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werden. Träger der Versicherung ist für die > staatlichen Betriebe der Staat, für die anderen Betriebe bilden teils örtliche Unfallversicherungs- genosfenschaften. teils nach Betriebszweigen ge­ordnete Berufsgenossenschaften die Träger der Versicherung. Die Aufbringung der Mittel erfolgt im allgemeinen durch das Kapitaldcckungs- verfahren. die Bildung von Berufsgenosfenschaften geschieht auf Antrag von Betriebsunternehmern oder Unternehmerverbänden. Als Schiedsgerichte dienen die für die Jnvaliditäts- und Altersver­sicherung eingesetzten Schiedsgerichte. Die Auf­sicht über die Handhabung des Gesetzes führen das Reichsversicherungsamt und die Landesver­sicherungsämter. Im Uebrigen sind namentlich die Bestimmungen des Entwurfes über die Or­ganisation und über das Verfahren sehr ein­gehender Natur. Der ganze gewaltige gesetz­geberische Stoff ist in 140 Paragraphen gegliedert; ausdrücklich betont die Begründung, daß der Entwurf den Schlußstein der Unfallversicherungs- gcsetzgebung darstelle.

Berlin, 22. Juni. Die Statistische Corr. beziffert den Saaten stand in Preußen Mitte Juni wie folgt: Winterweizen 2,6, Sommer- weizen 2,5, Winterspelz 1.9, Sommerspelz 2,0, Winterroggen 2,5, Sommerroggen 2,7, Sommer­gerste 2,5, Hafer 2,5, Erbsen 2.5, Kartoffeln 2,6, Klee 3,7 Wiesen 2,8. Die Ziffern bedeuten 1 sehr gut, 2 gut, 3 mittel, 4 gering. 5 sehr gering.

Das 11. deutsche Bundesschießen in Mainz nimmt einen glänzenden und erhebenden Verlauf und bewegt sich in durchaus patriotischem Rahmen. Die zahlreiche Teilnahme österreich­ischer Schützen an dem Feste hat in seinem Ver­laufe zu wiederholten begeisterten Kundgebungen für das deutsch-österreichische Bündnis geführt.

München, 23. Juni. Fürst Bismarck wird derAllgem. Ztg." zufolge über Berlin nach Varzin reisen und vorher Schönhausen be­suchen.

Bayreuth, 23. Juni. Der Forst- praklikant Rau in Lehesten wurde von Wilderern erschossen; die Leiche wurde in einen Teich versenkt.

Herzog Günther über die Landwirtschaft.

Bei dem am 9. d. M. abgehaltenen Adelstage hat der Ehrenpräsident der Adelsgenossenschaft, Se. Hoheit Herzog Günther von Schleswig- Holstein, der Bruder unserer Kaiserin, eine Rede gehalten, aus der wir hier folgendes herausheben wollen:Ich bin in der glücklichen Lage, recht reichlich von dem schlechtem Boden zu besitzen, den wir in Deutschland überhaupt haben, und was dies in der heutigen Zeit bedeutet, wird wohl jeder von ihnen genau wissen. Zur näheren Illustration erlaube ich mir Ihnen mitzuteilen, daß ich den Versuch machte, solchen Boden, der bisher von mir bewirtschaftet wurde, an die kleinen Leute zu verpachten. Sie boten mir an vielen Stellen 1.50 Mk. pro Morgen und ich war noch im Zweifel, ob man denselben dafür weg­geben sollte. Meine Wirtschaftsbeamten erwider­ten mir, die Leute würden, nach dem der Dünger­gehalt aus dem Boden gezogen, nach sechsjähriger Pacht denselben nicht wieder nehmen. Trotzdem ist bei mir ein Arbeitermangel nicht vorhanden. Denn mein Vater und Großvater haben unter Mitwirkung tüchtiger Beamten eine blühende Industrie geschaffen, die nicht etwa auf den Er­zeugnissen des Bodens basiert, sondern mit eng­lischem Eisen arbeitet, früher mehrere Meilen von der Bahn entfernt. Hierdurch werden die besten Elemente der Gegend beschäftigt, die älteren Leute und die, welche körperlich nicht kräftig genug sind, kehren in die Forst« u. Landwirtschaft zurück. So ist ein Zusammengreifen der Kräfte geschaffen, welches ermöglicht, daß ich weder der Arbeiter­bewegung noch der Not unserer Landwirtschaft mit Angst persönlich entgegenzusehen brauche. Es wird dadurch weiter eine Verteilung der Arbeitskräfte erreicht, indem das platte Land selbst diese Kräfte aufsaugt. Man ist in der Lage, an dichtere Bevölkerung Butter und Milch abzusetzen. Was für den größeren Besitz mög­lich, ist ja allerdings nicht für den kleineren immer ausführbar, aber ich meine, durch den Zusammenschluß, durch Genossenschaften ließe sich

noch viel erreichen, wenn nämlich soviel Kame­radschaftlichkeit noch bei dem Wohlhabenden vor­handen wäre, daß er dem Schwächeren mit auf­zuhelfen suchte und nicht achselzuckend seinem Ruin zusehe, sondern an die Stelle des jetzt meist jüdischen Kapitalisten treten würde, dem der andere verschuldet ist. Es wäre hier aber auch dringend wünschenswert, daß Mitglieder des Adels, jüngere Söhne oder auch zukünftige Besitzer selbst, sich die kaufmännischen und tech­nischen Kenntnisse erwerben, um selbständig irgend einem industriellen Betrieb vorzustehen. An anderer Stelle bemerkte der erlauchte Redner :Bon vielen Seiten kommt der Ruf, zurückzukehren zu einfacheren Verhältnissen, Ver­minderung des Luxus, gewiß mit Recht. Ich möchte das Hauptgewicht auf die Gegenwirkung gegen den unwahren Schein legen, auf die Er­weckung des Anscheins, daß Wohlstand vorhanden, wo er in Wirklichkeit nicht da ist, auf das Streber- tum. welches bei uns in so hohem Maße Platz gegriffen, wo jeder mehr scheinen will, als er ist. Arbeiten wir einseitig gegen den Luxus, so ruinieren wir damit auch ein^ Menge kleiner Existenzen, die wieder von diesem Luxus leben, arbeiten wir lieber gegen die Mißgunst des anderen, welcher dem Luxus seines glücklicheren Nachbars nachzueifern bestrebt, weil er glaubt, sonst dem anderem nicht gleichgeachtet zu werden. Der Luxus macht nicht die Achtung des Menschen, sondern der Charakter des Betreffenden; der Märkische Adel ist ein starkes kerniges Geschlecht geworden, trotz seines armen Bodens, umgekehrt ist der Luxus nicht eine Notwendigkeit des Ru­ins, sondern nur der Luxus, der in keinem Ver­hältnis zu den Einnahmen des Ausübenden steht.

Württemberg.

Stuttgart, 23. Juni. Vor einigen Tagen gab es in dem RestaurantIhle" in der Schellingsstraße einen Wortwechsel zwischen dem Viehhändler Seligmann Rotschild von Cannstatt und einem Reisenden. Kaufmann Weingärtner, Friedrichsstraße, mischte sich in den Streit. In­folgedessen kam Rotschild mit Weingärtner ins Handgemenge und warf diesen heftig zu Boden, so daß Weingärtner eine große klaffende Wunde am Hinterkopf erhielt, mehrere Tage über heftige Schmerzen klagte und schließlich in das Spital verbracht werden mußte. Dort verfiel er in Tob­sucht und ist heute vormittag 10 Uhr gestorben

Stuttgart, 22. Juni. Vorgestern abend verlor ein von hier nach Köln reisender Ameri­kaner seine Brieftasche mit einem Wertinhalt von 18000 aus dem Bahnhofe; dieselbe wurde von einem Portier gefunden und alsbald dem Eigentümer zugestellt. Als Belohnung erhielt der glückliche Finder eine Zigarre.

Ulm, 24. Juni. Die Kunstwvllfabrik von Gläser in Ehrenstein ist in der vergangenen Nacht 3 Uhr vollständig niedergebrannt.

U l m, 22. Juni. Die"städtischen Kanzleien sind neuestens mit Rettungsapparaten (Seilen, Laternen rc.) versehen worden, was bei der Bauart des Rathauses nur als dankenswerte Vorsichtsmaßregel bezeichnet werden kann.

Der Schulden stand der größeren Städte Württembergs stellt sich wie folgt: Stuttgart 17 290 000 Mk.. Ulm 3 769 700 Mk.. Heilbronn 3 807 956 Mk.. Eßlingen 974 000 Mk.. Cann­statt 2 350000 Mk., Reutlingen 1 989 400 Mk., Ludwigsburg 1015800 Mk., Gmünd 603900 Mark, Göppingen 917 700 Mk., Tübingen 516313 Mark, Ravensburg 767000 Mk., Tuttlingen 327 184 Mk., Hall 394 643 Mk.. Biberach 130050 Mark, Heidenheim 564036 Mk., Aalen 244 150 Mark.

Ausland.

Wien, 23. Juni. Der Kriegsminister v. Krieghammer, der sich im Gefolge des Erzherzogs Albrecht auf einer Generalstabsreise in Galizien befindet, stürzte heute auf einer Fahrt in der Nähe von Brzezan aus dem Wagen und erlitt einen Armbruch. Der Chef des Ge­neralstabes, v. Beck, der mit ihm im Wagen saß, erlitt einige Quetschungen. Der Zustand beider ist unbedenklich.

London, 23. Juni. Den letzten Nach­richten zufolge werden in Corea ernste Ver­wickelungen zwischen England und Rußland einer-

seits und Japan und China andererseits be­fürchtet. Die Lage hat sich verschlimmert, seit­dem Japan fortfährt, nach Corea Truppen zu entsenden. Die chinesische Flotte ist in Chemulpo angekommen.

New - Iork, 23. Juni. Die ausständigen Bahnarbeiter und Metallarbeiter in Pennsyl- vanien haben zahlreiche Waggons und Arbeiter« gerätschaften in Brand gesteckt. Mehrere vor­bereitete Dynamilattenrate wurden noch recht- zeitig vereitelt.

Unterhaltender Teil.

Ein Gewissenskampf.

Erzählung von E. Balkwitz.

(Nachdruck verboten.)

(Schluß.)

Wenn auch augenbltcklich nichts von dem Kästchen zu erblicken gewesen war, so war die Möglichkeit, doch nicht ausgeschlossen, daß es später noch an den Strand gespült, gefunden und ihr zurückgegeben werden konnte. In der Hoffnung darauf hatte Lady Rowdey damals mit ihren Unglücksgefährten den Strand verlassen, um eine menschliche Behausung aufzusuchen. Sie durften damit nicht länger zögern, wollten sie nicht den Folgen der durch Kälte, Nässe rc. erlittenen Beschwerden erliegen.

So waren sie denn, so schnell als es ihre erschöpften Kräfte zugelaffen, in das Land hinein­gewandert, bis sie einen Weg gesunden, der sie glücklicher Weise bald in eine kleine Ortschaft geführt, deren Einwohner ihnen bereitwilligst alle nur mögliche Pflege hatte angedeihen lassen. Hier hatten sie erfahren, daß sie sich aus däni­schem Boden, und zwar auf der Insel Bornholm befanden, in deren Nähe ihr Schiff seinen Unter­gang gefunden.

Lady Rowdey hatte so bald wie möglich eine Bekanntmachung erlassen, in der sie dem Wiederbringer ihres Schmuckkastens eine hohe Belohnung zugesichert. Sie hatte bestimmt ge­glaubt, durch die große ausgesetzte Summe den Finder zur Ehrlichkeit zu veranlassen. Aber allem Anschein nach verfehlte sie ihren Zweck damit, denn Tag um Tag war vergangen, ohne daß sie ihr Eigentum wieder erhalten hatte. Inzwischen waren viele andere Gegenstände an das Land geschwemmt worden, die sich auf dem Wrack befunden hatten, wodurch Lady Rowdey immer mehr in ihrer Ansicht bestärkt worden war, daß das kostbare Kästchen auch das Land erreicht haben mußte. War es doch erst ihrer Hand entfallen, als sie sich schon ganz nahe dem Strande befunden hatte!

Zu wiederholten Malen hatte sie die aus­gesetzte Belohnung erhöht, aber immer ohne den gewünschten Erfolg!

Da hatte sie die Ueberzeugung gewonnen, der Finder habe, durch den von ihr ausgesetzten, ungewöhnlich hohen Finderlohn neugierig ge­macht. das Kästchen geöffnet und, von dem Glanz der Juwelen geblendet, der Versuchung nicht widerstehen können, dieselben als sein unrecht­mäßiges Eigentum zu behalten. Deshalb hatte sie noch eine Bekanntmachung erlassen, in der sie mit herzerschütternden Worten den Finder gebeten, ihr nur das Bild ihres verstorbenen Gatten zurückzusenden.

Und dann hatte es sich gezeigt, daß ihre Annahme richtig gewesen! Denn einige Tage später hatte sie durch die Post ein kleines Päckchen erhallen, in dem sich das erbetene Bild befunden. Aber in welch' einem Zustande!!

Die Einfassung von Brillanten war augen­scheinlich von roher Hand abgebrochen und das Bild selbst dabei so arg beschädigt worden, daß das schöne, wohlgetroffene Antlitz des teueren Verstorbenen kaum noch zu erkennen gewesen war.

Heißer Groll und Haß gegen den unbe­kannten Uebelthäter war bei diesem Anblick in der Brust der unglücklichen beraubten Gattin erwacht, und aus diesen Gefühlen entsprang der heiße, leidenschaftliche Wunsch, der sie nie mehr verlassen hat, an ihm, der ihr so wehe gethan, ein Mal Vergeltung üben zu können.

Mit diesem Rache-Verlangen im Herzen hatte Lady Rowdey damals Bornholm verlassen und war nach England zurückgekehrt, zu ihrem kleinen Töchterchen, das sie für die Zeit ihrer