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einführung der preuß. Staffeltarife für Ge. treide und Mühlenfabrikate an zuständiger Stelle entgegentreten zu wollen. Der Antrag wurde, nachdem noch die Einführung von Staffeltarifen für Vieh in denselben eingeschaltet war, in namentlicher Abstimmung mit 79 gegen die 2 Stimmen der sozialdemokratischen Abgeordneten angenommen. Es folgte die Beratung des An trags Hähnle und Gen. (Volkspartei) gegen die Umsturzvorlage. Nachdem der Abg Lang denselben begründet, Frhr. v. Il­lingen aus formellen Gründen seine ablehnende Haltung erklärt und der Abg. Kloß die Stell ung der Sozialdemokratie zu dem Antrag dargelegt halt, verlos der Abg. Gröber eine Erklärung der Zentrumspartei, die er dann weiter erläuterte Der Ministerpräsident v. Mittnacht erklärte: Wenn der Gesetzesvorschlag nach den Beschlüssen der Kommission angenommen würde, hätte die württ. Regierung gewichtige Bedenken gegen die Zustimmung; weitere bindende Erklärungen könne er im jetzigen Augenblicke nicht abgeben. Die Erklärung des Hauses werde bei der Regierung ihre volle Beachtung finden. Bei der Abstimm ung wurde der Antrag mit 56 gegen 24 Stimmen angenommen. (Beifall.) (Mit Ja stimmte auch der Abgeordnete des Bezirks Neuenbürg, Herr Commerell. Die Red.) Mit Nein stimmten: das Zentrum und die vier ritterschast lichen Abgeordneten v Gültlingen, v. Speth, v. Ulm, v. Seckendorfs.

Stuttgart, 28. April. Der Entwurf des neuen, aus 102 Artikeln bestehenden Ge­setzes, betr. die Benützung der öffentlichen Gewässer, ist heute den Abgeordneten zuge gangen. In den umfassenden Motiven wird das Bedürfnis einer gesetzlichen Regelung der Wasser­benützung hervorgehoben und betont, daß das Ungenügende und Unbefriedigende des bestehen­den rechtlichen Zustandes, der sich in ähnlicher Weise fast in keinem deutschen Staat mehr findet, allseitig anerkannt ist. Landwirtschaft und In­dustrie rufen gemeinsam nach einer gesetzlichen Regelung des Wasserbenützungsrechts und der Ausnützung der wertvollen Wasserkräfte des Landes. Was den Umfang der gesetzlichen Regelung anbelangt, so ist im Hinblick auf die bevorstehende Erlassung eines deutschen Reichs­zivilgesetzbuches in dem Entwurf prinzipiell nur das öffentliche Wasserbenützungsrecht geordnet und sind Bestimmungen privatrechtlicher Natur nur insoweit in denselben ausgenommen, als sie sich aus den Vorschriften für das öffentliche Wasserbenützungsrecht von selbst ergeben. Der Entwurf hat sich die umfassende öffentlich, recht- liche Regelung der Wasserbenützung sowohl für landwirtschaftliche, als für gewerbliche, hygienische und Wasserversorgungszwecke zur Aufgabe ge­setzt und dabei neben der Bewässerung auch die Entwässerung in den Kreis der zu regelnden Gebiete gezogen. Dagegen ist die bereits ge­setzlich geregelte Benützung der Gewässer zur Fischerei, sowie die im Berordnungsweg gleich­falls geordnete Benützung derselben zur Schif­fahrt und Flößerei, in den betreffenden speziellen Gesetzen und Verordnungen Vorbehalten. Eben­so hat es sich empfohlen, die Regelung des Ufer- und Wafferschutzes einer besonderen Ge setzgebung zu unterwerfen. Um die Bedeutung, welche der Benützung der öffentlichen Gewässer in Württemberg zukommt, klarzulegen, sei er wähnt, daß nach einer 1892 angestellten Ec Hebung damals 3593 Hauptbetriebe mit 1076 Nebenbetrreben vorhanden waren, die Wasser­kraft benützten Dampfkräfte ohne Lokomotiven und Schiffsmaschinen gab es 1890 in Württem­berg 2432 Maschinen mit 43110 Pferdekräften.

Stuttgart, 3. Mai. Der Termin für die Einlieferung von Entwürfen für das neue Rathaus in Stuttgart ist abgelaufen. Es sind im Ganzen 197 Entwürfe eingegangen, welche nun der Entscheidung des Preisgerichts unterliegen.

Vom Gäu. Der Preis der Schweine ist gegenwärtig sehr nieder. Für das Pfund lebend Gewicht werden von den Metzgern 3335 L bezahlt. Da die Schweine aber selbst zu diesem geringen Preis keinen guten Absatz finden, so werden viele Privatschlachtungen vorgenommen. Infolgedessen haben die Metzger den Preis des Pfunds Schweinefleisch auf 50 herabgesetzt.

Tuttlingen, 2. Mai. Gestern morgen wurde auf einem Turm des Honbergs die Fahne des Verschönerungsvereins heruntergerissen und eine rote aufgehißl, die polizeilich wieder ent­fernt wurde. In unserer Stadt sind gegen­wärtig 20 Neubauten in Angriff genommen.

In Unterreichenbach stürzte am Mitt­woch nachmittag ein 5jähriger Knabe, der trotz der Warnung des Fuhrmanns auf einen Wogen gesprungen war, so unglücklich herab, daß er sofort starb. Der Arzt stellte einen Genickbruch fest. Den Fuhrmann trifft keine Schuld. Das Aufspringen auf Wagen, sowie das gefährliche In-den-Weg springen gegen Fuhrwerke, Rad fahrer u.s.w. wird leider von der Jugend nicht nur da, sondern auch in anderen Orten so oft ausgeübt, daß es nicht verwunderlich ist, wenn Uniälle eintreten. Pflicht der Eltern ist es, ihre Kinder gut zu instruieren und sie für der­artigen Unfug jedesmal tüchtig abzustrafen.

Altensteig, 2 Mai. Der gestrige Vieh­markt war stark besucht und mit Vieh gut be­fahren; doch ging der Handel ziemlich flau. Am meisten gesucht waren hochträchtige neumelkige Kühe, weniger Jungvieh. Die Nachfrage nach Fetlvieh war keine besonders lebhafte, was seinen Grund darin hatte, daß nur wenige israelitische Händler zu Markt gekommen waren. Billig waren die Schweine. Schon um 25 »-6 wurde das Paar Milchschweine abgegeben, während man um 60 ein Paar recht schöne Läufer erhielt.

Ausland.

Paris, 2. Mai. Der Minister der öffent- lichen Arbeiten erließ an sämtliche Staatsingenieure ein Rundschreiben, worin dieselben aufgefordert werden, die Wasserreservoire und Kanäle ein­gehend zu besichtigen und überall wo notwendig, mit größter Beschleunigung die erforderlichen Ausbesserungen vornehmen zu lassen. In Epinal empfing Arbeitsminister Dupuy-Dutemps eine Abordnung der am Ostkanal beschäftigten Schiffer, die durch den Dammbruch von Bouzey zu mehrmonatlichem Feiern gezwungen sind, da die Schiffahrt im Ostkanal gänzlich eingestellt werden mußte. Der Minister versprach den Schiffern entsprechende Unterstützungen und Ent­schädigungen seitens des Staates.

Petersburg, 1. Mai. Das Gebäude der Kaiser!. Rechtsschule wurde durch eine Fe ucrs- brunst heimgesucht, welche sich durch die Venti­lationsröhren verbreitete. Der Schaden soll 50000 Rubel betragen. Gestern brannte die halbe Stadt Dubuno, Gouvernement Wolhynien, nieder. Die Feuersbrunst verbreitete sich infolge Mangels an Löschmitteln, zumal auch keine Feuerwehr vorhanden war Die Stadt Olkieniki im Gouvernement Wilna ist von einem furchtbaren Brande heimgesucht worden. 86 Häuser, 2 Kirchen und die Synagoge wurden eingeäschert. Der Schaden ist enorm. Gegen 50Ö Familien sind obdachlos und 7 Personen werden vermißt.

Die Engländer haben mit ihrem schroffen Vorgehen gegen die südamerikanische Republik Nicaragua den gewünschten Erfolg erzielt. Die Regierung von Nicaragua w'll die gefor­derte Entschädigungssumme von 300000 vtL be­zahlen, wenn die englischen Marinetruppen die Hafenstadt Corinto, die sie besetzt hatten, zuvor verlassen. Darauf werden die Engländer wahr­scheinlich eingehen. Großes Unbehagen erregt in England das Zusammengehen Deutschlands, Rußlands und Frankreichs in Ostasien. Wohl nicht ganz mit Unrecht fürchtet John Bull, dieses Bündnis all boe könne später nochmals zustande kommen, um den Engländern zu zeigen, wo in Egypten das Thor aus dem Pharaonenlande hinaussührt; deshalb sucht jetzt sogar der kon­servativeStandard", sonst ein deutsch-freund­liches Blatt, die Franzosen gegen das Bündnis mit Deutschland aufzuhetzen. Dieser Umstand ist indes geeignet, in Frankreich eine den beab­sichtigten Zweck gerade entgegengesetzte Ström­ung hervorzurufen; denn die Franzosen Haffen uns Deutsche nur wegen vergangener Dinge, die Engländer aber wegen gegenwärtiger Differenzen, die sich immer mehr zuspitzen. Das Organ Salisbury's dürfte also nur England schaden

und zwar nicht blos bei den Franzosen allein. Ohnehin wollen letztere bereits wissen, daß Japan den Engländern die baldige Abtretung der so­eben den Chinesen abgenommenen Fischerinseln insgeheim versprochen habe. Wenn sich dies be­stätigt, ist die Schwenkung der englischen Politik gegen Japan allerdings sehr begreiflich, anderer­seits aber auch das Vorgehen der drei Mächte gegen die Abtretung von chinesischen Gebiets­teilen auf dem Festlande.

Das große Los der preußischen Lotterie ist diesmal Leuten zugefallrn, die es brauchen können; es wurde in Zehnteln gespielt. Die Gewinner, die in Berlin wohnen, sind Stein- druckcr, Postschaffner. Kossenbotcn, Wäscherinnen und dergl. Jeder Besitzer eines Zehntel-Anteils erhält 42100 bar ausgezahlt. Verschiedent­lich freilich sind diese Zehntel noch weiter ge­teilt, allenthalben aber herrscht bei den Ge­winnern große Freude.

Rätsel-Distichon.

Auf der Fläche des Meeres kannst du mich finden, doch setzest Du als Kopf meinen Fuß, dien' ich als Speise dir gern.

Telegramme.

Berlin, 3. Mai. Der Kaiser begab sich heute nachmittag in's Reichskanzlerpalais, um einen längeren gemeinschaftlichen Vortrag des Reichskanzlers und des Staatssekretärs des auswärtigen Amtes entgegenzunehmen. (Man wird aus diesen Angaben wohl schließen dürfen, daß es sich um die ostasiatische Frage gehandelt hat.) DieNational-Zeitung" hört, aus dem Empfange des japanischen Gesandten, Vicomte Aoki, und des chinesischen Geschäftsträgers bei dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Frhr. v. Marschall, dürfe geschlossen werden, daß Japan den Vorstellungen Deutschlands, Rußlands und Frankreichs keineswegs «ine schroffe Ablehnung entgegenstelle, wie die englische Presse glauben machen wolle. Es seien Unterhandlungen im Gange, deren GrundlageKompensationen für die von Japan aufzugebenden Forderungen" feien. Ohne Zweifel wurden entsprechende Ver­handlungen mit Japan auch in Petersburg ge­pflogen. Es scheine sogar, daß auch England gegenwärtig Japan eindringlichst Nachgiebigkeit anrate. Die weitere Entwicklung der ostasiatischen Frage scheint demnach in eine ruhige und für alle beteiligten Länder ersprießliche Bahn ge­leitet. Der neue russische Botschafter Graf Osten-Sacken machte heute dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe einen längeren Besuch.

Wiesbaden, 3. Mai. Heute Vormittag 10'/- Uhr begann unter außerordentlicher Teil­nahme im Sterbehause die Leichenfeier Gustav Freytags. Der Intendant des Hostheaters, Kammerherr v. Hülsen, legte am Sarge einen mit gelben und weißen Rosen geschmückten Lor­beerkranz des Kaisers nieder.

Wien. 4. Mai. Die Neue Freie Presse meldet aus Mailand: Gestern Abend kam es in Borghi Sacki, einer Vorstadt von Ravenna, zu einem Zusammenstoß zwischen der bewaffneten Macht und einer großen Anzahl von Arbeitern, welche anarchistische Rufe ausstießen. Auf beiden Seiten gab es Verwundungen und erst den her­beigerufenen Verstärkungen gelang es, die Ruhe­störer zu zerstreuen.

Wien, 4. Mai. In parlamentarischen Kreisen hält man eine Ministerkrisis für unver­meidlich.

Laibach, 4. Mai. In den letzten 12 Stunden herrschte Ruhe. Vorgestern Nacht erfolgten wiederholte Erdbeben. Es regnet in Strömen. Das Wetter ist rauh und kalt. Das Elend wird dadurch gesteigert.

Belgrad, 4. Mai. In der Skruptschina wurde beantragt, falls bei Ermordung eines Deputierten der Mörder nicht ermittelt werde, so habe der betreffende Bezirk der Familie des Ermordeten 30 000 Frcs. zu zahlen. Angesichts der radikalen Lynchmorde erklärte die Skruptschina diesen Antrag für dringlich.

Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.