die Zufuhren der Landmärkte fanden bei höheren Preisen schlanken Absatz. Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen Nikolajeff-Azima 16 65 Azima 16 ^
bis 16 50^, Gyrka 16 ^ bis 16 -4L 25
Rumänier 17 bahr. 15 75 ^ bis 16 —
Land 15 -4L SO ^ Kernen, Oberl. la. 16 -4L 75, bis 16 90 fränk. 15 75 Landhafer la
13 40 ^ Landhaser 11 -4L 80 Albhaser la.
18 -4L 75 bis 14 -4L — Odessamais 13 -4L 25 Donaumais 13 -4L 75 — Mehlpreise pr. 100
Kilogramm inkl. Sack bei Wagenladung: Letztwöchentlich.
Anstand.
Laibach, 13. Mai. In letzter Nacht wurden wieder drei neue leichtere Erdstöße beobachtet. Die vielen Erdstöße der letzten Woche haben neue Schäden verursacht und die bereits vorhandenen bedenklich vergrößert. Es müssen immer mehr Häuser eingeriffen werden. — In Graz schlug während eines Gewitters der Blitz in die St. Johann- und Paulskirche ein, welche infolgedessen gänzlich niederbrannte.
Paris, 14. Mai. Die Regierung beschloß, die deutschen Sozialistensührer Bebel und Liebknecht, falls dieselben hierher kommen sollten, auszuweisen.
Paris, 14. Mai. Ein mit Reisenden besetzter Zug stieß gestern Abend in der Nähe von Mantes an der Seine, im Departement Seine-et Oise, auf mehrere leere Wagen. Bei dem Zusammenstoß wurden zwei Zuginsaffen getötet, sechs leicht verwundet.
Aus Frankreich, 10. Mai. Allmählich wird Genaueres über den sachlichen Schaden bekannt, den der Dammbruch von Epinal verursacht hat. Die Gcsamtziffer von 50 Mill. Franken hat noch keinen Widerspruch gefunden. Die Ostbahn hat jetzt festgestellt, daß ihr Verlust allein 7 Mill. Fr. beträgt.
Tokio, 13. Mai. Der Friedensvertrag wurde heute verkündet, desgleichen ein vom 10. Mai datierter kaiserlicher Erlaß, daß in Befolgung der von Rußland, Deutschland und Frankreich erteilten freundschaftlichen Ratschläge und zur dauernder Bewahrung des Friedens der Kaiser seiner Regierung den Abschluß eines Sonderabkommens mit China befohlen habe, wodurch die Rückgabe der Halbinsel Liatong geregelt werden solle.
Anttrhattender Heil.
Eine Hochzeitsreise.
Erzählung von F. Arnefeldt.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Auf die beim Landgerichte zu G . . ., der Stadt, an welcher die Station lag. eingegangene Meldung von dem während der Nacht in einem Wagen des von Wien kommenden Kourierzugcs verübten Verbrechen hatte sich früh am Morgen eine Kommission in Begleitung des Gerichts- arzteS nach dem Bahnhof begeben, wo der Oberbeamte, der den Wagen begleitet hatte, den ersten Bericht erstattete. Er erzählte, daß, durch das Notsignal aufmerksam gemacht, der Zugführer den Zug zum Stillstehen gebracht habe, daß er mit einigen seiner Untergebenen nach dem betreffenden Wagen geeilt sei und dort einen
anscheinend leblosen älteren Herrn und einen jüngeren Herrn gefunden habe, welcher eine ohnmächtige junge Dame in seinen Armen gehalten habe. Ferner schilderte er die Belebungsversuche, die erfolgreich mit der Ohnmächtigen, Vergeblich mit dem Ermordeten angestellt worden waren, und erwähnte die schwere Beschuldigung, welche die Kammerfrau der jungen Dame gegen den Mitreisenden jungen Herrn erhoben hatte.
„Wie erschien Ihnen dieser Mitreisende?" fragte der die Untersuchung leidende Landrichter.
„Ich möchte nicht nach einer vorgefaßten Meinung urteilen", erwiderte der Oberbeamte zögernd; „aber er hat ein unheimliches Aussehen; auch gehörte er, wie der Schaffner des Wagens sagte, gar nicht in jenes Koupee, sondern hatte einen Platz in einem Koupee zweiter Klasse inne; der Mann wird Ihnen das bestätigen."
„Nachher," versetzte der Landrichter abwehrend, „zuvor wollen wir den Thatbestand aufnehmcn. Der Wagen befindet sich doch noch in dem Zustande, in dem Sie ihn vorgefunden?"
„Vollständig."
„So führen Sie uns hin; doch zuvor eine Frage: Sie haben den Namen des Ermordeten gehört?"
„Ja, er ist ein Herr v. Rehfeld, die junge Dame ist seine Gemahlin; sie kehrten von der Hochzeitsreise zurück, und der junge Mann, der sich im Koupee befand, heißt Benno Treuenfeld, die alte Kammerfrau nannte ihn so."
„Sie kannte ihn also?"
„Ja."
„Gut, führen Sie uns zu dem Ermordeten."
Von dem Stationsvorsteher und dem Oberbeamten begleitet, begaben sich die Herren nach einem Nebengeleise, wo der Wagen unter Aufsicht eines Polizisten stand. Die Thür zu dem Koupee erster Klaffe ward geöffnet, das den Leichnam verhüllende Tuch hinweggezogen, und geisterhaft starrten die nicht völlig geschloffenen Augen die Beschauenden an.
Der Arzt untersuchte zunächst die Wunde und konnte sich nur dem Ausspruche seines Kollegen, der sie in der Nacht besichtigt hatte, anschließen.
s „Der Stoß ist gerade ins Herz gegangen; der Tod muß augenblicklich eingetretcn sein", erklärte er beinahe mit denselben Worten wie sein Vorgänger, „es muß ein dreikantig geschliffener Dolch gewesen sein, — doch halt, da ist er ja."
Er hatte sich bei den letzten Worten gebückt, um etwas aufzuheben, an das sein Fuß gestoßen hatte und überreichte dem Untersuchungsrichter einen Dolch. Der Beamte nahm ihn und rief überrascht: „Was ist das? Der Waffe nach zu urteilen, haben wir es hier nicht mit einem gewöhnlichen Raubmörder zu thun; das ist ein seltenes Stück altitalienischer Arbeit."
Der Dolch war vom feinsten Stahl und kunstvoll geschliffen; den Griff bildete ein eise- lierter, goldener Frauenarm, um den sich eine Schlange aus hellroter Koralle ringelte; die kleine goldene Hand streckte den Zeigefinger so über die Klinge aus, als wolle sie ihr die Richtung andeuten, die sie zu nehmen habe.
„Der Dolch sieht aus, als sei er eigens dazu gemacht, einen Nebenbuhler aus dem Wege zu räumen," bemerkte der junge Assessor.
„Wer weiß, ob er nicht auch in diesem Falle in einer ähnlichen Absicht gebraucht worden ist," versetzte halblaut der Eisenbahnbeamte.
„Was wollen Sie damit sagen?" fragte der Landrichter schnell.
„Einige Worte, die zwischen Frau v. Rehfeld, der Kammerfrau und dem als Benno Treuenfeld bezeichneten jungen Herrn gewechselt wurden, lassen mich darauf schließen, daß cs sich hier um eine Liebes-Jntrigue handle."
„Durchsuchen Sie die Taschen des Leichnams , ob sich Wertpapiere oder Geld darin