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giltigen und durch Probe-Einschätzungen gewonnenen Normen. Für die kleinen Gewerbebetriebe greift insofern eine Schonung Platz, als Betriebskapitale unter 700 »iL steuerfrei bleiben.
(Forts, u. Schluß in der morg. Nr.)
In der neuesten Liste der in den Vereinigten Staaten von Nordamerika gestorbenen Württcmberger sind u. A. genannt: Gottlob Bürkle von Feldrcnnach, 70 Jahre alt, und Gottlieb Oelschläger von da, 57 Jahre alt, beide in Philadelphia.
Neuenbürg, 22. Fe.br. Das längst erwünschte Tauwctker scheint nun nach und nach eintretrn zu wollen. Nachdem mehrere Tage hindurch etwas mildere Temperatur herrschte, hatte es zwar gestern früh den Anschein, daß wir auf's Neue wieder recht kalten und trockenen Tagen entgegengehcn werden, heute früh aber ist cs wieder ganz anders. Es ist leichtes Schnee- geriesel bei 3 " U> Wärme und vielleicht bewährt sich diesmal die alte Wetterregel „Matthäus bricht Eis". (Dieser berühmte Mathäustag fällt nach dem Kalender auf übermorgen Sonntag den 24.) Prof. Falb hat zwar keinen Glauben daran; er sagt neuerdings: es steht aufs Neue wieder Zunahme der Kälte bei fortdauernder Trockenheit bevor. Selbst der kritische Termin vom 24. (II. Ordnung), der für kurze Zeit wärmeres Wetter bringen dürfte, wird wahrscheinlich die Trockenheit kaum merklich unterbrechen. Erst in den letzten Tagen und um den 3. oder 4. März sind Schneefälle zu erwarten, worauf dann Tauwctter eintritt.
Calmbach. (Eingesendet.) Am Montag, den 18. ds., fand in Calmbach eine Versammlung statt, in welcher Fräulein Löwenherz aus Neuwied in IV-ständigem Vortrag über die Tabakfabrikatsteuer und den Zweck der Bereinigung referierte. Rednerin legte der von ungefähr 180 Personen besuchten Versammlung klar, wie durch die Steuer Hunderte von Arbeitern arbeitslos würden und die deutschen Tabaksbauern geschädigt würden, worauf sie die anwesenden Tabakarbeiter und Arbeiterinnen aufforderte, sich zu organisieren, damit, wenn die Steuer abgelehnt würde, die Regierung nicht wieder eine solche Vorlage im Reichstag ein- bringen würde. Zum Schluß wurde folgende Resolution angenommen, welche bereits an den Reichstagsabgeordneten Frhrn. v. Gültlingen abgesandt wurde: „Die heute im Gasthaus zum Rößle in Calmbach sehr zahlreich besuchte Versammlung protestiert mit aller Entschiedenheit gegen jede Mehrbelastung des Tabaks und fordert den Vertreter des VII. württembcrgischen Wahlkreises auf. im Reichstag gegen jede Mehrbelastung des Tabaks zu stimmen."
Deutsches MH.
Berlin, 20. Febr. Der Reichstag nahm ohne Erörterung den Jesuitenantrag in dritter Lesung gegen die Konservativen, Reichspartei und Nationalliberalen an. Das Zentrum begrüßte die Annahme des Antrages mit lebhaftem Beifall.
Im kommenden Monat wird eine Zusammenkunft der Finanzministcr der Einzelstaaten unter dem Vorsitz des Reichsschatzsekretärs behufs Beratung über die Konvertierung der 4 proz. Reichs- und preußischen Staatsanleihe stattfinden. Der erste Anlaß hierzu ist von dem bayerischen Finanzminister, der der Konvertierungsfrage sehr günstig gegenübersteht, ausgegangen.
Ein großartiges Geschenk wird der deutsche Jngenieur-Verein dem Fürsten Bismarck zu dessen 80. Geburtstag überreichen. Dasselbe wird in einem 36 Kunstblätter enthaltenen Album bestehen, von denen jeder der 36 Bezirksvereine eins ausführen läßt. Die einzelnen Blätter werden in den einzelnen Bezirken besonders hervorragende Betriebe und Industrien darstellen.
Württemberg.
Stuttgart, 20. Febr. Durch feierlichen Gottesdienst in der Schloßkapelle und in der kathol. Eberhardskirche wurde heute vormittag die Ständeversammlung eröffnet. Um 10 Uhr fand in der kgl. Schloßkapelle die Feier statt, der Ihre Majestäten der König und dies
Königin, die Prinzessinnen Katharine und Pauline anwohnten. Um 11 Uhr war das Ständehaus voll besetzt. Nachdem die Mitglieder des Landtages versammelt waren, die Abgeordneten der 2. Kammer an ihren verfassungsmäßig bestimmten Plätzen, die Standes- herren wie üblich vor den Plätzen der Abgeordneten, bestimmte der Präsident der Kammer der Standesherrn, Fürst von Waldburg-Zeil- Trauchburg, die Mitglieder der Abordnung, die Se. Maj. den König am Eingang des Ständehauses, vor dem die Stadtgarde Wache bezogen hatte, zu empfangen hatten. Beim Eintreten des Königs brachte die Ständeversammlung auf Aufforderung des ritterschaftlichen Abgeordneten Schad von Mittelbiberach ein begeistertes Hoch auf den König aus, wogegen sich der König huldvoll verneigte. Der König schritt nun auf den Thron zu und stellte sich vor demselben auf. Der Präsident des Staatsministeriums, Dr. Frhr. v. Mittnacht, holte hierauf die Befehle des Königs ein, verwies die Mitglieder der Ständeversammlung, die schon früher den Ständen angehört hatten, auf den von ihnen früher geleisteten Verfassungseid und forderte hierauf die neu einlretenden Mitglieder auf, den Eid in die Hand Sr. Maj. des Königs abzulegen. Es folgte hierauf die Verlesung des Ständeeides, den jedes Mitglied der 1. und 2. Kammer bei seinem erstmaligen Eintritt in dieselbe abzulegen hat. Dieser lautet also: Ich schwöre, die Verfassung heilig zu halten, und in der Ständeversammlung das unzertrennliche Wohl des Königs und des Vaterlandes, ohne alle Nebcnrücksicht, nach meiner eigenen Ueberzeugung, treu und gewissenhaft zu beraten. So wahr mir Gott helfe! Die neuen Mitglieder leisteten von ihren Plätzen aus den Eid, indem sie je für sich mit aufgehobener Rechten die Worte sprachen: „Ich schwöre es." (Der Abg. Hege leistete den Eid unter ausdrücklicher Berufung auf Math. 5, 37). Nun rief der Präsident des Staatsmiuisteriums die neuen Mitglieder namentlich auf. Die Aufge- rufcnen traten vor den kgl. Thron und berührten mit der rechten Hand die Rechte Sr. Maj. des Königs, worauf sie ihren Platz wieder ein- nahmen. (Die Sozialdemokraten Kloß und Glaser hatten sich krank gemeldet. Sie haben also besonders den Eid abzulegen an dem Tage, an dem sie in die Kammer eintreten.) Nach der Vereidigung, die längere Zeit in Anspruch nahm, überreichte der Ministerpräsident Sr. Maj. dem König die Thronrede, die der König sofort vor- las, indem er besonders die Schlußworte , die sich auf ein gedeihliches Wirken der Landstände bezogen, nachdrücklich betonte.
Die Thronrede ist sehr ausführlich, in geschäftlichem Tone gehalten und kommt in zahlreichen Punkten sehr liberal entgegen. Es wird ein Defizit infolge der erhöhten Zinsenlast und infolge der Leistungen an das Reich konstatiert und eine' gründliche Steuerreform mit progressiver Einkommensteuer angekündigt. Bezüglich der Verfassungsrevision stellt sich die Staatsregierung auf einen abwartenden Standpunkt, bis sich die Ansichten im Landtag soweit geklärt haben würden, daß bei einer Berfaffungs- revision etwas Ersprießliches herauskommen könne. , Daü angekündigte Gesetz, betr. die periodische Wahl von Ortsvorstchern in den größeren Städten des Landes durch die bürgerl. Kollegien ist bereits der Abgeordnetenkammer zugestellt worden. In den kleinen Gemeinden erscheint die geplante Aufhebung der Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher — und zwar hier unter Beibehaltung der unmittelbaren Wahl durch die Gemcindebürger — erst dann möglich, wenn anläßlich der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich die Stellung der Hilssbeamten der Gemeinden neu geregelt und eine teilweise Entlastung der Ortsvorsteher bewirkt sein wird. Ferner werden in der Thronrede angekündigt: Besteuerung der Wandergewerbe, Neuordnung der Gemeindesteuern, Vorlagen betreffend den Bahnbau Lauffen-Güglingen und Schuffenried-Buchau, Gesetze betreffend die Wiedereinführung der Wahlkouverts, Hebung und Förderung der Viehzucht und Pferdezucht und Erleichterung der Hagelversicherung. Auch
das etwas abgeänderte Gesetz über die Volksschule, welches im letzten Landtag nicht mehr zur völligen Durchberatung gelangen konnte, liegt dem neuen Landtag bereits wieder vor.
Stuttgart, 21. Febr. Telegramm an den Enzthäler, nachm. 5 Uhr. Zum Präsidenten der Kammer der Abgeordneten wurde Rechtsanwalt Payer mit 51 Stimmen gewählt, v. Hohl erhielt 32 Stimmen.
Im Landtag hat sich unter dem Namen „Freie Bereinigung" eine 3. Fraktion gebildet. 38 Mitglieder sind ihr beigetreten, die Ritter und Prälaten, die 10 Mitglieder der Deutschen Partei, die 4 der bisherigen Landespartei. die Parteilosen Haug, Hege, Stockmayer, der Konservative Schrempf. In den Vorstand der Freien Vereinigung sind gewählt die Abg.: Sachs, Geß, Stockmayer, v. Schad, Luz. Die „Freie Vereinigung" zählt 38 Mitglieder, die Volkspartei 31, das Zentrum 20, die Sozialdemokraten 2. Parteilos ist der Abg. Gebert. — Die beiden sozialdemokratischen Abgeordneten wurden in der Sitzung vom 21. Febr. eingeführt und leisteten den verfassungsmäßigen Ständeeid.
Zur Wahlstatistik. Die 70 durch das allgemeine Wahlrecht neugewählten Abgeordneten verteilen sich nach den Berufsständen wie folgt:
14 Juristen:
g.) Richter und pens. Richter: Nieder, von Geß. Kiene, Gröber, v Hohl f5j, d) Anwälte: Payer» C. Haußmann, Rem- bold, F. Haußmann (4j (dazu unter anderen Rubriken aufgesührt: Frhr. v. Mittnacht, v. Abel, v. Balz, Hartranft-Freudenstadt, Schick f5j,
10 Schultheißen: v. Abel, Rathgeb, Haug, Haffner, Hartranft, Schürer, Sachs, Krug, Schick, Rath,
10 Landwirte: Aldinger, Stockmayer, Maurer, Hege, Schock, Hartmann, Spieß, Gebert, Eüinger Beutel,
9 Fabrikanten: Kraut, Mayser, Kraus, Käß, Commercll, Bürg, Henning, Hähnle, Erhardt,
6 Kaufleute: Schwcickhard, Betz, Lang, Binz, Schuhmacher, Bueble»
5 Handwerksmeister: Münzing, Beurlen, Schund, Weidle, Slorz,
3 höhere Staatsbeamte: v. Mittnacht, von Luz, v. Balz,
3 Wirte: Schach, Tag, Scheer,
3 Journalisten: Schmidt, Eckard, Schrempf. 3 Baumeister: Gabler, Vogler, Rapp,
2 Philologen: Klaus, Hartranft,
2 Bolksschullehrer: Nußvaumer, Egger,
2 Berufspolitiker: Kloß, Glaser,
1 Geistlicher: Eggmann,
1 Tierarzt: Deutler,
1 Bankbeamter: Schnaidt.
S l u t t g a r t, 20. Febr. Die Influenza. Diese tückische Krankheit, welche stets epidemisch auftritt, hat in letzter Woche ihren Einzug in Stuttgart derart gehalten, daß die Aerzte jetzt die meistbeschäftiglen Personen in der Stadt sind. Besonders am letzten Donnerstag kamen massenhafte Erkrankungen vor, ebenso am letzten Sonntag; zum Glück zeigten die Krankheitsfälle , bis jetzt keinen bösartigen Charakter. Ob die Krankheit ansteckend, d. h. von Individuum zu Individuum übertragbar sei, ist derzeit noch eine ungelöste Frage; sicher aber verbreitet sie sich miasmatisch, ö. h. durch die Luft und ergreift daher oft gleichzeitig ganze Familien.
Stuttgart, 18. Febr. Gestern weilte ein Matrose, welcher sich auf dem nach dem Untergang der „Elbe" geretteten Boot befand, hier. Der Betreffende, welcher in den Lokalen natürlich von allen Seiten interwiewt wurde, bekundet, daß der englische Kohlendampfer sämtliche Mannschaft der Elbe hätte retten können, wenn er nur gewollt hätte. Die Behauptung des Kapitäns des englische» Kohlcndampfers, die Elbe sei weitergefahren, als ob sie leinen Schaden gelitten Hütte, sei eine Lüge; die Elbe sei konstant auf der Unglücksstätte geblieben. Der Matrose rühmt die Haltung des Kapitäns der „Elbe", den er noch sah, als ihm das Wasser über die Hüfte ging; der Kapitän habe einer Aufforderung, sich ebenfalls zu retten, gegen-