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am 22. Juni in Kiel. Minister v. Köller kündigte an, die Regierung werde die Presse in ihrer Aufgabe bestens unterstützen und sowohl den Vertretern der inländischen, als auch den aus- ländischen Zeitungen das größtmögliche Ent­gegenkommen zeigen.

Berlin. 23. April. Heute erreichen in unseren Parlamenten die Osterferien ihr Ende. Im Reichstag und Landtag werden die Plenarsitzungen wieder ausgenommen.

DieUmsturzvorlage, das heißt das. was das Zentrum aus ihr gemacht hat, wird nicht Gesetz werden. Es kommt keine Reichs­tagsmehrheit dafür zu Stande. Die Rrichspartei hat sich dagegen erklärt und die Nationallibe­ralen stehen. wie beim preußischen Schulgesetz, an der Spitze des Kampfes gegen das reaktionäre Machwerk. Gewisse gescheute Leute sagen, es sei nicht zu verstehen, daß die nationalliberale Partei gegen das Gesetz sei, da sie doch gesetzliche Berteidigungsmittel gegen die sozialdemokratischen und anarchistischen Treibereien verlangt habe. Man könnte ebenso gut einen Mann unbegreiflich finden, der sich einen Rock zum Schutz gegen die Unbilden des Weiters bestellt hat und eine statt dessen gelieferte Zwangsjacke zurückweist. Wie das Umsturz-Gesetz jetzt aussieht, schadet es der Sozialdemokratie so gut wie gar nicht, macht aber den Protestantismus und die freie Lehre zu Gunsten der Ultramontanen mundtodt. Vor der Annahme eines solchen Gesetzes im Reichstage braucht man sich, wie gesagt, nicht mehr zu fürchten. Deshalb bleibt aber die Um­sturzvorlage doch die wichtigste politische Ange­legenheit die Gegenwart. Denn in ihr muß sich zeigen, was für Regierung wir eigentlich haben. Mit den Beschlüssen, die es in der Umsturzkommission" durchgcfltzt hat, setzt das Zentrum dem Staat den Fuß auf den Nacken, besonders durch die Beseitigung des sogenannten Kanzelparagraphen, d. h. durch die ausdrückliche Erlaubniserteilung an die Geistlichen, auf der Kanzel und bei sonstigen kirchlichen Verrichtungen sowie in kirchlichen Bekanntmachungen Ange- gelegenheiten des Staates in einer Weise. die den öffentlichen Frieden stört, öffentlich zu besprechen. Das ist imKanzelparagraphen" verboten und wenn dieser abgeschafft wird, so ist es erlaubt. Oeffentliche Friedensstörungen aber, sie mögen ausgehen, von wem sie wollen, fördern die revolutionären Bestrebungen. Wir haben den Beweis darin, daß die im Kulturkampf ultramontan verhetzten rheinisch westfälischen Arbeiter alsbald Sozialdemokraten geworden sind. Was also das Zentrum beschlossen hat, ist teils das Gegenteil von dem, was die Regierung mit ihrer Umsturzvorlage wollte, teils hat es mit den Umsturzbestrebungen nichts zu thun und dient nur der Verstärkung der ultramon­tanen Macht. Wenn die Regierenden sich diese Beschlüsse gefallen lassen, so erklären sie damit, daß sie als Werkzeug der Klerikalen zu regieren gedenken, und deshalb genügt es nicht mehr, daß der Reichstag diese, vom Zentrum ver­dorbene, Vorlage ablehnt, die Regierung muß das Gleiche thun oder es sich gefallen lassen, Wenn sie von Parteien, die ein ultramontan­reaktionäres Regiment nicht wollen, ganz ent­schieden bekämpft wird. Man hört, ein preußischer Minister, der aber nicht der Ministerpräsident Fürst Hohenlohe ist, habe große Lust, mit Kleri­kalen und Junkern in Preußen und demnach in Deutschland darauf los zu regieren und die Umsturzvorlage, in der die Junker protestanischc Interessen preisgeben müßten, soll den Packt besiegeln. Ist etwas daran, dann wird die Reaktion den nationalen und gemäßigten Libera­lismus gerüstet und guten Mutes finden. Und wenn nicht, so muß die Regierung reden und handeln, d. h. erklären: wir sind für ein Gesetz, wie es das Zentrum will, unter keinen Umständen, auch nicht gegen ultramontane Unterstützungen in anderen Angelegenheiten, zu haben. Bei diesem Stande der Dinge ist es keineswegs wünschenswert, daß die Umsturzvorlage in Folge eines frühzeitigen Schlusses des Reichstages nicht mehr zur Beratung gelangt. Das würde ein Munkeln mit dem Zentrum bis in den Herbst hinein, und die Wiederkehr eines solchen Gesetzes möglich machen. Es wäre deshalb sehr praktisch,

wenn in den Beschlüssen gegen die Vorlage, die im Lande gefaßt werden, gefordert würde, daß die Angelegenheit noch in dieser Session durch Erklärungen der Regierungen und Schlußab­stimmung im Reichstag klar und sauber erledigt würde.

Ueber die Stellung Deutschlands zu der durch den Friedensschluß zwischen Japan und China geschaffenen neuen Lage in Ostasien bringen augenscheinlich hochoffiziöse Auslassungen in derNordd. Allg. Zrg." und in derKöln. Ztg." eine bemerkenswerte Aufklärung. Darnach ist die deutsche Regierung keineswegs gesonnen, der sich aus den Bedingungen des japanisch- chinesischen Friedensvertrages ergebenden Neu­gestaltung der Verhältnisse in Ostosien gleich- gillig zugesehen. Vielmehr hat sich Deutschland bereits mit Rußland und Frankreich über einen zur Wahrung der Interessen der drei Mächte in Ostasten zu unternehmenden diplomatischen Schritt geeinigt, der sich zunächst gegen die in dem Friedensvertrage fortgesetzten Gebietser­weiterungen für Japan wenden würde. Dar­über freilich, was geschehen soll, wenn Japan dem ihm angedrohten gemeinsamen diplomatischen Druck Deutschlands, Rußlands und Frankreichs nicht nachgiebt, schweigen sich die Berliner Offi ziösen noch vorsichtig aus.

München, 23. April. Aus dem Gefäng- nis an der Baverstcoße entsprangen heute früh 3 Untersuchungs- resp. Strafgefangene. Einer wurde gleich darauf wieder gefaßt. Die Flucht hatten sie sich dadurch ermöglicht, daß sie die Eisenstäbe vor dem Fenster aushoben und sich mittelst Leintücher auf die Straße herabließen.

Karlsruhe. Der Spargelverbrauch hat in den letzten Jahren einen großen Umfang an­genommen. Eine Anzahl hiesiger Geschäfte hat Liefernngsverträge namentlich mit Produzenten in Schwetzingen und Grünwinkel. Der Preis ist schon auf 80 Pfg. für das halbe Kilo herab­gegangen und wird auf den gestrigen Regen rasch noch weiter sinken.

Württemberg.

Stuttgart, 22. Apr. Der Pferde­markt begann heute Morgen unter Regen und belebte sich nur langsam. Allerdings zeigte sich die Halle heute früh mit Wagen und Sattler­arbeiten reichlich ausgestattet. Allein auf dem eigentlichen Pferdemarkt war es bis gegen 9 Uhr ungewöhnlich still. Da fuhren die Reihen der amerikanischen Pferde von Gebrüder Rothschild und Beit und Marx (Grötzingen) auf und mit ihnen begann sich der Markt zu füllen. Da­gegen blieb es, bis der Regen aufhörte, auf dem Hundemarkl ganz still; Jagdhunde fehlten last gänzlich. Aber auch hier trat eine Wendung ein: im Laufe des Vormittags stellten sich Hühnerhunde und Dächse zahlreich ein, insbe­sondere letztere vom zartesten Alter an, zum Teil in noch blinden Würfen. Die Zufuhr er­reichte schließlich die Zahl von 1200 Stück. Der Handel war lebhafter als im Vorjahr; die Preise sind im Allgemeinen als gut zu bezeichnen. Die Preise waren gut; der niederste 430 der höchste 111200-M; für ein Paar wurden 2500 bezahlt. Viele Aufmerksamkeit erregten die Gebr. Rothschild'schen Amerikaner, ganz be­sonders ein Rappen. Dieser Schlag von Pferden ist ein vorzügliches Arbeitspferd. Die Stutt­garter Straßenbahn hat dem Vernehmen nach 5 Stück, als für ihren Betrieb ganz besonders geeignet, weil diese Ansprüche an die Körperkrafl macht, aufkaufen lassen. Am Nachmittag be­suchte der König die städtische Reithalle, die Wagenausstellung in der Gewerbehalle und den Hundemarkt.

Tübingen, 22. April. Wie verlautet, soll im Landtag der Antrag auf Abschaffung sämtlicher Bataillons-Musiken eingebrachl werden.

Ulm. 23. April. In der gestrigen Sitzung der hiesigen Handels- u. Gewerbekammer wurde über die Frage der Fortsetzung der Bahnlinie Reutlingen-Münsingen zur Donaulhalbahn ver­handelt. Allgemein wurde der Anschluß in Geislingen als der billigste und zweckmäßigste erachtet. Auch die Schießplatzfrage wurde er­örtert und dabei von Kom.Rat Lang in Blau-

« beuren mitgeteilt, er habe letzthin Gelegenheit gehabt mit einigen höheren Offizieren, welche von der Besichtigung der Münsinger Hardt zu­rückkehrten, zu sprechen und diese seien der An­sicht gewesen, daß die Hardt für einen Schieß­platz sich weniger eigne; es würde also doch beim Nellinger Projekt bleiben. Dadurch würde eine Fortsetzung der Bahn über Laichingen nach Lonsee in Frage gestellt, da dieselbe nicht durch den Schießplatz hindurch gebaut werden könne. Der Schießplatz wird eine eigene Zweigbahn nur für militärische Zwecke erhalten.

Heldenheim, 22. April. Nachdem eine Vertraucnsmännerversammlung der Volks- Partei des 14. Württ. Reichstagswahlkreises in Ulm Fabrikant Hans Hähnle in Giengen zum ReichStagsabgeordnelen für unfern Wahlkreis ausgestellt, wurde hier heute in der im Gasthof zur Eintracht von dem Bezirksvolksvercin ein- bcruscncn Versammlung, die überaus zahlreich besucht war, der Landtagsabg. Hans Hähnle gleichfalls als Reichstagskandidat aufgestellt.

Friedrichshasen, 23. April. Gestern nachmutag ist der schweizerische Dampfer Zürich bei der Ausfahrt aus dem Lindauer Hafen mit einem ankommendcn Trajekrkahn zusammenge­fahren. Die Passagieckabtne des elfteren wurde eingedrückt und ein Teil des Geldes und der Billete fiel in den See. Die Mannschaft und die zahlreichen Reisenden kamen mit dem Schrecken davon; dagegen beträgt der Schaden mehrere 1000 Fr. und das Schiff ist für längere Zeit dienstuntauglich.

Stuttgart. sLanbesproduktenbörse. Bericht vom 22. April von dem Vorstand Fritz Kreglinger.f Die Tendenz auf dem Getreideweltmarkte hat sich weiter befestigt, indem sich immer mehr herausstellt, daß die Ernte in den verschiedenen Exportländern nicht so groß war, als in die Welt hinausgemeldet wurde. Das Er­trägnis der Ernte in Weizen in den Laplatastaaten ist wesentlich geringer als im Vorjahre, eine Thatsache, die wir in unseren früheren Berichten öfters voraus­sagten. Die amerikanischen Terminbörsen waren auch höher. Die russischen Eigner verlangten höhere Preise.

Es fanden in der abgelaufenen Woche große Einkäufe statt, indem sowohl England als auch der Kontinent große Posten Weizen ausnahmen. Die süddeutschen Märkte sind schwach befahren ohne nennenswerte Preis- s änderung. Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, bayr. 14 -4L 20 bis 15 -4L 70 Azima 15 «4L 75 Gyrka 15 -4L 75 Laplata 15 -4L 75 Kernen la. 16 -4L 50 Albhafer I». 13 -4L 70 ^ bis 14 «4L 25 ^z, Landhafer la 13 - 4 L 35 ^ 1 , Donaumais 13 -4L 50 Mehlpreise per 100 Kilogramm inkl. Sack

bei Wagenladung: Mehl Nr. 0: 26 -4L 50 ^ bis 27 -4L 50 Nr. 1: 24 -4L 50 ^ bis 25 -4L 50 Nr. 2:

23 -4L ^ bis 24 -4L Nr. 3: 20 -4L 50 ^ bis 21 -4L 50 Nr. 4: 17 «4L 50 bis 18 -4L 50 Suppengries 27 «A 50 Kleie 6 -4L 80

Ausland.

Paris, 23. April. In Betreff ves heutigen» zweifellos an höhrer Stelle inspirierten Artikels desTemps" über den chinesisch-japanischen Friedensschluß wird von unterrichteter Seite be­merkt, daß der Gedanke eines europäischen Kon­gresses, der über die durch den Frieden von Shlmonoseki geschaffene Lage beraten soll, kaum verwirklicht werden dürfte. Bei derartigen Kongressen werden in der Regel auch andere schwebende Fragen zu Sprache gebracht und das müßte vermieten werden. Die interessierten Großmächte dürften sich mit einem Notenaus­tausch begnügen.

Kobe, 23. April. Die auf Urlaub be­findlichen Offiziere der russischen Kriegsschiffe im Hafen von Kobe und Nagasaki sind plötzlich zur sofortigen Dienstleistung einderufen worden. Die Mannschaften dürfen die Schiffe nicht verlassen.

Die Schiffskommandeure sind angewiesen, ihre Fahrzeuge in 12stündiger Frist zum Abdampfen bereit zu halten.

Hiroschima, 23. April. Das Reuter- sche Bureau meldet: Der Kaiser von Japan er­klärte den japanesischen Friedensunterhändlern, die Friedensbedinguugen wären in den Haupt­punkten durchaus befriedigend. Der Kaiser er­ließ einen Aufruf an das Volk, welcher besagt, während des zehnmonatigen Krieges hätten Heer, Flotte und Parlament alles zur Förderung der Ziele gethan. Der Kaiser wünscht die Mit­wirkung ,einer Unterthanen zur Förderung der nationalen Wohlfahrt und warnt vor Beleidig­ungen anderer Staaten, welche die Beziehungen