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Abwesenheit in der treuen Abhut ihrer dort lebenden Schwester gelassen hatte.

Und jetzt nach vierzig Jahren war ihr so lange gehegter Wunsch endlich erfüllt! Sie konnte Vergeltung üben!

> Der Anblick des Berloques hatte ihren Ver­dacht sogleich erregt. Einen eben solchen Toten­kopf hatte Lord Rowdey zu seinen Lebzeiten an seiner Urkctte getragen, und war derselbe seiner Seltenheit wegen oft genug ein Gegenstand der Bewunderung für seine Freunde gewesen. Dieses selten gewesene Schmuckstück hatte sich auch in jenem verlorenen Kasten befunden, und es er­schien Lady Rowdey kaum glaublich, daß außer diesem noch ein zweites, gleiches Exemplar auf der Welt existieren könnte. Daher ihre Fragen, deren Beantwortung ihr die volle Gewißheit gaben, sobald der Name Bornholm gefallen war.

Der alte Haß erwachte wieder zu seiner vollen Stärke in ihrem Herzen und trieb sie an, ihm Genüge zu thun und Vergeltung zu üben. Wenn auch nicht an dem Uebelthäter selbst, so doch an seinem Fleisch und Blut, an seinem Großsohn! Bis ins Herz konnte sie diesen jetzt treffen!

Eine leidenschaftliche Freude erfüllte sie und schon wollte sie dem Großsohn enthüllen, was sein Großvater gethan, und was ihn für immer von Ellen trennen mußte, da klangen in ihr Ohr. wie von einer Kinderstimme gesprochen, die Worte:Wird der liebe Gott mit Dir zufrieden sein, wenn Du so böse bist?" Sie zuckte innerlich zusammen, und ihre rachsüchtige Freude verwandelte sich in Grauen vor sich selbst, daß sie in ihrer Leidenschaft so unrecht hatte handeln wollen!

Hatte sie heute doch hören können, wie Gott selbst, nach seinem Wort:die Rache ist mein!" an dem Uebelthäter Vergeltung geübt hatte. Wie er ihn freudlos und friedlos für sein ganzes Leben gemacht hatte! Erhalte für sie das Rächeramt übernommen, sie war dessen überhoben. Wie eine Erleichterung überkam es sie, jetzt fühlte sie erst, wie schwer sie an ihrem Rachegelüste getragen und damit war der Kampf mit ihrem Gewissen beendet ihr Edelmut hatte gesiegt!

Die Hand fortnehmend, von den Augen, die wieder gütig und liebevoll auf die beiden jungen Menschenkinder vor ihr blicken konnten, sagte sie in tiefer Bewegung:Gebt mir Eure Hände". Und als das geschehen, vereinigte sie dieselben mit einem verklärten Lächeln, ohne ein Wort zu sagen. Sie wurde auch so verstanden, das zeigte ihr der Jubel, der beiden Glücklichen, die in ihrer Seligkeit gar nicht daran dachten, irgend welche Fragen an die Großmutter zu richten.

Diese blickte befriedigend lächelnd auf das Glück der Beiden und flüsterte ganz leise vor sich hin:Mein Gott, bist Du jetzt mit mir zufrieden?"

Ihre eigene Befriedigung, sowie das spätere ungetrübte Glück des bald darauf für immer vereinigten jungen Paares sagte ihr deutlich, daß sie das Rechte erwählt hatte. Und niemals bereute sie, daß sie der Stimme ihres Gewissens Gehör gegeben und anstatt Rache zu üben, mit Liebe an dem Enkel vergolten, was ihr der Großvater desselben einst an Leid zugcfügt.

(Das Stützen der Obstbäume.) Der Heuer voraussichtlich vielfach reiche Obstsegen wird es da und dort nötig erscheinen lassen, unsere Obst­bäume, um sie nicht unter ihrer Last brechen zu lassen, entweder zu stützen oder deren Neste auf­zubinden. Leider geschieht diese Arbeit nicht in dem nötigen Umfang, wie es geschehen sollte. In der Regel werden nur solche Bäume resp. Neste gestützt, von welchen man annimmt, daß sie wirklich brechen könnten, denn das Stützen ist nicht nur kostspielig und zeitraubend. sondern öfters begegnet man auch der Ansicht, daß die Stange nicht nur den Ast. sondern auch den Dieb­stahl unterstütze, indem Vorübergehende gern die Gelegenheit benützen und daran schütteln. Nun ja! wenn das vielleicht hie und da geschieht, so muß man in einem obstreichen Jahre nicht so engherzig sein, und vielleicht um einiger gestohlener

Früchte wegen lieber den dankbaren Baum unter seiner Last brechen lassen. Das zu sparsame Stützen hat auch andere Nachteile, als das wirk­liche Brechen oder Abschlitzen der Neste, denn nicht nur kommt die Krone des Baumes durch das Herabziehen der Neste aus der ursprünglichen Form und Richtung, sondern durch das zu starke Biegen wird der Baum auch an seiner Gesund­heit geschädigt, indem die Saftkanäle an der unteren Längslinie des Astes durch das Biegen zusammengepreßt und die oberen, auf der Bieg­ung befindlichen Zellen gedehnt oder gesprengt werden, wodurch die Sastzirkulation wesentlich gehemmt und erschwert wird, was zur Folge hat, daß die Bäume nach reichen Obstjahren oft nicht nur tragen, sondern auch häufig kränkeln und sogar eingehen. Beim Steinobst ist diese Er­scheinung besonders hervortretend: dort findet man häufig an den Biegungsstellen kleine oder größere sog. Harzperlen, welche durch die ge­sprengten oder gepreßten Saftkanäle ausgetreten sind. In der Regel gehen solche Neste das Jahr darauf ein. Auffällig trat das Zugrundegehen unserer Zwctschgenbäume nach dem sehr reichen Zwetschgenjahr von 1860 im Fränkischen ein. Daher ist es Pflicht eines jeden Baumbesitzers, um unsere so teuer und mühsam erzogenen Obst­bäume gesund zu erhalten, dieselben zu stützen oder deren Neste in die Höhe zu binden, sobald sich dieselben unter ihrer Last zu neigen beginnen. Bei unfern Pflaumenbäumen wird diese Arbeit bald notwendig werde.

» Als dieser Tage ein Ueberlinger Nimrod einen Jagdausflug in den Wald machte, machte ihm ein Bauer die Mitteilung, er habe soeben beim Mähen einem auf einem Neste sitzenden Rebhuhn den Kopf abgeschlagen. Der Jäger sah sich das Nest an und fand, daß es mit 21 fast ausgebrüteten Eiern besetzt war; vorsichtig wurde daselbe ausgenommen und nach Hause gebracht. Hier mußte eine Bruthenne das Werk des geköpften Rebhuhnes fortsetzen; und sie lhat es mit so glücklichem Erfolg, daß bald darauf 19 kleine Rebhühnchen ausschlüpften.

Ern origineller H andel wurde dieser Tage von zwei Leuten in Miesbach (Bayern) abgeschloffen. Ein ausgesprochener Kirschenlieb­haber wollte auf raffiniert schlaue Weise sich einen länger andauernden und dabei billigen Genuß verschaffen und machte aus diesem Grunde dem Anderen das Angebot, gegen 30 ^ Ver­gütung ihm den ganzen Monat Juni täglich die von ihm jedesmal allein und ohne Mithilfe so­fort zu verzehrenden Kirschen zu liefern, und zwar am 1. Juni ein Stück, am 2. Juni deren zwei und so je am folgenden Tage das doppelte Quantum des vorausgegangenen. Die in diesem Sinne abgemachte Sache hatte nun aber für jede der beiden Seiten einen recht bedenklichen Haken. Dem Lieferanten wurde es bald klar, daß er die nach und nach rapid steigende, der Vereinbarung entsprechende Kirschenmenge unter keinem Um­stande aufzutreiben imstande fei. Glücklicherweise hatte sich inzwischen auch der empfangende Teil hinlänglich davon überzeugt, daß er schon vom elften Tage an, wenn er auch durch Tag und Nacht unausgesetzt jede Sekunde eine Kirsche ver­tilgen würde, die an diesem letzteren Tage fällige Menge nicht zu bewältigen vermöchte. So waren wohl oder übel beide Bertragsteile gezwungen, zu rhrem eigenen Besten den eingegangenen Handel zu widerrufen.

Aus Frankreich, 20. Juni. Gestern wurde imHotel Drouot" zu Paris eine napo- leonischeReliquie" unter den Hammer gebracht, ein Hemd Napoleons I., das dem treuen Schicksalsgenossen Marschall Bertrand nach dem Tode des Verbannten aus Sankt Helena zuge­sallen war. Der Auktionator verlangte dafür 400 Franken; es wurden aber nur 150 Franken bezahlt. Für ein altes Hemd immer noch viel Geld.

(45 Menschen ertrunken.) Bei Bugulma, Gouvernement Ssamara, ereignete sich ein fürchter­liches Unglück. Vom Volksfest zurückkehrend, be­

nutzte eine Schar von 70 jungen Burschen und Mädchen die mangelhafte Fähre zur Ueberfahrt über den Fluß Ick. In der Mitte sank die Fähre. Nur 25 vermochten sich zu retten. 45 Personen ertranken, da die Nichtschwimmer die Schwimmen­den zum Teil mit in die Tiefe zogen.

In ihrer an der Fontanka in Petersburg belegenen Wohnung ist die Millionärin Viktoria Tscharnecki ermordetworden. Außer ihremDiener. der verhaftet wurde, hatte sie Niemand um sich, da sie trotz ihres Reichtums sehr einsam lebte und auch selten Besuch empfing. Die Ermordete, welche 53 Jahre alt und unverheiratet war, ist die Tochter des ehemaligen Gouvernements-Adels- marschalls v. Kamenez-Podolsk im Gouvernement Podolien.

Reiches Vermächtnis. Frau Buisson hat der Pariser Armenverwaltung eine 2 220 000 Franken werte Liegenschaft vermacht zur Er­richtung eines Greisenhauses.

(Einen Preis von 20 000 Mark) kann sich derjenige verdienen, welcher dem Grafen Orloff- Davidoff zu St. Petersburg ein wirksames Mittel gegen die Rinderpest angiebt; die Bewerbung ist, nach einer Mitteilung vom Patent- und technischen Bureau von Richard Lüders in Gör­litz. eine internationale und müssen die Vorschläge bis zum 1. Januar 1899 dem in Petersburg eingesetzten Comite eingereicht werden. Jeden­falls verdient diese Anregung und die Aussetzung eines so hohen Preises aus Privatmitteln alle Anerkennung ist bei der Wichtigkeit des angeregten Gegenstandes eine reqe Beteiligung und Erziel­ung eines günstigen Resultates sehr zu wünschen.

(Erklärung.)Warum heißt Du denn Deine neue Villa, die Du auf der steilen Anhöhe er­baut hast,Henrietten-Ruhe" ? Deine Gemahlin wird sich da gewiß nicht oft hinaufbemühen!" Eben deshalb! Dort Hab ich vor meiner Henriette Ruhe!"

(Macht der Gewohnheit.) Hausherr (zum Dienstmädchen):Was poltert denn der Mensch da oben immerfort im Zimmer herum?! .. Marie, geh' 'mal hinauf und frag' ihn ob er den ganz verrückt ist?" Marie:Jawohl! . . Soll ich auf Antwort warten?"

(Ein Mißverständnis.) Unteroffizier:Warum soll ein ordentlicher Soldat nicht Karten spielen?" Füsilier Krasinski (beifällig grinsend):Natür- lich, Herr Unteroffizier, warum nicht?"

Telegramme.

Lyon, 25. Juni. Als der Präsident Carnot gestern um 7*/s Uhr abends beim Handelspalast vorbei nach dem Theater fuhr, sprang ein Individuum auf das Trittbrett des Landauers und versetzte dem Präsidenten einen Dolchstich ins Herz. Der Rhonepräfekt Richaud, neben Carnot sitzend, stieß den Attentäter auf die Straße hinab. Derselbe wurde verhaftet. Er erklärt Italiener zu sein, Eesario Giovanni Santo zu heißen und 22 Jahre alt zu sein. Der­selbe spricht schlecht französisch und wohnt seit 6 Monaten in Cette; er kam gestern nach Lyon. Im Theater wurde die Nachricht vom Präfektor mitgeteilt. Es gab furchtbare Szenen der Auf­regung und des Entsetzens. Carnot, nach der Präfektur gebracht, starb um 12^/4 Uhr.

Pontypridd, 25. Juni. Bisher sind in der Kohlengrube Albjon 86 Tote und 1? Verwundete aufgefunden worden. Ueber das Schicksal der noch in den Schächten befindlichen 120 Bergleute konnte bisher nichts festgestellt werden.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.