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DeiLcrge zu Wr. 52 des GnzLhüters.
Neuenbürg, Sonntag den 31. März 1895.
Neuenbürg, 30 März. Für den 80. Geburtstag des Altreichskanzlers Fürsten Bismarck geht uns von befreundeter Seite folgender Beitrag zu:
Znrn 1. April 1895.
Was war Bismarck, möchte man beinahe fragen nach dem famosen Reichstagsbeschluß vom 23. März? Was war Bismarck? Ist er ge- wesen und ist er abgethan durch diesen Beschluß, der seines gleichen in der Weltgeschichte sucht und suchen wird? Aber nein! — Bismarck war nicht: er ist noch und wird immer noch bleiben; er ist auch unter uns, fast leibhaftig unter uns — wir spüren das Wehen seines Geistes und es zieht uns hinan, heule um so mehr hinan zu ihm, dem Einzigen, denn Gott hat seine Gegner mit Blindheit geschlagen, daß sie nicht sahen, daß dieser Einzige nur noch größer wird durch diesen Beschluß, größer im Jnlande nicht nur. sondern ringsum auf dem Erdenrund, wo sein Name genannt wird.
Und so möchte ich fast fürchten, durch eine wortfolgende Schilderung die gewaltige Größe dieses Mannes zu zerreißen und zu verkleinern, denn so als Ganzes, als Eines, als Unteilbares steht er vor uns, daß er nicht als aus Einzelnem bestehend und zusammengesetzt gedacht werden kann. Aber wenn das geistige Auge etwas als Ganzes, wie es uns z. B. in einem Gemälde entgegenlritt, gleichsam mit einem Hieb, mit einem elektrischen Schlag erfassen und begreifen und festhalten kann, so ist eben das Wort andererseits nicht imstande, anders als erzeugend und schaffend in einem Nacheinander zu unfern Herzen zu reden.
Müßten wir nun fürchten bei diesem Großen. Heldenhaften, das wir in Bismarck vor uns haben, durch ein Zerlegen etwas von seiner Größe abzubrcchen? Da mußte ja doch die menschliche Sprache etwas gar Aermliches sein und es wie ein Hohn klingen von einer hinreißenden Beredsamkeit zu sprechen, wenn diese Beredsamkeit nicht imstande wäre, das was wir erkannt und gefühlt haben, andern, wenn auch nicht in voll kommener Weise, so doch in in fast vollkommener Weise u, Kraft vorzumalen, sie davon zu überzeugen und zu Beifall und Thaten hinzurcißen. Ist dem aber in der Thal so? Ist nicht eben viel mehr als Malerei, die Sprache imstande Kraft zu geben und Kraft zu erregen, zu Thaten anzufeuern, die durch das Bild allein nimmermehr hervor- gerufen worden wären! Wenn nun aber so die Sprache selbst durch ihr Nacheinander, durch ihren allmählichen Aufbau diese schaffende Kraft hat, wenn ferner ein Großes, ein geschichtliches Großes durch ein Aufzählen seiner Einzelheiten nicht verlieren, sondern nur klarer, überzeugender, mit der ganzen Wucht und Kraft seines Wertes wirkend uns gegenüber steht, nein — sich uns aufdrängt, uns zur Bewunderung zwingt und zu Thaten hinreißt: — sollte das bei Bismarck, dem geschichtlichen Bismarck, anders sein! Aber ich glaube alle seine Groß- lhaten stehen so vor unserem Auge, daß ich es füglich unterlassen kann, sie einzeln aufzuzählen. Von seinem ersten geschichtlichen Auftreten in den sturmbewegten 48cr Jahren bis zu seinem Rücktritt — welch eine Fülle gewaltigen Ringens und Schaffens! Welch' eine Kraft gleich am Anfang! Welche politische Klugheit in den gefährlichsten Lagen!
Mit Bangen sahn oft viele in die dunkle Zukunft, ungewiß, was das drohende Gewitter am politischen Himmel bringen würde. Da zeigte der Große, der Starke blitzartig die Nacht erleuchtend, alle überraschend, den Weg der zum Ziele führte. Da gabs kein Zaudern, wenn einmal das Richtige erkannt war; keine Weichheit und kein Zurückweichen vor drohenden Gefahren. Wie ein Fels im tobenden Meer umstürmt und umtürmt von riesigen Wogen, die den Fels zu stürzen drohen — aber feine zackigen Riffe teilen riv Wogen, daß sie dumpf grollend vnd schäumend
niederstürzen — wie ein Fels steht Bismarck unverrückt auf seinem Posten. Und wie hat er da gefochten? Wie ein Schmied, der auf dem Weltcn-Ambos Reiche schmiedet mit mächtigem Arm, mit glühendem Auge, daß feine Feinde verstummten ob dem gewaltigen Gehämmer, ob dem Sprühen der Funken, daß sie sich zurück zogen in der dunkeln Nacht feige Heimlichkeit, um dem Hödur gleich aus sicherem Hinterhalte ihre giftigen Pfeile auf den Starken zu werfen. Lange ist es ihm gelungen, alle äußeren Feinde zu besiegen und auch gegen seine Feinde im Innern siegreich zu fechten. Einmal schien es, als ob er unterlegen wäre, der starke Siegfried, als ob die Anschwärzung der Feinde triumphiert hätte über den gewaltigen Recken. Aber nur um so herrlicher stand er wieder auf. Dem Phönix gleich, der durch seinen Tod nur neues Leben und neue Kraft gewinnt, nur um so herrlicher stand er wieder vor uns. Und doppelt dürfen wir dies sagen, seit jenem 23. März im Jahre des Heils 1895, wo die Mehrheit des Reichstages, seine Feinde, schrieen: Kreuzige ihn! Heute haben wir den Kaiser auf unserer Seite, heute haben wir mehr denn je die ganze Gesittung auf unserer Seite. Giebt es etwas schmählicheres, als solch einen Undank Deutscher dem Schöpfer deutscher Macht und Größe gegenüber?
Wenden wir uns ab von diesem beschämenden, traurigen Bild! Für uns ist Bismarck der Geistesheld, der mutige rastlose Kämpfer für ein großls, starkes, einiges, deutsches Vaterland; der größte Mann unseres Jahrhunderts, ein Riese unter Zwergen, eine Eiche in buschigem Laubwerk. Aller Augen sehen heute auf ihn, auch seine Feinde denken an ihn: aber während ihnen die Sohlen brennen, brennt uns das Herz vor Begeisterung und Liebe zu unserem Helden Bismarck, dem deutschen Manoe, der, wie ein Lied kündet, den Drachen schlug, und der Zwietracht Drachen unter den deutschen Völkern bezwang und der durch die gehässigsten Angriffe seiner Gegner nimmermehr bezwungen werden kann.
Diese Freude, diese Liebe zu unserem Bismarck laßt uns nun aber auch heute an dem Vorabend des 80. Geburtstages des Fürsten freudig bekennen, laßt sie uns der Jugend ein pflanzen, daß sie es uns nachthun möge in gleicher Begeisterung, daß sie das Große anerkenne und ehre als Großes, daß sie cs auch liebe mit dem heiligen Schwur es zu verteidigen immerdar: in diesem Sinn rufen wir, daß es weithin tönen möge: unser Fürst Bismarck, der große Mitbegründer des Deutschen Reichs, der 80jährige Held.
Fürst Bismarck lebe hoch!
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Deutsches Aetch.
Berlin, 29. März. Ein Empfang des Reichstagspräsidiums durch den Kaiser findet am 1. April bei Gelegenheit der zur Feier des Geburtstages Bismarcks nn Weißen Saale des Schlosses stattsindenden Festtafel statt, wozu das Präsidium Einladung erhielt.
Friedrichsruh, 27. März. Das regnerische Wetter hat heute einem sonnigen Tage Platz gemocht, und im Walde hörte man bereits früh am Morgen den herrlichen Schlag des Buchfinken, dieses so munteren und eifrigen Frühlingssängers. Auch schwellen schon die Knospen an den Zweigen mancher Waldsträucher und Bäume, und überall tritt uns die Thatsache vor Augen, daß der Frühling ernstlich gesonnen ist, den eisigen Bann des Winters zu brechen und Einzugs auch im Sachsenwald zu halten Im fürstlichen Schlosse grünt und blüht es selbstverständlich in Hülle und Fülle schon seit vielen Tagen. Aus allen Gegenden, selbst aus dem fernen Italien. sind Blumenproben in den köstlichen Anordnungen eingetroffen, in kleinen und großen Kisten, letztere oft in Form der Umhüllung, wie man sie beim Versenden eines Pianofortcs verwendet. Sie alle unlerzubringen,
I wird es auf dem Geburtstagstische zweifellos an Raum fehlen, denn die Zahl der duftenden Blumengrüße-' ist Legion.
Berlin, 28. März. In der am Freitag eingeweihtcn Gnaden kirche hat gleich am Tage darauf als erster kirchlicher Akt eine Trauung staltgesunden, nach welcher dem jungen Paare eine ganz unerwartete Freude bereitet wurde: im Auftrag des Kaisers wurde ihm als Hochzeitsgeschenk ein Betrog von dreihundert Mark überreicht. Ein Geschenk in gleicher Höhe erhielt dann von der Gemeinde auch der erste Täufling, ein Kind des ersten Pfarrers an der Gnadenkirche, Pastor Dürselen. Gestern fand in der festlich gejchmückten Kirche auch schon die erste Einsegnung von über 100 Kindern statt.
Württemberg.
Mehrere württembergische Städte wollen im Laufe des Monats April Deputationen nach Friedrichsruh entsenden, um dem Fürsten Bismarck teils wie die Stadt Stuttgart, dessen Ehrenbürger Bismarck bereits ist. eine Glück- wunschadreffe, teils wie die Stadt Ulm, die Ehrcnbürgerrechtsnrkunde, zu überreichen. Die politischen Gegner des Fürsten Bismarck regen sich darüber unnötigerweise auf und machen namentlich dem Stuttgarter Oberbürgermeister die bittersten Vorwürfe, daß er dem nahezu einstimmigen Wunsch der bürgerlichen Kollegien entsprechend sich persönlich bei der Stuttgarter Deputation beteiligen wird.
Zustand.
Brüssel, 29. März. Die Berichte der Statthalter der Provinzen Lüttich, Flandern und Hennegau lauten beunruhigend. Die Arbeiter sind aufgeregt und zur Gewalt geneigt. Die Industriellen fordern die Besetzung der Jn- dustneorle, die keine Garnison besitzen. Man berechnet, daß in ganz Belgien in den ersten Apriltagen 300000 Arbeiter feiern werden.
Satonz, 28. März. Präsident Faure hielt heute die Revue über die Truppen ab. Er erwiderte auf einen auf ,hn ausgebrachten Trinkspruch: Die Armee, der Schutz und die Hoffnung des Vaterlandes, ist der beständige Gegenstand der Fürsorge der Regierung und des ganzen Landes. Das Land hat seit 25 Jahren allen Opiern für die Armee zugcstimmt und diese wird wissen, den Erwartungen des Landes zu ent- sprechen und auf dem Wege der Arbeit auszuharren, die schöne Ueberlieferung der Tapferkeit und der Manneszucht zu bewahren und die nötige Kraft zu erlangen, um den Frieden und die Größe des Vaterlandes sicher zu stellen.
In Spanien haben die Akte der Selbsthilfe durch die Madrider Offiziere gegen die dortige sozialistische Presse das liberale Ministerium vollständig weggesegt und nun ist wieder der konservative Führer Canovas Präsident eines konservativen Kabincts. Einige Madrider Journalisten, welche sich die elendeste Verleumdung aller anständigen Menschen, namentlich aber der Offiziere, zum täglichen Gewerbe gemacht hatten, sind mutig, wie derartige Feder- holden nun einmal sind, nach allen Richtungen der Windrose ausgekniffen, und die zuiückge- bliebenen haben die an sie ergangenen Duellforderungen mannhaft abgelehnt.
In der südamerikanischen Republik Peru hat es einen Aufstand gegen den Präsidenten Caceres gegeben. Dieser mußte sich außer Landes flüchten, und der frühere Präsident und z-itweilige Diktator von Peru, Pierola, wird wahrscheinlich wieder zum Piästdenten gewählt werden.
Feuersbrunst. Vorgestern brach ein Großfeuer in Milwaukee aus. 20 Geschäftshäuser wurden vollständig emgeäschert. Der Schaden übersteigt 1 Million Dollars.