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den Wert des bei der Eröffnung des Verkaufs an dem betreffenden Ort befindlichen Waren­vorrats und die Zahl der Hilfspersonen anzu­zeigen hat. Von dem Betrag der Jahressteuer hat der Steuerpflichtige bei einem Geschäftsbe­trieb bis zu 14 Tagen den 4. Teil, bei einem Ge­schäftsbetrieb bis zu 30 Tagen die Hälfte und bei einem Geschäftsbetrieb von mehr als 30 Tagen den vollen Betrag vor Beginn des Geschäfts zu ent­richten. Bei denjenigen Gewerbetreibenden, welche im Umherziehen von Ort zu Ort Hausierhandel betreiben, vollzieht sich die Besteuerung im Wesentlichen ebenso.

Das System der Erlragsbesteuerung be­gegnet in gegenwärtiger Zeit vielfachen Anfecht­ungen und es ist auch zuzugeben, daß mit der Entwickelung unseres gesamten Erwerbslebens die Ertragsbesteuerung sich mehr und mehr über­lebt hat. Für den Staat mag allerdings die Ertragsbesteuerung insofern vorteilhaft sein, weil jedes Jahr auf eine sichere Steuer-Einnahme gerechnet werden kann, weil Defraudationen (Steuerhinterziehungen) mehr oder weniger un­möglich sind und weil auch die Steuer-Erheb­ungskosten, nachdem die Kataster angelegt, ge­ringer sind. Eine Stabilität in den Steuer- Einnahmen erweist sich natürlich für den Staat gerade in solchen Jahren vorteilhaft, in denen andere Steuern mehr oder weniger versagen können, wie in schlechten Jahren, Notjahren oder Kriegsjahren, denn in solchen Jahren geht der Staatsbedarf nicht zurück, sondern er wächst mit den größeren Anforderungen an den Staat. Auf der anderen Seite treten aber die Unvollkommen­heiten des Systems immer stärker hervor, Mängel, die die Vorteile weit überwiegen und deren Be­seitigung deshalb vom Staat auch bereits in's Auge gefaßt ist. Solche Mängel erblickt man hauptsächlich darin, daß der schätzungsweise zu ermittelnde Reinertrag eines Steuerobjckts die Steuerkraft nicht immer im richtigen Verhältnis anfaßt und daß dabei unbillige Härten mit unter­laufen, daß die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen und seine Leistungsfähigkeit viel zu wenig berücksichtigt werden, daß eine Schonung der kleinen Steuerkräfte gegenüber den größeren Steuerkräften bei der Gewerbe­steuer in durchaus unzulänglichem Maße, bei der Grund-, Gefäll- und Gebäudesteuer aber überhaupt nicht Platz greift, sowie daß Schuld­zinse nicht berücksichtigt werden. In Baden lagen die Verhältnisse ebenso wie bei uns. Dort hat man vor einigen Jahren versucht, die her­vortretenden Mängel auf der Grundlage des alten Steuersystems zu beseitigen, es ist dies aber nur sehr unvollkommen gelungen und cs kann uns dieser Weg nicht sehr ermutigen, weil eben dieses Ertragssteuersystem nicht dehnbar genug ist. Es ist also notwendig, zu einem neuen Steuersystem überzugehen, das dem Grund­satz der Gerechtigkeit besser Rechnung trägt, das also eine gerechtere Verteilung der Steuern her­beiführt und die Leistungsfähigkeit der Steuer­pflichtigen in höherem Grade berücksichtigt, als dies bisher der Fall war. Damit käme» wir auf die Einkommensbesteuerung. Eine allge­meine progressive Einkommenssteuer, die den ge­samten Erwerb und das gesamte Einkommen des Steuerpflichtigen umfaßt, ist gegenwärtig das Ziel. Daneben müßte aber noch eine Ver­mögenssteuer bestehen, weil durch die Ein­kommenssteuer nicht alle Vermögen in gleich ge­rechter Weise getroffen werden könnten. Der Uebergang zu diesem neuen Steuersystem wird uns durch den Vorgang in Preußen und Sachsen erleichtert und weil zu erwarten steht, daß auch andere Bundesstaaten des Deutschen Reiches Nach­folgen werden. Hienach würde nach und nach ein einheitliches direktes Steuersystem im ganzen Deutschen Reiche erreicht, was auf dem Gebiete des Erwerbslebens nicht ohne Einfluß bliebe. Die Steuern gehören zu den Produktionskosten und je gleichmäßiger sich die Produktionskosten gestalten, um so leichter wird auch die Kon­kurrenzfähigkeit aufrecht erhalten. Zum Schluß betonte aber Redner noch, daß man auch von dem neuen Steuersystem nicht erwarten dürfe, daß es vollkommen sei, denn auch dieses habe seine Mängel. Die Veranlagung zur Steuer tverdc sich außerordentlich schwierig und kost­

spielig gestalten. Durch die einzuführende Selbst­einschätzung werde den Steuer-Defraudationen Thür und Thor geöffnet und um diese zu Hinter­treiben, werde ein weitgehendes Eindringen der Steuerbehörde in die Privatverhältnisse des Steuerpflichtigen und damit eine Reihe von Be­lästigungen und Plackereien unausbleiblich sein.

Die dankenswerten Ausführungen des Redners wurden mit sichtlichem Interesse ver­folgt und mit lebhaftem Beifall ausgenommen. Der Hr. Oberamtspfleger beantwortete nachher noch einige aus der Mitte der Versammlung gestellte Anfragen in prompter und entgegen­kommender Weise. Der Vereinsvorstand aber sprach demselben den wärmsten Dank im Sinne der zahlreich Anwesenden aus.

In richtiger Erkenntnis der Thatsache, daß durch solch öffentliche und zeitgemäße Vorträge manche Aufklärung und Anregung gegeben wird, wurde einem alten Wunsch der Gewerbcvereins- mitglieder wiederholt Ausdruck gegeben, es möchten von berufener Seite durch geeignete Vorträge die Zwecke des Vereins mehr und mehr gefördert werden. Anm.d. Red. Was speziell die Steuerfrage betrifft, so dürfte sich zu sach­kundigen Erläuterungen bald Veranlassung geben, wenn die neuerdings von der Regierung ge­plante Aenderung der Besteuerungsart (pro­gressive Einkommenssteuer) in die Wege geleitet sein wird.

Deutsches Aeich.

Berlin, 22. Febr. Der Reichstag trat am gestrigen Donnerstag in die erste Be­ratung der Tabaks st euer-Vorlage ein. Staatssekr. Graf Posadowsky weist nach, daß, wenn auch gegenwärtig kein so dringendes Be­dürfnis nach Deckungsmittelu vorhanden sei, dies 1896/97 bestimmt hervortrelen werde. Es bestehe noch die moralische Verpflichtung, die Kosten aus der Militärvorlage zu decken. Eine Reichseinkommensteuer und eine Reichserbschafts­steuer kommen nicht in Betracht. Es bleiben nur Tabak und Bier. Der Tabak sei eigentlich ein Luxusartikel; durch alleinige Heranziehung des Biers würde Süddemschland unbillig belastet. Die Tabakbesteuerung anlangend, so seien von allen vorgeschlagenen Wegen nur 2 gangbar: Monopol oder Fabrikatstcuer. Das Monopol fände keine Mehrheit; abgesehen von anderen Bedenken, bleibe also nur die Fabrikatsteuer. Redner verteidigt nunmehr die einzelnen Be­stimmungen der Vorlage. Redner widerlegt verschiedene Bedenken, namentlich auch hinsichtlich des Konsumrückgangs. Er verweist darauf, daß der Branntweinkonsum trotz der Mehrbelastung um 350 Proz. nur um 19^4 Proz. zurückge­gangen sei. Die Kontrolmaßregetn anlangend, so haben die Regierungen dieselben möglichst wenig belästigend gestaltet, insbesondere für die Kleinbetriebe. Die Steuer sei zur Regelung der Reichsfinanzcn absolut notwendig. (Lebh. Beifall rechts.) Müller (Fulda, Zentr.): Wir mußten die frühere Vorlage ablehnen, weil sie die Lasten wesentlich den schwächeren Schultern auferlegte. Der vorgeschlagenen Zollerhöhung stimmt meine Partei rückhaltlos zu. Die anderen Punkte, namentlich die wirtschaftlichen Folgen, sind in einer Kommission zu erörtern. Redner bemängelt die Form der Fabrikatsteuer, hält die Schilderung der Finanzlage für zu schwach und beantragt die Verweisung der Vorlage an eine Kommission. Clemm (Ludwigshafen, natl.): Der Hauptvortcil gegen die vorjährige Vorlage liegt darin, daß der Pflanzer unabhängig werde vom Verkäufer, der keinen Preisdruck auf den Pflanzer ausüben könne. Er bemängelt die vorgeschlagene niedere Besteuerung des aus ländischen Rohtabaks, wodurch der inländische Tabak gegen den billigen ausländischen konkur­renzunfähig werde. Die wirtschaftlichen Folgen hält Redner für keineswegs so bedenklich. Frese (freis. Ver.) spricht den Wunsch aus, es möge gelingen, die der Industrie und damit dem ganzen Baterlande durch die Vorlage drohende schwere Schädigung abzuwenden. Graf Holnstein (kons ): Die Konservativen stehen der Vorlage freundlich gegenüber; sie können indessen noch kein bindendes Votum abgeben, müssen vielmehr erst die Kommissions-Verhandlung abwarten. Förster-Reuß (Soz.) bekämpft die Vorlage;

der jetzigen Erhöhung der Steuer werden weitere Erhöhungen folgen. Zimm ermann (Antis.): Die gegenwärtige Vorlage sei noch schlechter als die vorjährige. Die Kosten der Militärvvrlage könnten durch stärkere Heranziehung der Börse gedeckt werden. Nachschrift. In der zweiten Sitzung mit langer Debatte vom 22. wurde beschlossen, die Vorlage einer 28gli?drigcn Kom­mission zu überweisen. Am Montag Reichs- finanzreform.

Berlin. 22. Febr. Wie aus Bremen gemeldet wird, hak die Direktion deS Nord­deutschen Lloyd acht Taucher, darunter drei Engländer, zwei Franzosen und drei Deutsche angagierl, um das Wrack derElbe" aufzu­suchen, hauptsächlich wegen Auffindung der Post­wertsachen. die einen Wert von 360 000 Mark besitzen. Die Taucherarbeiten werden acht Tage lang ausgeführt.

Zur Eröffnung desNvrdostsee - Kanals hat der Zar sein Erscheinen zugesagt.

Württemberg.

Stuttgart, 22. Febr. Abgeordneten­kammer. Zum Vizepräsidenten wurde bei 82 Abslimmenden Landgerichtsrat Kiene (Zentr.) mit 49 Stimmen gewählt; Kanzler Weizsäcker erhielt 31, Rembold und Sachs je 1 Stimme. Somit ist Kiene-Ehingen gewählt. Hierauf er- folgte die Wahl von 8 Schriftführern, ferner die Wahl von 15 Mitgliedern in die Finanz- kommission, von 9 Mitgliedern in dieLegitimalions- kommission und von 9 Mitgliedern in die Ge­schäftsordnungskommission.Im Druck erschienen ist der Hauptfinanzetat pro 1. April 1895 bis 31. März 1897 nebst Anlagen. Der Band umfaßt 804 Seiten in Quart.

U n l e r t ü r k h e i m , 21. FcbQ Diesen Morgen ist das Pionierkommando wieder in seine Garnison zurückgekehrt, da die Temperatur Nachts wieder aus1215» k. zurückgegangen ist, so daß die Arbeit des Auseisens vorläufig aufgegeben werden mußte.

Von den Geld- und Warenbörsen.

Stuttgart, 21. Febr. Den Wiener Hausse- Spekulanten, welche den Kurs der österreichischen Kredit­aktien auf eine Höhe s 1s. Eifelturm zu bringen geglaubt haben, scheint nunmehr der Atem auszugehen. Die erwarteten Dummen aus den Kreisen der Privatkapi­talisten, welche man mit Kreditaktien cinzuseisen hoffte, sind offenbar ausgeblieben. Die Auguren der Börse selbst aber lächeln einander verständnisinnig an und suchen sich langsam und vorsichtig aus ihrem Hausse- Engagement zu befreien. Freilich hat die Hochfinanz ein Interesse daran, keine Panik aufkommen zulasten; es muß doch die neue amerikanische Anleihe unterge­bracht und auch der Kurs der europäischen Renten darf nicht fallen gelassen werden. Für die deutschen Börsenplätze kommt die erfreuliche Meldung eines günstigen Jahresabschlusses der Darmstädter Bank hinzu, so daß die Meinung für deutsche Bankaktien überhaupt eine verhältnismäßig günstige bleibt. Trotzdem sind in leitenden Spekulationspapieren mehrfache Kursrück­gänge zu verzeichnen. Auf den Getreidemärkten herrscht infolge der im Dezbr. und Januar beendigten reichen Ernte in Argentinien und des äußerst lebhaften Angebots von dorther eine schwache Kauflust. Der überaus lange und strenge Winter in Europa und Nord-Amerika ruft aber andererseits Befürchtungen für oie Wintersaaten wach, so daß oie Preise im allge­meinen sich behaupten konnten. Aus den Zucker­märkten ist eine etwas bessere Stimmung eingetreten, wohl infolge des Umstandes, daß die Liquidation der früheren Hausse-Spekulationen beendigt ist und auch einige größere Posten nach Amerika und sogar nach Frankreich verkauft werden konnten. Die Franzosen wollen sich zwar durch einen besonderen Zuckerzoll gegen die deutsche Zuckereinfuhr schützen; aber vorerst ist dieser Plan noch nicht Gesetz geworden.

Anstand.

Im französischen Ministerrat ist, wie Ribot am Mittwoch einer Deputation aus den Zucker­industrie-Gegenden mittelkte, die Erhöhung der Zuschlagsroxe auf Zucker beantragt worden.

Paris, 19. Febr. Der frühere Kriegs- minister General Mcrcier hatte, um dicEffektw- bestände des Heeres zu vermehren, die Rekru- tierungsvorschnften dahin abgcündert, daß nun auch schwächliche oder mir kleinen Gebr-chen behaftete Militärpflichtige nicht mehr dem Hilfs­dienst, sondern dem Aktivdienste zugewiesen wer­den sollen. Die Ergebnisse dieser Verordnung waren gleich im ersten Monat sehr schlimm: über 5000 Mann mußten als unbrauchbar heimgeschickt werden. Seither ist die Zahl der­selben, insbesondere infolge der strengen Witter-