139

ertcrge zu Mr. 34 des Knztbulers.

Neuenbürg, Donnerstag den 28. Februar 1895.

Unterhaltender Heil. Schlechter Leumund.

Kriminal-Novelle von Karl Ed. Klopfer.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Nachdem Sie die richtige Beschreibung von dem Objekte gegeben," sagte er mit spaßhafter Amtsmiene,so erübrigt mir noch die Frage, ob Sie allenfalls ihre Eigentumsrechte daran durch einen Eid zu erhärten vermögen!"

Haha. Sie sind heute bei trefflicher Laune! Ja denn, ich kann beschwören, daß es mein Tuch ist. Aber sagen sie doch, wie kommen Sie dazu?"

Der erste Finder war eigentlich kein Mensch, sondern ein Tier, weshalb das Delikt der offen­baren Fuudverhcimlichung nicht so schwer in die Wagschale fällt. Besagtes Tier also setzte sich in den Besitz dieses Tuches, barg cs in seiner Höhle und hätte es voraussichtlich wohl zu eigenen, übrigens nicht ganz klaren Zwecken verbraucht, wäre nicht der allgewaltige Tod diesem egoistischen Vorhaben hindernd in den Weg getreten, oder um mich prosaischer und verständlicher auszudrücken man fand heule Morgen dieses Tuch in der Hütte des todten Hofhundes Philax, wohin cs der getreue Wächter des Sendler'schcn Hofes unzweifelhaft verschlep pte."

Der Amtmann behielt noch immer den leichten, scherzenden Konversationston bei. teilte ober während seiner Rede einige verstohlene Blicke zwischen der bereits erwähnten Tapetcn- thür an der einen Seitenwand und dem Gesichte des vollkommen arglosen Herrn Weller's. Ebenso urgemütlich fuhr er in seinen hingeworfenen Ausführungen fort, als erwähne er nur ganz Selbstverständliches.

Sie verloren dieses Ihnen beschworener« maßen zugehörende Tuch, wahrscheinlich ohne darauf zu achten, wohl gestern Nacht, als Sie nachdem Sie den Brandstifter Hügel so lange beobachtet hatten, ungesähr ein Viertel nach elf Uhr über den Hof hinter der Sendler'schen Villa gingen und, vom Stallgebäude kommend, Monsieur Philox durch einige Liebkosungen be­ruhigten."

Weller hob verdutzt den Kopf, als hier der Amtmann plötzlich schwieg. Er sah Ram- berg's Blick ernst und scharf auf sich gerichtet. Da verstand er plötzlich diesen Blick und zuckte mit einem Schrei zusammen, dann sprang er, bleich, besinnungslos im plötzlichen Schrecken, nach der Eingangsthür, nur dem Instinkt folgend, der ihm in diesem Augenblick zur schleunigsten Flucht riet. Aber schon in der nächsten Sekunde erkannte er die verhängnisvolle Unüberlegtheit dieses Schrittes, als er Ramberg's Hand ener­gisch auf den Knopf der Tischklingel fallen sah. Er knirschte vor Wut über sich selbst mit den Zähnen, als die Thür oufging und die stämmige Figur des GcrichtSdieners auf der Schwelle er­schien, hinter welchem draußen auf dem Corridor die Uniformen von drei oder vier anderen hand­festen Gerichtspersonen sichtbar wurden. Weller taumclte bei diesem Anblick in einen Stuhl und stöhnte; ein kalter Schweiß stand ihm auf der Stirne.

Sind die bestellten Personen am ange­gebenen Orte?" fragte der Amtmann, jetzt völlig im Tone seiner Berufsfunklion.

Der Gerichtsdicner winkte ein stummes Ja und deutete verstohlen auf die geheimnisvolle Topetenthüre.

Ramberg nickte befriedigt und entließ den Diener mit einer entsprechenden Geberdc, dann näherte er sich langsam dem «Stuhle Weller's, vor welchem er stehen blieb.

Sie haben jetzt wohl selbst die Erfahrung gemacht, die mir in meiner Praxis geläufig ge­worden ist," sagte er, ihm gelassen auf die Schulter klopfend,die Eifahrung, daß das

schlechte Gewissen oft gerade dem raffiniertesten Schurken zum Verräter wird. Die feinsten Be­rechnungen werden mitunter durch plötzliche Tölpeleien zerstört, die der Unkundige, der ober­flächliche Beobachter geradezu unbegreiflich findet an einem so schlau kalkulierenden Jntriguanten, wie Sie Einer sind. Uns Kriminalisten ist es allerdings eine längst bekannte Thatsache, daß der, der die feinsten verbrecherischen Netze zu stricken versteht, sich am leichtesten selbst darin­nen verhäkclt oder Unsereinem aus ganz simple Manier in's Garn geht. Gratulieren Sie mir zu diesem Eriolge, Herr Weller und bedanken Sie sich bei sich selbst!"

Ich weiß nicht, was Sie wollen," rief Weller, aufspringend und sich rasch wieder in den Besitz seiner frechen Sicherheit setzend.Ich verstehe nur, daß Sie sich unverschämte Beleidig­ungen gegen mich erlauben, die Ihnen teuer zu stehen kommen dürften. Ich werde mich an ge­eignetem Orte über Ihr unqualifizierbares Vor­gehen beschweren, welches ich unbegreiflich finde, wenn ich nicht annchmen will, datz Sie verrückt oder betrunken"

Geben Sie sich keine Mühe," unterbrach ihn der Amtmann scharf und kalt, hinter den Gerichtstisch tretend und dreimal auf die Klingel schlagen;Ihre kicke Stirne kann jetzt den un­verzeihlichen t'aux M8 von vorhin nicht mehr ungeschehen machen!"

Auf das Klingelzeichen öffnete sich jetzt die Tapenlhüre. Mehrere Personen traten in's Zimmer. Zuerst Fräulein Sendler, unmittelbar hinter ihr der Vater, dann > einige Schritte von den Vorangehenden getrennt Leopold Hügel, und hinter diesem zwei Gerichtsdiener und der Protokollführer, der sogleich seinen Platz am Gerichtstische einnahm. Weller erbebte am ganzen Körper; mit schwerer Hand stützte er sich auf seine Stuhllehne.

Marie war etwas blaß, aber auf ihrem Gesichte lagerte der Ausdruck einer zielbewußten Festigkeit, Herr Sendler blickte scheu auf seinen Cowpagnvn und wollte offenbar noch nicht recht an das glauben, was er erst vor kurzer Zeit vernommen haben konnte. Hügel trug indessen noch die Miene völliger Unkenntnis der Sach­lage zur Schau. Auf seinem hübschen Gesichte mischten sich zu gleichen Teilen Mißtrauen und freudige Ueberraschung beim Anblick Marien's.

In der nun einlrctenden Pause, die etwas unendlich Feierliches in ihrer starren Ruhe hatte, trat einer der Gerichlsdiener leise an den Tisch und legte ein kleines Pocket dahin, dem Amt­mann etwas in's Ohr flüsternd. Dieser nickte mit zufriedener Miene und erhob sich sodann mit einer gewissen Erhabenheit von seinem Stuhle.

Fräulein Marie Sendler," sagte er mit lauter Stimme,ich bitte Sie nun. Herrn Weller die mir vor anderthalb Stunden mitgeteilten Eröffnungen zu wiederholen!"

Marie gab ihre Aussage in klaren, bestimm­ten Worteu ab. Sie sei überzeugt, daß Weller cs gewesen, der ihr Zwiegespräch mit Hügel während der Nacht belauscht und darnach den Entschluß gefaßt habe, den Nebenbuhler durch eine Anschuldigung zu vernichten, die durch dessen schlechten Leumund sehr gerechtfertigt klingen würde. Er sei es auch bestimmt gewesen, der das Feuer im Pfcrdestall gelegt und dann, über den Hof gehend, den Hund gestreichelt habe, der einem Fremden gegenüber gewiß nicht laut an­zuschlagen verfehlt habe» würde. Das in der Hundehütte gefundene Tuch sei jedenfalls ein höchst gravierendes Beweismittel.

Dazu kommen noch einige sehr beachtens­werte Momente," ergänzte der Amtmann, während Weller sich den Anschein zu geben suchte, als hielte er cs unter seiner Würde, diesen Anschuldig­ungen etwas Anderes als ein verächtliches Still­schweigen und eine ziemlich gut geheuchelte Gleichgiltigkeit entgegenzusetzen. Dr. Ramberg aber fuhr fort:Nun stellt sich auch das an­

gebliche nächtliche Umherstreifen des Herrn Weller in ganz anderem Lichte dar; er wollte eine Art Alibi für den Fall aussinnen, als man konstatieren würde, daß er die ganze Nacht nicht in der Stadt gewesen war. Loch vor Allem klagt ihn die furchtbare Gemütsaffeklion an, die er empfand, als ich ihm die plötzliche Mitteil­ung machte, daß er heute Nacht auf seinem Schleichwege über den Hof gesehen wurde. Im Gegensätze hierzu," schloß er seine Rede mit feierlichem Nachdruck,erscheint Herr Leopold Hügel von der wider ihn erhobenen Beschuldig­ung durch die bestimmte Aussage Fräulein Sendler's vollständig entlastet, und stellen sich durch die erwähnten Depositionen Fräulein Sendler's jene Momente, die ihn anfangs ver­dächtigten, mit einem Male gerade als Beweise seiner Schuldlosigkeit dar, daß ich die angenehme Verpflichtung habe, die wieder ihn vorgebrachte , Anklage in ihrem ganzen Umfange zurückzuziehen, und ich spreche ihn daher im Namen der Staats­anwaltschaft, für die ich hier stehe, frei!" (Schluß folgt.)

Berlin, 22. Febr. Die Schneefälle dieses Jahres haben, derNationalztg." zufolge, die Stadt Berlin bisher rnnd 780 000 ge­kostet. Es sind etwa 300 000 Fuhren zu je 2 60 abgefahren worden. Von Bremen

aus sind die städtischen Behörden benachrichtigt worden, daß Oberst v. Garnier dort eine Schneeschmelzmaschine erfunden hat, die er ihnen vorzuführen beabsichtigt. Eine sach­verständige Abordnung wird sich demnächst zu diesem Brhufe nach Bremen begeben.

Berlin, 30. Jan. Nach Ausweis des Berliner Adreßbuches wird das Weichbild Berlins jetzt von 983 Straßen durchquert, die durch 10 Parkanlagen, 104 Schmuckplätze und 66 Brünen durchbrochen werden. Wir zählen ferner 77 Kirchen und Kapellen, darunter 80 evangelische, 7 katholische, I englische, 10 für außerhalb der Landeskirche stehenden Gemeinden und 3 Mrthodisten-Betsäle. Dazu gesellen sich I I Synagogen. Berlin verfügt zur Zeit über 24 Theater und 2 Zirkusgebäude. Die Zahl der öffentlichen Heilanstalten beträgt 28; dazu kommen 20 Sanitätswachen und 15 Hospitäler. Die Zahl der Gemeindeschulen ist auf 206 an- gewachsen. Es giebt hier ferner 16 Volks­küchen, 8 Kindervolksküchen und 8 Waisen­häuser. 19 Freimaurerlogen arbeiten in Berlin; dazu treten 3 Logen des Freimaurer-Ordens der Humanisten. 14 Oddfellow-Logen, 9Druiden- Logcn und 3 Bnai-Brith-Logen. Außer auf der Stadtbahn kommen die Fremden auf 9 Bahn­höfen in Berlin an. Ganz riesig ist das Ver­einsleben entwickelt. Das Adreßbuch zählt nicht weniger als 1134 Vereine auf, unter ihnen: 30 Aerztevereine, 64 Gesang- u. Musikvereine,

45 Stenographen-, 93 Turnvereine, 101 Ver­eine für gemeinnützige und gesellige Zwecke, 39 Darlchns- und Kreditvereine, 97 Kriegervereinc.

46 Landsmannschaften, 11 Lehrer-u. Lehrerinnen­vereine. 15 Kunstvereine usw. usw. Ferner er­scheinen hier 812 Zeitungen und Zeitschriften, und zwar: 67 amtliche, 63 politische, 206 für Kunst und Wissenschaft und 476 für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft. Von dem gewerb­lichen Leben in Berlin erhält man einen Be­griff, wenn man einige der Haupterwerbszweige Revue passieren läßt. So verzeichnet das Adreß­buch beispielsweise 7524 Schneider aller Arten, 5600 Schuhmacher, 3260 Tischler, 1498 Bäcker, 2200 Schlächter, 848 Barbiere, 480 Friseure, 2400 Zigarrenhändler. 1056 Destillationen, 4707 Gastwirte. 2208 Schankwirte. 3060 Maler aller Art usw. usw. Daneben giebt es aber auch noch Gebiete, die ganz oder doch fast ganz ohne Wettbewerb sind. So giebt es beispielsweise nur eine einzige Buthandlung und 2 Blutegel- Handlungen.

In der Nähe von Nybnik bei Marklo- witz find sieben Schulkinder auf dem Rückweg