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wärtS" einen Artikel, in dem die Rede davon ist, den Kriegsminister wie einen tollen Hund niederzuschießen. Wer so etwas schreibt, thut es nicht. (Zuruf Bebels: Sehr richtig!) Der Kriegsminister fortfahrend: Aber ein fanatischer Bursche, der solches liest, könnte zur Thal an­gereizt werden. Der Minister bestreitet, daß er den Bürgerkrieg als heiteres Bild hingestellt habe. Allerdings wäre es heiter» wenn die Massen, wegen nicht gehaltener sozialistischer Versprechen ungeduldig geworden, die sozialdemo­kratischen Abgeordneten vor die Front riefen, wo sie dann wider Willen zu heroischen Thaten aufgefordert würden. (Heiterkeit.) Abg. von Kardorff (Reichsp.) erklärt: Die Reichspartei stimmt für die Regierungsfassung und gegen die Kommisstonsfassung. Abg. v. Levetzow giebt die gleiche Erklärung namens der Konservativen ab aus Grund der Erklärung des Kriegsministers. Redner bemerkt, es sei keine Aussicht vorhanden, daß sich der Bundesrat auf einen anderen Stand­punkt stellt als der preußische Kriegsminister. Hiermit schließt die Diskussion. Abg. Hauß- mann zieht seinen Antrag zurück. Nunmehr wird § 112 in der Regierungsfassung gegen die Konservativen, die Reichspartei und die National­liberalen abgelehnt. Die Kommissionsfassung wird gegen das Zentrum abgrlehnt. Abg. Richter (sreis. Volksp.) bemerkt: Machen wir es kurz, verzichten wir aus die Weiterberatung, damit durch eine Reihe von Abstimmungen die ganze Vorlage schnell aus der Welt kommt. (Große Heiterkeit; lebhafte Bewegung.) Nach­dem § 112 in der Kommisstons- wie in der Regierungsfassung abgelehnt worden, verzichtet das Haus auf die Weiterderaiung der gesamten Vorlage. Die ganze Umsturz­vorlage wird paragraphenweise ohne Debatte abgelehnt und darauf die Sitzung geschlossen. Das Haus trennt sich in lebhafter Erregung, Montag: Zollgarantie-Vertrag mit Oesterreich- Ungarn, Novelle zum Militärrelikten-Gesetz und Tabaksteuervorlage.

Berlin. 11. Mai. Es werden jetzt Be­mühungen gemacht, den Reichstag bis nach Pfingsten zusammenzuhalten, um noch die großen wirtschaftlichen Fragen zur Verhandlung zu bringen.

Berlin, 12. Mai. Der Kaiser empfing heute Mittag den Reichskanzler, den Minister v. Köller und unmittelbar darauf den Finanz­minister Miquel. Die Herren wurden mit einer Einladung zur Frühstückstafel beehrt.

München, 11. Mai. Die Neuest. Nachr. melden aus Berlin: Wahrend der gestrigen Reichstagssitzung ging dem Minister des Innern v. Köller ein Drohbrief zu, der ihm das Schicksal Carnots prophezeite.

Weimar, 11. Mai. Das endgiltige Ergebnis der hiesigen Reichstags-Ersatzwahl ist der Sieg des konservativen Kandidaten Reich- muth» der 9556 Stimmen erhielt, während für den Sozialdemokraten Baudert 9441 Stimmen gezählt wurden. (Reichmuth hat zugesagt, der Reichsp. beizutreten.)

Berlin, 11. Mai. Eine überaus wert­volle Schillerbibliothek, aus den seltensten Drucken bestehend, welche der bekannte sach­kundige Antiquar Alb. Cohn seit Jahrzehnten gesammelt hat, ist heute durch Dr. Fritz Jonas im Auftrag einer schwäbischen Dame käuflich erworben worden; die Bibliothek soll Sr. Maj. dem König von Württemberg für das zu errichtende Archiv in Marbach zur Verfügung gestellt werden.

München, 12. Mai. In Tölz wurden am 8. Mai einem Bauern, der den dortigen Bich- markt besuchte, aus der inneren Rocktasche 200050 gestohlen.

Im Dorfe Bübingen im Elsaß fanden in Folge von Verwendung von Petroleum zum Feuerschüren drei Personen, 2 Kinder und 1 erwachsenes Mädchen, den Verbrennungstod.

Freiburg, 4. Mai. Bekanntlich sah sich der Stadtrat von Freiburg im Januar d. I. genötigt, zur Beschaffung billigeren Fleisches gegenüber den übertriebenen Preisen der Inn- ungsmetzger einige städtische Verkaufsstellen ein­zurichten. In diesen 3 Verkaufsläden wurden nach der jetzt dem Stadtrat vorliegenden Ab­

rechnung in der Zeit vom 24. Januar bis 14. Februar d. I.. also in 3 Wochen 1121 Mark 53 ^ Gewinn erzielt und dieser wurde der Armenverwaltung überwiesen.

Württemberg.

Stuttgart. 12. Mai. Der von den Sozialdemokraten gegen alle Mitglieder und Lieferanten des Stuttgarter Liederkranzes ver­hängte Boykott erregt in allen bürgerlichen Kreisen Stuttgarts auch in sochen, die dem Lieder­kranz sehr fern stehen, eine wachsende Erbitter­ung. Nachdem man weiß, daß der Liederkranz- Ausschuß zwingende Gründe hatte, den Sozial­demokraten die Liederhalle nicht einzuräumen, weil sonst die Militärkapellen, die man doch un­bedingt in der Liederhalle braucht, letztere nicht mehr betreten dürfen, erweist sich der Boykott als eine bösartige Machtprobe der Sozialdemo­kraten, die durch die Wahl ihres Führers Kloß in den Landtag übermütig geworden, den Stutt­garter Bürgern und Beamten zeigen wollen, daß sie selbst dasHeft in der Hand haben" und selbst befehlen dürfen, was ihnen gerade einfällt. Würde dieser Boykott mit einer Niederlage des Liederkranzes enden, so würden die Herren Sozial­demokraten nicht nur andere größere Säle und Gärten z. B. den Silberburggarten der Museums­gesellschaft für ihre Feste verlangen, sondern auch einzelnen Hausbesitzern diktieren, daß sie den einen oder andern Sozialistenhäuptling zu einem bestimmten Preise als Mieter aufzunehmen haben, oder aber, daß eia Hausbesitzer irgend einen, der Sozialdemokratie verhaßten Mann aus Laden oder Wohnung zu vertreiben habe bei Strafe des Boykotts im Falle des Ungehorsams gegen das Machtgebot der Sozialdemokraten. Wer etwa glauben sollte, so weit werde die Sozial­demokratie, die jadie Liebe" ist, nicht treiben, wird sich schwer täuschen. Noch vor wenig Wochen hätte kein anständig denkender eine solche Boykottform für möglich gehalten, welche nun doch zur Thatsache geworden ist. Es sind nun Vorbereitungen zu einer Bürgerversammlung im Gange, welche sich mit jenem Boykott beschäftigen soll. Mit einem bloßen, wenn auch in noch so fulminante Worte gebildeten Protest wird es aber nicht gedient sein. Da die Regierung mangels eines diesbezüglichen Gesetzes nicht helfen kann, vom jetzigen Reichstag aber ein Gesetz gegen den Boykett nicht zu erhoffen ist, so bleibt den Stuktgarter Geschäftsleuten und Beamten nicht anderes übrig, als den Teufel mit Belze- bub auszutreiben, dem Boykott durch einen Gegen­boykott die Spitze abzubrechen. Es existieren hier viele Sozialdemokraten von fanatischer Sorte, die etweder als selbständige Gewerbe- treibende ihre Hauptkundschaft bei Beamten oder gut situierten Bürgersleuten haben, oder deren Frauen als Putz- oder Kleidermacherinen oder Friseurinen gerade bei den jetzt boykottierten Klassen der Gesellschaft mehr verdienen als der Mann. Eine Liste solcher Spezialisten und Sozialdemokratinnen aufzustellen und zu ver­öffentlichet», dürfte nicht schwer fallen. Empfind­lich könnte die ganze Sozialdemokratie getroffen werden durch den Austritt aller Nichtsozialisten aus dem Konsumverein. Endlich könnte Wirten und anderen Geschäftsleuten, welche ohne wirk- liche Not- und Zwangslage das Sozialistenblatt halten und darin inserieren, bedeutet werden, daß sie wählen haben zwischen rechts und links. Wie wir hören, sollen in den angedeuteten Richtungen Anträge in der Bürgerversammlung gestellt werden. Bei der letzten Reichstagswahl waren einige Geschäftsleute in aller Stille boykottiert worden. Als sie dies durch das Fernbleiben eines Teiles ihrer Kunden merkten, klagten sie sofort alle Guthaben ein und dies Mittel half; der Boykott wurde wieder aufgehoben. Vielleicht erzielt auch diesmal die Selbsthilfe der Stuttgarter Beamten und Geschäftsleute einen Erfolg. Wenn die Herren Sozialdemokraten, wie das Boykottiertwerden am eigenen Leibe thut, wenn sie sehen, daß man nicht ungestraft bloshinüberschießen" darf, werden sie wahr­scheinlich den Boykott rasch wieder aufheben. Vorerst halten sie sich für die Jäger, die Bürger­schaft aber für die Hasen und Rehe, die man fröhlich zusammenknallen darf. In ihre Boykotts­

liste haben sie unterschiedslos deutschparteiliche konservative, ultramontane und volksparteiliche Mitglieder ausgenommen. In die sozialistische Boykottliste wurden auch viele Geschäftsleute ausgenommen, die teils gar nie Mitglieder des Liederkcanzes waren, teils längst wieder ausge­treten sind. Verwahren sich diese nun gegen die ihnen angedichtete Mitgliedschaft, so lautet in derSchwäb. Tagwacht" der Ukas der neuen Beherrscher Stuttgarts nur so:Aus der Boykott­liste sind zu streichen" u.s.w., so wird bei den allermeisten Lesern die irrige Meinung erweckt, als seien die Betreffenden aus Angst vor den Sozialdemokraten aus der Liederkranzgcsellschaft ausgetreten.

Marbach, 11. Mai. Schon am 9. Mai und heute liefen beim Schilleroereinsvorstaad Telegramme und Zuschriften eia. Teils sind es schon Anmeldungen in den Verein, teils Glück­wünsche. Alle atmen herzliche Freude über des Königs Kundgebung und große Begeisterung für t die Sache. Wir wollen vorläufig nur eine Zu­schrift Mitteilen: Stuttgart, 11. Mai. Ew. Hoch­wohlgeboren können sich vorstellen» mit welch freudiger Begeisterung ich den herrlichen Brief Sr. Maj. des Königs las. Möchte doch der Widerhall solch gnädiger Gesinnung zu einer That werden, die der ganzen deutschen Nation zum Nutzen gereicht. Die idealen Güter de- Volkes zu schützen, sie zu fördern ist kgl. Vor­recht, dieser Güter würdig zu sein, des Volke- Ehre. In vorzüglicher Hochachtung und freud­iger Zuversicht, das Werk in Ihren Händen zu wissen, zeichne ich Ihre ergebene Mathilde Frei­frau v. Schiller. Kurz u. gute telegraphierte Rektor Presset in Heilbronn: Des Werkes Krön­ung feiert freudig mit. Pressel.

Cannstatt, 10. Mar. Die Zahl der Selbstmorde mehrt sich von Tag zu Tag in erschreckender Weise und sind in in den letzten Wochen mehr als ein Dutzend zu verzeichnen gewesen. Heute früh 6 Uyr wurde der Zucht­hausaufseher Dannenkelser von Stuttgart unter­halb der Eisenbahnbrücke aus dem Neckar ge­zogen und heute mittag hat sich der wegen Unter­schlagung in Untersuchungshaft befindliche Brief­träger Reichert von hier im Amtsgerichtsgefäng­nis erhängt.

Tuttlingen, 11. Mai. Als gestern nach­mittag der Straßenmeister aus Rottweil in der Stockacherstraße sein Beloziped einen Augenblick an einen Baum lehnte, um einen in der Nähe befindlichen Steinbruch zu besichtigen, setzte sich ein des Wegs daherkommender Mensch von blassem Aussehen aus das Rad und fuhr mit Windeseile davon. Die Landjäger verfolgen den flinken Patron, der gegen Stockach fuhr und werde« ihm wohl bald das Handwerk gelegt haben.

Weinsberg, 6. Mai. Einen seltenen Fund machte gestern Geometer Fuchs von hier beim Steinsatz auf der Markung Gcuppenbach, nämlich einen Stock (8 Stück) größerer nebst 4 Stück kleinerer, versteinerter Kartoffeln. Es wäre interessant zu erfahren, wie eine Ver­steinerung von Kartoffeln möglich ist, da solche doch rasch in Fäulnis übergehen.

Leonberg, 10. Mai Der beim Brande in Renningen verursachte Gebäudeschaden beträgt 24000 Mk.. Die Brandstätte liegt in der Nähe der Kirche. Das Gasthaus zum Hirsch wurde nicht, wie von hier berichtet, vom Brande be­troffen. Der Hirsch ist sehr entfernt von der Brandstätte. Sämtliche abgebrannten Gebäude sind versichert. Gerade vor 50 Jahren sind 50 Gebäude beim Hlrsch durch einen Brand zerstört worden.

Marktpreise.

Neuenbürg, 1l. Mai.

Butter, V, Kilo. 8590 ^

Landeier, 2 Stück 11 ^z, Kisteneier 5

Pforzheim, 11. Mai.

Landbutter, '/, Kilo.951.10

Süßrahmbutter.-^> 1.101.20

Landeier 2 Stück.1011 ^

Kisteneier, 2 Stück.1011

Stuttgart, 11. Mai.

Saure Butter, V- Kilo.1.

Süße Butter, V, Kilo . . . . 1.101.20

Frische Eier, 10 Stück. 50

Kalkeier, 10 Stück.