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Berlin, Reichstag, 22. Februar. Tabaksteuervorlage. Äbg. Bassermann (nat.-lib.) führt aus, die Vorlage bewirke eine Verminderung des Verbrauchs. Die Verteuer­ung der billigeren Zigarren treffe gerade den Kleinbetrieb und die Arbeiter. Der Uebergang zur Fabrikalsteuer sei für die großartig entwickelte Tabakindustrie verhängnisvoll. Die Vorteile, welche die Vorlage scheinbar den Pflanzern biete, seien geringfügig. Nur die Großbetriebe er­führen eine hervorragende Begünstigung. Abg. Dr. Schädler (Zentrum) giebt zu, daß die Vorlage erhebliche Verbesserungen gegenüber der vorjährigen enthalte, namentlich wertvolle Zugeständnisse für den Pflanzer. Allerdings müsse der Tabakzoll noch weiter erhöht werden. Die Kommission müsse auch andere Abänder­ungen herbciführen. Vielleicht sei eine differcnzielle Behandlung der Fünfpfennigzigarre und ein besonderer Schutz der Kleinbetriebe möglich Wegen der mißlichen Finanzlage der Einzelstaatcn, schließt der Redner, lehnen wir die Vorlage nicht pure ab. Sachsen-Meiningischer Bundes- ratsbcvollmächtigtcr Dr. Heim erklärt, die Klein» floaten seien ein wichtiges und wohlthätiges Bindeglied für das Reich, können aber ihre Aufgabe nur lösen, wenn sie von der Last der Matrikularbeiträge befreit würden. Der jetzige Zustand sei unerträglich Er bitte im Interesse der^Kleinstaaten um Annahme der Tabaksteuer. Abg. Pöhlmann -Schlettstadt steht einer höheren Besteuerung desTabaks imallgemeinen sympathisch gegenüber und hofft, daß einzelne Bedenken durch die Kommission zerstreut werden können. Das stärkste Bedenken treffe den Konjumrückgang und die Schädigung der Produktion. Als Elsässer müsse er für die Vorlage rückhaltlos eintreten, weil endlich die für das Elsaß besonders lästige Gewichtssteucr abgeschafft werde. Er glaube, daß eine Bierstcucr in Form einer Reichsmalz­steuer wohl einführbar wäre und daß auch eine Reichseinkommensteuer kommen werde. Abg. Galler (südd. Bolksp.) spricht sich gegen die Vorlage aus, welche eine Annäherung an das Monopol bedeute. Abg. Frhr. v. Hammerstein (kons.) lehnt namens seiner politischen Freunde aus Mecklenburg, Sachsen und Hessen die Vor­lage ab, welche einen Rückgang des Verbrauchs und Produktionseinschränkung bewirken, sowie den Kleinbetrieb vernichten werde. Abg. v. Elm (Soz) erklärt, die Sozialdemokraten lehnten die Vorlage ab und wünschten eine progressive Rcichseinkommenstcuer. Bundesratsbevollmäch­tigter Heim betont, eine Reichscinkommen- und eine Reichserbschastssteuer sei unausführbar, weil dadurch den Einzelstaaten wesentliche Einnahme­quellen entzogen würden. Abg. Brünings (natl.) stimmt der Vorlage zu. Abg. Dr. Schneider (freis. Volksp ) bekämpft sie. Nach­dem Schultz-Lupitz für die Vorlage cingetreten, wird dieselbe einer 28gliedrigen Kommission überwiesen.

Die beim Reichstag demnächst zur Diskussion gelangende Gewerbeordnungs-Novelle, wo­durch Einschränkungen im Wandergewerbe und Hausierhandel bezweckt werden, hat im Reiche eine ziemliche Gegenagitalion hervorgerufen, welcher sich besonders auch die Handelskammern angcjchlossen haben. Letztere verwahren sich im Besonderen gegen die Beschränkung der Handels­reisenden auf kaufmännische Kundschaft.

Berlin, 23. Febr. Die Begründung einer großen Mittelstandspartei nach dem Muster des Bundes der Landwirte ist in der gestrigen Delegierterversammlung der Berliner Innungen angeregt und beschlossen worden, um umfangreiche politische und wirtschaftliche Agi­tation zu entfalten. Am I. März soll eine große öffentliche Versammlung statlfinden.

Berlin, 23. Febr. Beim gestrigen Fest­mahl des deutschen Handelstages er­widerte auf den Trinkspruch des Vorsitzenden Geh. Kommerzienrats Frentzel Staatssekretär Dr. v. Bötticher: Wenn auch Unzufriedenheit herrsche, wenn auch die bei der Reichsgründung aufgcflammte Stimmung nicht mehr vorhanden sei, so sei es doch eine Thatsache, daß wir uns mit immer größerem Stolze des geeinten Vaterlandes freuen dürften. An der Zukunft sei nicht zu verzweifeln, wenn auch einmal irgend wo der

Schuh drücke. Die Unzufriedenheit könne sogar fördernd wirken, wenn die Unzufriedenen ernst gewillt und bereit seien, selbstthätig zuzugreifen. Es heiße deshalb nicht verzweifeln, sondern Mit­arbeiten, Eine Unzufriedenheit, die Lärm schlage, weil es einzelnen schlecht gehe, dürfe nicht über uns kommen. Der ehrlichen Arbeit des Handels- tages werde der Erfolg nicht fehlen, möge des­halb jeder den Kopf oben behalten l Der Staats­sekretär schloß mit einem Hoch auf den Han­delstag.

Karlsruhe. 22. Febr. Auch die zweite Versammlung im ReichShallenthcater, in welcher Reichstagsabgeordneter Ahlwardt sprach, war großartig besucht. Um 8 Uhr wurde seitens der Polizei der Saal gesperrt, nachdem etwa 1200 Personen anwesend waren. Ahlwardt's Vortrag dauerte genau zweieinhalb Stunden. Seine Anhänger, welche die weitaus überwiegende Majorität bildeten, spendeten ihren Beifall. Redakteur Allgaier aus Pforzheim trat Ahl- wardt entgegen, wurde aber von den Antisemiten wiederholt stürmisch unterbrochen und schon nach einer halben Stunde zum Verlassen der Redner­bühne gezwungen. Ahlwardt selbst tadelte das Verhalten seiner Parteigenossen ganz entschieden. Der Gegner habe durchaus anständig und sach­lich gesprochen und er bedauere sehr, daß man ihn nicht habe ausreden lassen. Erst um 12 Uhr endete die große Versammlung.

Gernsbach (Murgthal), 21. Febr. Die längst geplante Wasserleitung kommt nunmehr zur Ausführung. Der Bürgerausschuß hat sich einstimmig für deren Herstellung erklärt. Die Leitung wird von der Fassung der Quellen (Loffenauer) aus gerechnet 9 Kilometer lang sein und etwa 220 000 »-L kosten. Bei der Er­bauung soll auf eine etwanige spätere Verbind­ung mit einem Elektrizitätswerk Rücksicht ge­nommen werden.

Einen Postbeutel derElbe" fand bei Grain, unweit Rochester, ein Schafhirt am Strande. Der Beutel wog anderthalb Zentner. Derselbe wurde den Postbehörden übergeben.

Württemberg.

Se. Maj. der König hat nachstehende Orden und Medaillen verliehen: das Großkreuz des Friedrichsordens: dem Staatsminister des Innern v. Pischck; den Stern zum Kommenthur­kreuz des Ordens der württ. Krone: dem Ober- landesgerichts-Präsidenten StaalSrat Dr. von Köstlin; das Kommenthurkreuz des Ordens der württb. Krone: dem Staatsrat Dr. v. Schall; das Kommenthurkrcuz 2. Kl. des Friedrichs­ordens: dem Staatsrat Dr. v. Göz, dem Vor­stand der Ministerialabteilung für den Straßen- und Wasserbau, Präsidenten v. Leibbrand; dem Präsidenten der Regierung des Neckarkreises, v. Riekert, dem Generalsuperindenten von Tübingen, Prälaten Dr. v. Wittich; das Ehrenkreuz des Ordens der württb. Krone: dem Oberlandesgcrichtsrat Dr. Schönhardt, dem k. Gesandten in Berlin, Geh. Legationsrat Frhrn. v. Varnbüler, dem Oberbaurat Fuchs, Vor­stand der Bauabteilung der Generaldirektion der Staatseisenbahnen, dem Kanzleidirektor des Ministeriums des Innern, Oberregierungsrat Nestle.

Das Präsidium des Württ. Krieger­bundes erläßt an seine Vereine ein Rund­schreiben, in dem es heißt: 1. Das Vorgehen des Präsidiums bei den diesjährigen Landtags­stichwahlen entspricht durchweg der Haltung, die es in früheren ähnlichen Fällen, speziell bei Stichwahlen beobachtet und welche wiederholt auch die Billigung des Bundestags gefunden hat. Mit Nachdruck muß auch heute wieder darauf hingewicsen werden, daß die Zugehörig­keit zu dem Württ. Kriegerbund unvereinbar ist mit der Zugehörigkeit zu ver heutigen sozialde­mokratischen Partei. Während die Mitglieder unseres Bundes nach den Statuten in erster Linie die Pflicht haben, die guten Gesinnungen für Kaiser und Reich, für König und Vaterland wach zu erhalten und zu befestigen, ist das Streben der Sozialdemokratie erklärtermaßen auf die Beiseitigung unserer monarchischen Staats- ordnung gerichtet. Keiner, der sich zur So­zialdemokratie bekennt, kann somit in

unsern Bund ausgenommen werden, keiner kann in demselben als Mitglied verbleibenl Wenn es nun Bundesmitglieder geben sollte, welche innerlich der Sozialdemokratie anhängen, aber mit ihrer Gesinnung nach außen zurück­halten. so müssen wir diesen überlassen, wie sie das Verbleiben im Bund mit ihrer Ehre und mit ihren Gewissen vereinigen können, und auch für die Vorstandschaften der Vereine wird in dieser Richtung ein Grund zu eingehenden Unter­suchungen regelmäßig nicht vorliegen. Wer sich aber offen als Sozialdemokrat bekennt, von dem muß unbedingt verlangt werden, daß er aus unserem Bund austritt, oder daß. wenn er sich dessen weigert, in Gemäßheit des Art. 2 der Bundesstatuten sein Ausschluß herbeigeführt werde. Es liegt dem Präsidium durchaus ferne, in den Streit der politischen Parteien sich zu mischen oder einzelne derselben zu bekämpfen. Wohl aber hat das Präsidium das Recht und die Pflicht, im eigenen Hause Ordnung zu halten und darüber zu wachen, daß die Bundesstatuten von den Mitgliedern des Bundes befolgt werden. 2. In der sogen Ehrensoldfrage der Ve­teranen ist neuerdings die Nachricht durch die Blätter gegangen, die Petitionskommifsion des Reichstags habe beschlossen, die Gewährung eines Ehrensolds an sämtliche Kriegerveteranen zu befürworten. Nach den Erkundigungen, welche wir an zuständigen Ort eingezogen haben, ist diese Nachricht falsch. Die Petitionskommifsion hat sich mit den zahlreichen zu der berührten Frage vorliegenden Eingaben noch gar nicht befaßt und ein Beschluß derselben ist keinesfalls vor mehreren Wochen zu erwarten. In der Sache selbst hat das Präsidium sich von Anfang an dahin ausgesprochen, daß in der Thal eine gewisse Ehrenpflicht des Reichs besteht, allen denjenigen Kriegsveteranen, welche bedürstig und erwerbsunfähig sind, insolange als diese Voraus­setzung zutrifft, aus Reichsmittcln eine jährliche Gabe zuzuwenden. Für die baldige Erreichung dieses Ziels nach Kräften zu wirken und auch die anderen deutschen Landeskriegerverbände zu thätiger Mitarbeit zu bewegen. betrachtet das Präsidium fortgesetzt als eine ernste und wichtige Aufgabe. Dagegen hält das Präsidium auch jetzt noch daran fest, daß die Gewährung eines Ehrensolds an alle Veteranen ohne Rücksicht darauf, ob der Einzelne vcrmöglich und erwerbs­fähig ist oder nicht, in absehbarer Zeit nicht zu erlangen sein wird.

Stuttgart, 24. Febr. Das neu erbaute Hotel Viktoria, gegenüber dem Bahnhofausgang in der Friedrichsstraße, an dessen innerer Voll­endung noch gearbeitet wird, ist gutem Ver­nehmen zufolge von den Erbauern Jäger und Decker an den Bahnhofrestaurateur Reiniger hier um die Summe von 860000 ^ verkauft wor­den. Die innere Einrichtung des genannten Hotels soll an Gediegenheit und Formschönheit mit der wirklich prächtigen Außenseite wetteifern.

Alten steig, 2l. Febr. Der gestrige Monatsmarkt war mit Vieh in jeder Gattung gutbefahren, und cs wurde im ganzen auch mancher Handel abgeschlossen. Ein Sinken der Viehpreisc konnte man nicht bemerken. Lebhaft wurde auf dem Schweinemarkt gehandelt. Dir große Zahl von Milchschweinen fanden pr. Paar zu 2840 rasch ihre Käufer; Läufer waren weniger zu Markt getrieben und wurden zu 5080 -/L abgegeben.

Marktpreise.

Neuenbürg, 23. Februar.

Butter, >/r Kilo. 8090

Landeier, 1 Stück 8 Kisteneier 7

Pforzheim, 23. Februar.

Land-Butter Kilo.901

Süßrahmbutter.1.151.20

Land-Eier, 2 Stück.1518

Kisteneicr, 2 Stück .1415

Stuttgart, 23. Februar. Süße Butter, >/r Kilo . . . . 1.101.20

Saure Butter, Kilo.-4L 1.00

Frische Eier, 10 Stück .75

Kalkeier, 10 Stück .65

Ausland.

Paris. 23. Febr. Die Polizripräfektur erhielt die Benachrichtigung, in der Provinz sei kürzlich eine bedeutende Menge Dynamit ge-