von Haußmann abgegebene Erklärung, daß die Fraktion der Bolkspartei in der Kammer durchaus nicht gewillt sei, das Ministerium Mittnacht zu bekämpfen. Einen ziemlich stürmischen Charakter nahm die genannte Versammlung an, als der Reichstagsmehrheit die Billigung der beschlossenen Nichtgratulation an den Fürsten Bismarck ausgesprochen und das Telegramm des Kaisers an den Fürsten Bismarck einer abfälligen Kritik unterzogen wurde. Diesen Standpunkt der schwäbischen Volkspartei teilt übrigens die demokratische „Frankfurter Zeitung" nicht, und auch aus besonnenen Kreisen der württ. Volks- Partei kann man Aeußerungen des Bedauerns über jenen Beschluß der Reichstagsmehrheit hören.
Stuttgart, 28. März. Gestern Nachmittag 1." Uhr kam von Hirsau die 50 Jahre alte Friederike Merkle, Ehefrau des Bauunternehmers und Hirschwirts Merkle von Hirsau hier an. Während des Aussteigens aus dem Personenzug starb sie an einem Schlagansall.
Sulz a. N.. 24. März. lieber „das deutsche Handwerk und seine Poesie" hielt Th. Ebner, Redakteur von Reutlingen, heute Nachmittag im Gewerbeverein dahier einen Vortrag, der die Ausbildung der Lehrlinge und Gesellen, sowie die Bildung, Einrichtung und Aufgaben der Zünfte im Mittelalter, in der Zeit, aus der das Sprichwort „Handwerk hat goldenen Boden" stammt, in aussührlicher und unterhaltender Weise schilderte. Die Zunstgenossen hatten ihre besonderen Lieder, welche sie meistens selbst verfaßten und welche allgemeine Volkslieder wurden, auch wiedmeten sie sich häufig der Dichtkunst, z. B. Hans Sachs. Die Sprüche, die den Lehrlingen beim Ledigsprechen und beim Antritt der Wanderschaft mitgegeben wurden, und die bei einzelnen Gewerben bis ins gegenwärtige Jahrhundert in Uebung waren, wurden den angehenden Gehilfen fest eingeprägt und mußten überall wörtlich hergesagt werden.
Gerabronn, 26. März. Heute Nachmittag zwischen 2 und 3 Uhr zog ein Gewitter mit manchmal heftigem Donner über unsere Markung. Dasselbe hielt, bei strömendem Regen, ungefähr eine halbe Stunde lang an.
Den ersten Gewinn bei der Reutlinger Lotterie erhält Maurermeister Weber von Königsbronn. Der zweite Gewinn fiel nach Ulm. Der glückliche Gewinner ist ein dortiger Arbeiter mit zahlreicher Familie.
In Freudenstadt fiel der siebenjährige Knabe des Steinhauers H. in der Küche rücklings über einen Kübel mit siedendem Inhalt und wurde von letzterem derart verbrüht, daß er noch am gleichem Tage seinen Brandwunden erlag.
Nagold, 26. März. Hiesige Bismarckverehrer widmen dem Fürsten zu seinem 80. Geburtstag einen Spazierstock aus Stechpalme, dessen Knauf in kunstreicher Schnitzarbeit den Kopf Kaiser Wilhelms I zeigt Dieses Angebinde ist begleitet von einer schön ausgeführten Adresse in Versen, die mit mehr als 200 Unterschriften bedeckt ist und heute nach Friedrichsruhe abgeht. Die Zahl würde sich gar sehr vermehrt haben, wenn mit der Absendung der Adresse nicht so sehr geeilt werden mußte. Für das Geburtsfest selbst sind auf Veranlassung Professor Wetzels umfassende Vorbereitungen getroffen.
Tein ach, 27. März. Gestern abend gegen 8'/« Uhr fiel beim Badhotel ein Mann — vermutlich aus Breitenberg — in die durch Schneewasser hoch angeschwollene Tcinach, welche ihn mit fortriß. Trotzdem der Vorgang gleich bemerkt wurde und Hilfe zur Stelle war, gelang es nicht, den Mann zu retten. Das reißende Gewässer und die Dunkelheit erschwerten die Rettung ungemein. Bis zur Nagold wurde alles abgesucht. Bis jetzt ist der Verunglückte nicht gefunden.
Ausland.
Das ungarische Magnatenhaus hat die wichtigsten kirchenpolitischen Vorlagen wiederholt abgelehnt, und die Lage des Ministeriums Banffy ist dadurch so schwierig als nur möglich geworden, da das ungarische Magnatenhaus in der Depu-
liertenkammer immerhin zahlreiche, wenn auch bei weitem nicht die Majorität bildende Gesinnungsgenossen besitzt und da andererseits der katholische Clerus in ganz Ungarn sehr eifrig gegen diese kirchenpolitischen Gesetze agitiert, so ist gar nicht abzusehen, was für das Ministerium herauskommen könnte.
Rom, 29. März. In Camaracca bei Palermo ermordeten 2 Briganten am Hellen Tage inmitten einer großen Menschenmenge einen Schutzmann, und entflohen sodann.
Konstantinopel. 29. März> Der französische Botschafter geriet bei einem Spazierritt zwischen zwei Wagen und erlitt einen Beinbruch.
Die inShimovoseki begonnenen Friedensverhandlungen zwischen China und Japan haben zwar keine eigentliche Unterbrechung, aber einen ärgerlichen Aufschub dadurch erhalten, daß ein japanischer Chauvinist dem chinesischen Vizekönig Li Hung-Tschang eine Pistolenkugel ins Gesicht schoß. Die Japaner sind wegen dieses Vorkommnisses in einiger Sorge, da es den Russen und Engländern möglicherweise einen Anlaß dazu bieten könnte, sich in die Friedens- Verhandlungen einzumischen. Dies würde sicher geschehen, wenn die allerdings gleich wieder bestrittene Meldung, daß die Friedensverhandlungen aussichtslos seien, sich bestätigen würde. Wie es heißt, wollen die Japaner den Chinesen die Kriegskostenentschädigung anborgen, natürlich gegen gute Sicherheit, bestehend in Verpfändungen größerer Stücke Landes. Inzwischen aber geben sich die japanischen Truppen die größte Mühe, noch weitere Siege zu erringen und vor allem die Insel Formosa zu erobern. Der erste japanische Angriff auf die Insel Formosa soll von den Chinesen abgewiesen worden sein.
Kansas City, 25. März. Die große Rind- und Schweine Konserven-Fabrik von Neid Bros hier, ist gestern vollständig durch Feuer zerstört worden. Der Schaden beläuft sich aus eine Million Dollars.
vermischtes.
(Kostbarer Ring ) Unter einem Diamantring Pflegt man für gewöhnlich einen Goldreif, der mit den kostbarsten Edelsteinen besitzt ist, zu verstehen; ein Juwelier und Diamantschleifer in Antwerpen, namens Antoine, hat jedoch nunmehr einen Ring aus einem einzigen großen Diamanten gefertigt, der also ganz und gar aus dem wertvollen Material besteht. Wie bekannt, ist schon das Schleifen und Schneiden der Diamanten eine äußerst schwierige und mühsame Arbeit; um wie viel mehr Mühe muß also die Ausarbeitung eines ganzen Ringes machen. zu dessen Fertigstellung denn auch der Künstler nicht weniger als drei Jahre gebraucht har; der in seiner Art wohl einzig dastehende Ring hat einen Durchmesser von 18 mm
Rh in o w , II. Mäiz. Ein eigenartiges Jagdabenteuer passierte kürzlich einem Jagd- Pächter aus Berlin. Es halten sich auf dem Rhin dort Fischottern auf, welche die offenen Stellen im Eise aufsuchen, dort auftauchen und sich an's Ufer begeben. Der Jogdpächler stand nun kürzlich und wartete auf einen Fischotter erblickte auch einen dunklen Gegenstand im Zwie licht bei einem Eisloche stehen. Der Schuß knallte, und ein dumpfer brummender Klang ertönte von dem Eisloche her, der dunkle Gegenstand stand aber noch immer aufrecht da Mil geladenem Gewehr, den Finger am Drücker, ging nun der Nimrod langsam dem unheimlichen Tier näher und sieht nun eine alte — Gießkanne stehen, die tagsüber zum Wasserschöpfen benutzt wurde und die sein Schrot durchlöchert hatte. Seitdem wird der Jagdpächter von seinen Freunden „der Blcchschütze" genannt.
Ein sehr eifriger Briefmarkensammler war der soeben verstorbene Großfürst Alexis von Rußland, der trotz seiner Jugend diese Liebhaberei mit einer gewissen Wissenschaftlichkeit betrieb. Er besaß mcht nur eine hervorragende Sammlung, die besonders in den Marken seines Heimatlandes, der deutschen Staaten und Spanien große Seltenheiten barg, sondern er beschäftigte sich auch eingehend mit dem Studium der Post-
und Markengeschichte und verfolgte die ein, schlägige Litteratur mit großem Interesse. Er verkehrte brieflich mit vielen hervorragenden Sammlern, mit denen er auch gelegentlich seiner Reisen in persönliche Verbindung trat, wobei er stets ungemein liebenswürdig und sich für seine Jahre sehr unterrichtet zeigte. Besonders rege Beziehung unterhielt er zu deutschen und englischen Sammlern.
(Eine Zigeunerbande erfroren.) Im Walde bei Stein unfern Rybnik (Oberschlesien) wurde dieser Tage eine aus sechs Köpfen bestehende Zigeunerbande tot im Schnee aufgefunden. Dem Anscheine nach lagen die Leichen schon längere Zeit unter dem Schnee. Die Bande bestand aus 2 Männern, 3 Weibern und einem Kinde. Dem Kinde war das rechte Auge, wahrscheinlich durch einen Raben ausgehackt. Ein Feldkessel und ein eiserner Dreifuß lagen neben den Leichen, ebenso ein toter Hund.
(Höchste Beleidigung) „Ach, Frau Rätin, wie mich das freut — vier Jahre lang habe ich Sie nicht mehr gesehen!" — „Und Sie haben mich gleich wieder erkannt?" — „O ja. sogleich — an Ihrem Hute!" — (Verfrühte Bartpflege.) „Aber, Willy, laß doch endlich Deine Oberlippe in Ruh'! Wer wird denn immer seinen Schnurrbart an den Haaren herbeiziehen!?"
(Schlauheit) „Also, Biermann, wie ist's mit unserer Wette? Ihr habt gewettet, vierzig Tage nicht zu essin und vierzig Nächte nicht zu schlafen — bleibts dabei?" — „Nattierlich! I Hab' schon vorgestern die Wett' ang'fangen!" — „Na und wie geht's? Verspürt Ihr noch nichts von Hunger und Schlaf?" — „Ntch im Geringsten. I css' halt bei Nacht und schaf' bei Tag!"
(Zeitgemäß.) Baron (beim Schluß der Jagdsaison): „Dieses Jahr habe ich Sie wohl nicht ein einziges Mal angeschossen, Müller?" —Treiber:,, Nein! Keinen Pfennig Schmerzensgeld Hab' ich gekriegt . . . Hoffentlich werden Sie mich aber dafür etwas entschädigen, Herr Baron!"
Telegramme.
Berlin, 28. März. Die Tabaksteuerkommission lehnte auch Absatz 2 des § 1 betreffend Zoll auf fabrizierten Tabak ab. Damit ist die ganze Vorlage abgelehnt. Die 2. Lesung der Vorlage wurde bis nach Ostern vertagt
Berlin, 28. März. Der Seniorenkonvent des Reichstags beschloß, die Osterferien am Samstag zu beginnen und die Arbeiten am 23 April wieder aufzunehmen. Erledigt sollen noch werden der Etat, der Antrag Kanitz und die Zolltarifnov lle.
Berlin, 28. März. Angeblich wird das Reichstagsbureau keine Audienz beim Kaiser nachsuchen, um eine harte Anrede des Souverains zu vermeiden. Das Bureau würde, so heißt es, sich darauf beschränken, im Schlosse seine Karten abzugeben. Dtm „Vorwärts" zufolge hat die sozialdemokratische Fraktion beschlossen, bei der dritten Lesung des Etats zum Kapitel „Reichstag" eine Resolution einzubringen, die den Reichstag ouffsrdert, zur Depesche des Kaisers an den Fürsten Bismarck Stelluug zu nehmen.
Berlin, 28. März Ein Komile hervorragender konservativer Männer hat einen Ausritt zur Gründung einer Fürst Bismarck Stiftung erlassen, aus der unverschuldet in Not und Besorgnis geratene Mitbürger unterstützt, sowie bedürftige Jubilare durch Ehrengeschenke ausgezeichnet werden sollen.
Berlin, 28. März. Präsident des Reichstags v. Buol lehnte nach einer Beratung mit dem Präsidium die Annahme der sozialdemokratischen Resolution betr. die Depesche an Bismarck ab und verweigerte die Drucklegung der von den Sozialdemokraten beantragten Resolution wegen der Depesche des Kaisers. Singer soll beabsichtigen, deswegen morgen die Beschwerde zu erheben.
Wien, 29. März. InGraz beschloß der Gemeinderat in einer vertraulichen Sitzung mit 32 gegen 46 Stimmen die Pflanzung einer Bismarckseiche.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.