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Berlin, 24. März. Der Vizepräsident des Reichstags, welcher wegen Krankseins zur Zeit in der Schweiz weilt, hat in Folge des gestrigen Reichstagsbeschlusses ebenfalls sein Amt niedergelegt.

DieD. W.« sagt zu dem ablehnenden Beschluß des Reichstags weiter:

Verhülle Dein Haupt, Germania! Die große Zeitepoche, in der Du einig und stark Dein Volk zu welterlösenden Thaten führtest, ist end- giltig verrauscht. Die Hklden jener Thaten steigen zu den Vätern hinab in die Grüfte und mit ihnen der deutsche, Alles einigende Geist, der vor 25 Jahren den gallischen Cäsarismus in Trümmer schlug. Wie ein Hohn auf die Jubelfeier des großen Einigungskrieges, der Deutschland zu dem gemacht, was es ist, schlägt uns die Nachricht in's Gesicht, daß die Volks­vertretung der deutschen Nation dem größten und verdienstvollsten seiner Söhne den bescheiden­sten Lohn für die Verdienste um das Vaterland versagt, den Lohn des allgemeinen Taktes und der Höflichkeit. Hompesch und Richter haben heute im Reichstage das famose Wort derUnteilbar­keit Bismarcks« geschaffen und damit gerade das bewiesen, was sie mit dem Worte widerlegen wollten. Die Unteilbarkeit Bismarcks dar­unter versteht das deutsche Volk nicht das politische System seiner inneren Politik, sondern das Zusammenschließen Deutschlands zu einer Weltmacht, das Abstreifen all der kleinen und kleinlichen Grenzen und Sonderinteresfen, welche die Konzentierung der gemanischen Urkraft so lange verhinderte. Bismarck ist für uns Deutsche nicht mehr der Realpolitiker. Bismarck ist die Personifikation des deutschen Einheitsgedankens und der Baumeister des Reiches. Und darum erwartete das deutsche Volk, daß seine Vertreter, ob Freund oder Feind, demjenigen Manne, der als letzter der Gründer des Reiches gleich einer einsamen Eiche mitten im Windbruche noch zum Himmel ragt, die Ehrung zu seinem 80. Ge­burtstage nicht versagen würden. Es ist anders gekommen. Der Parteihader und der Krämer­geist hat Recht behalten, aber er hat nicht ge­siegt. sondern nur festgestellt, welcher Geist durch die Prunkräume des neuen Reichstages wandelt. Nach Ablehnung des Antrages hat Präsident Levetzow des Präsidium niedcrgelegt. Wir be­glückwünschen den Präsidenten zu dieser ihn so hoch ehrenden That. Das deutsche Volk aber wird den Weg nach Friedrichsruh auch ohne die Führerschaft seiner Vertreter zu finden wissen.«

Essen a. d. Ruhr, 23. März. Die heutige Gewerken-Versammlung der ZecheZentrum« bei Wattenscheid sandte folgendes Telegramm an den Fürsten Bismarck:

Anläßlich des soeben bekannt gewordenen ablehnenden Votums des Reichstages und der Amtsniederlegung des Präsidenten v. Levetzow bringt Euer Durchlaucht ein donnerndes Glückauf" die heutige Gewerken-Versammlung der ZecheZentrum" zu Wattenscheid.«

Darmstadt, 23. März. Die Erregung über den Reichstagsbeschluß ist eine ungeheure, die Entrüstung allgemein.

Berlin, 23. März. Das Abgeordneten­haus nahm mit großer Mehrheit den Antrag an, den Präsidenten zu beauftragen, dem Fürsten Bismarck anläßlich seines 80. Geburtsfestes die Glückwünsche des Hauses darzubringen. Da- gegen stimmten das Zentrum, die Polen und die Freisinnige Volkspartei. Die Sitzung dauerte nur drei Viertelstunden.

Berlin, 23. März. Der Erbprinz von Meiningen ist als kommandierender General des VI. Armeekorps heute vom Kaiser empfangen worden.

Berlin, 23. März. DerKreuzztg." zufolge wird der Antrag Kanitz am 28. März im Reichstage zur Beratung kommen.

In der dem Schlußakte vorausgegangenen letzten Sitzung des Staats rat es wurde der die Ablehnung des Antrages Kanitz aus­sprechende Antrag der Kommission gutgeheißen. In ihrem Referat erklärt die Kommission den Antrag Kanitz als undurchführbar und als zweifelhaft in Bezug auf den von ihm bezweckten Erfolg, eine allgemeine und gleichmäßige Steiger­ung des Getreidepreises. Das Referat betont

die großen sozialpolitischen Bedenken, welche einer Monopolisierung des Getreidehandels ent­gegenstünden, letztere würde namentlich das wichtigste und allgemeinste Nahrungsmittel der ärmeren Volksklassen verteuern. Außerdem weist der Kommissionsbericht auf die aus einem Ge- treidemonopol resultierenden schweren Schädig, ungen für Handel und Industrie, auf dessen Staatsgefährlichkeit und seinen Widerspruch mit den bestehenden Handelsverträgen hin.

Am 22. März, als dem Geburtstage weiland Kaiser Wilhelms I. ist ein bemerkens­werter Erlaß des Kaisers an den Reichskanzler erschienen. Im Eingänge seiner Kundgebung weist der Kaiser auf die bevorstehende 25. Wieder­kehr der weltgeschichtlichen Gedenktage von 1870 hin und betont dann. wie es ihm lebhaftes Bedürfnis sei, im Sinne des verewigten Kaisers fürsorgend für die bedürftigen alten Krieger aus jener Zeit einzutreten. Es soll daher denjenigen Offizieren, Militärärzten, Beamten und Mann- schäften des Heeres und der Marine, welche in Folge Verwundung oder sonstiger Ursache »er- hindert wurden, an dem weiteren Feldzuge teilzunehmen, und die daher der Anrechnung eines zweiten Kriegsjahres bei der Pensionierung verlustig gegangen sind, auf Ansuchen den be­treffenden Pensionsausfall noch erhalten. Weiter drückt der Kaiser den Wunsch aus. es möchten Mittel bereitgestellt werden, um Cvmbattanten von 1870/71 oder aus den vorhergegangenen deutschen Feldzügen, welche keinerlei staatliche Unterstützung erhalten, eine Beihilfe zu ihrem Lebensunterhalt zu gewähren, vorausgesetzt, daß die betreffenden Persönlichkeiten bedürftig und würdig sind.

Von befreundeter Seite wird den B. N. N. geschrieben:In Bundesratskreisen soll die bis­herige feste Haltung gegenüber dem Jesuiten- Antrag des Zentrums ins Schwanken geraten sein. Hält man hiermit das weitere Gerücht zusammen, wonach im Reichsschatzamt besonderer Wert darauf gelegt wird, die polnische Reichs­tagsfraktion angesichts der Tabaksteuervorlage in guter Laune zu halten, so scheint es, als ob unsere innere Politik noch immer nicht in reineres Fahrwasser gelangen will. Auch Fürst Bismarck hat, um den Reichswagen vorwärts zu bringen, dem Zentrum wiederholt gefällig sein müssen, aber erst seit Einleitung der unseligen Handels­politik des neuen Kurses ist dem Zentrum die beherrschende Stellung im Reich eingeräumt worden, welche es jetzt inne hat und mit der Rücksichtslosigkeit eines Wucheres ausbeutet, der seiner Beule sicher ist. Kein größeres Reichsge- setz kommt mehr zu Stande, ohne daß dem Zentrum ein neuer politischer Wechsel in immer kürzerer Sicht ausgestellt wird. Und doch handelt es sich bei jeder neuen Konzession an das Zen­trum nicht allein um diese Konzession an sich, sondern auch darum, daß damit zugleich die noch weitergehenden Forderungen der Möglichkeit ihrer Erfüllung cntgegengerückt werden. Und wo giebt es eine Grenze in jenen Forderungen der angeblich unterdrückten und der paritätischen Behandlung entbehrenden römischen Kirche! Wäre es nicht bereits an ver Zeit, daß die evangelischen Kreise anfingen, sich energisch über mangelnde Parität zu beklagen? Beugt der Bundesrat und beugt namentlich Preußen sich ungeachtet eines entgegenstehenden Königswortes in der Jesuitenfrage, so dürfte für den prote­stantischen Teil der Nation Gefahr im Verzüge sein!«

Straßburg, 23. März. Bei einem hiesigen Zahnarzt ist gestern Abend ein Un­fall vorgekommen, der einem Menschen das Leben kostete. Der Kaufmann Weil aus Benfeld wollte sich bei dem Zahnarzt Zähne ziehen lassen. Der Zahnarzt schläferte den Weil ein, aber vergebens war nachher der Versuch, den­selben wieder zu erwecken; er war tot. Der Verunglückte war erst seit 2'/r Monaten ver­heiratet. Als Weil nicht mehr zu sich kam, wurden 2 Aerzte herbeigerufen, um den Armen wieder ins Leben zurückzurufen, doch erwiesen sich alle Mittel als erfolglos.

Köpenick, 17. März. Ueber die brave That eines Postbeamten wird gemeldet: Als der Postassistent L. vom Dienste zurückkehrte,

gewahrte er. wie sich auf dem Eise bei dem Heuplatz ein Knabe und ein Mädchen belustigten. Im selben Moment brach die morsche Eisdecke und der Knabe versank in die Tiefe, während das Mädchen an einer Eisdecke hängen blieb. Ohne Besinnen eilte der Brave an die gefähr- iiche Stelle und es gelang ihm. mit eigener Lebensgefahr beide Kinder vom Tode des Er­trinkens zu retten.

Württemberg.

Seine Majestät der König hat in Ueber- einstimmung mit Seiner Majestät dem Kaiser durch allerhöchste Ordre vom 22. März d. I. den k. preußischen General der Infanterie und Generaladjurant Sr. Maj. des Kaisers, bisher Generallieutenant rc. und Kommandeur der 26. Division fl. k. württ.) v. Lindequist zum kommandierenden General des königlichen Armee­korps allergnädigst zu ernennen geruht.

Sodann hat Seine Majestät der König unterm 22. März verfügt: v. Dettinger, Generallieutenant und Kommandeur der 7. Di­vision, wird unter Enthebung von dem Kom­mando nach Preußen, zum Kommandeur der 26. Division (1. k. württ.) ernannt. Baron von Collas, k. preuß. Generalmajor, von dem Kommando der 53. Jnfanteriebrigade (3. kgl. württ.) behufs Verwendung als Führer der 22. Division enthoben, v. Greifs, General­major und Kommandeur der 65. Jnf.Brigade, unter Enthebung von dem Kommando nach Preußen, zum Kommandeur der 53. Jnfanterie­brigade (3. k. württ.), Hüger, k. preußischer Oberstlieutenant, beauftragt mit der Führung des Feldartiüerie-Regiments König Karl Nr. 13, zum Kommandeur dieses Regiments ernannt.

Stuttgart, 23. März. Der als Kom­mandeur zur 26. Division verfehle General- Lieutenant v. Dettinger wurde als Oberst­lieutenant im Jahre 1885 als Generalstabschef zum II. Armeekorps (Stettin) kommandiert, am 14. November 1887 zum Oberst befördert, im Oktober 1888 zum Kommandeur des 8. Jnf.- Regiments in Straßburg und im Januar 1891 unter Beförderung zum General-Major zum Kommandeur der 52. Infanterie-Brigade ernannt. Am 26. Juni 1893 erfolgte die Beförderung zum General-Lieutenant; im Dezember des gleichen Jahres wurde v. Dettinger behufs Ver­wendung als Kommandeur der 7. Division (Magdeburg) nach Preußen kommandiert, welches Kommando derselbe bisher inne hatte. Der zum Kommandeur der 22. Division (Kassel) er­nannte General Baron v. Collas war früher Kommandeur des Leib - Grenadier,-Regiments König Friedrich Wilhelm III. (1. brandend.) Nr. 8. (Frankfurt a. O.) und übernahm im März 1891 die Führung, im Juni gleichen Jahres das Kommando der 53. Jnfanteri-Brig. (Ulm.) Der zum Kommandeur der 53. In­fanterie-Brigade ernannte General-Major von Greifs übernahm im Januar 1891 das Kom­mando des 8. Infanterie-Regiments (Straßburg) und wurde im April 1894 unter Beförderung zum General-Major nach Preußen kommandiert behufs Verwendung als Kommandeur der 65. Jnf.Brig. (Mörchingen.) (S. M.)

Geislingen, 18. März. Die hiesigen bürgerlichen Kollegien haben beschlossen, zur Feier des Geburtsfestes des Altreichskanzlers Fürsten v. Bismarck am Montag den 1. April einen Fackelzug zu veranstalten. Derselbe wird sich vom Oedenturm bis zum Kaiser-Wilhelm- Denkmal bewegen unter der Beteiligung sämt­licher hiesiger Vereine. Nachher wird im Saale des Gasthofes zurSonne" ein Festbankett abgehalten werden.

Ofterdingen, 23. März. Gestern ist der Neckar etwas gefallen, doch mußte man sich immer noch des Kahns bedienen, um auf das linke Neckarufer zu kommen. Heute ist der Neckar wieder bedeutend gestiegen, so daß das ganze Thal überschwemmt und einem See gleich ist.

Tein ach, 20. März. Bekanntlich sind die Schwarzwälder Jagden im Allgemeinen keineswegs durch glänzenden Wildstand ausge­zeichnet. Dagegen erfreuen wir uns noch einer, dem übrigen Lande (mit Ausnahme eines kleinen Winkels im Algäu) fehlenden Wildart, des