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eitcrge zu Wr. 67
Neuenbürg, Sonntag den
des Gnzthüters.
28. April 1895.
Hlntrrhattender Teil.
Eine Hochzeitsreise.
Erzählung von F. Arnefeldt.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Die Vertretung der Firma ging nun bis zu der Zeit, wo der kleine Treuenfeld ein Mann geworden sein würde und seinen Platz im Ge- schüft einnehmen durfte, ganz allein an Herrn Göldner über, der auch Bennos Vormund und Pflegevater ward. Das dicht neben dem Göldner- schen belegene Treuenfeld'sche Haus wurde der Obhut eines bejahrten Dienerpaares übergeben, und der Knabe siedelte gänzlich in das Haus seines Vormundes über, wo Raum in Hülle und Fülle für ihn war; denn auch dort fehlte es an einer fröhlichen Kinderschaar. Es hatte den Anschein, als wolle das Geschick mit der Firma Treuenfeld und Göldner zu Ende eilen.
Dem Göldner'schen Ehepaare waren schnell hintereinander mehrere Kinder geboren worden und bald nach der Geburt wieder gestorben; nur eine Tochter hatte im Gegensatz zu ihren Geschwistern die großen dunkelgrauen Augen, die sie dem Lichte geöffnet, nicht wieder geschlossen; sie war und blieb das einzige Kind ihrer Eltern.
Als Benno ins Haus kam, war die kleine Erna drei Jahre alt. Er hatte das von den Eltern, wie von seiner ganzen Umgebung ange- betete Kind schon mit einer für den wilden, feurigen Knaben wunderbaren Innigkeit geliebt, als er es nur gelegentlich in dem beiden Nachbarhäusern gemeinsamen großen Garten oder bei seinen Besuchen im Göldner'schen Hause gesehen hatte; nun er aber täglich und stündlich mit Erna zusammen war, erhielt seine Zärtlichkeit für sie etwas Leidenschaftliches und zugleich ungemein Rührendes.
Trotz seines trefflichen Herzens, seines guten Kopfes und seiner durchweg edlen Natur machte Benno seinen Lehrherrn und Erziehern viel zu schaffen; denn er war aufbrausend und jäh zornig und kannte sich in Augenblicken heftiger Erregung selbst nicht; in den Händen des kleinen Mädchens war er aber ein weiches Wachs. Erna besänftigte ihn mit einem Blicke. Strich sie ihm mit ihrer winzigen Kinderhand über das Gesicht, so legte sich die heiße Glut, die Stirn und Wangen umwalte; er ward ruhig und willfährig; ein von ihr hergestammeltes Wort war ihm Befehl. Der schöne stolze Knabe, der über sein Alter hinaus groß und kräftig war, kroch als Pudel oder Pferd vor Erna auf allen Vieren und ließ sich von ihr peitschen oder das Haar zerzausen. Kein Baum war ihm zu hoch, wenn eine aus dessen Spitze befindliche Frucht ihr besonders lockend erschien, unbedenklich sprang er ins Wasser oder in einen Sumpf, wenn die von ihr gewünschten Nymphäen oder Vergißmeinnicht in anderer Weise nicht zu erreichen waren.
Erna war es so gewohnt, sich mit allen ihren kindlichen Anliegen an Benno zu wenden, sie war die Gewährung ihrer Wünsche von ihm so gewiß, daß er ihr wie eine Art Allmacht erschien. Bei ihm fühlte sie sich geborgen , und während sie ihn tyrannisierte, blickte sie doch wie zu ihrem natürlichen Beschützer zu ihm aus.
Mit jedem Jahre schien die Liebe der Kin- , der zu einander zu wachsen. Benno lehrte Erna die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens mit einer seinem Wesen sonst sehr fremden Geduld; er überwachte ihre Schularbeiten und hals ihr dabei, ja als das siebenjährige Mädchen die Masern hatte, weinte der dreizehnjährige Knabe Thräncn des Schmerzes und des Ingrimmes, als ihm verwehrt ward, an Erna's Lager zu wachen.
Schon damals stand in seinem Herzen, wie in seinem Willen fest, daß Erna einmal seine Frau werden müsse, und das Gleiche ward von
den Verwandten, den Freunden und Dienern des Hauses als etwas Selbstverständliches angenommen; cs war ja nur natürlich, daß die beiden einzigen Sprossen der Häuser Treuenfeld und Göldner sich zu einem noch innigeren Bunde als die Väter vereinigen.
Auch Herr Göldner erging sich zuweilen in solchen Zukunftsträumen, fand aber, wenn er sie in Gegenwart seiner Frau auszuspinnen versuchte, keinen Anklang damit, sondern im Gegenteil eine recht entschiedene Abweisung. Frau Göldner liebte Benno nicht; sie war etfersüchtig auf die Liebe, welche er für ihre Tochter hegte, eifersüchtig auf die Zärtlichkeit, die Hingebung und das Vertrauen, das Erna für den zum Jüngling herangewachsenen Benno hegte, dessen Wesen ihr außerdem unsympatisch war.
Je älter Benno ward, desto stärker trat bei ihm seine Heftigkeit, gepaart mit einer gewissen Schroffheit, zu Tage; desto mehr zeigte sich aber auch der Stolz auf seinen alten guten Namen. Mehr als einmal sprach es der Gymnasiast aus, auch für ihn gelte das Wort „noblesss vbliZe" in seinem ganzen Umfange; er fühlte in sich die Verpflichtung, die alte Firma völlig in der Weise ihrer Väter fortzu- führen und den Nachkommen zu überliefern.
Frau Göldner war dieser spießbürgerliche Stolz, wie sie es nannte, im hohen Grade zuwider, um so mehr, als er ein Hindernis ihrer Wünsche und Pläne war. Sie stammte aus einer angesehenen Beamtenfamilie; ihre Verwandten lebten in einflußreichen Stellungen in der Residenz, und es war das Ziel ihrer Sehnsucht, ebenfalls dorthin zu ziehen und vermöge ihres Reichtums eine glänzende Rolle daselbst zu spielen. Wohl wußte sie, daß das Vermögen ihres Mannes zu einem Leben, wie sie es sich ausmalte, nicht ausreichend war; aber das ließ sich bald erlangen, wenn man, wie sie meinte, sich nur entschließen wollte, den alten Krämer- Schlendrian aufzugeben und Geschäfte in großartigem Maßstabe zu machen.
So lange Treuenfcld lebte, hatten solche Gedanken und Wünsche, wenn sie sich in ihrem Herzen regten, sich nicht an die Oberfläche gewagt; denn sie kannte deren gänzliche Aussichts losigkeit. Seit ihr Gatte alleiniger Chef des Hauses war, hatte sie erst leise und unvermerkt, dann immer deutlicher und bestimmter ihm ihre Ansichten entwickelt.
„Mit einem Kredit, mit einem Vermögen, wie Du es besitzest, müßten ein paar kühne Spekulationen Dich zu einem sehr reichen Manne machen" , und sie führte Beispiele von Leuten an, die es unter weniger günstigen Bedingungen sehr schnell zu einem großen Reichtum gebracht hatten.
Ihre Worte fielen nicht auf unfruchtbaren Boden. Göldner selbst hatte, einen Hang zum Abenteuerlichen, zum Wetten und Wagen, der durch die Erziehung und das Zusammenwirken mit dem ihm geistig überlegenen, unbeirrt die gerade vorgezeichnete Bahn gehenden Trcucnseld zwar niedergehalten war. nun aber offen hervortrat. Er verließ die bisherige Art der Geschäftsführung; er gab seiner Handlung eine größere Ausdehnung; er ließ sich sogar hier und da in eine Spekulation von mäßigem Umfange ein, und das Glück begünstigte ihn; den noch war ihm nicht wohl dabei. Zwei ernste,
I dunkle Knabenaugen, die er an seinem Tische sah, blickten ihn so forschend an. als wollten sie auf dem Grunde seiner Seele lesen, hatten für ihn etwas Vorwurfsvolles und Mahnendes, als rede aus ihnen gleichzeitig die Vergangenheit und Zukunft und frage ihn, ob und wie er das, was man ihm anvertraut hatte, verwaltet habe und weiter zu vererben gedenke.
Benno's Anwesenheit in seinem Hause hielt ihn von gewagteren Unternehmen zurück, zu denen sich, da er einmal diese Bahn betreten, reichlich Gelegenheit bot, und wozu ihm seine Frau eifrig riet. Ohne daß ihr Gatte es aus
sprach, wußte sie doch, wo für ihn die Fessel lag, und sehnte den Zeitpunkt herbei, wo Benno fern sein werde. Jeden Gedanken an eine Verbindung ihrer Tochter mit ihm wies sie aber weit von sich.
„Die Töchter der Göldner'schen Familien haben immer in den Adel und die höheren Beamtenkreise geheiratet; wir werden mit unserer Erna keine Ausnahme machen," sagte sie; „Benno kann das selbst nicht wünschen, er hängt ja so fest am Herkommen. Im Uebrigen ist Erna noch ein Kind; wir wollen für jetzt an ihre Erziehung denken "
Gegen die Richtigkeit des letzteren Satzes ließ sich nichts einwenden, und Frau Göldner hoffte außerdem alles von der Zeit. War Erna doch erst 14 Jahre alt, als Benno, nachdem er sein Abiturienten-Examen bestanden, das Haus seines Vormundes und die Stadt verließ, um zunächst in Hamburg und Bremen, dann in London und Amsterdam in befreundeten Handelshäusern zu arbeiten.
Jetzt war das Feld frei, und die Geschäftsführung des Hauses Treuenfeld u. Göldner verließ mehr und mehr die alte solide Bahn, höher stieg der Gewinn und jeder Erfolg ermutigte zu neuem, kühneren Wagen. Benno kamen zuweilen Dinge zu Ohren, die ihn mit Verwunderung erfüllten; aber er hatte kein Recht zu fragen, der Vertrag, den sein Vater mit dem Associe hatte, gab diesem bis zu Bennos vollendetem dreiundzwanzigsten Jahre, zu welchem er in die Firma eintrewn sollte, volle unumschränkte Verfügung.
Und selbst, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hatte Benno bei den Besuchen, die er in längeren oder kürzeren Zwischenräumen im Hause seines Vormundes obstattete, keine Zeit, sich um geschäftliche Dinge zu kümmern; denn Herz und Sinn des Jünglings waren ganz erfüllt von Erna. Weit entfernt, sie im Leben und Treiben der Großstädte, in denen er sich auihielt, zu vergessen, gewann seine Liebe durch die Entfernung nur an Tiefe und Innigkeit. Er sah in dem Kinde vorahnend schon die Jungfrau, und wenn er sich auch jetzt hütete, sie wie in früheren Jahren seine Braut oder seine kleine Frau zu nennen, so gab es für ihn doch nicht den leisesten Zweifel, daß sie es sein werde.
Erna war achtzehn Jahre alt, als Benno, der bei einem Kavallerie-Regimente in der Residenz seiner Militärpflicht genügt hatte, auf kurze Zeit nach M. kam, um die Vorbereitungen für eine große Reise zu treffen, die er vor seinem Eintritt in die Handlung machen sollte. Er wollte die bedeutendsten Länder und Städte Europa's besuchen und für mehrere Monate nach Amerika hinübergehen.
Der Augenblick der Trennung löste das Siegel von Benno's Mund; der Abschied reifte Erna Plötzlich zur Jungfrau. Sie hatte den Jugendgespielen geliebt, so lange sie zu denken und zu fühlen vermochte; er gehörte zu ihr; sie konnte sich das Leben nicht ohne ihn denken, und dennoch war es, als sei diese Liebe eine verschlossene Knospe gewesen, die erst unter heißer Thränenslut des Trmnungswehs zur vollen, duftenden Blüte aufsprang. Sie gelobten einander Treue; aber sie kamen auch überein, den geschlossenen Herzensbund als süßes Geheimnis zu behandeln.
Benno empfand es mit einem leisen Gefühl der Beschämung, daß er sich von seiner Leidenschaft habe fonreißen lassen und zu Erna gesprochen hatte, wie es weder für ihn schon an der Zeit war, zu reden, noch für sie zu hören; dennoch wollte er in seiner geraden Weise, da es nun einmal geschehen war, vor Herrn Göldner hintrcten und offen um die Tochter werben; aber Erna selbst hielt ihn zurück. Sie wußte, daß die Mutter Benno nicht hold war; es war dem klugen aufgeweckten Mädchen nicht entgangen, daß, wenn nicht beide Eltern, so doch gewiß die Mutter ganz andere Pläne mit ihr