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Herr Sendler blieb auf der Schwelle stehen und blickte erstaunt aus die Beiden.
„Was ist geschehen?" fragte er erschreckt. „Ein Unglück im Geschäft — ?"
„Ja, ein Unglück im Geschäft!" erwiderte sein Associe und deutete auf den Buchhalter, dann legte er mit kurzen, kalten Worten den Sachverhalt dar.
Sendler zuckte zusammen und starrte Hügel mit weitaufgerissenen Augen an.
„Mein Gott! — Das — das ist ja unmöglich! Hügel, sprechen Sie! Was haben Sie da gethan? Eine Malversation — Sie — wer hätte das gedacht!"
„Nachdem man ihm mit freundschaftlicher Gnade an die Hand gegangen ist!" murmelte Weller mit einem bitteren Lächeln. „So kann man sich im Leben täuschen!"
„Aber — es ist ja nicht wahr!" schrie Hügel verzweifelt auf.
Herr Sendler setzte sich schweigend und sah unentschlossen bald aus den so furchtbar Angeschuldigten, bald aus seinen Kompagnon, als wage er es nicht, sich ein bestimmtes Urteil zu bilden.
Weller trat wieder an den Buchhalter heran.
„Hügel, ich sagte Ihnen bereits, es giebt vielleicht noch einen Standpunkt, von welchem aus wir Ihr Vergehen mir verhältnismäßiger Milde zu beurteilen vermöchten," sagte er mit leiser, mitleidiger Stimme. „Sie haben in einem Augenblick, wo die Verzweiflung Ihren klaren, rechtlichen Blick trübte, die Hand nach dem Gelde ausgestreckt, um Ihren Verpflichtungen nachzukommen; Sie wollten vielleicht das Vermögen Ihrer Mutter durch eine neue Operation znrückgewinnen — und diese ist eben gleichfalls sehlgeschlagen. Ich erblicke in Ihnen auch keinen gemeinen Betrüger, keinen Defraudanten, sondern nur einen schwachen Menschen, der sich von der Verblendung Hinreißen ließ, die das Verhängnis aller Spieler ist. Sie haben uns neulich durch ein halbes Geständnis bereits vorbereitet auf das, was kommen mußte, oder Sie hofften vielleicht noch in diesen Tagen das Manquo ersetzen zu können — der vom Spielteufel Besessene baut ja seine Hoffnungen noch auf einer Nadelspitze auf. Nun aber — sehen Sie ja. daß keine Beschönigung, kein Auskunftsmittel mehr möglich ist. So thun Sie also das Einzige, was Ihnen noch übrig bleibt: bekennen Sie! — Ich für meinen Teil gestehe Ihnen, daß ich in diesem Falle nochmals Gnade für Recht ergehen lassen will. Auch Herr Sendler wird, wie ich seine Güte, sein Wohlwollen sür Sie kenne, schon aus Rücksicht für Ihre brave, bedauernswerte Mutter, die gewiß keine Ahnung von diesem Fehltritt hat, meinen Entschluß teilen. Sie scheiden aus unserem Hause und wir werden keine behördliche Anzeige erstatten, ja wir wollen Ihnen sogar ein anständiges Zeugnis ausstellen, denn ich bin vollkommen überzeugt, daß Sie aus diesem Vorfälle die beste Lehre für die Zukunft ziehen und die Bahn des Rechtlichen nicht wieder verlassen werden!"
Sendler nickte bei jedem Satze bestätigend mit dem grauen Haupte. Hügel lag mit den Armen auf seiner Stullehne und schluchzte wie ein kleines Kind.
„Aber jetzt — bekennen sie!"
Leopold hob das thränenbedeckte Gesicht empor und blickte flehend aus den Chef. Seine Frnger waren in die zerrauften Haare gekrallt, sein ganzer Körper zitterte convulsivisch.
„Herr Weller. Sie sind ja so gut — so großmütig — ich weiß, daß Sie ja nur nach dem Schein urteilen, der wirklich wider mich zeugt — aber — ich habe keinen Beweis, kein Rechtsmittel — ich kann Ihnen nur schwören, daß ich unschuldig bin —"
Weller wandte sich unmutig ab und näherte sich seinem Compagnon.
„Was meinen Sie, Herr Sendler, zu dieser Verantwortung?"
„Herr Hügel, ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, sich die Worte meines Freundes und Associe's zu Gemüte zu führen!"
Leopold lachte ingrimmig auf und schüttelte den Kopf.
„Ah — Sie können mir nicht glauben! Und — ich stehe schutzlos da! Aber — was fällt mir da ein! — bitte, ziehen Sie doch bei dem Bankhause, durch welches ich meine geringfügigen Spekulationen betrieb. Erkundigungen ein; man wird Ihnen dort über den ganzen Umfang meiner Operationen Bericht erstatten. Es muß daraus hervorgehen, mit welchen kleinen Summen ich gearbeitet habe — eben mit dem geringen Kapital, das mein Vater als Erbe hinterließ."
„Hm," meinte Weller. „Sie werden doch das selbst einsehen, daß das kein genügender Beweis ist, denn Sie könnten ja ebenfalls unter fremden Namen an anderen Orten spekuliert haben."
„Aber seine Gläubiger müßten ihn doch kennen", wandte jetzt Herr Sendler leise ein, „oder er müßte doch einige der Papiere bei sich haben, wenn er die Werte direkt ankaufte. Man muß wenigstens Alles thun —"
„Gut, er soll nicht sagen, wir hätten bloß einen Grund wieder ihn vorgcbracht," sagte Weller mit einem plötzlichen Entschlüsse. „Es soll sofort eine Hausdurchsuchung durch den Amtmann bei ihm vorgenommcn werden!"
Hügel zuckte bei diesen Worten jäh zusammen und sprang auf, während Weller schon nach der Klingel griff, um den Hausdiener herbeizurufen. Leopold's plötzliche Bewegung konnte den beiden Chefs nicht entgehen.
„Ah, sehen Sie!" rief Ferdinand hastig. „Warum fahren Sie da auf?"
„Weil — weil ich an meine arme Mutter denke", schluchzte der Buchhalter, „an meine unglückliche Mutter, die diese Schmach tödten wird!"
„Hätten Sie das früher bedacht, dann wäre es der armen Frau erspart geblieben. Sie haben ja auch, gesetzt den Fall, daß Sie schon wahr sprächen, durch das Spekulieren mit ihrem Kapital sehr wenig Rücksicht aus sie genommen. Das war Leichtsinn — und Leichtsinn Motiv bildet die Kelle zwischen den Stationen, die Ihr Sittlichkeitsgefühl durchmachte, ehe Sie — auf den letzten Standpunkt kamen. Fragen Sie den nächstbesten Kaufmann, ob er nicht in jedem leichtsinnigen Spekulanten die psychologische Erklärung Ihres Vergehens findet. Und ein leichtsinniger Spekulant zu sein oder wenigstens: gewesen zu sein, mußten Sie ja selber zugestehen — das hat schon einen gewissen anrüchigen Leumund an Ihre Fersen geheftet, der Ihnen allein schon verhängnisvoll werden könnte."
(Fortsetzung folgt.)
V. Monats-Kalender der Monatsschrift „Der Obstbau." — Januar. Es kommt darauf an, ob frostfreies Wetter oder nicht. Bei Frost ist im Obstgarten nicht viel zu machen, als daß man manchmal nach dem Nötigsten (Hasenschutz, Baumpfähle re.) sieht. Dagegen kann man bei frostfreiem Wetter Bäume ausputzen, Moos abscharren, Raupennester vertilgen, mit Kalk anstrcichen, die Baumscheibe lockern, düngen. Mit dem Schnitt des Formobstes ist zu beginnen. Man schneide Stecklinge u. Edelreiser. Das Obstlager mustern und auslesen. Die Vögel füttern. Das Beerenobst beschneiden und düngen. Im Gemüsegarten graben, rigolen, düngen (bei offenem Boden). Die ersten Mistbeete (zu Gartensalat, Gurken, Blumenkohl, Radieschen rc.) anlegen. Sind Wintersalat und Spinatstöcke durch Frost gehoben, dann dieselben andrücken und behäufeln. Das Kellergemüse sauber halten. Im Blumengarten lassen sich Aurikeln auf Schnee säen, Knollen von Anemonen und Ranunkeln, Hyazinthen, Tulpen rc. auspflanzen (bei Frost schützen); den Rasen muß man mit Kompost und Gülle schützen. Stecklinge sind nun zu machen von Fuchsien, Geranien, Abutilon, Cuphcen, Petunien rc. Die Stubenpflanzen nur gießen, wenn sie ganz trocken geworden sind, und zwar nur mit warmem Wasser; Staub, dürre Blätter rc. darf man nicht leiden. Den Kübelpflanzen im Keller möglichst oft Licht und Luft geben; das ist ihnen nötiger als Wasser.
Der ärgste Feind der Bienen ist die Wintersonne, besonders im Januar, Februar und März. Liegt frischgefallener lockerer Schnee, das Thermometer zeigt im Schatten zwei bis drei Grad unter Null und die Sonne scheint in den Mittagstunden auf die Stöcke und Fluglöcher, so stürzen die Bienen oft schaarcnweise hervor, fahren geblendet in den Schnee oder erstarren im Schatten auf der kalten Erde. Ein einziger solcher Tag reicht hin, um einen ganzen Stock zu schwächen, so daß die Völker im Nachwinter zu Grunde gehen. Nie dürfen die Völker auf ' einem Südstande überwintert werden. Vergleichende Versuche haben uns gelehrt, daß die s Völker, welche freistehend auf einem Südstande - überwintert wurden, immer den meisten Honig verzehrten. Am schwächsten zehren stets die i Völker, welche im Winter durch keinen Sonnenstrahl aus ihrer Winterruhe gestört wurden.
Bei dem Ausmarsche eines Regiments rief ein in seiner Thür stehender Wirt einem davoneilenden Soldaten zu: „He, Mosje, hier stehen auch noch drei Krüge Bier von gestern Abend!"
— „Trinkt sie nur aus. sonst werden sie sauer!" erwiderte Jener, und lief weiter.— (Unteroffizier: „Was versteht man unter einer Division?" — Rekrut: „Ein Rechenexempel."
sBeim Zahnarzt.) Zahnarzt: Siebrauchen den Mund nicht noch weiter zu öffnen, es genügt vollkommen! I hob halt
denkt, daß Sie mit der Zange rein müaßten. — Zahnarzt: Mit der Zange schon, aber ich selbst werde außen bleiben!
sEin guter Kerl.) A.: „Warum sind Sie denn nicht mehr Vegetarianer?" — B.: „Weil mich mein Waldl beim Essen immer gar so j traurig ang'schaut hat — und das Hab' ich ! nimmer ausg'halten!" — sAus einem Aufsatz.) ! . . . Es giebt auch Hunde, die im Meer leben. Solche sind der Seehund und der Rollmops.
„Mein Fräulein, der höchste Wunsch meines Lebens ist, mir einen eigenen Herd zu gründen ..."
— „So sprechen Sie doch mit meiner Mut
ter?" — „O, teure Laura, so dürfte ich hoffen- ...?"— „Warum nicht? ich glaube meine Mutter würde — ganz gern noch einmal heiraten!" i
(Daher der Name.) „Aber, Schaffner, wir sitzen schon wie die Häringe und Sie pfropfen immer noch mehr Passagiere hinein;" — „„Ja, ^
wissen Sie, heute muß ins Coupe, was hinein kann; — das ist nämlich ein Bergnügungszug!""
Telegramme.
Berlin, 25. Jan. Reichstag. Erste Beratung des Binnenschifffahrts- und des Flößereigesetzes. Staatssekr. Nieberding betont, die Vorlagen bilden Teile des bürgerlichen Gesetz- ! buchs, welches den Reichstag voraussichtlich ! nächstes Jahr beschäftigen werde. Die Vorweg- s nähme dieses Gegenstandes war erforderlich wegen ! der infolge des gesteigerten Verkehrs immer stärker : hervortretenden Lücken der Gesetzgebung. Der Binnenschifffahrtentwurf sei mit den Interessenten, t Vertretern der Kleinschifffahrt, gründlichst durch- i beraten worden. Das Gebiet sei zu groß, um ^ die Einzelheiten hier zu besprechen. Letocha (Zentr.) begrüßt die Vorlage freudig und bean« : tragt Verweisung an eine Kommission. Rickert (Freis. Ver.) stimmt zu; namentlich sei die Förderung der Kleinschifffahrt erfreulich.
Augsburg, 25. Jan. Infolge eines schweren Schneesturmes blieb ein Güterzug bei Gersthofen 2 Stunden lang stecken.
Lahr, 25. Jan. Moritz Schauenburg, der Chef der Geigerschen Verlagsanstalt, der . Verleger des „Lahrer Hinkenden Boten." des „Kommersbuches" u. s. w. und Mitbegründer ! des Reichswaisenhauscs, ist soeben einem langwierigen Nierenleiden erlegen.
London. 25. Jan. Nach einer Meldung der „Times" aus Shanghai vom 24. Januar haben die japanischen Truppen jetzt Wai- ^ Hai-Wai eingeschlossen. Von den Chinesen wird behauptet, Wai-Hai-Wai habe eine Besatz- ! ung und Lebensmittel, die gestatten, einem längeren Angriff zu widerstehen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.