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Ausland.
Pest, 28. Sept. Die klerikalen Magnaten sind entrüstet über die Zuschrift des Papstes an den Fürstprimas, worin der Papst erkürt, man müsse, falls die Kirchenvorlagen Gesetzeskraft erhalten, sie gedulia über sich ergehen lassen. Die Bischöfe beschlossen, an dem Standpunkt der von ihnen allen Unterzeichneten Denkschrift auch ferner festzuhalten. In der Vorlage über die Reception der Juden ist ein neuer Paragraph eingeschaltet: „Seelsorger und Lehrer können nur Juden, die ungarische Staatsbürger sind, sein."
Paris, I. Okt. Die „Revue de Paris" veröffentlicht heute einen Aufsatz über Madagaskar aus der Feder des jungen Prinzen! Henri d'Orleans, in welchem eine kriegerische Expedition nach Madagaskar als unerläßlich bezeichnet wird. Frankreich sei es seiner Würde schuldig, ein barbarisches Volk zur Anerkennung seiner Rechte zu zwingen, die es so oft angesichts der ganzen Welt verkündet habe. — Im Sevennengebiete richtete in der verflossenen Nacht ein Schneeorkan große Verheerungen an. Durch den Frost wurde die Reben- und Kartoffelernte stark geschädigt.
Der französischen Republik hält Paul Cassagnac ein böses Spiegelbild vor. Laut einer Verbrecherstatistik, welche die 30 Jahre von 4860—1890 umfaßt, hat die Zahl der Verbrechen gegen das Leben um 62°/o für einfache Tötung und um 44°,'„ für Mord zugenommen. 1860 wurden 18 Todesurteile, 1890 aber 32 gesprochen. Cassagnac bemerkt hiezu: „Wenn es richtig ist, daß man den Baum an seinen Früchten erkennt, so beweisen diese jammervollen Ziffern, daß der Staat ohne Gott, ohne Religion, der Laien- und Freimaurerstaat uns immer tiefer in die moralische Fäulnis herabzieht und da tritt die Frage auf, ob dereinst, wenn die Vorsehung den Retter schickt, von Frankreich noch soviel übrig bleibt, daß er erhalten zu werden verdient. Es wird dann vielleicht schon zu spät sein." — In Frankreich gab es im Jahre 1893 334 Streiks, die sich auf 4386 Betriebe verteilen und an denen 173 123 Arbeiter teilnahmen, 24,5 °/o verliefen mit einem nur vorübergehenden Erfolg für die Arbeiter, 43°/a mit einem sofortigen totalen Mißerfolg und 32,5 °/o wurden durch Ausgleich beendigt, der zu d/,g auch je einen Mißerfolg bedeutete. Die Gesamtzahl der verlorenen Arbeitstage betrug 3 170000. der Verlust an Arbeitslohn mindestens 10 Millionen Francs.
Der bisherige Botschafter Frankreichs in London, Decrais, beabsichtigt definitiv zurückzutreten, als sein Nachfolger gilt Baron de Courcel. Inwiefern dieser Botschafterwechsel vielleicht mit der behaupteten Spannung zwischen England und Frankreich zusammenhängt, muß noch dahingestellt bleiben.
London, 1. Okt. Dem „Daily Chronicle" wird aus Petersburg berichtet, Rußland werde neutral bleiben, so lange Japan nicht Korea einverleibe oder Koreas Neutralität bedrohe.
In der Gegend von Innsbruck sind dieser Tage 2 Mordthaten verübt worden. Der Thäter ist unbekannt. Am Samstag fand man die 21jährige hübsche Tochter Schmuckbauers von Ambros. Gestern wurde in der Nähe des That- ortes eine zweite weibliche Leiche gräßlich verstümmelt und nackt aufgefunden. Die ganze verfügbare Gendarmerie und 2 Kompagnien Jäger siud auf die Suche nach dem Thäter geschickt. Die Art der Verstümmelung erinnert an die Morde von Whitechapel in London.
Florenz, 30. Sept. In dem Hause des Vermögensverwalters mehrerer reichen Familien, Corsini, wurde ein Einbruch verübt, bei dem eine Truhe mit einer Million Franken in Gold und Wertpapieren aus dem Arbeitszimmer entwendet wurde.
vermischtes.
Bjerlin, 22. Sept. Wir lesen in der „Kreuzzeitung" folgendes Geschichtchen: Ein Mann in bäuerlicher Kleidung schleuderte die Straße entlang, in der Hand ein versiegeltes
Päckchen mit einer Adresse, die eine Werterklärung über 500 Mk. trug. Ein Vorübergehender, dem das Benehmen des Mannes aufsiel, fragte ihn, was er suche. Als Antwort hielt der Bauer ihm das Päckchen hin und bat ihn, doch einmal die Adresse zu lesen, da er sie vergessen habe und selber nicht lesen könne. In einem Tone freudiger Ueberraschung rief der andere: „Das Päckchen ist für mich! Ich habe schon lang darauf gewartet." Der Bauer war froh, den Eigen- tümer entdeckt zu haben, und erbat sich als ausbedungenen Botenlohn nur 5 Mk., die ihm auch sofort gegeben wurden. Der neue Eigentümer des Päckchens ging nach Hause, um seinen Schatz in Augenschein zu nehmen; er fand aber nichts weiter, als ein Stück Pappe, auf dem das eine Wort stand: „Lackiert!"
Berlin, 27. Sept. Einen traurigen Beitrag zur Kinderpsychologie bildet die Meldung hiesiger Blätter, derzufolge gestern bei Treptow die Leiche eines 12jährigen Knaben aus der Oberspree gezogen worden ist. In einer Tasche des Kindes stak ein Zettel, der die Worte enthielt: „Papa will sich wieder verheiraten, ich mag aber keine Stiefmutter."
Einige Tausend Vereine zählt Berlin, das sind gerade genug. Die Berliner Vereinsmeierei wird mit Recht viel kritisiert und bespöttelt. Wenn wir dennoch die Gründung eines neuen Vereins freudig begrüßen, so geschieht es der gesunden Bestrebungen wegen, welche er verfolgt. Der Damenruderklub „D. A. F.", d. h. „Deutsche Amazonen-Flotte" veranstaltete am Samstag abend das erste Amazonenkränzchen, auf welchem die Damen in einfachen, aber sehr geschmackvollen Sportkostümen erschienen.
(Zehntausend Kilometer auf dem Dreirade.) Am Sonntag gegen 11 Uhr traf von Brünn kommend ein Radfahrer in Wien ein, der in einer Tour annähernd 10000 Klm. zurückgelegt hat. Es ist der Rentier Emil Hausadel aus Stettin, ein Herr von 56 Jahren, der seit einiger Zeit auf dem Rade die Welt durchstreift und sich dabei recht wohl befindet. Heuer fuhr er von Stettin über Berlin, Nürnberg, Innsbruck, Venedig, Genua, Rom. Neapel, dann durch die Schweiz über Chur, Zürich, Basel nach Paris zurück nach Rastatt, Köln, Rotterdam, Amsterdam, Bremen, Hamburg durch Meklenburg zum Ostseeufer über Danzig, Königsberg, Tilsit, Memel, von da durch Posen, Schlesien, Böhmen und Mähren zur Donau. In Wien, wo er vor zwei Jahren schon Gast der „Wanderer" gewesen, wird er sich diesmal zwei Tage aufhalten.
Die Giftschlange Deutschlands, die Kreuzotter, hat sich in diesem Sommer in der Mark, speziell aber im Westhavelländischen Kreise derartig vermehrt, daß sich der Kreis-Ausschuß für Westhavelland veranlaßt sieht, für die Vernichtung des giftigen Reptils Prämien auszusetzen und zwar werden von jetzt an für jedes getötete Exemplar 50 Pfg. aus Kreismitteln gezahlt.
An dem neuen Gasthof zu Varzin, dessen Bau seit 8 Tagen große Fortschritte gemacht hat, ist jetzt ein Schild befestigt mit der Aufschrift: „Gasthof zum alten Kurs!"
Aus Bayern, 23. Sept. Im „Laberboten" wird, wie aus dem „Bayer. Vaterld.,, zu ersehen ist, folgende seltsame Anzeige veröffentlicht; „Warnung. Da mir von Allerhöchster Stelle vom 1. Juli 1894 an der Titel Aufschlag-Verwalter verliehen und dies in den Zeitungen bekannt gemacht worden ist, sehe ich mich veranlaßt, weiters bekannt zu geben: daß diejenigen Persönlichkeiten, welche den Titel Ausschläger gegen mich und meine Frau fortgebrauchen, von nun an Ehrenkränkungsklage durch mich zu gewärtigen haben. Geiselhörnig, den 22. Sept. 1894. Grabenbauer, k. Aufschlagverwalter." Wie glücklich und wie — unverständig macht doch manche Leute ein Titel!
Ueber deninHattenhofen stattgefundenen „Viehandel nach Kilometer" (s. Nr. 147 des
„Enzthälers") wird nachträglich noch geschrieben: Der Hirschwirt R., der den Handel noch rückgängig machen wollte, ist noch gut weggekommen. Er muß dem Käufer G. 40 Mk. und dazu die Kosten des Advokaten, dem die Sache bereis übergeben war, bezahlen. Wer den Schaden hat. darf auch hier für den Spott nicht sorgen
Baisingen, 26. Sept. Von einem tragi-komischen Geschick wurde gestern abend ein Schornsteinfeger ereilt welcher im hiesigen Orte beschäftigt war. Als er sein' rußiges Tagewerk beendet hatte, wollte er sich seiner schwarzen Hülle entledigen, wählte aber verhängnisvoller Weise als Ankleideraum den Gaststall des „Löwen" in welchem ein auswärtiger Metzger ein Stück Vieh eingestellt hatte. Sei es nun durch den Anblick der schwarzen Gestalt, die sich auf einmal in strahlendes Weiß verwandelte, sei es aus anderer Ursache: kurz, als der biedere Kaminkehrer gerade im sog. Adamskostüm dastand, wurde die Kalbin scheu, ricß los und rannte wie rasend im Stall umher. Da kam nun dem Handwerksmann seine Kletterkunst zu gute. Schleunigst schwang er sich in die Raufe empor und rief von dieser sicheren Burg aus um Hilfe, die ihm auch bald wurde. Daß sich die Befreier bei dem gewiß ungewohnten Anblick des Helden einigen Lächelns und auch Spöttelns nicht enthalten konnten, wird ihnen niemand verübeln.
Paris, 24. Sept. Dem „P. Parisien" wird aus Lo u rd es telegraphiert, in der dortigen Kirche Saint-Paul habe ein Kerl gestern während des Gottesdienstes den Ruf „Vivs I'unaredi!" ausgestoßen und dann seinem Nachbar, einem Pilger aus Auch, mehrere Messerstich e in den Rücken versetzt. Unter den Anwesenden entstand ein furchtbarer Schrecken, und man hatte die größte Mühe, den Attentäter, den man für wahnsinnig hält, festzunehmen und den Gendarmen auszuliefern.
Aus Amerika, 26.Sept. Flaschen,Fässer Eisenbahn cäder und Schiffe aus Papier sind im Lande der Jankees keine Neuerung mehr. Daher wird es niemand wundern, zu erfahren, daß nun auch Telegraphenpfähle aus Papier gefertigt werden. Dem Brei der Masse werden Borax, Salz und andere Stoffe beigemischt, um den Pfählen die nötige Härte zu geben. Die neuen Pfähle sind innen hohl und viel leichter und widerstandsfähiger als die hölzernen Stangen.
(Wie die Völker schlafen.) Der Europäer oder Amerikaner schläft nur dann angenehm und bequem, wenn er ein weiches Kopfkissen unter seinem Haupte hat, doch der Japaner streckt sich auf einer Matte auf den Boden hin und schiebt einen harten, viereckigen Holzblock unter seinen Kopf; ohne denselben würde er schlecht schlafen. Der Chinese hält viel auf sein Bett, welches sehr niedrig, öfter aber fein aus Holz geschnitzt ist. Er bettet sich jedoch nie weicher, als Malten dies erlauben. Während die Leute nördlicher Länder nicht schlafen können, ohne genügenden Raum zu haben, um ihre Beine auszustrecken, rollen sich die Bewohner der Tropen wie die Affen zusammen und schlafen auch in dieser Lage gut. Der Engländer bedeckt sich mit ein paar Decken und schläft oft bei offenem Fenster im kalten Winter. Der Russe dagegen schläft nirgends lieber, als auf dem großen Ofen in seiner Behausung. Ist er am Morgen aus diesem heißen Bett gekrochen, so nimmt er ein kaltes Bad, sollte er auch die Eisdecke von dem Wasser entfernen müssen. Der Lappländer kriecht mit dem Kopf in einen Sack aus Renntierfell und schläft darin warm und bequem. Der am andern Ende der Welt lebende Ostindier hat auch einen Schlafsack, doch ist dieser luftiger als der des Lappen und hat den Zweck, die Moskitos fern zu halten. Der Engländer hat sein Federkopfkissen, doch liebt er Stroh- und Haarmatratzen. Biele Deutsche schlafen auf und unter einem Federbett. Es ist für den Fremden oft ein Rätsel und eine Kunst, sich die ganze Nacht hindurch mit einem solchen Bett bedeckt zu halten. — Fdgr. —
sBallunterhatlung.j Herr: „Singen Sie auch, gnädiges Fräulein?" — Dame: „Ja, aber — nicht laut!"
Fortsetzung in der Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.